I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 3. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2008 verurteilt, die Altersrente des Klägers ab 1. April 2008 ohne Vornahme eines Fiktivabzugs im Sinne von § 31 FRG zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kürzung der Altersrente des Klägers durch Vornahme eines Fiktivabzugs in Höhe einer geschätzten rumänischen Altersrente wegen in Rumänien zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten.
Der am 1943 in Rumänien geborene Kläger ist Berechtigter nach § 1 Fremdrentengesetz (FRG) und lebt seit Juni 1990 in Deutschland. In Rumänien legte der Kläger rentenrechtliche Zeiten in der dortigen Rentenversicherung zurück.
Am 10.10.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Schreiben vom 20.12.2007 erklärte der Kläger über seinen Bevollmächtigten, dass der Leistungsbeginn in Rumänien aufgeschoben werden solle und bat um Bestätigung, dass von der Beklagten ein Verfahren dort nicht eingeleitet werde. Mit Bescheid vom 26.02.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.01.2008. Dabei wurden Versicherungszeiten von September 1959 bis Juni 1990 nach dem FRG berücksichtigt. Mit Schreiben vom 27.02.2008 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sie beabsichtige, die aus Rumänien zustehende Rente ab 01.04.2008 mit monatlich 120,88 EUR anzurechnen, auch wenn der Kläger diese tatsächlich nicht beziehen sollte. Ab diesem Zeitpunkt zu viel gezahlte Rentenbeträge seien vom Kläger zurückzuzahlen. Die Beklagte empfahl dem Kläger, die ihm in Rumänien zustehenden Rentenansprüche geltend zu machen. Der Anrechnungsbetrag sei auf der Basis eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners ermittelt worden.
Mit Schreiben vom 21.03.2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er bei seiner Entscheidung bleibe und dass der Beklagten ein Fiktivabzug verwehrt sei.
Durch Bescheid vom 03.04.2008 berechnete die Beklagte sodann die Versichertenrente des Klägers ab dem 01.04.2008 neu. Dabei wurde die "voraussichtlich zustehende rumänische Rente" in Höhe von 120,88 EUR angerechnet. Die sich im April 2008 ergebende Überzahlung sei vom Kläger zu erstatten.
Hiergegen legte der Kläger am 25.04.2008 Widerspruch ein, der im Wesentlichen damit begründet wurde, dass für die Beklagte keine Berechtigung zur Anwendung des § 31 FRG bestehe. Eine Verpflichtung zum Verzicht auf die gesetzlich ausdrücklich eingeräumte Dispositionsmöglichkeit lasse sich weder aus § 2 Abs. 1 FRG noch aus dem Gesetz zum Abkommen vom 08.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen herleiten. Das geltende Recht mache die Aufschiebung des Leistungsbeginns nicht von bestimmten Gründen abhängig. Bei der Wahrnehmung dieses Dispositionsrechts dürften nicht die gleichen Folgen eintreten, wie diese etwa für den Verzicht gelten würden. Letztlich sei auch die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags völlig willkürlich.
Daraufhin erfolgte im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs aufgrund Bescheids vom 13.05.2008 die ungekürzte Auszahlung der Rente durch die Beklagte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Zulässigkeit der Minderung der Rente des Klägers um die ihm voraussichtlich zustehende rumänische Rente ergebe sich aus dem Sinn von § 31 FRG und stehe insbesondere im Zusammenhang mit § 2 FRG. Nach § 2 S. 1 Buchstabe b FRG gelte das FRG nicht für rentenrechtliche Zeiten, die nach der Verordnung 1408/71 (EWG), einem Sozialversicherungsabkommen oder den innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates anrechenbar seien. Damit werde bestimmt, dass die Entschädigung der ausländischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten vorrangig vom Träger des Staates zu erfolgen habe, nach dessen Rechtsvorschriften sie zurückgelegt worden seien; das FRG sei insoweit nachrangig. Nach § 2 S. 2 FRG sei in bestimmten Fällen das FRG jedoch weiterhin anzuwenden; diese Ausnahmeregelung habe der Gesetzgeber aus Vertrauensschutzgründen eingeführt. Der Vertrauensschutz sei in der Erwartung eingeräumt worden, dass der durch das entsprechende Abkommensrecht ermöglichte Bezug einer ausländischen Rente nach § 31 FRG angerechnet werden könne. Dieser Zusammenhang zwischen den genannten Vorschriften ergebe sich aus der entsprechenden Gesetzesbegründung zu Art. 5 Zustimmungsgesetz (ZustG) vom 18.06.1991 zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit (DPSVA). Aus dieser Vertrauensschutzregelung ergebe sich eine besondere Verpflichtung für den Berechtigten, seinen ausländischen Rentenanspruch zu realisieren. Tue er dies nicht, sei die deutsche Rentenversicherung im Hinblick auf Sinn und Zweck der abkommensrechtlichen "Weitergeltungsbestimmung" bezüglich des FRG berechtigt, seine FRG-Leistung auf den Umfang zu beschränken, der dem Berechtigten bei Erhalt der zustehenden ausländischen Rente verbleiben würde. Das Dispositionsrecht des Art. 44 der Verordnung 1408/71 (EWG) könne nicht dazu führen, die Anrechnungsvorschrift des § 31 FRG zu umgehen. Die vorgenommene Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags sei nicht willkürlich. Sei ein individueller ausländischer Rentenbetrag nicht bekannt, werde der Anrechnungsbetrag bezogen auf Rumänien entsprechend der dortigen Rentenformel unter Zugrundelegung des Wertes eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners in Abhängigkeit zu der Anzahl der deckungsgleichen Zeiten des Berechtigten berechnet.
Hiergegen richtet sich die am 11.06.2008 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage. Diese wurde im Wesentlichen damit begründet, dass für einen Fiktivabzug eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden sei. Der Kläger könne eine Rente in rumänischer Währung nicht verwenden. Ein Leistungsverzicht sei nicht erklärt worden. Der "sehr kreativen Auslegung" von § 2 FRG könne nicht gefolgt werden. Das Gesetz zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit habe einen anderen Hintergrund: Es sollte Folgen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens, die sich durch erhebliche Besserstellungen auch im Vergleich zum FRG ergeben hätten, ablösen. Der Gesetzgeber habe nicht etwa die bestehenden Regeln des § 31 FRG abgeändert, sondern gerade explizit auf das FRG und dessen Fortbestand, auch unter Anwendung des § 31 FRG bei tatsächlichem Export einer Rente, Bezug genommen. Bei FRG-Leistungen handle es sich nicht um Ermessensleistungen, die der Rententräger beliebig gestalten könne. Eine Ausnahme im Falle der Nutzung der Dispositionsmöglichkeit gemäß Art. 44 sei nicht vorgesehen. Bei Wahrnehmung dieses Dispositionsrechts dürften nicht die gleichen Folgen eintreten, wie diese etwa für den Verzicht gemäß § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gelten würden. Die Rechtsfolgen eines Verzichts seien für den Fall einer gesetzlich eingeräumten Dispositionsmöglichkeit gerade nicht anwendbar. Raum für eine Analogie bestehe im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht. Die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags sei völlig willkürlich. Das Recht aus Art. 44 der Verordnung 1408/71 (EWG) dürfe nicht durch Sanktionen ausgehöhlt werden, was europarechtswidrig wäre.
Den am 11.06.2008 ebenfalls gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nahm der Kläger am 08.07.2008 zurück (S 14 R 412/08 ER).
Die Beklagte hat sich im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Widerspruchsbescheids geäußert. Zudem hat sie (im Verfahren S 14 R 412/08 ER) darauf hingewiesen, dass die Ergänzung des § 2 S. 2 FRG auch dem Kläger zugute komme; insofern sei es unverständlich, dass der Kläger diese Ergänzung des Gesetzes auf das Abkommen mit Polen beschränkt sehen wolle. Bei der fiktiven Anrechnung nach § 31 FRG handle es sich um ein einheitliches Verfahren der Deutschen Rentenversicherung und somit sämtlicher Rentenversicherungsträger.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2008 zu verpflichten, die Altersrente ohne Fiktivabzug gemäß § 31 FRG zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
Die Kammer konnte im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit dort ein Fiktivabzug im Sinne von § 31 FRG vorgenommen wird.
Der Kläger hat von seiner durch Art. 22 Abs. 3 des deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommens bzw. durch Art. 44 Abs. 2 S. 2 der Verordnung 1408/71 (EWG) eingeräumten Dispositionsbefugnis Gebrauch gemacht und die rumänische Rente aufgeschoben. Dennoch ist die Beklagte nicht berechtigt, auf die Altersrente des Klägers aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 FRG eine (in Euro umgerechnete) fiktive Rente des Klägers aus der rumänischen Rentenversicherung anzurechnen und die deutsche Rente in Höhe der fiktiven rumänischen Rente zu kürzen. Denn hierfür ist eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden.
Die Anrechnung einer fiktiven rumänischen Rente auf die deutsche Altersrente des Klägers stellt einen belastenden Eingriff für diesen dar. Hierzu bedarf es nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 SGB I) einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Eine solche besteht jedoch nicht.
Dass der Kläger über die Vorschriften des FRG einen Anspruch auf Berücksichtigung seiner in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Berechnung seiner deutschen Altersrente hat, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und bedarf keiner näheren Erörterungen. Durch das FRG wird der Kläger aufgrund des dort geregelten Eingliederungsprinzips so gestellt, als wäre er im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesen. Die Folge hiervon ist, dass die rumänischen Zeiten des Klägers zu einer Erhöhung seiner deutschen Rente führen. Eine Änderung der Rechtslage hat sich insoweit nicht durch das am 01.06.2006 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit ergeben. Nach Nr. 13 des Schlussprotokolls bleiben die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen für nach dem Fremdrentenrecht anrechenbare Versicherungszeiten von dem Abkommen unberührt. Auch durch den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union zum 01.01.2007 hat sich bezüglich der Geltung des FRG im vorliegenden Fall keine wesentliche Änderung ergeben. Gemäß Art. 6 der Verordnung 1408/71 (EWG) ist diese zwar grundsätzlich an die Stelle auch des deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommens getreten; dies gilt jedoch nicht für die im Anhang III zur Verordnung aufgeführten Bestimmungen der dort genannten Abkommen über Soziale Sicherheit, Art. 6 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Buchstabe c) der Verordnung 1408/71 (EWG). Nach Buchstabe A Nr. 20 Buchstabe b) des Anhangs III gilt Nr. 13 des Schlussprotokolls zum deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommen weiterhin.
Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die die Beklagte zur Kürzung der deutschen Altersrente des Klägers berechtigen würde, findet sich weder im europäischen Recht noch in bilateralen Sozialversicherungsabkommen. Auch die deutschen innerstaatlichen Rechtsvorschriften enthalten keine entsprechende Norm.
Anders als die Beklagte meint, ist auch § 31 FRG keine tragfähige Rechtsgrundlage.
Bei der Auslegung einer Gesetzesvorschrift kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der herrschenden Meinung in Lehre und Rechtsprechung auf den in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden "objektivierten Willen" des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem konkreten Sinnzusammenhang ergibt, an (z.B. BVerfGE 1, 312; 11, 130). Damit bekennt sich die herrschende Meinung zur so genannten objektiven Auslegungstheorie.
Dem ist jedoch nicht zu folgen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das BVerfG seine Aussage zur Auslegungsmethode auf die These stützt, das Grundgesetz schreibe keine bestimmte Methode der Gesetzesauslegung vor (BVerfGE 88, 167). Dies ist jedoch unzutreffend. Denn jedenfalls soweit die Gesetzesauslegung durch staatliche Gerichte erfolgt, trifft das Grundgesetz durch die Anordnung der Gewaltentrennung und des Demokratieprinzips zumindest indirekt Aussagen hinsichtlich der Methodenwahl; letztlich haben die Gerichte diejenige Methode zu wählen, die ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe am besten entspricht. Zum anderen kann die objektive Auslegungstheorie insbesondere aufgrund ihrer fehlenden Methodenehrlichkeit und nur vermeintlichen Objektivität nicht überzeugen; vielmehr besteht die Gefahr eines Subjektivismus der an der Auslegung beteiligten Personen. Sie erfasst lediglich zutreffende Teilaspekte (s. zur Kritik z.B. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl., Rn. 806 ff). Nicht zuletzt spricht gegen die Ansicht der herrschenden Meinung, dass die Auslegungspraxis des BVerfG seiner eigenen Auslegungstheorie in einer kaum überschaubaren Fülle von eigenen Entscheidungen widerspricht (für Viele z.B. bereits Böckenförde, NJW 1976, S. 2090).
Nach richtiger Ansicht ist bei der Gesetzesauslegung der Wille der normsetzenden Instanz maßgebend. Auslegung umfasst jedoch mehr als die Reproduktion dieses Willens. Sie schließt auch die Entwicklung von Auslegungsvorschlägen mit ein, wenn dieser Wille nicht eindeutig erkennbar ist oder zu offenbar sinnwidrigen Ergebnissen führt. Dabei ist insoweit zwischen empirischer Ermittlung von möglichen Textbedeutungen einerseits und Präferenzsetzung bei der Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen andererseits zu unterscheiden, auch wenn – anders als von einem Teil der Lehre vertreten (vgl. hierzu z.B. Braun, Die Interpretation wirtschaftsrelevanter Grundrechte in Österreich und Deutschland, Diss. Regensburg 1999, S. 17 ff m.w.N.) – beides wissenschaftliche Auslegung, die (auch) die Gerichte vorzunehmen haben, ist. Die Unterscheidung ist offenzulegen. Nur hierdurch können die unterschiedlichen Grundlagen für Autorität und Geltung der gefundenen Auslegungsergebnisse deutlich gemacht werden.
Somit kommt bei der Auslegung von gesetzlichen Vorschriften dem Normzweck der Gesetzgebung besondere Bedeutung zu. Dieser ist mit den verfügbaren Hilfsmitteln der Auslegung zu erforschen. Hierbei bzw. bei der Entwicklung von Auslegungsvorschlägen sind die so genannten klassischen Auslegungsmethoden heranzuziehen. Maßgeblich sind also die Auslegung nach dem Zweck (Teleologie), dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Keine dieser Methoden darf insoweit vernachlässigt werden.
Für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies Folgendes:
Die Beklagte beruft sich bei der Anwendung von § 31 FRG auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift und greift dabei auch auf Aspekte der Entstehungsgeschichte zurück. Der von der Beklagten angeführte Zweck, nämlich die Ermöglichung der Beschränkung der deutschen Rente in dem Umfang, in dem der Versicherte eine ausländische Rentenleistung erhalten kann, und letztlich die Entlastung der deutschen Rentenversicherung, die für nach dem FRG berücksichtigte Zeiten keine Beiträge erhalten hat, beruht nach Ansicht der Kammer zwar auf nachvollziehbaren Erwägungen, ist § 31 FRG jedoch nicht "zusinnbar".
Hiergegen steht zunächst der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, die gerade davon spricht, dass eine Rente bzw. eine andere Leistung "gewährt" bzw. "ausgezahlt" wird. Das Ruhen eines Teils der deutschen Rente wird vom Gesetz nur für den Fall der tatsächlichen Auszahlung einer ausländischen Leistung angeordnet, was vorliegend gerade nicht gegeben ist. Eine Auslegung, nach der auch die gegenteilige Fallkonstellation von der Vorschrift erfasst werden soll, ließe sich mit dem Sinn der oben genannten Worte nicht vereinbaren (so auch Sozialgericht ¬- SG – Koblenz vom 07.05.2008, S 1 R 1232/07).
Auch die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG spricht gegen eine Auslegung, die in der Vorschrift eine Ermächtigungsgrundlage für die Kürzung durch die Beklagte sieht. § 31 FRG ist Nachfolgevorschrift des bis 31.12.1958 geltenden § 1 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG), nach dem ein Leistungsanspruch erlosch, wenn von einem ausländischen Versicherungsträger für denselben Versicherungsfall "eine Leistung gewährt wird oder auf Antrag gewährt würde". Den Materialien zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25.02.1960 ist nicht zu entnehmen, dass die Alternative "auf Antrag gewährt würde" nur versehentlich keinen Eingang in die Neuregelung des § 31 FRG, der seit 1959 unverändert gilt, gefunden hat. Somit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 31 FRG tatsächlich enger fassen wollte, als in der auch bezüglich der Rechtsfolge (Erlöschen statt Ruhen des Leistungsanspruchs) schärferen Fassung von § 1 Abs. 5 FAG (Bayerisches Landessozialgericht, BayLSG, vom 02.07.2008 – L 14 B 469/08 R ER).
Anders als die Beklagte meint, hat sich an dieser Rechtslage auch nichts durch die Einfügung von § 2 S. 2 FRG durch Art. 5 ZustG DPSVA 1990 geändert. Eine Änderung des materiellen Regelungsgehalts von § 31 ist durch den Gesetzgeber weder anlässlich der Einfügung des § 2 S. 2 FRG noch in der Folgezeit erfolgt. Wie das BayLSG (a.a.O.) festgestellt hat, bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber anlässlich der Einfügung dieser Vorschrift die Erwartung hatte, der betroffene Personenkreis werde stets Rentenansprüche im Ausland geltend machen. Dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Antragstellung erwogen hat, ist in keiner Weise belegt. Auch der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990 kann dies nicht entnommen werden (BayLSG, a.a.O.). Darin wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit einer Anpassung des Fremdrentenrechts an die sich verändernden Verhältnisse zwischen Ost und West von einer Änderung des § 2 FRG unberührt bleibe. Der Gesetzgeber hat sich bei Änderung des § 2 FRG somit gerade vorbehalten, weitergehende Regelungen zu treffen.
Eine analoge Anwendung des § 31 FRG auf den Fall der Nichtgewährung und Nichtauszahlung einer ausländischen Rentenleistung, weil sich die Verhaltensweise der FRG-Berechtigten, ihre zustehenden ausländischen Rentenansprüche nicht in Anspruch zu nehmen, erst in letzter Zeit ergeben hätte und dies für den Gesetzgeber nicht absehbar gewesen wäre, kommt nicht in Betracht. Bereits aus rechtsstaatlichen Erwägungen ist die analoge Anwendung von zu Eingriffen ermächtigenden Rechtsvorschriften im Bereich des sozialen Leistungsrechts auf Ausnahmefälle zu beschränken. Vorliegend ist jedoch vor allem maßgeblich, dass insoweit keine planwidrige Regelungslücke besteht, zu deren Schließung die Kammer berufen wäre. Voraussetzung hierfür wäre, dass das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung insoweit die Rechtsfindung überlassen wollte, oder wenn es den betreffenden Sachverhalt aufgrund eines Versehenes nicht erfasst oder wenn sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (z.B. BSG SozR 3-5919 zu § 76 Nr. 4 m.w.N., BSG SozR 3-2500 zu § 38 Nr. 1 m.w.N.). Die vorliegende, von der deutschen Rentenversicherung nach ausdrücklichem Hinweis der Beklagten einheitlich – nach Überzeugung der Kammer jedoch rechtswidrig – gelöste Problematik, dass Versicherte, die in zwei Staaten Leistungsansprüche haben, eine Rentenleistung gegebenenfalls nur aus der deutschen Rentenversicherung beantragen, war dem Gesetzgeber wohl angesichts der von § 1 Abs. 5 FAG abweichenden Fassung der streitgegenständlichen Norm bekannt. Auch ergibt sich wie oben angeführt aus der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990, dass das Fremdrentenrecht erst später den veränderten politischen Verhältnissen angepasst werden sollte. Gleichwohl hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, eine dem § 31 FRG entsprechende erweiternde Regelung über die Anrechnung fiktiver Auslandsrenten zu treffen. Mit dem BayLSG (a.a.O.) ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber weiterhin die Anrechnung auf tatsächlich ge-leistete Auslandsrenten beschränken wollte. Es kann daher nicht angehen, die Anwendung des § 31 FRG nun im Lichte der geänderten Verhältnisse zu sehen und der bisherigen Auslegung nur noch im Verhältnis zu den FRG-Herkunftsländern zu folgen, mit denen die Bundesrepublik Deutschland keine vertraglichen Beziehungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit unterhält.
Die Notwendigkeit für eine analoge Anwendung des § 31 FRG ergibt sich auch nicht aus Art. 44 Abs. 2 der Verordnung 1408/71 (EWG). Diese Vorschrift gibt EU-Bürgern ein Dispositionsrecht hinsichtlich der Feststellung von Leistungsansprüchen in einem weiteren Mitgliedstaat. Aufgrund der in der deutschen Sozialversicherung geltenden Dispositionsfreiheit kann ein Versicherter auch einen bereits gestellten Antrag auf Sozialversicherungsleistungen noch bis zur Bestandskraft des bewilligenden Verwaltungsaktes zurücknehmen. Eine solche Antragsrücknahme ist nach richtiger Ansicht (z.B. Seewald in Kassler Kommentar, § 46 Rn. 9) kein Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I, so dass § 46 Abs. 2 SGB I allenfalls analog gelten kann, wenn ein Antragsrecht vom Versicherten rechtsmissbräuchlich beschränkt wird. Nach BayLSG, a.a.O., gilt für den Aufschub der Feststellung eines ausländischen Leistungsanspruchs gemäß Art. 44 Abs. 2 der Verordnung 1408/71 (EWG) nichts anderes.
Vorliegend hat der Kläger weder einen Rentenantrag zurückgenommen noch auf eine Rente (teilweise) verzichtet, was der Kläger über seinen Bevollmächtigten ausdrücklich klargestellt hat. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass der Kläger – wie die Beklagte meint – § 31 FRG "umgangen" habe; § 46 Abs. 2 SGB I ist weder direkt noch analog anwendbar. Das Verhalten des Klägers war nicht von unredlichen, von der Rechtsordnung nicht gebilligten Motiven getragen. Der Kläger hat vielmehr von seiner ihm rechtlich gewährten Dispositionsfreiheit Gebrauch gemacht. Aus der Gesetzgebungsgeschichte von § 31 FRG und den Intentionen des Gesetzgebers ergibt sich, dass ein Antrag auf Aufschub der Leistung nicht rechtsmissbräuchlich ist (BayLSG, a.a.O.). Dafür spricht u.a., dass das mit großem zeitlichen Abstand nach Einfügung des § 2 S. 2 FRG abgeschlossene deutsch-rumänische Sozialversicherungsabkommen in Art. 22 Abs. 3 dem Kläger ein gleichlautendes Antragsrecht zugesteht. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass dem Berechtigten ein Dispositionsrecht nicht zustehe bzw. die Ausübung dieses Rechts rechtsmissbräuchlich sei, hätte er eine einschränkende Regelung im Gesetz treffen können. Es bestehen jedoch nicht einmal Hinweise für derartige Überlegungen.
Die Kammer sieht sich auch nicht durch den Beschluss des BayLSG vom 19.08.2008 – L 6 B 523/08 R ER – zu einer anderen Rechtsauffassung veranlasst. Denn anders als dort festgestellt wird, bietet der Wortlaut des § 31 FRG gerade keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte die Norm im vorliegenden Fall zutreffend anwendet. In Auslegung des § 31 FRG kann – wie ausgeführt – gerade nicht gesagt werden, ein Träger der Sozialversicherung "gewähre" eine Rente und "zahle sie aus", wenn keine Gewährung und Zahlung erfolgen. Auf das Verhalten des Rentenberechtigten kommt es bei der Auslegung nach dem Wortsinn der "an Klarheit nicht zu überbietenden Vorschrift" (SG Koblenz, a.a.O.) nicht an. Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte ist festzustellen, dass die Gesetzesmaterialien zwar keinen ausdrücklichen Hinweis enthalten, dass es der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 31 FRG nunmehr in das Belieben des Berechtigten stellen wollte, die Leistungen des ausländischen Trägers zu beantragen. Wie ebenfalls ausgeführt, spricht jedoch nach Auswertung der Materialien zum FANG jedenfalls nichts dafür, dass eine der Vorgängervorschrift entsprechende schärfere Fassung des § 31 FRG nur versehentlich unterblieben ist. Auch der vom BayLSG (a.a.O.) erwähnte Hinweis durch den Abgeordneten-Bericht Schütz zur BT-Drs. III/1532 S. 2 vermag die Kammer nicht davon zu überzeugen, dass der Gesetzgeber insoweit die Rechtslage unverändert lassen wollte.
Die Beklagte war nach alledem nicht berechtigt, die fiktive rumänische Rente auf die von ihr zu leistende Rente anzurechnen. Etwas anderes könnte sich in Fallkonstellationen wie dieser nur durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers bzw. durch Initiativen auf europäischer Ebene ergeben.
Vorliegend konnte somit offen bleiben, ob – wie der Kläger meint – die Berechnung des Anrechnungsbetrages willkürlich war. Nicht zu entscheiden war im Übrigen auch, ob die Auslegung von § 31 FRG durch die Beklagte entsprechend der Ansicht des Klägerbevollmächtigten gegen europäisches Recht verstößt, da es hierauf nicht mehr ankommt.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2008 war somit teilweise rechtswidrig und daher abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 17.10.2008
Zuletzt verändert am: 17.10.2008