Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 13.11.2009 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab dem 26.02.2010 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 24.09.2009 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.09.2009, längstens jedoch bis zum 26.08.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 687,00 Euro (359,00 Euro Regelbedarf und 328,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung) zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Der am 00.00.1955 geborene Antragsteller (ASt) ist italienischer Staatsangehöriger. Ab 1994 lebte er in der Dominikanischen Republik und war auch dort berufstätig. Mit der Absicht, seinen Lebensmittelpunkt hierhin zu verlegen, reiste er am 05.09.2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein und sucht seitdem einen Arbeitsplatz. Am Tag der Einreise gab er in der Aufenthaltsanzeige nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) die Arbeitsplatzsuche als Grund seines Aufenthaltes an.
Am 10.09.2009 beantragte der ASt bei der Antragsgegnerin (AG) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Den Antrag lehnte die AG durch Bescheid vom 14.09.2009 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Nach dieser Vorschrift sei der ASt, der zum Zwecke der Arbeitssuche eingereist sei, nicht leistungsberechtigt. Hiergegen legte der ASt am 24.09.2009 Widerspruch ein, der noch nicht beschieden ist.
Einen vom ASt ebenfalls gestellten Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) lehnte der Bürgermeister der Stadt X durch Bescheid vom 29.09.2009 mit der Begründung ab, der ASt sei wegen des vorrangigen Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II aus dem Leistungssystem des SGB XII ausgeschlossen. Er sei nicht erwerbsunfähig und habe auf Nachfrage selbst erklärt, es lägen keine körperlichen Beschwerden oder Einschränkungen vor. Über den hiergegen gerichteten Widerspruch des ASt ist bislang nicht entschieden worden.
Am 20.10.2009 hat der ASt beim Sozialgericht Dortmund (SG) beantragt, die AG und den Bürgermeister der Stadt X im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu gewähren.
Das SG hat durch Beschluss vom 12.11.2009 das Verfahren abgetrennt, soweit sich der Antrag gegen den Bürgermeister der Stadt X gerichtet hat und Leistungen nach dem SGB XII geltend gemacht worden sind. Den Antrag im Übrigen hat es durch Beschluss vom 13.11.2009 abgelehnt. Es hat seine Entscheidung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II gestützt, der systematisch vor dem von der AG herangezogenen Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts keine Leistungen. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II die durch Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie des Rates 2004/38/EG vom 29.04.2004 (Abl. Nr. L 158, S. 77, im Folgenden: Unionsbürgerrichtlinie) eingeräumte Möglichkeit umsetzen wollen, Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen auszuschließen. Der Leistungsausschluss betreffe vor allem Unionsbürger auf Arbeitssuche, die von ihrem voraussetzungslosen Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 5 FreizügG/EU Gebrauch machten. Der in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 und 18 des EG-Vertrages europarechtswidrig sei, habe sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) nicht angeschlossen (vgl. EuGH, Urteile vom 04.06.2009, C-22/09 und C-23/08). Der EuGH halte es in dieser Entscheidung für zulässig, dass Beihilfen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern sollen, vom Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitssuchenden zum Arbeitsmarkt des Mitgliedslandes abhängig gemacht würden. Eine Verbindung des ASt zum deutschen Arbeitsmarkt sei weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
Mit seiner hiergegen am 07.12.2009 eingelegten Beschwerde verfolgt der ASt sein Begehren einer vorläufigen Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt und für Kosten der Unterkunft und Heizung weiter. Er ist der Auffassung, er könne hinreichende Verbindungen zum deutschen Arbeitsmarkt aufweisen, da er bereits vor der Einreise über Sozialkontakte und über die sprachlichen Voraussetzungen verfügt habe, die es ihm sogar trotz Mittellosigkeit ermöglicht hätten, unverzüglich eine Wohnung anzumieten. Mit seinem Hintergrundwissen habe er Kontakte zum Arbeitsmarkt aufgebaut, sich wegen fehlender finanzieller Mittel bislang jedoch nur mündlich bei potentiellen Arbeitgebern bewerben können. In einem Fall habe er auch – allerdings letztlich ohne Erfolg – "zur Probe" gearbeitet. Er bringe entsprechende Fähigkeiten mit, um eine Arbeitsstelle zu erlangen, denn er spreche fließend deutsch, habe eine Ausbildung als Verkäufer durchlaufen und besitze umfassende berufliche Erfahrungen im Hotel- und Gaststättenbereich. In rechtlicher Hinsicht habe das SG verkannt, dass Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie Leistungen nach dem SGB II nicht betreffe. Vielmehr erlaube die Vorschrift dem Aufnahmemitgliedstaat nur, Arbeitssuchende von Sozialhilfeleistungen auszuschließen, nicht aber von Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Das Arbeitslosengeld II sei als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art. 4 II a der Verordnung 1408/71 im Anhang II a eingestuft und damit deutlich von der Sozialhilfe unterschieden worden. Diese Rechtsauffassung habe auch der EuGH in seinem Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 so bestätigt. Der Ausschluss von freizügigkeitsberechtigten Arbeitsuchenden wie dem Kläger verletze Gemeinschaftsrecht, insb. Art. 39 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, konsolidierte Fassung (Amtsblatt Nr. C 325 vom 24.12.2002, im Folgenden: "EG"). Nach den Maßstäben, die der EuGH in den Rechtsstreiten "Collins" und "Ioannidis" aufgezeigt habe, eröffne Art. 39 Abs. 2 EG den zur Arbeitssuche in einen anderen Mitgliedstaat einreisenden EU-Bürgern einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Leistungen, welche die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Damit sei die starre Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht vereinbar. Im Übrigen bestehe im konkreten Fall gerade die erforderliche Verbindung mit dem hiesigen Arbeitsmarkt. Darüber hinaus ergebe sich das Aufenthaltsrecht des ASt nicht allein aus dem Grund der Arbeitssuche, sondern ebenfalls aus der Geltendmachung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts aus Art. 18 EG. Schließlich verkenne das SG in seinem Beschluss, dass das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht dazu da und geeignet sei, rechtlich schwierige Fragen umfassend und abschließend zu klären. Vielmehr sei dies dem Hauptsacheverfahren zu überlassen. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gebiete es, vorläufige Leistungen zuzusprechen, da dem ASt bei Versagung erhebliche und nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden.
Der ASt beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 13.11.2009 zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufige Leistungen zum Lebensunterhalt und für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 687,00 Euro (Regelsatz: 359,00 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 328,00 Euro) zu gewähren.
Die AG beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält ihre bisherige Entscheidung für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der den ASt betreffenden Verwaltungsakte der AG verwiesen; dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das SG hat zu Unrecht die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das von Antragstellerseite geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, in SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, in Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt, erfolgen (BverfG, a.a.O.; vgl. auch Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn 29, 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rn 28, 29a m.w.N.).
Vorliegend sind dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner grundrechtlichen Belange nach Folgenabwägung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vorläufige Leistungen zu gewähren.
Der ASt hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Eilbedürftig ist die Angelegenheit deshalb, weil der ASt über kein eigenes Einkommen und Vermögen verfügt. Ausweislich seiner Angaben im PKH-Verfahren zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen lebt er von der Unterstützung durch Freunde. Da er sich nicht selbst zu helfen vermag, benötigt er die hier begehrten Leistungen, um seinen Lebensunterhalt einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung zu bestreiten.
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, vermag der Senat im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes hingegen nicht abschließend zu entscheiden.
Der 1955 geborene ASt gehört zu dem Personenkreis, für den Leistungen des SGB II vorgesehen sind (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Mit dem Oberbürgermeister der Stadt Wesel hält es das Gericht für überwiegend wahrscheinlich, dass der ASt tatsächlich erwerbsfähig ist (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II; zur Anwendung des § 8 Abs. 2 SGB II bei möglichem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II s. Blüggel in Eicher/Spellbrink SGB II 2. Aufl. § 8 Rn 46 a-d). Aufgrund seiner glaubhaften Angaben zu Einkommen und Vermögen ist er hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II. Mit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Absicht, seinen Lebensmittelpunkt hierhin zu verlegen, hat der ASt, der als Unionsbürger für Einreise und Aufenthalt keiner Erlaubnis bedarf, an seinem Wohnort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I; vgl. auch BSG, Urteil vom 27.01.1994, 5 RJ 16/93 zu Verweildauer und -wille und zur sog. Zukunftsoffenheit des Aufenthalts).
Im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend zu klären ist jedoch die Frage, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II (Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten des Aufenthalts) bzw. des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (Leistungsausschluss, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt), zu Lasten des ASt eingreift. Es bestehen nach den bisherigen Überlegungen des Senats erhebliche Zweifel, ob der Leistungsausschluss in dieser Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union vereinbar ist (so auch LSG NRW, Beschluss vom 17.02.2010, L 19 B 392/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.01.2010 L 25 AS 1831/09 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 04.05.2009, L 16 AS 130/09 B ER; in der Literatur: Valgolio in Hauck/Noftz § 7 Rn 30; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, aaO, § 7 Rn 17 m.w.N.; Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl. 2009, § 7 Rn 13 m.w.N.; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 7 Rn 36 m.w.N.; Schreiber, info also 2008, 3 ff , info also 2009, 195 ff.; Husmann, NZW 2009, 652, 656; aA LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009, L 34 AS 1350/09 B ER und Beschluss vom 08.06.2009, L 34 AS 790/09 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2009, L 15 AS 905/09 B ER; Europarechtswidrigkeit verneinend für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger: Hessisches LSG, Beschluss vom 14.10.2009, L 7 AS 166/09 B ER)
Soweit der Bundesgesetzgeber mit der Norm des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eine Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht bezweckt hat (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 13; BT-Drs. 16/5065 S. 234), ist fraglich, ob diese Richtlinie nicht bereits deshalb als Ermächtigungsgrundlage für den Leistungsausschluss ausscheidet, weil die Vorschrift allein den Ausschluss von "Ansprüchen der Sozialhilfe" ermöglicht. Ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II um Leistungen der "Sozialhilfe" handelt, ist problematisch (bejahend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009, L 34 AS 1350/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2009, L 15 AS 905/09 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 17.09.2009, L 9 AS 4/07; Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195, 201; Heinig, ZESAR 2008, 465, 472; Strick, NJW 2005, 2182; wohl auch Schreiber, info also 2009, 195, 197; verneinend SG Berlin, Urteil vom 29.02.2008, S 37 AS 1403/08; offengelassen von LSG NRW, Beschluss vom 17.02.2010, L 19 B 392/09 AS ER). Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage in seinem Urteil vom 04.06.2009, Vatsouras, C-22/08 offengelassen, jedoch ausgeführt, dass "finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als "Sozialhilfeleistungen" im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie angesehen werden können". Im Übrigen könne "eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein müsse, ein Hinweis darauf sein, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle". Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des EuGH, dass das nationale Gericht die grundlegenden Merkmale der Leistung, insbesondere ihren Zweck und die Voraussetzung ihrer Gewährung zu prüfen habe, ist festzustellen, ob hier in Frage stehende Leistungen nach dem SGB II den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne der europarechtlichen Rechtsprechung erleichtern sollen.
Selbst wenn die Grundsicherungsleistungen des SGB II in den Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie einbezogen würden, kann sich ein Anspruch des ASt auf Gewährung der begehrten Leistungen dennoch möglicherweise unmittelbar aus primärem Gemeinschaftsrecht ergeben (vgl. grundsätzlich hierzu Schreiber, info also 2008, 3 ff. m.w.N.; nach Husmann, NZW 2009, 652 ff. ist die Richtlinie wegen fehlender Rechtsgrundlage nichtig; Heinig, ZESAR 2008, 465, 472 mit kritischen Anmerkungen zur Judikatur des EuGH; verneinend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009, L 34 AS 1350/09 B ER; Beschluss vom 08.06.2009, L 34 AS 790/09 B ER). Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen Arbeitssuchende, auch wenn sie nicht Arbeitnehmer im Sinn von Art. 39 EG sind (seit dem 01.12.2009 durch den Vertrag von Lissabon ersetzt durch Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, im Folgenden: AEUV), dennoch in den Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EG, was den Zugang zur Beschäftigung betrifft (EuGH, Urteil vom 04.06.2009, Vatsouras C-22/08; Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02; Urteil vom 07.09.2004, Trojani, C-456/02). Zusätzlich gelte für Unionsbürger der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 12 EG (entspricht Art. 18 AEUV) mit der Folge, dass Unionsbürger nicht von einer finanziellen Leistung ausgenommen werden könnten, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern soll (EuGH, Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02). Wenn auch der EuGH es als legitim angesehen hat, dass staatliche Beihilfen an bestimmte Kriterien gebunden werden (so z.B. das Erfordernis einer tatsächlichen Verbindung zum Arbeitsmarkt, EuGH, a.a.O. oder eine Anknüpfung an ein Wohnorterfordernis, EuGH, Urteil vom 15.03.2005, Bidar, C-209/03), so hat er stets ausgeführt, dass diese Kriterien auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhen und in angemessenem Verhältnis zu dem Zweck stehen müssten, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde (EuGH,Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02). Im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist in höchstem Maß zweifelhaft, ob eine Regelung wie § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, die ausschließlich an die Staatsangehörigkeit knüpft, den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts standhält.
Sofern die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II als europarechtswidrig angesehen wird, ist weiter zu prüfen, ob die Vorschrift generell als für EU-Bürger unwirksam anzusehen ist oder ob und ggf. auf welche Weise die Vorschrift europarechtskonform reduziert werden kann (vgl. hierzu Schreiber, info also 2008, 3 ff: nur Nicht-EU-Ausländer und vollziehbar ausreisepflichtige Unionsbürger werden erfasst; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, a.a.O.: Entscheidung einer generellen Unwirksamkeit sollte nach Art. 234 EG dem EuGH vorbehalten bleiben).
Ob sich Leistungsansprüche aus dem von der Bundesrepublik Deutschland und Italien ratifizierten Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 herleiten lassen (hierzu bejahend LSG NRW, Beschluss vom 06.05.2009, L 20 B 15/09 AS ER; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, a.a.O., § 7 Rn 35; verneinend LSG Bayern, Beschluss vom 04.05.2009, L 16 AS 130/09 B ER; noch zur Sozialhilfe OVG Berlin, Beschluss vom 22.04.2003, 6 S 9.03) bedarf ebenfalls der eingehenden Prüfung.
Bereits die Vielzahl der genannten schwierigen und komplexen Rechtsfragen verdeutlicht, dass die Sach- und Rechtslage für das erkennende Gericht nicht zuverlässig abschließend in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren beurteilt werden kann. Die danach für die begehrte Regelung im Eilverfahren allein entscheidende Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) fällt zugunsten des ASt aus. Ohne die beantragten Leistungen drohen ihm existentielle Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann. Demgegenüber hat die AG "nur" finanzielle Nachteile zu gewärtigen, wenn der ASt im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren nicht durchdringen sollte. In diesem Fall erscheint es allerdings nicht ausgeschlossen, dass die AG ihren Rückforderungsanspruch nicht wird realisieren können und die Zuerkennung der Leistungen deshalb im Ergebnis einen Zustand schafft, der in seinen (wirtschaftlichen) Auswirkungen der Vorwegnahme in der Hauptsache gleichkommt. Diesem Umstand trägt der Senat bei der inhaltlichen Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung Rechnung, indem er die nachteiligen Folgen auf Seiten der AG begrenzt und Leistungen erst ab Zustellung des Beschlusses gewährt (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung). Für den Zeitraum zwischen Antragstellung beim Sozialgericht und Entscheidung sind schwere und unwiederbringliche Nachteile des ASt, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage sein könnte, vom ASt nicht dargelegt worden und nach Lage der Akten auch nicht ersichtlich. Insoweit ist es dem ASt diesbezüglich auch im Lichte des in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (so auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.01.2010, L 25 AS 1831/09 B ER).
Der vorläufig zugesprochene Betrag umfasst die Regelleistung (359,00 Euro) sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung, die nach der vom ASt vorgelegten Mietbescheinigung 328,00 Euro monatlich betragen. Diese Leistungen sind in Anlehnung an die Regelung des § 41 Abs. 1 S. 4 auf längstens 6 Monate befristet, damit der Leistungsfall sachgerecht unter Kontrolle gehalten werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Dabei wirkt sich der Umstand, dass der ASt für die Zeit ab 20. Oktober 2009 bis zur Entscheidung des erkennenden Senats mit seinem Antrag nicht (mehr) durchgedrungen ist, nicht zu seinen Lasten aus. Hat der ASt mit seinem Antrag im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im Wesentlichen nur deswegen teilweise keinen Erfolg, weil die Folgenabwägung aufgrund der – verfahrensbedingten Dauer des Rechtsstreits – für (mittlerweile) abgelaufene Zeiträume eine "Nachzahlung" verhindert, kann dies bei der Kostenentscheidung nicht zugunsten der AG berücksichtigt werden.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 08.03.2010
Zuletzt verändert am: 08.03.2010