Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 10.11.2008 aufgehoben, mit dem das Sozialgericht Aachen den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin C abgelehnt hat. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin C für die Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Sozialgericht Köln bewilligt. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, dann gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Das Sozialgericht (SG) Aachen hat deshalb den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens unter Beiordnung der bevollmächtigten Rechtsanwältin zu Unrecht abgelehnt. Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Verfahrensführung nicht aufbringen kann, bot hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien nicht mutwillig.
1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das SG hat das Rechtsschutzbegehren der Klägerin zu Recht dieser Rechtsschutzform zugeordnet. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
2. Bei der Entscheidung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht eine Interessenablehnung vorzunehmen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 12 ff). Im Rahmen dieser Ablehnung ist darauf abzustellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungaktes bestehen oder ob seine Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliches Interesse gebotene Härte zur Folge hätte.
Das SG hat zu Recht ausgeführt, dass in den Fällen, in denen wie hier das Gesetz selbst das Entfallen der aufschiebenden Wirkung anordnet, von einem Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen sofortiger Vollziehbarkeit einerseits und aufschiebender Wirkung andererseits auszugehen ist, so dass das Vollzugsinteresse hier in der Regel den Vorrang hat (vgl. Keller a.a.O., Rn. 12c). Hier bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Absenkungsbescheides vom 20.10.2008.
a) Rechtsgrundlage für die mit diesem Bescheid verlautbarte Absenkung des Arbeitslosengeldes II war § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Danach wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 v. H der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen.
In der Eingliederungsvereinbarung vom 28.08.2008 haben die Beteiligten unter Ziffer 2) folgende Obliegenheit der Antragstellerin vereinbart: "Sie [die Antragstellerin] unternehmen in den nächsten 6 Monaten – beginnend mit dem Datum der Unterzeichnung – mindestens 5 Bewerbungsbemühungen um eine Vollzeitstelle Beschäftigungsverhältnisse ( …)."
a) Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausüben konnte.
Denn die Antragstellerin hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Überweisung ihrer behandelnden Ärzte zu einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie u.a. wegen einer Angststörung vom 21.10.2008 vorgelegt, ferner eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Neurologin und Psychiaterin Frau Dr. X vom 03.11.2008 für den Zeitraum vom 03.11. bis zum 17.11.2008 wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und einer somatoformen Störung. Damit hat sie eine Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit glaubhaft gemacht. Der Vortrag der Klägerin, ihre Erwerbsfähigkeit sei aufgrund ihrer psychischen Belastung bereits auch in der davorliegenden Zeit deutlich beeinträchtigt gewesen, erscheint dabei als glaubhaft. Denn zum einem haben psychische Erkrankungen – hier insbesondere die mittelgradige depressive Episode – häufig einen zeitlich längeren Vorlauf. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin in ihrer Wohnung ihren psychisch schwer erkrankten Sohn, der an einer paranoiden Schizephronie leidet, versorgt und dies für den Senat nachvollziehbar mit einer erheblichen psychischen Belastung der Antragstellerin selbst einhergeht. Vor diesem Hintergrund ist ebenfalls nachvollziehbar, dass die Antragstellerin sich nicht länger in der Lage sah, das neben ihrer Tätigkeit als Küsterin bestehende zweite geringfügige Beschäftigungsverhältnis als Haushaltshilfe weiter auszuüben, so dass sie dieses Beschäftigungsverhältnis aufgegeben hat. b) Da ernstliche Zweifel daran bestehen, ob die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in der Lage war, macht es keinen Sinn, von der Antragstellerin weiterhin – wie in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt – "Bewerbungsbemühungen um eine Vollzeitstelle" als Mitwirkungsobliegenheit zu verlangen. Eine Nichterfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheit darf in einem derartigen Fall nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats jedenfalls nicht (mehr) sanktioniert werden.
Der Senat stimmt mit dem SG darin überein, dass die Antragstellerin noch in der Lage gewesen sein dürfte, die in der Einigungsvereinbarung festgelegte Mitwirkungsobliegenheit an sich zu erfüllen, weil nicht erkennbar ist, dass der Antragstellerin auch das bloße Sich-Bewerben (und nicht die vollschichtige Beschäftigung selbst) gesundheitlich nicht mehr möglich war. Die Regelung des § 65 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gelangt damit unmittelbar nicht zur Anwendung, wonach die Mitwirkungsobliegenheit nicht besteht, soweit ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann (zur grundsätzlich bestehenden subsidiären Anwendbarkeit der §§ 60 ff. SGB I im Grundsicherungsrecht des SGB II Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.09.2008, B 14 AS 45/07 AR, Juris).
Einem hilfebedürftigen Arbeitsuchenden kann ein Bewerbungsbemühen nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats jedoch auch dann nicht zugemutet werden, wenn nachgewiesen bzw. im einstweiligen Rechtsschutzverfahren glaubhaft gemacht ist, dass er die Tätigkeit, um deren Ausübung er sich bemühen soll, aus körperlichen oder seelischen Gründen (derzeit) gar nicht ausüben kann; jedenfalls darf die Nichterfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheit dann nicht (mehr) sanktioniert werden. Denn die Sanktionsregelung des § 31 SGB II fußt erkennbar auf der Annahme, dass eine Sanktion deshalb angezeigt ist, weil Hilfebedürftige unter den dort genannten Voraussetzungen nicht alle "Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen" (so allgemein § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Stehen diese "Möglichkeiten" einem Hilfebedürftigen jedoch vorübergehend oder dauerhaft gar nicht offen, kann ihm eine mangelhafte Mitwirkung auch nicht vorgehalten werden (vgl. für das Zivilrecht und für Rechtspflichten im engeren Sinne die Regelung des § 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch über die Leistungsbefreiung bei insbesondere subjektiver Unmöglichkeit).
Der Senat lässt offen, ob in einem derartigen Fall bereits der Tatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b SGB II nicht erfüllt ist, oder ob ein wichtiger Grund gemäß 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegt, der die Nichterfüllung der Mitwirkungsobliegenheit rechtfertigt.
3. In einem sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren wird ggf. zu klären sein, ob die Klägerin im fraglichen Zeitraum in der Lage gewesen war bzw. wäre, eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 28.08.2008 dahingehend auszulegen ist, dass sie für die Antragstellerin die Mitwirkungsobliegenheit begründet, sich auch um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu bemühen. Denn der Wortlaut der Eingliederungsvereinbarung ist eindeutig ("Vollzeitstelle"). Unklarheiten bei der Auslegung einer Eingliederungsvereinbarung gingen im Übrigen zu Lasten des Grundsicherungsträgers, weil das sanktionsbewehrte Verhalten in der Eingliederungsvereinbarung angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen der Sanktionsregelung des § 31 SGB II und wegen der existenzsichernden Funktion der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II eindeutig und unmissverständlich beschrieben sein muss.
4. Kosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
5. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 17.03.2009
Zuletzt verändert am: 17.03.2009