Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08. Juli 2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die rückwirkende teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alg) aufgrund eines Lohnsteuerklassenwechsels sowie die entsprechende Erstattung von Leistungen in Höhe von 3.757,14 DM.
Der 1963 geborene und seit 1991 verheiratete Kläger war nach seiner Ausbildung zum Zahntechniker zunächst von Februar 1994 bis 1995 im erlernten Beruf tätig und arbeitete sodann nach einer 9-monatigen Arbeitslosigkeit vom 01.06.1996 – 30.09.1999 als technischer Angestellter bei der H W GmbH in L. Am 09.09.1999 meldete er sich arbeitslos und beantragte mit Wirkung vom 01.10.1999 Alg. Im Antragsformular bestätigte er am 28.09.1999 mit seiner Unterschrift, dass er das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte – Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe. Mit Bescheid vom 05.10.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 01.10.1999 unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse IV nach der Leistungsgruppe A in Höhe von zunächst 342,02 DM wöchentlich und ab 22.06.2000 bis 24.09.2000 in Höhe von 367,71 DM wöchentlich. Bei der Beantragung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) am 20.09.2000 teilte der Kläger mit, dass auf seiner Lohnsteuerkarte seit Jahresbeginn die Steuerklasse V eingetragen sei und legte die Lohnsteuerkarte 2000 mit der entsprechenden Eintragung vor.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 27.11.2000 die Bewilligung von Alg für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 24.09.2000 teilweise auf und forderte die Erstattung des Betrages in Höhe von 3.757,14 DM. Zur Begründung führte sie aus, dass dem Kläger aufgrund des Steuerklassenwechsels von IV nach V in der Zeit vom 01.01.2000 bis 21.06.2000 Alg nach der Leistungsgruppe D lediglich in Höhe von 247,31 DM und in der Zeit vom 22.06.2000 bis 24.09.2000 nur in Höhe von 263,34 DM wöchentlich zustehe. Der Kläger habe den Lohnsteuerklassenwechsel zum 01.01.2000 nicht rechtzeitig mitgeteilt.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2001 zurück. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, gem. § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 3. Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) seien die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen vom Tage des Wirksamwerdens zu berücksichtigen, wenn sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein geringeres Alg als das Alg ergebe, dass sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Dies sei vorliegend der Fall, weil dem Kläger aufgrund der Lohnsteuerklasse V und der entsprechenden Zuordnung zur Leistungsgruppe D nur noch ein wöchentliches Alg von 247,31 DM bzw. 263,34 DM statt ein solches von 342,02 DM bzw. 367,71 DM nach der Leistungsgruppe A zustehe. Die teilweise Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung des Alg gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III sei gerechtfertigt gewesen, weil das Merkblatt, von dessen Inhalt der Kläger Kenntnis genommen habe, ausführliche Hinweise bzgl. der Bedeutung der Lohnsteuerklassen, eine Darstellung hinsichtlich der Zuordnung der Leistungsgruppen zu den Lohnsteuerklassen sowie Hinweise zu den Auswirkungen bei einem Lohnsteuerklassenwechsel enthalte und im Abschnitt "Mitwirkungspflichten" beispielhaft die Pflicht des Leistungsempfängers zur sofortigen Benachrichtigung des Arbeitsamtes aufführe, wenn sich – aus welchem Grund auch immer – seine Lohnsteuerklasse ändere Der Kläger habe jedoch seine geänderte Lohnssteuerkarte für das Kalenderjahr 2000 erst am 21.09.2000 vorgelegt.
Am 11.05.2001 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben und geltend gemacht, nicht fahrlässig gehandelt zu haben, weil die Ausführungen im Merkblatt 1 für Arbeitslose für ihn nicht verständlich und nachvollziehbar seien.
Die Beklagte hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gebrachten Auffassung festgehalten und ergänzt, dass nach Ziffer 11, Bl. 63 des Merkblattes 1 für Arbeitslose (Stand April 1999) die Verpflichtung bestehe, die Beklagte zu benachrichtigen, wenn sich, aus welchem Grund auch immer, die Lohnsteuerklasse ändere.
Mit Urteil vom 08.07.2003 hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 27.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2001 aufgehoben. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass zwar für den hier streitigen Zeitraum aufgrund des vom Kläger vorgenommenen Steuerklassenwechsels eine wesentliche Änderung i. S. v. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten sei. Denn aufgrund der Regelung in § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III seien bei einem Lohnsteuerklassenwechsel zwischen den Ehegatten die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an zu berücksichtigen, an dem sie wirksam würden, wenn sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergebe, das geringer sei, als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklasse ergäbe. Aufgrund dessen sei der zum 01.01.2000 vorgenommene Lohnsteuerklassenwechsel beim Kläger zu berücksichtigen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.08.2002 – B 11 AL 31/02 R – ist das SG jedoch der Auffassung gewesen, dass der Kläger nicht grob fahrlässig seine Mitteilungspflicht verletzt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Denn hinsichtlich der Beurteilung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit bestehe ein Wertungswiderspruch zwischen dem Einkommenssteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht, der nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegenden Beratungspflichten bleiben könne. Wenn das Steuerrecht davon ausgehe, dass einem Ehegatten beim Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die für ihm zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden müsse, so müsse er nicht damit rechnen, dass er deswegen bei Bezug von Lohnersatzleistungen in jedem Falle Nachteile hinzunehmen habe. Dem stehe vorliegend auch nicht entgegen, dass der Kläger das Merkblatt für Arbeitslose (Stand: April 1999) erhalten und zur Kenntnis genommen habe. Die Beklagte verpflichte den Leistungsempfänger darin nur zur Meldung eines bereits vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels. Im Hinblick auf die Folgen des Lohnsteuerklassenwechsels müsse die Beklagte aber die Betreffenden ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung bei der Beklagten durchgeführt werden solle. Mit dem Hinweis: "Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen sie deshalb vorher Rat ein" gebe die Beklagte jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass durch eine Beratung vor Durchführung eines Lohnsteuerklassenwechsels die arbeitsförderungsrechtlich möglicherweise eintretenden schädlichen Folgen eines solchen Wechsels vermieden werden können. Deshalb habe die Beklagte zu Unrecht die Bewilligung von Alg für die hier streitige Zeit teilweise aufgehoben und Leistungen zurückgefordert.
Gegen das ihr am 25.07.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.08.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie an: Ab Januar 1998 enthielten alle Auflagen des Merkblattes 1 neben den Hinweisen zur Mitwirkungspflicht (z. B. Anzeige eines Steuerklassenwechsels) in Block 4 "Höhe der Leistung" – "Die Bedeutung der Lohnsteuerklasse" – Erklärungen mit Beispielen zum Lohnsteuerklassenwechsel der Ehegatten. Hervorgehoben durch fettgedruckte Schrift werde auf das Beratungsangebot des Arbeitsamtes "Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein" hingewiesen. Mit diesen Erläuterungen sei die Beklagte der in den Urteilen des BSG geforderten Pflicht zur Unterbreitung eines Beratungsangebots nachgekommen. Sei trotz zutreffender leistungsrechtlicher Beratung ein Steuerklassenwechsel vorgenommen worden oder habe der Leistungsempfänger das Beratungsangebot nicht genutzt, sei ihm im Einzelfall grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Auch weise die Broschüre der Finanzverwaltung "Kleiner Ratgeber für Lohnsteuerzahler" bei "Steuerklassen" ebenfalls darauf hin, dass vor der Neuwahl der Steuerklassenkombination der zuständige Sozialleistungsträger über deren Auswirkungen, z. B. auf die Höhe des Alg, gefragt werden solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08.07.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf sein erstinstanzliches Vorbringen und hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und wegen der Erklärungen des Klägers bei der Erörterung des Sachverhalts während der mündlichen Verhandlung wird insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 18.02.2004 verwiesen. Auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben und den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten als rechtswidrig aufgehoben.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung von Alg ist § 48 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, wie sie bei der Bewilligung vom Alg ab 01.10.1999 mit Bescheid vom 05.10.1999 vorgelegen haben, ist ab 01.01.2000 mit dem Lohnsteuerklassenwechsel eingetreten.
Gem. § 137 SGB III richtet sich die als gewöhnlicher Abzug zu Grunde zu legende Steuer nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist (Abs. 1). Zuzuordnen sind gemäß § 137 Abs. 2 SGB III 1. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse I oder IV eingetragen ist, der Leistungsgruppe A, 2. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse II eingetragen ist, der Leistungsgruppe B, 3. Arbeitnehmer a) auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerkarte III eingetragen ist oder b) die von ihrem im Ausland lebenden und daher nicht unbeschränkt einkommenssteuerpflichtigen Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, wenn sie darlegen und nachweisen, dass der Arbeitslohn des Ehegatten weniger als 40 % des Arbeitslohns beider Ehegatten beträgt, wobei bei der Bewertung des Arbeitslohns des Ehegatten die Einkommensverhältnisse des Wohnsitzstaates zu berücksichtigen sind, der Leistungsgruppe C 4. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D, sowie 5. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse VI eingetragen ist, weil sie noch aus einem weiteren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen, der Leistungsgruppe E.
Die Zuordnung richtet sich gemäß § 137 Abs. 3 SGB III nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war. Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen. Das gleiche gilt, wenn auf der für die späteren Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird.
Haben Ehegatten die Lohnsteuerklassen gewechselt, so werden nach § 137 Abs. 4 SGB III die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an den sie wirksam werden, wenn
1. die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder
2. sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist, als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.
Ein Ausfall des Arbeitsentgelts, der den Anspruch auf eine Lohnsteuerfreie Entgeltersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte außer Betracht. Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend.
Die Voraussetzungen nach § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III sind im Falle des Klägers mit Wirkung vom 01.01.2000 gegeben. Der Kläger und seine Ehefrau haben mit Wirkung zum 01.01.2000 einen Wechsel der Steuerklassen dahingehend vorgenommen, dass auf der Lohnsteuerkarte 2000 des Klägers mit Wirkung vom 01.01.2000 die Lohnsteuerklasse V (zuvor Lohnsteuerklasse IV) eingetragen wurde und seine Ehefrau von der Lohnsteuerklasse IV zur Lohnsteuerklasse III wechselte.
Aufgrund der beim Kläger neu eingetragenen Lohnsteuerklasse trat eine Herabsetzung des Alg-Leistungssatzes ein. Dem Kläger stand ab diesem Zeitpunkt gem. § 137 Abs. 2 Nr. 4 SGB III nicht mehr Alg nach der Leistungsgruppe A (= Lohnsteuerklasse IV) in Höhe von 342,02 DM (ab 22.06.2000 in Höhe von 367,71 DM) wöchentlich, sondern nur noch nach der Leistungsgruppe D (= Lohnsteuerklasse V) in Höhe von 247,31 DM (ab 22.06.2000 263,34 DM) wöchentlich zu.
Der Senat kann ebenfalls wie das SG die auch vom BSG angesprochene aber offen gelassene Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III hier dahingestellt bleiben lassen, da unabhängig hiervon dem Kläger jedenfalls nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG in dem oben zitierten Urteil sowie in dem Urteil des BSG vom selben Tag – B 11 AL 87/01 R – gemacht werden kann.
Der Kläger war als Leistungsempfänger – wie vom SG zutreffend ausgeführt – zwar zur Mitteilung der Änderung seiner Lohnsteuerklasse verpflichtet. Dies folgt aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt, oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind und über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Der Kläger hat diese Mitteilungspflicht auch verletzt. Der Senat ist insoweit der Überzeugung, dass der Kläger diese Mitteilungspflicht kannte. In seinem Alg-Antrag vom 28.08.1995 bestätigte er unter dem 20.9.1995 durch seine Unterschrift, dass er das Merkblatt für Arbeitslose ("Ihre Rechte – Ihre Pflichten"), in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen ist, erhalten und dann von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe.
Der Kläger hat diese Pflicht zwar fahrlässig, jedoch nicht grob fahrlässig verletzt.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X). Der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d. h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt haben (BSGE 42, 184, 186 / 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 10; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 14). Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden (vgl. RGZ 163, 106), wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42,184, 187 mwN). Bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflicht des Betroffenen zur Mitteilung "wesentlicher für Ihnen nachteiliger Änderungen der Verhältnisse" (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) muss der Schuldvorwurf alle Elemente des Tatbestandes umfassen, nämlich den Eintritt der Änderung, die Mitteilungspflicht und eben auch die Nachteiligkeit der Änderung (Gesamtkommentar Sozialversicherung SGB X, § 48 Anmerkung 86 f.).
Das BSG hat in dem oben zitierten Urteil vom 29.08.2002 – B 11 AL 87/01 R – im Zusammenhang mit den Anforderungen an die grobe Fahrlässigkeit bei der hier streitigen Konstellation des Lohnsteuerklassenwechsels konkret ausgeführt:
"Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor, denn die Frage, ob der Kläger aufgrund von grober Fahrlässigkeit einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen ist, lässt sich in Fällen der vorliegenden Art anhand genereller Maßstäbe beantworten. Für die Anwendung eines einheitlichen und vom Revisionsgericht insoweit vorzugebenden Maßstabes spricht entscheidend, dass hinsichtlich der Beurteilung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Wertungswiderspruch zwischen Einkommenssteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht besteht, der nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obsiegenden Beratungspflichten bleiben kann. Zudem legen auch die bereits dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Anwendungsbereich des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III es nahe, die Frage, ob eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die damit zwingend verbundene Rückforderung wegen grob fahrlässiger Verletzung einer Mitteilungspflicht in Betracht kommt, nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen.
Im Einkommenssteuerrecht ist der Lohnsteuerklassenwechsel, der allgemein dazu dient, die aktuelle Lohnsteuerbelastung möglichst nahe an der zur erwartenden Jahreslohnsteuer zu halten, für den Fall, dass bei einem Ehegatten Arbeitslohn völlig entfällt, besonders erleichtert. Denn nach § 38 b Satz 2 Nr. 3 a bb EStG gehören in die Steuerklasse III Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte keinen Arbeitslohn bezieht. Während Ehegatten, die beide in einem Arbeitsverhältnis stehen, eine Änderung der Steuerklasse nur einmal im Laufe des Kalenderjahres beantragen können (§ 39 Abs. 5 Satz 3 EStG), gilt diese Einschränkung nicht, wenn ein Arbeitnehmer keinen Arbeitslohn mehr bezieht (vgl. auch die Lohnsteuer – Richtlinien 109 Abs. 5 Satz 5). Geht das Steuerrecht somit davon aus, dass dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden muss, so muss er nicht damit rechnen, dass er deswegen leistungsrechtlich in jedem Falle Nachteile hinzunehmen hat. Für die Gemeinde oder das Finanzamt als die zuständigen Finanzbehörden ist der Lohnsteuerklassenwechsel aus der Sicht des Einkommenssteuerrecht geboten.
Angesichts dieser steuerrechtlichen Bewertung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten muss ein Arbeitsloser, der wie der Kläger vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ein erheblich höheres Arbeitsentgelt als seine Frau erzielt hatte, nicht damit rechnen, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben würde. Nichts anderes folgt daraus, dass der Kläger nach den Feststellungen des LSG ein Merkblatt für Arbeitslose (Stand: Januar 1998) erhalten hatte. Die Beklagte verpflichtet darin den Betroffenen lediglich zur Meldung eines bereits vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels. Im Hinblick auf die Folgen des Lohnsteuerklassenwechsels hätte die Beklagte aber den Betreffenden darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung bei der Beklagten suchen sollte. Denn nur bei einer Beratung vor dem Lohnsteuerwechsel können die arbeitsförderungsrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels vermieden werden. Die Meldung nach der Vornahme eines Lohnsteuerklassenwechsels kann angesichts der Regelung in § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III nur noch dazu dienen, die leistungsrechtlichen Folgerungen aus der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu ziehen. Deshalb genügt der Hinweis im Merkblatt nicht dafür, den Schluss auf grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht zuzulassen."
Vor dem Hintergrund dieser zitierten Ausführungen des 11. Senats des BSG ist der erkennende Senat der Überzeugung, dass auch der von der Beklagten hier angesprochene – und vom BSG nicht ausdrücklich erwähnte – Hinweis "ein Lohnsteuerklassenwechsel könne in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden und deshalb sei vorher Rat einzuholen" diesen Anforderungen nicht genügt. So wie dieser Hinweis formuliert ist, kann er nämlich durchaus auch dahingehend verstanden werden, dass der betreffende Arbeitslose sich vor einem Lohnsteuerklassenwechsel, da dieser in der Regel (nämlich nach dem Steuerrecht) nur einmal jährlich möglich ist, auch vor einem Wechsel an das Finanzamt wenden soll. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Hinweis nicht unmissverständlich auf die möglichen negativen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels verweist, sondern nur auf den grundsätzlich (nach dem Steuerrecht) nur einmal jährlich möglichen Lohnsteuerklassenwechsel (ebenso im Ergebnis: LSG Baden-Württemberg vom 20.02.2003 – L 12 AL 3653/02 – und vom 19.03.2003 – L 5 AL 4877/02 -; LSG Rheinland-Pfalz vom 23.05.2003 – L 1 AL 154/01 -; LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2003 – L 15 AL 35/02 -).
Dem Kläger kann ersichtlich auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Der Kläger war nach seinem glaubhaften Bekunden nicht persönlich informiert worden und auch dem Merkblatt konnte er die Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels nicht entnehmen. Dies war jedenfalls für den Kläger auch unter Berücksichtigung der im Merkblatt dargestellten Beispiele in dem konkreten hier zu beurteilenden Fall nicht ohne weiteres bzw. schon aufgrund einfachster, ganz naheliegender Überlegungen erkennbar. Zu keiner anderen Beurteilung führt auch nach Auffassung des Senats der Lohnsteuerratgeber der Finanzbehörden. Denn dieser Hinweis der Finanzbehörden kann die Beklagte nicht von ihrer eigenen Beratungspflicht als originär zuständige Behörde insoweit entlasten. Denn wenn die Beklagte mit dem Merkblatt in eigener Verantwortung die Leistungsempfänger mit entsprechenden Hinweisen berät, dann muss sie dies vollständig tun, da insoweit der Leistungsempfänger auch darauf vertrauen darf, dass gerade die Beklagte als zuständige Behörde ihn auch voll umfänglich über die Folgen bestimmter Handlungsweisen in ihrem eigenen Bereich, nämlich der Gewährung von Alg bzw. Alhi, informiert und man als Leistungsempfänger nicht auf die Hinweise anderer Behörden zurückgreifen muss (so auch: LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2003 – L 5 AL 4877/02 -).
Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil sich das BSG in seinen Urteilen vom 29.08.2002 nicht mit dem hier von der Beklagten angeführten weiteren Hinweis im Merkblatt auseinander gesetzt hat, dass "ein Lohnsteuerklassenwechsel in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden könne und dass deshalb vorher Rat einzuholen" sei. Nach Auffassung des Senats ist die Frage noch zu klären, ob dieser Hinweis den vom BSG aufgestellten Anforderungen genügt.
Erstellt am: 24.03.2004
Zuletzt verändert am: 24.03.2004