Auf Revision d.Kl. wird Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Bekl. zurückgewiesen!
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2009 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Kindergeld. Der am 00.00.1992 in L/ Kongo (früher Zaire) geborene Beigeladene zu 2) reiste am 22.10.1994 mit seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Letztere verstarb am 24.02.1998. Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. Der Asylantrag des Beigeladenen zu 2) wurde rechtskräftig abgelehnt (Urteil des VG Hannover vom 25.05.1998). Der Aufenthalt des Beigeladenen zu 2) in der Bundesrepublik Deutschland wurde weiterhin geduldet. Ab dem Jahr 2005 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis ohne die Gestattung der Erwerbsfähigkeit nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Vormundschaft für ihn erhielt zunächst sein Onkel und sodann seine Großmutter (Beigeladene zu 1), in deren Haushalt der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.09.2004 bis 09.02.2005 aufgenommen wurde.
Nachdem der Beigeladene zu 2) erneut ab dem 09.02.2005 in einem Heim der Klägerin aufgenommen worden war, beantragte diese die Bewilligung von Kindergeld aufgrund ihres berechtigten Interesses an der Leistung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.06.2005 ab, weil der Beigeladene zu 2) weder über eine Niederlassungserlaubnis noch eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2, den §§ 31, 37 und 38 des AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem Deutschen oder zu einer von Nummer 1 bis 3) erfassten Personen verfüge.
Der Widerspruch der Klägerin, mit dem diese geltend machte, aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97 und 1 BvR 2515/95) könne ein Anspruch auf Kindergeld auch für Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis bzw. Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gegeben sein, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.08.2005).
Die Klägerin hat am 31.08.2005 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Differenzierung des Anspruchs auf Kindergeld je nach Art des Aufenthaltstitels verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetzes (GG). Die 1985 eingeführte Regelung über den Anspruch von Kindern bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen auf Kindergeld diene zwar nicht dem Familienlastenausgleich, wohl aber der Vermeidung sozialer Härten. Die unterschiedliche Behandlung dieses Personenkreises bedürfe infolgedessen rechtfertigender Gründe. Diese könnten aber nicht allein in der Art des Aufenthaltstitels gefunden werden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Beigeladene zu 2) erfülle nicht die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld. Zusätzlich fehle es seit dem 21.12.2007 an der Voraussetzung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, weil sich der Beigeladene zu 2) seit diesem Zeitpunkt im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme in Portugal aufhalte.
Mit Urteil vom 04.11.2009 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für den Beigeladenen zu 2) ab März 2005 bis November 2009 Kindergeld zu bewilligen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 07.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.01.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, Kindergeld solle nur der erhalten, der sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalte. Die Differenzierung nach Art des Aufenthaltstitel sei unter diesen Umständen sachgerecht. Die Erwerbstätigkeit biete insoweit einen gewichtigen Anhaltspuntk für die zu stellende Prognose, ob der Ausländer sich in die hiesigen Lebensverhältnisse in Deutschland einfügen könne, weil sie im sozialpolitischen Interesse ein Mindestmaß an Integration gewährleiste. Durch die Erwerbstätigkeit werde typisierend das zentrale gesetzgeberische Anliegen gefördert, den in Deutschland lebenden Ausländern die Teilhabe am Sozialleben zu eröffnen. Soweit Jugendliche wegen der Dauer der Schulausbildung oder aus anderen Gründen nicht in den Arbeitsmarkt integriert würden, werde der Lebensunterhalt durch andere Sozialleistungen sichergestellt, sodass den Betroffenen durch die Nichtgewährung von Kindergeld kein Nachteil entstehe. Mangels Gestattung der Ewerbstätigkeit erfülle der Beigeladene zu 2) daher nicht die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld.
Seit seiner Ausreise nach Portugal fehle darüber hinaus der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Für den Beigeladenen zu 2) werde keine Wohnung im Inland vorgehalten und es sei völlig ungewiss, wann und ob er in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Köln vom 04.11.2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, dass der Beigeladene zu 2) auch über seine Volljährigkeit hinaus Hilfe zur Erziehung von ihr erhält.
Sie ist der Ansicht, über die Frage des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts sei eine Prognose zu stellen. Vorliegend beabsichtige der Beigeladene zu 2) nach Abschluss der Jugendhilfemaßnahme in Portugal nach Deutschland zurückzukehren, wo er seit seinem zweiten Lebensjahr gelebt habe. Darüber hinaus habe sie – die Klägerin – als Vormund die Bestimmung des Aufenthalts vorzunehmen, den sie im Inland ansiedle. Sie ist des weiteren der Ansicht, dass SG habe zutreffend dargelegt, dass es der Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 2) nicht bedurft habe. Dass sein Lebensunterhalt sichergestellt worden sei, sei vorliegend unbeachtlich, weil es um die Ansprüche des Sozialhilfeträgers gehe.
Die Beigeladenen haben sich zur Sache nicht eingelassen und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die bei der Klägerin über dem Beigeladenen zu 2) geführte Jugendamts- und Ausländer-Akte und die Akte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das SG hat sie zu Unrecht zur Bewilligung von Kindergeld für den Beigeladenen zu 2) verurteilt.
Die Klägerin war berechtigt, in eigenem Namen den Antrag auf Kindergeld für den Beigeladenen zu 2) zu stellen. Nach § 9 Abs. 1 S. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) kann den Antrag auf Kindergeld außer dem Berechtigten auch der stellen, der ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes hat. Da dieses nach § 82 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe – Einkommen des minderjährigen Kindes ist und dessen Sozialhilfeanspruch mindert, ist der Sozialhilfeträger generell klagebefugt (vgl. Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 67 EStG Rn. 34 m.w.Nachw.).
Die Beklagte hat den Antrag jedoch zu Recht abgelehnt, weil der Beigeladene zu 2) keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst hat.
Nach § 1 Abs. 2 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Diese Voraussetzungen erfüllte der Beigeladene zu 2) jedenfalls in der Zeit von März 2005 bis Dezember 2007. In diesem Zeitraum war der Aufenthalt des Vaters des Beigeladenen zu 2), der Halbwaise ist, weiterhin unbekannt. Da er ab März 2005 auch nicht mehr dem Haushalt der Beigeladenen zu 1) angehörte, stand weder dieser (§§ 62, 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Einkommenssteuergesetz – EStG) noch einer anderen bevorrechtigten Person Kindergeld für ihn zu. Schließlich hatte der Beigeladene zu 2) in diesem Zeitraum auch seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Den Wohnsitz hat nach § 30 Abs. 3 S. 1 SGB Erstes Buch (I) – Allgemeiner Teil – jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen will. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 S. 2 SGB I). Dies erfordert jeweils eine Prognose über die Dauer des Aufenthalts einer Person in der Bundesrepublik Deutschland (Bundessozialgericht – BSG – Urt. v. 23.02.1988 – 10 Rkg 17/87 = SozR 5870 § 1 Nr. 14; Schlegel in jurisPK – SGB I, § 30 Rn. 55). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch § 1 Abs. 3 BKGG eigenständige Vorgaben zur Beurteilung des weiteren Verbleibs eines nichtfreizügigkeitsberechtigten Ausländers in Deutschland aufgestellt hat (vgl. BT-Drucks. 16/1368 S. 8). Ausreichend für die Annahme eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne des § 1 Abs. 2 BKGG ist daher, dass ein erkennbarer Wille vorhanden war, an einem bestimmten Ort in Deutschland zu wohnen (vgl. BSG Vorlagebeschl. v. 03.12.2009 – B 10 EG 5/08 R = www.juris.de Rn. 57). Dieser Wille bestand bei dem Beigeladenen zu 2), da er in dem genannten Zeitraum keine sozialen oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte außerhalb Deutschlands hatte, hier seine einzigen bekannten Verwandten lebten und weder bei ihm selbst noch seitens Dritter Bestrebungen erkennbar waren, seinen Aufenthalt in Deutschland zu beenden.
Für den Beigeladenen zu 2) als nichtfreizügigkeitsberechtigtem Ausländer gelten darüber hinaus jedoch die Bestimmungen des § 1 Abs. 3 BKGG (vgl. Seewald/Felix a.a.O. § 1 BKGG Rn. 110), deren Voraussetzungen er nicht erfüllte.
Nach § 1 Abs. 3 BKGG in der zum Antragszeitpunkt gültigen Neufassung des BKGG (im Folgenden BKGG 2005) vom 22.02.2005 (BGBl I 458) erhält ein Ausländer Kindergeld nur, wenn er im Besitz 1. einer Niederlassungserlaubnis, 2. einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, 3. einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2, den § 31, 37, 38 des Aufenthaltsgesetzes oder 4. einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem Deutschen oder zu einer von den Nrn. 1 bis 3 erfassten Person ist. Mit Beschluss vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97 = SozR 4-5870 Nr. 1) hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die zum 01.01.1994 in Kraft getretene Fassung des § 1 Abs. 3 BKGG, wonach Ausländer Kindergeld nur beanspruchen konnten, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung waren für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Das BVerfG hatte angeordnet, dass, wenn der Gesetzgeber für noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossene Verfahren bis zum 01.01.2006 keine Regelung treffe, für sie das bis zum 31.12.1993 geltende Recht weiter anzuwenden sei (BVerfG a.a.O. Rn. 69). Der Gesetzgeber hat daraufhin durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (BGBl I 2915) § 1 Abs.3 BKGG (im Folgenden BKGG 2006) dahin gefasst, dass ein nichtfreizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur erhält, wenn er 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt, 2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder 3. eine in Nr. 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig gestattet und geduldet im Bundesgebiet aufhält und b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Da die Erwägungen aus dem Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 auch auf die Fassung des BKGG 2005 zutrafen (vgl. Seewald/Felix a.a.O. § 1 BKGG Rn. 135a), hat der Gesetzgeber gleichzeitig bestimmt, dass diese Neufassung in den Fällen, in denen eine Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für Monate in dem Zeitraum zwischen dem 01.01.1994 und dem 18.12.2006 noch nicht bestandskräftig geworden ist, anzuwenden ist, wenn dies für den Antragsteller günstiger ist (§ 20 Abs. 1 S. 1 BKGG 2006). Da der Beigeladene zu 2) die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 BKGG 2005 ersichtlich nicht erfüllt hat, ist daher § 1 Abs. 3 BKGG 2006 für den gesamten streitigen Leistungszeitraum einschlägig.
Dessen Voraussetzungen lagen beim Beigeladenen zu 2) allerdings auch nicht vor. Da er im gesamten streitigen Leistungszeitraum lediglich über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügte, findet insoweit § 1 Abs. 3 Nr. 3 BKGG 2006 Anwendung. Zwar erfüllte der Beigeladene zu 2) die Anforderungen des Buchstaben a) – mindestens dreijähriger gestatteter Aufenthalt im Bundesgebiet -, nicht jedoch die des Buchstaben b), wonach eine berechtigte Erwerbstätigkeit, Bezug laufender Geldleistungen nach dem SGB Drittes Buch oder die Inanspruchnahme von Elternzeit verlangt wird.
Auch wenn der Beigeladene zu 2) im Antragszeitpunkt das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet und infolgedessen nicht erlaubt erwerbstätig sein durfte, ist die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Buchstabe b) BKGG 2006 auf ihn anzuwenden. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte noch die Begründung des Gesetzentwurfs geben einen Hinweis darauf, dass diese Norm nur auf Eltern, die für ihre Kinder Kindergeld beanspruchen, nicht aber auf Kinder, die für sich selbst Kindergeld beantragen, zur Anwendung kommen sollte. § 1 Abs. 3 1. HS. BKGG 2006 differenziert nicht zwischen diesen beiden Gruppen, sondern spricht einheitlich von nichtfreizügigkeitsberechtigten Ausländern.
Da nach der seit 1994 geltenden gesetzlichen Bestimmung auch ausländische Kinder nur Anspruch auf Kindergeld für sich selbst hatten, wenn sie über einen entsprechenden Aufenthaltsstatus verfügten, lässt die auf den Vorgaben des BVerfG beruhende Neufassung durch das BKGG 2006 nicht erkennen, der Gesetzgeber habe ausländische Kinder bzgl. ihres eigenen Kindergeldanspruchs gegenüber ausländischen Eltern privilegieren wollen, indem er bei ersteren geringere Anforderungen an den zu erwartenden Aufenthalt in Deutschland stellen wollte. Allerdings lag der Entscheidung des BVerfG nur der Anspruch von Eltern für ihre Kinder zugrunde getragen von der Erwägung, dass die 1994 in Kraft getretene Bestimmung des § 1 Abs. 3 BKGG sich nicht in das abgestimmte Verhältnis von Steuerentlastung und Sozialleistung eingefügt hat (BVerfG a.a.O. Rn. 60). Diese Überlegung trifft auf Kinder, jedenfalls so lange sie nicht erwerbsfähig sind, nicht zu. Gleichwohl sind keine Umstände ersichtlich, die den Rückschluss zulassen, der Gesetzgeber habe deren Ansprüche anders regeln wollen bzw. eine unzureichende Bestimmung insoweit verabschiedet.
Gegen eine solche Annahme spricht auch die Gesetzesbegründung. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei ausländischen Staatsangehörigen, die einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürfen, in aller Regel davon auszugehen sei, dass sie nachrangige staatliche Fürsorgeleistungen beziehen, und auch das BVerfG darauf hingewiesen habe, dass sich in diesen Fällen das verfügbare Familieneinkommen durch das Kindergeld im Ergebnis nicht ändere, weil vorrangige staatliche Leistungen beim Bezug von nachrangigen Fürsorgeleistungen ohnehin nicht den Eltern, sondern im Wege des Erstattungsanspruchs (oder der Einkommensanrechnung) dem subsidiär leistenden Fürsorgeleistungsträger zugute kommen (BT-Drucks. 16/1368 S. 9; 16/2940 S. 10). Aus diesen Gründen hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, diesem Personenkreis Kindergeld zuzubilligen. Da verwaiste ausländische Kinder, solange sie nicht erwerbstätig sind oder seien dürfen, regelmäßig auf Sozialleistungen angewiesen sind und das Kindergeld ihren Bedarf nicht decken kann, deutet daher alles darauf hin, dass der Gesetzgeber auch ihnen nur unter besonderen Voraussetzungen Kindergeld zuerkennen wollte.
Bei dieser Rechtslage ist für die vom SG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung kein Raum (zu den Grenzen einer solchen Auslegung vgl. BSG Vorlagebeschl. v. 03.12.2009 a.a.O. Rn. 67).
Der Senat brauchte den Rechtsstreit auch nicht auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG die Frage vorlegen, ob § 1 Abs. 3 BKGG 2006 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Ob diese Bestimmung mit Verfassungsrecht im Einklang steht, ist allerdings umstritten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dies in nunmehr ständiger Rechtsprechung bejaht (Beschl. v. 19.01.2011 – III S 44/09 (PKH); Urt. v. 21.10.2010 – III R 4/09 -, 17.06.2010 – III R 72/08 – und 28.04.2010 – III R 1/08). Dagegen hat das BSG die insoweit inhaltsgleichen Bestimmungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) bzw. des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) in der Fassung vom 05.12.2006 bzw. vom 13.12.2006 für verfassungswidrig erachtet (Vorlagebeschl. v. 30.09.2010 – B 10 EG 9/09 R – und 03.12.2009 – B 10 EG 5,6 und 7/08 R). Der Ausschluss ausländischer Kinder, die über ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, um sich – ohne oder mit dem Kindergeld – selbst zu unterhalten, vom Kindergeld allein auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 Nr. 3 BKGG 2006 begegnet allerdings im Hinblick auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie des Diskriminierungsverbotes des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (ERMK) erheblichen Bedenken. Diese Benachteiligung beruht letztlich ausschließlich auf ihrem Status als Ausländer, weil für sie jedenfalls bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b) BKGG 2006 nicht erfüllbar sind. Eine Differenzierung allein nach diesem Merkmal verletzt aber grundsätzlich das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 ERMK (vgl. EuGH für Menschenrechte Urt. v. 25.10.2005 – 59140/00 = www.juris.de).
Diese Überlegungen gelten jedoch nicht in gleicher Weise für das Kind, das trotz des Bezuges von Kindergeld auf (ergänzende) Sozialhilfe angewiesen ist. Seine Rechtsposition würde der Bezug von Kindergeld weder verbessern noch stünde es im Ergebnis schlechter als ein vergleichbares deutsches oder freizügigkeitsberechtigtes ausländisches Kind. Dies folgt daraus, dass das Kindergeld in vollem Umfang auf den Sozialhilfeanspruch als Einkommen des – hier nur zu beurteilenden – minderjährigen Kindes anzurechnen ist (§ 82 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Daher geht der Kindergeldanspruch auf den Sozialhilfeträger infolge seines Einstandes für das Kind über (§ 107 SGB Zehntes Buch – X). Folglich kommen auch letztere Kinder nicht in den (zusätzlichen) Genuss des Zahlbetrags des Kindergeldes. Damit steht das ausländische nichtfreizügigkeitsberechtigte Kind ihnen aber im Ergebnis wirtschaftlich gleich. Allein der Sozialhilfeträger, der für dieses ausländische Kind keinen anteiligen Ausgleich für seine Aufwendungen von der Kindergeldkasse erhält, erfährt insoweit eine Benachteiligung. Da sich durch die Zuerkennung des Kindergeldes auch die statusrechtliche Situation des Beigeladenen zu 2) nicht verbessern könnte, weil aus der Fähigkeit, sich lediglich mit diesen Leistungen teilweise selbst unterhalten zu können, keine begünstigenden aufenthaltsrechtlichen Folgen resultieren, kommt mangels einer möglichen Verbesserung seiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Position eine Vorlage an das BVerfG nicht in Betracht (vgl. BVerfG Beschl. v. 18.07.1984 – 1 BvL 3/81 = BVerfGE 67, 239, 244).
Ob darüber hinaus ab dem Zeitpunkt des Aufenthalts des Beigeladenen zu 2) in Portugal auch wegen des Wegfalls des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland der Anspruch auf Kindergeld zu versagen wäre, kann daher dahinstehen.
Auf die Berufung der Beklagten ist das Urteil des SG zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bestimmung findet vorliegend Anwendung, obwohl Klägerin und Beklagte nicht zu dem privilegierten Personenkreis des § 183 SGG zählen. Die Klägerin macht vorliegend nämlich keinen Anspruch auf Erstattung bzw. aus übergegangenem Recht nach den §§ 102 ff. SGB X geltend, sondern vertritt lediglich den Anspruch des Beigeladenen zu 2) und damit einer privilegierten Person im Sinne des § 183 SGG. Bei dieser Konstellation ist die Anwendung des § 193 SGG ebenfalls gerechtfertigt.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
Erstellt am: 28.09.2015
Zuletzt verändert am: 28.09.2015