Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 06.07.2011 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Sanktionsbescheid, mit dem das Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Monaten um 100 v. H. abgesenkt worden ist.
Durch Bescheid vom 13.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2010 senkte die Stadt E die Regelleistung der Antragstellerin um 30 v.H. ab dem 01.08.2010 für die Dauer von drei Monaten wegen der Weigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung ab.
Durch Bescheid vom 11,08.2010 senkte die Stadt E die Regelleistung der Antragstellerin um 60 v.H. ab dem 01.09.2010 für die Dauer von drei Monaten wegen der Weigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung ab.
Durch Bescheid vom 12.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.05.2011 senkte der Antragsgegner Arbeitslosengeld II der Antragstellerin um 100 v. H. für die Dauer von drei Monaten ab wegen eines Verstoßes gegen eine in dem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 21.04.2011 festgelegte Pflicht – Vorlage einer vollständige Bewerbungsmappe bis zum 10.05.2011. Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage.
Durch Beschluss vom 06.07.2011 ordnete das Sozialgericht Aachen die aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Bescheid vom 04.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.05.2011 an. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 86 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch der die Anfechtungsklage keine aufschiebenden Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung anordnen. Die Klage gegen den Bescheid vom 12.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2011 entfaltet nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in der Fassung ab dem 01.04.2011 keine aufschiebende Wirkung, da durch diesen Bescheid eine Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs um 100 v.H. für die Dauer von drei Monaten feststellt wird.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin vorzunehmen. Dabei besteht ein Regel-/Ausnahmeverhältnis. In der Regel überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dies ist der Fall, wenn mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes spricht.
Vorliegend hat das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses festgestellt. Es spricht mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Sanktionsbescheids. Dabei kann dahinstehen, ob nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte die Antragstellerin den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der Fassung ab dem 01.04.2011 erfüllt hat, in dem sie bis 10.05.2011 keine Bewerbungsmappe vorgelegt hat (vgl. zum Begriff des Weigerns: BSG Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R = juris Rn 21; zum Erfordernis der subjektiven Vorwerfbarkeit des Verhaltens: BSG Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R = juris Rn 29) bzw. ob sie einen wichtigen Grund für ihr Verhalten dargelegt und nachge-wiesen hat (zum Begriff des wichtigen Grund vgl. BSG Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R = juris Rn 29; zum Nachweis der Unmöglichkeit der Erfüllung einer Pflicht durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: BSG Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R = juris Rn 32).
Jedenfalls ist die Antragstellerin nicht ordnungsgemäß über die Folgen eines Verstoßes gegen die im Verwaltungsakt vom 21.04.2011 festgelegten Pflichten belehrt worden. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ordnet an , dass die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten schriftlich über die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen belehrt werden. Die Rechtsfolgenbelehrung muss im Einzelfall konkret , richtig und vollständig sein und zeitnah im Zusammenhang mit dem geforderten Verhalten erfolgt sein sowie dem erwerbsfähigen Leistungsbe-rechtigten in verständlicher Form erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung des geforderten Verhaltens für ihn ergeben, wenn für diese kein wichtiger Grund vorliegt (vgl. BSG Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R = juris Rn 26 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Die Rechtsfolgenbelehrung, die dem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 21.04.2011 beigefügt ist, genügt diesen Anforderungen nicht. Sie erfolgte zwar konkret, unmittelbar schriftlich und bezieht sich auf die im Bescheid festgelegten Pflichten. Insoweit besteht keine Unklarheit, auf welche Pflichtverletzung der Antragstellerin sich die Rechtsfolgenbelehrung bezieht. Für die Antragstellerin wird aber aus der Rechtsfolgenbelehrung nicht unmittelbar deutlich, welche konkrete Rechtsfolge aus einer Pflichtverletzung resultieren wird. Aus der Rechtsfolgenbelehrung ist nicht ersichtlich, dass bei einem Verstoß gegen eine der für die Antragstellerin im Verwaltungsakt festlegten Pflichten ohne wichtigen Grund eine Absenkung um 100 v.H. wegen des Vorliegens mehrerer wiederholter Pflichtenverstöße erfolgen wird. In der Belehrung wird zunächst ausgeführt, dass bei einem Verstoß gegen eine der für die Antragstellerin im Verwaltungsakt festlegten Pflichten ohne wichtigen Grund eine Absenkung der Regelleistung um 30 v. H. für die Dauer von drei Monaten erfolgen wird. Soweit in der Belehrung ausgeführt wird "Sollten Sie den vorgenannten Pflichten innerhalb eines Jahres zum wiederholten Male nicht nachkommen, wird das Arbeitslosengeld II um 60% des für sie maßgebenden Regelbedarfs gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtenverletzung entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig …" , beziehen sich diese Ausführungen auf ein zukünftiges Verhalten der Antragstellerin. Es wird aus ihnen nicht ersichtlich, dass die Folge eines Verstoßes gegen die im Bescheid festlegten fristgebundenen Pflichten – Vorlage der Bewerbungsmappe bis zum 10.05.2011 und Aufstellung einer Liste zum 20.05.2011 – eine Absenkung um 100 v. H. erfolgen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei den weiteren Erläuterungen des Begriffs "Verletzung gleichartiger Mitwirkungspflichten", die auch eine Absenkung um 60. v. H. oder um 100 v. H. im Wiederholungsfall auslösen können, die Weigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung, die Grund für die Verhängung der zwei Sanktionen im Jahr 2010 gewesen ist, nicht aufgeführt ist. Mithin konnte die Antragstellerin aufgrund des Inhalts der Rechtsfolgenbelehrung nicht durch einfachste und naheliegende Überlegungen erkennen, dass ein Verstoß gegen die im Bescheid festgelegten Pflichten ohne wichtigen Grund eine Absenkung der Leistung um 100 v. H. zur Folge hat. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ist auch nicht erkennbar, dass die Antragstellerin Kenntnis von diesen Rechtsfolge hatte (vgl. zu den Anforderung an die Kenntnis: Berlit, Änderungen im Sanktionsrecht des SGB II zum 01.04.2011, info also 2011, S. 53, 55).
Des weiteren hat der Antragsgegner in dem angefochtene Sanktionsbescheid keine Entscheidung über die Gewährung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen nach § 30 Abs. 3 SGB II getroffen, obwohl die Antragstellerin mit einem minderjährigen Kind, ihrer am 05.11.1993 geborenen Tochter Elisabeth, in einem Haushalt zusammenlebt. Die Verpflichtung zur Gewährung von Sachleistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist dem Grunde nach unbedingt und zwingend, wenn in der Haushaltsgemeinschaft minderjährige Kinder leben. Es spricht vieles dafür, dass der Grundsicherungsträger die Entscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 2 SGB II zeitgleich mit der Sanktionsentscheidung zu treffen hat, unabhängig davon, ob der sanktionierte Leistungsberechtigte eine Antrag auf Gewährung von ergänzenden Sachleistungen gestellt hat (vgl. hierzu Sonnhoff in jurisPK-SGB II, § 31 Rn 50, so anscheinend auch Berlit, a.a.O., S. 58)
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 07.09.2011
Zuletzt verändert am: 07.09.2011