Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 12.09.2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 20.11.2007 nicht abgeholfen hat, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
2. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
a) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm des § 22 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorliegen.
Nach dieser Regelung können auch Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (§ 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Die Schulden sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II).
aa) Das SG hat in seinem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB II verwirklicht sind und die fehlende Versorgung mit Strom einen hinsichtlich der Sicherung der Unterkunft vergleichbaren Notfall darstellt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.06.2007, L 19 B 82/07 AS ER, Juris). Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
bb) Das durch § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II dem Grundsicherungsträger grundsätzlich eröffnete Ermessen war hier gebunden, weil die Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II vorlagen. Denn die Übernahme der Energieschulden war notwendig und gerechtfertigt im Sinne dieser Regelung. Liegen die Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II vor, ist im Regelfall ("sollen") von einer Schuldenübernahme auszugehen (vgl. Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 108).
Ein atypischer Fall, der eine Ausnahme rechtfertigen könnte (vgl. insoweit etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.03.2007, L 5 B 173/07 AS ER, Juris), ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren weder zu erkennen noch von der Antragsgegnerin glaubhaft gemacht worden. Das SG hat zu Recht ausgeführt, dass ein mißbräuchliches Verhalten der Antragstellerin nicht ersichtlich ist.
Ein atypischer Fall im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II könnte ferner dann vorliegen, wenn ein Arbeitsuchender seinen grundsicherungsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten (in erheblichem Umfang) nicht nachgekommen ist (vgl. Lang/Link a.a.O., § 22 Rn. 110). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein Arbeitsuchender alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin folgt daraus jedoch nicht, dass ein Arbeitsuchender hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf.
Denn zum einen hat das SG darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet ist, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten (Schulden) getilgt worden sind. Soweit die Antragsgegnerin hiergegen vorgebracht hat, nach der Rechtsauffassung (einer Abteilung) des Amtsgerichts Erkelenz bestehe keine derartige vorrangige Verpflichtung zur Tilgung rückständiger Schulden, hat hierzu das SG in seinem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass das Amtsgericht Erkelenz insoweit aber eine Sicherheitsleistung für die Zahlungsrückstände gefordert hatte (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.).
Zum anderen entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitsuchenden den Grundsicherungsträger nicht von seiner durch § 17 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) begründeten prozeduralen Förderungspflicht. Denn gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat ein Leistungsträger darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Leistungen insbesondere umfassend und zügig erhält. Der Grundsicherungsträger darf den Arbeitsuchenden somit nicht pauschal darauf verweisen, er möge hinsichtlich rückständiger Energiekosten in eigener Verantwortung zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen. Der Grundsicherungsträger muss vielmehr – durch flankierende Beratung o.ä. – dafür Sorge tragen, dass dem Arbeitsuchenden nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Arbeitsuchenden, dem es regelmäßig an Erfahrungen auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen. Im Übrigen muss sichergestellt sein, dass der zivilgerichtliche Rechtsschutz auch aus zeitlicher Sicht geeignet ist, den drohenden Verlust der Energieversorgung in der eigenen Wohnung abzuwenden.
b) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Beschluss Bezug.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
3. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde angreifbar (§ 177 SGG)
Erstellt am: 07.04.2008
Zuletzt verändert am: 07.04.2008