I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 3. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2004 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2003 bis 31. Dezember 2004 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 1951 geborene Klägerin hat zwischen 1965 und 1968 eine Lehre als Herrenschneiderin absolviert und war anschließend bis 1972 als Näherin beschäftigt. In der Folgezeit war die Klägerin überwiegend Hausfrau und lediglich in den Jahren 1973 bis 1977 kurzzeitig versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 1990 arbeitete die Klägerin als Zeitungsausfahrerin bis Anfang 1993. Im Anschluss daran bezog die Klägerin bis zum 01.03.1996 Sozialleistungen mit entsprechenden Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Vom 02.03.1996 bis 16.03.1998 war die Klägerin arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug. Ab April 1999 war die Klägerin geringfügig versicherungsfrei beschäftigt. Vom 01.06.2001 bis 25.11.2003 wurden Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung für Pflegetätigkeit erbracht. Die Klägerin pflegte ihren Ehemann, der am 25.11.2003 verstarb.
Einen ersten Rentenantrag stellte die Klägerin am 01.08.1994. Nach Ablehnung des Rentenanspruchs erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg. Im Urteil vom 10.06.1997 (Az: S 12 Ar 114/96) wurde die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 01.08.1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Die Beklagte legte Berufung zum Landessozialgericht ein. Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil wurde mit Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) vom 21.11.1997 (Az: L 6 Ar 447/97) zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 23.05.1998 wurde ein Rentenbescheid erlassen. Aufgrund des Urteils vom 10.06.1997 werde eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gezahlt. Die Rente beginne am 10.06.1997. Durch das eingelegte Rechtsmittel werde die Zahlung der Beiträge für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils aufgeschoben. Falls im Berufungsverfahren das Urteil vom 10.06.1997 aufgehoben werde, sei der Ausführungsbescheid gegenstandslos und die vorläufig gezahlten Leistungen seien zu erstatten.
Mit Urteil vom 26.10.1999 (Az: L 6 RJ 447/97) hob das BayLSG das Urteil des Sozialgerichts auf und wies die Klage ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) wurde durch Beschluss vom 17.02.2000 als unzulässig zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 11.01.2000 wurde die Rentenzahlung für die Zeit vom 10.06.1997 bis 30.11.1999 in Höhe von 25.406,16 DM zurückgefordert. Die Rückzahlung ist mittlerweile erfolgt.
Den streitgegenständlichen Rentenantrag stellte die Klägerin mit Schreiben vom 10.06.2003. Sie begründete diesen mit epileptischen Anfällen, psychisch-seelischen Störungen und Wirbelsäulenbeschwerden.
Die Klägerin wurde im Auftrag der Beklagten vom Nervenarzt Dr. G. begutachtet. Im Gutachten vom 14.10.2003 stellte Dr. G. folgende Diagnosen fest: – Cerebrales Anfallsleiden, – ausgeprägte Depression bei Minderbegabung und – HWS-Syndrom. Die HWS-Störungen seien nur gering ausgeprägt und spielten keine wesentliche Rolle. Unzweifelhaft liege ein cerebrales Anfallsleiden vor. Die Anfälle würden sich derzeit wohl in etwa 4-wöchigem Rhythmus einstellen. Problematischer sei das psychopathologische Bild einer massiven Depression im Sinne einer schweren depressiven Episode in Verbindung mit leichter hirnorganischer Beeinträchtigung. Das depressive Bild vom Typ der ängstlichen Antriebsarmut sei durch die nervenärztliche Behandlung der letzten Monate mit entsprechender antidepressiver Medikation nicht gebessert worden. Dieses depressive Bild scheine sich im Herbst letzten Jahres (Herbst 2002) eingestellt zu haben. Die Klägerin sei nicht in der Lage, eine Arbeit über 3 Stunden pro Tag zu erbringen. Auch leichteste Arbeiten seien der Klägerin verwehrt. Einen Dauerzustand müsse das Geschehen jedoch nicht darstellen. Langfristig seien deutliche Besserungen nicht ausgeschlossen.
Mit Bescheid vom 03.12.2003 wurde die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt. Es liege eine volle Erwerbsminderung ab dem 10.06.2003 (Rentenantrag) bis voraussichtlich 30.11.2004 vor. In den 5 Jahren vom 10.06.1998 bis 09.06.2003 seien jedoch nur 25 Monate mit Pflichtbeiträgen vorhanden. Dem Rentenantrag könne nicht entsprochen werden, weil in den 5 Jahren nicht 3 Jahre an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeiten vorhanden seien.
Mit Schreiben vom 19.12.2003 wurde Widerspruch eingelegt. Dieser wurde dahingehend begründet, dass die Klägerin seit 01.12.1999 die geringfügige Tätigkeit ihres Ehemannes bei einer Autobahn-Rastanlage übernommen habe. Der Ehemann habe diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt. Da die Klägerin zeitgleich eine eigene geringfügige Beschäftigung ausgeübt habe, sei mit dieser weiteren Beschäftigung die Geringfügigkeitsgrenze überschritten.
Auf Befragen erklärte der Steuerberater der Rastanlage, dass der Ehemann den Lohn für die geringfügige Beschäftigung erhalten habe. Es sei nicht bekannt, dass die Klägerin in der Rastanlage beschäftigt gewesen sei. Die Leiterin der Rastanlage teilte mit, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt bei der Rastanlage beschäftigt war und deshalb auch nicht angemeldet worden sei. Wenn der Ehemann der Klägerin krank oder im Urlaub gewesen sei, sei die Arbeit vom Mann der Betreiberin und dem Kassenpersonal der Raststätte übernommen worden. Die Klägerin benannte einen Zeugen, der der Beklagten telefonisch mitteilte, dass die Klägerin die Arbeiten des Ehemannes übernommen habe. Der Ehemann sei dazu aus gesundheitlichen Gründen keinesfalls in der Lage gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis der Klägerin mit der Rastanlage habe nicht bestanden. Ein Beschäftigungsverhältnis könne nur mit Wissen und Wollen des Arbeitgebers bestehen. Damit fehle es an der erforderlichen Zahl von 36 Pflichtbeitragsmonaten in den 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung.
Klage wurde mit Schreiben vom 27.07.2004 erhoben. Die Klägerin habe, wie Herr W. bestätigt habe, in der Raststätte gearbeitet. Außerdem sei die Urteilsrente vom 10.06.1997 bis 30.11.1999 eine Aufschubzeit nach § 43 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Das Gericht zog Befundberichte behandelnder Ärzte bei und beauftragte den Nervenarzt Dr. A. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. A. stellte im Gutachten vom 07.06.2005 folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen fest: – Epileptisches Anfallsleiden mit generalisierten Krampfanfällen mit Bewusstseinsverlust. – Wirbelsäulen-Syndrom ohne neurologische Ausfälle, Verdacht auf psychosomatische Komponente. – Dysthymie, Panikstörung, allenfalls geringe hirnorganische Komponente des Psychosyndroms. Beim epileptischen Anfallsleiden sei mit durchschnittlich etwa monatlich auftretenden generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfällen auszugehen. Deswegen seien nur besondere Gefährdungen durch evtl. auftretende Anfälle zu vermeiden. Bei der Untersuchung hätte sich ein depressives Syndrom eher leichter Ausprägung gezeigt. Aus der testpsychologischen Diagnostik ergebe sich eine geringgradige hirnorganisch bedingte Leistungsminderung. Der psychopathologische Status habe sich im Vergleich zur letzten nervenärztlichen Begutachtung durch Herrn Dr. G. am 30.09.2003 mittlerweile gebessert. Dies könne auf die Entlastung nach dem Tod des kranken und der Klägerin gegenüber oft aggressiven Ehemanns zurückgeführt werden. Zu den Angstanfällen habe die Klägerin berichtet, dass diese vor allem aufträten, wenn sie alleine sei aber auch in Aufzügen. In Kaufhäusern, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Menschenansammlungen komme es nicht zu Angstzuständen. Die Angstanfälle würden meist eine viertel bis eine halbe Stunde dauern und seien oft von Herzrasen und Schwitzen begleitet. Die Anfälle würden sich bei Ablenkung, z. B. durch Spazierengehen, bessern. Die Häufigkeit wurde mit etwa ein- bis zweimal pro Woche angegeben. Laut Gutachter seien die Angstattacken als Panikstörung einzuordnen und von einer psychoreaktiven Entwicklung auszugehen.
Die Klägerin könne leichte Arbeiten ohne Belastung der Wirbelsäule, ohne Gefährdung im Falle epileptischer Anfälle und ohne Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit und die kognitive Leistungsfähigkeit täglich 6 und mehr Stunden verrichten. In Frage kämen z. B. einfache weisungsgebundene Büroarbeiten, Botengänge und Arbeiten als Verpackerin. Dieses Leistungsbild bestehe seit etwa Anfang 2005. Davor sei im Hinblick auf das nachvollziehbare Gutachten von Herrn Dr. G. von einer zeitlich verminderten beruflichen Belastbarkeit von unter 3 Stunden seit etwa Herbst 2002 auszugehen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin nahm zum Gutachten dahingehend Stellung, dass auch seit Anfang 2005 bei der Klägerin ein Leistungsvermögen von unter 6 Stunden täglich vorliege. Es erfolge nach wie vor eine intensive nervenärztliche Behandlung. Dabei wurde auf eine nervenärztliche Bescheinigung von Dr. E. vom 16.09.2005 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 03.12.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2004 zu verurteilen, der Klägerin ab 01.06.2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass es sich bei der Urteilsrente nicht um eine Zeit handle, die nach § 43 Abs. 4 SGB VI zu einer Verlängerung des 5-Jahres-Zeitraums führen würde. Das Urteil des Sozialgerichts habe die Rechtsgrundlage für den Rentenbescheid vom 17.06.1998 gebildet. Mit Aufhebung des Urteils sei die Rechtsgrundlage entfallen und der Rentenbescheid sei gegenstandslos geworden. Eine Rentenbezugszeit im Sinne von § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI liege nur vor, wenn tatsächlich ein materieller Rechtsanspruch bestanden habe und mit einem bindendem Verwaltungsakt festgestellt worden sei. Dies sei aber nicht der Fall, denn bei der Urteilsrente handle es sich nur um eine vorläufige Leistung, die inzwischen wieder zurückgefordert worden sei. Die Situation sei auch nicht vergleichbar mit einer nachfolgenden Rentenentziehung, denn bei einer Rentenentziehung habe für den Zeitraum des Rentenbezugs tatsächlich ein materieller Rentenanspruch bestanden. Die Beklagte trägt weiter vor, dass der Versicherungsschutz der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheids vom 23.05.1998 bereits unwiderbringlich verloren gegangen sei. Die Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug endeten am 16.03.1998. Wenn die Urteilsrente als Verlängerungstatbestand gewertet werde, sei die Klägerin besser gestellt, als wenn es das Urteil des Sozialgerichts nie gegeben hätte.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der Eizelheiten auf den Inhalt der Klageakte, den Inhalt der vorangehenden Klageakte sowie den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie erweist sich auch teilweise als begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung in der Zeit vom 01.06.2003 bis 31.12.2004. Ein weitergehender Rentenanspruch besteht nicht, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
Eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI setzt voraus, dass die Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich (volle Erwerbsminderung) bzw. mindestens 6 Stunden täglich (teilweise Erwerbsminderung) erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer eine Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Sofern die Erwerbsfähigkeit unter 6 Stunden täglich liegt und der Versicherte keine Teilzeitbeschäftigung ausübt, ist von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen, weil von einer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auszugehen ist (ständige Rechtsprechung des BSG).
Aufgrund der schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. G. und Dr. A. ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin ab Oktober 2002 nur mehr in der Lage war, täglich unter 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Aus dem Gutachten von Dr. G. ergibt sich, dass die Klägerin seit Herbst 2002 unter einer massiven Depression litt. Das depressive Bild war auch durch nervenärztliche Behandlung mit entsprechender antidepressiver Medikation nicht zu bessern. Die Beklagte hat sich der Leistungseinschätzung von Dr. G. inhaltlich auch angeschlossen. Nicht überzeugend ist dagegen, dass die Beklagte den Beginn der vollen Erwerbsminderung auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung (10.06.2003) legte. Aus dem Gutachten von Dr. G. und seiner ergänzenden Stellungnahme ergibt sich schlüssig, dass die schwere Depression bereits im Herbst 2002 bestand. Der Beginn der gravierenden Leistungseinschränkung wird auch von Dr. A. auf den Herbst 2002 datiert.
Aus dem Gutachten von Dr. A. ergibt sich schlüssig und überzeugend, dass sich das depressive Syndrom in der Folgezeit besserte. Dr. A. führt dies nachvollziehbar auf die Entlastung der Klägerin nach dem Tod ihres kranken und oft aggressiven Ehemanns am 25.11.2003 zurück. Bei der Begutachtung durch Dr. A. am 07.06.2005 zeigte die Klägerin einen wesentlich besseren psychopathologischen Befund als noch bei Dr. G … Bei Dr. A. war die Stimmungslage nur noch depressiv getönt, die affektive Schwingungsfähigkeit vermindert, Konzentration und Aufmerksamkeit ausreichend erhalten. Mit Dr. A. ist deshalb davon auszugehen, dass sich die Depression bis Ende 2004 so weit zurückgebildet hat, dass die Klägerin seit Anfang 2005 wieder in der Lage war, leichte Tätigkeiten täglich 6 Stunden zu verrichten. Die epileptischen Anfälle führen nicht zu einer zeitlichen Verminderung der Leistungsfähigkeit. Sie führen lediglich dazu, dass die Klägerin Arbeiten mit besonderen Gefährdungen durch evtl. auftretende Anfälle (z. B. Arbeiten auf Leitern oder mit Autofahren) vermeiden muss. Die Wirbelsäulenbeschwerden sind nicht gravierend. Sie stehen einer leichten Tätigkeit nicht entgegen. Der Dysthymie und der Panikstörung wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass Arbeiten mit besonderen Ansprüchen an nervliche Belastbarkeit sowie die kognitive Leistungsfähigkeit vermieden werden.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind gegeben. Danach besteht ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nur, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen (sog. 3/5-Belegung).
Daran fehlt es hier zunächst: Im Zeitraum vom Oktober 1997 bis Oktober 2002 liegen nur 17 Monate mit Pflichtbeiträgen für die Pflegetätigkeit. Der Zeitraum von fünf Jahren verlängert sich jedoch nach § 43 Abs. 4 SGB VI durch bestimmte Zeiten.
Die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug ist eine Anrechnungszeit nach § 43 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Hierdurch ergeben sich aber nur 6 Monate an Verlängerungszeit (Oktober 1997 bis März 1998).
Der Zeitraum von fünf Jahren verlängert sich auch durch die Urteilsrente. Die Zahlung der Urteilsrente in der Zeit vom 10.06.1997 bis 30.11.1999 ist ein Verlängerungstatbestand nach § 43 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Es handelt sich um "Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit".
Aus dem Wortlaut von § 43 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ergibt sich, dass es auf den tatsächlichen Bezug der Rente ankommt. Allein das Bestehen eines materiell-rechtlichen Rentenanspruchs ohne einen entsprechenden Rentenantrag (sog. Rentenstammrecht) genügt nicht (vgl. Urteil des BSG vom 27.01.1994, Az: 5 RJ 18/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 43). Es muss ein Rentenantrag gestellt worden sein und der Rentenanspruch durch Verwaltungsakt konkret – individuell festgestellt worden sein. Die Klägerin hatte am 01.08.1994 einen Rentenantrag gestellt, aufgrund des Urteils des Sozialgerichts vom 10.06.1997 ist der Rentenbescheid vom 23.05.1998 ergangen. Für die Zeit vom 10.06.1997 bis 30.11.1999 hat die Klägerin eine Rente im Sinn von § 43 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bezogen.
Das Argument der Beklagten, ein Verlängerungstatbestand liege nicht vor, weil die Rechtsgrundlage der Rentengewährung, das Urteil des Sozialgerichts, durch das aufhebende Urteil des LSG beseitigt wurde, überzeugt nicht.
Auch bei einer Rentenentziehung durch Verwaltungsakt nach § 45 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bleibt die Zeit des tatsächlichen Rentenbezugs ein Verlängerungstatbestand (vgl. Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Niesel, § 43 SGB VI Rdnr 69; Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung, Meyer, § 43 a.F. SGB VI Rdnr 67). Die Gewährung einer Urteilsrente mit nachfolgender Aufhebung durch eine obergerichtliche Entscheidung ist dem vergleichbar und ebenso als Verlängerungstatbestand zu beurteilen.
In beiden Fällen erhält der Versicherte aufgrund einer hoheitlichen Entscheidung (Verwaltungsakt bzw. Verwaltungsakt nach Urteil) eine Rente ausbezahlt, deren Rechtsgrundlage später aufgrund einer weiteren hoheitlichen Entscheidung (Verwaltungsakt nach § 45 ff SGB X bzw. obergerichtliches Urteil) wieder beseitigt wird. Auch beim Vertrauensschutz gibt es keine wesentlichen Unterschiede: Eine Rentenentziehung erfolgt vor allem dann, wenn der Versicherte auf den Fortbestand des Rentenbescheids gerade nicht vertrauen durfte (vgl. § 45 Abs. 2, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X). Bei der Urteilsrente verhindert die Berufungseinlegung und ein entsprechender Bescheidzusatz (so auch im Bescheid vom 23.05.1998) den Vertrauensschutz. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch nach einer Aufhebung einer Urteilsrente von einer Rückforderung abzusehen ist, wenn diese für den Leistungsempfänger nach Lage des Falles unbillig wäre, er z.B. durch die Rückforderung sozialhilfebedürftig werden würde (vgl. Meyer-Ladewig u.a., Sozialgerichtsgesetz – SGG -, 8. Aufl., § 154 Rdnr 4).
Auch der Schutzzweck der Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 SGB VI spricht dafür, den tatsächlichen Bezug einer Urteilsrente als Verlängerungstatbestand anzusehen. Der Fünf-Jahres-Zeitraum wird verlängert, weil Zeiten vorliegen, in denen vom Versicherten keine Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht oder erwartet werden können. Beispiele hierfür sind Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit, medizinischer Rehabilitation, Arbeitslosigkeit und Schulausbildung nach § 58 SGB VI. Auch in Zeiten des Bezugs einer Rente wegen Erwerbsminderung können die genannten Pflichtbeiträge nicht erwartet werden. Die Ausübung einer pflichtversicherten Erwerbstätigkeit wäre ein beachtlicher Gegenbeweis für einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Außerdem verhindert der Rentenbezug unter Umständen andere Verlängerungstatbestände. So kann von einem Bezieher einer Urteilsrente wegen voller Erwerbsminderung kaum erwartet werden, dass er sich für den Fall, dass die Urteilsrente im Berufungsverfahren möglicherweise aufgehoben wird, gleichsam subsidiär beim Arbeitsamt arbeitslos meldet, um eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI offen zu halten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach § 198 Satz 2 Nr. 6 SGB III (in der bis 31.12.2004 gültigen Fassung) zum Ruhen bringt.
Um die Rentenzahlung und damit die Urteilsrente zu vermeiden, hatte die Beklagte die Möglichkeit, beim Berufungsgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts zu stellen. Dieser Antrag wurde gestellt und durch Beschluss des LSG vom 21.11.1997 zurückgewiesen. Auch diese Bestätigung der Rentenzahlung spricht dafür, die Urteilsrente als Verlängerungstatbestand zu werten. Es wurde damit vorläufig und unanfechtbar eine "Zeit des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" gemäß § 43 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bejaht.
Dem Einwand der Beklagten, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Bescheids vom 23.05.1998 den Versicherungsschutz ohnehin nicht mehr aufrechterhalten konnte, weil zum 16.03.1998 die rentenrechtlichen Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug endeten, kann nicht gefolgt werden. Das LSG hat mit Beschluss vom 21.11.1997 deutlich vor dem Ende dieser rentenrechtlichen Zeit den Antrag der Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts unanfechtbar zurückgewiesen. Die Klägerin durfte deshalb davon ausgehen, dass sie alsbald die Rentenzahlung erhält. Wenn die Beklagte den Rentenbescheid über ein halbes Jahr hinauszögert, kann sie der Klägerin nicht vorhalten, dass diese sich im März 1998 nicht mehr arbeitslos gemeldet hat.
Somit liegen folgende Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 SGB VI vor: 6 Monate für Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug von Oktober 1997 bis März 1998 (zugleich Urteilsrente) und weitere 20 Monate der Urteilsrente von April 1998 bis November 1999, zusammen 26 Monate. Durch die vor Oktober 1997 bis zu den Pflichtbeiträgen (1990 bis März 1996) lückenlos vorliegenden weiteren Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit werden weitere 26 Monate an Pflichtbeitragszeiten erschlossen (wiederholte Verlängerung bis zum Zeitraum Februar 1994 bis Oktober 2002). Zusammen mit den 17 Monaten für die Pflegetätigkeit liegen 43 Monate an Pflichtbeitragszeiten vor. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind damit gegeben.
Die Rentenzahlung war gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI zu befristen. Bereits aus dem Gutachten von Dr. G. ergibt sich, dass es nicht unwahrscheinlich war, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Eine Verzögerung des Rentenbeginns durch § 101 Abs. 1 SGB VI ergibt sich nicht, weil der Eintritt der Erwerbsminderung bereits im Oktober 2002 erfolgte. Die Rente beginnt deshalb gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ab dem Kalendermonat, in dem die Rente beantragt wurde. Der Rentenantrag datiert vom 10.06.2003. Der Rentenbeginn ist deshalb der 01.06.2003. Das Rentenende ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. A … Ab Anfang des Jahres 2005 kann die Klägerin wieder täglich 6 Stunden leichte Tätigkeiten verrichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Antrag war eine zeitlich unbegrenzte Rente wegen Erwerbsminderung. Erhalten hat die Klägerin lediglich eine Rente von rund eineinhalb Jahren Dauer.
Erstellt am: 05.04.2006
Zuletzt verändert am: 05.04.2006