Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.06.2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger Altersrente ohne Abschläge zusteht.
Der am …1941 geborene Kläger war zuletzt bei der Firma D …in M … versicherungspflichtig beschäftigt. Mit Schreiben vom 09.09.1994 kündigte ihm die Firma unter Bezugnahme auf den Sozialplan vom 07.06.1994 zum 30.09.1996 aus betriebsbedingten Gründen. Er erhielt für die Zeit vom 01.10.1996 bis 29.05.1999 Arbeitslosengeld und war anschließend arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.
Durch Bescheid vom 10.08.2001 bewilligte ihm die Beklagte auf seinen Antrag vom 02.07.2001 ab 01.10.2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Höhe von monatlich netto 1.886,02 DM. Bei der Berechnung der Rente ging sie von dem Zugangsfaktor 1,0 aus, der sich gemäß § 237 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) für 57 Monate um insgesamt 0,171 auf 0,829 verminderte.
Mit dem am 16.08.2001 eingelegten Widerspruch wandte der Kläger ein, dass der angefochtene Bescheid zwar der Gesetzeslage entsprechen könne. Der hier anwendbare § 237 Abs. 4 SGB VI verstoße aber gegen Artikel 3 und 14 Grundgesetz (GG). Denn die darin getroffene Stichtagsregelung mit Bevorzugung der Bergleute und bestimmter anderer Arbeitnehmer sei nicht nachvollziehbar.
Durch Bescheid vom 22.02.2002 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Altersrente des Klägers sei zu Recht gekürzt worden, weil sie vorzeitig in Anspruch genommen worden sei und die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI nicht eingreife. Nach § 237 Abs. 3 SGB VI in Verbindung mit Anlage 19 zum SGB VI hätte er die Leistung erst ab September 2005 ohne Kürzung beanspruchen können. Da er nach eigenen Angaben nicht aus einem Betrieb der Montanunion ausgeschieden sei, komme § 237 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI für ihn nicht zur Anwendung. Die Beklagte sei an die bestehenden Gesetze gebunden. Es liege aber auch kein Verstoß gegen die Verfassung vor.
Hiergegen hat der Kläger am 04.03.2002 Klage erhoben. Die Stichtagsregelung des § 237 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VI sei willkürlich und verstoße gegen Art. 3 und Art. 14 GG. Er habe sein Arbeitsverhältnis bei der Firma D … im Juli 1994 auf Grund eines Sozialplans beendet, nach dem noch von dem alten Rentenrecht ausgegangen worden sei, das keine Minderung der Leistung bei vorzeitiger Inanspruchnahme vorgesehen habe. Es sei verfassungsrechtlich unzulässig, dass der Gesetzgeber auch für diese unter den Bedingungen einer anderen Gesetzeslage abgeschlossenen Fälle eine rückwirkende Kürzung der Rente eingeführt habe. Im übrigen sei nicht zu rechtfertigen, dass § 237 Abs. 4 SGB VI eine Begünstigung für Bergleute vorsehe, nicht aber für Arbeitnehmer aus dem Chemiebereich. Er habe genau so Anspruch auf Vertrauensschutz wie die im Gesetz aufgeführten Arbeitnehmer.
Demgegenüber hat die Beklagte weiterhin die Ansicht vertreten, dass sie die Rente des Klägers zu Recht um 17.1 v.H. gekürzt habe.
Mit Urteil vom 25.06.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass ihm die Rente ohne Abschläge gezahlt werde. Er habe zwar das 60. Lebensjahr vollendet und sei vor dem 01.01.1952 geboren. Doch habe die Beklagte die für ihn geltende Altersgrenze gemäß § 237 Abs. 3 SGB VI zutreffend um 57 Monate angehoben. Demgegenüber greife die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI nicht zu seinen Gunsten ein, weil er weder vor dem 14.02.1941 geboren, noch aus einem Betrieb der Montanunion ausgeschieden und auch keine 45 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung zurückgelegt habe.
Entgegen der Auffassung des Klägers verstoße § 237 SGB VI nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Insbesondere sei der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG nicht verletzt, weil die im Gesetz getroffene Differenzierung nach "Natur und Eigenart des in Frage stehenden Sachverhältnisses und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Regelung" (vgl. BVerfGE 71, 39, 58) nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt sei. Das gelte vor allem auch für die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI. Denn nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes habe der Gesetzgeber die erhebliche Ausweitung der Frühverrentungspraxis der letzten Jahre durch eine "stufenweise Heraufsetzung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit von 60 auf 63 Jahre in den Jahren 1997 bis 1999 unter Wahrung des Vertrauensschutzes für Versicherte der rentennahen Jahrgänge, die bereits arbeitslos sind oder entsprechende Dispositionen getroffen haben" (BT-Drucksache 13/4336 S. 1/2) beenden wollen. Der für diese Regelung gewählte Stichtag vom 14.02.1996 entspreche gemäß der Begründung zu Art. 2 Nr. 17 des Gesetzentwurfs dem Datum, an dem das Bundeskabinett das hierfür maßgebliche Eckpunktepapier beschlossen habe. Spätestens von diesem Tage an habe für die in der Regel unter 55-Jährigen Versicherten kein zu schützendes Vertrauen auf den Bestand der bisherigen Regelungen mehr vorgelegen. Wenn es dadurch zu Härten kommen sollte, so müssten sie hingenommen werden, weil die Einführung des Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunkts vertretbar gewesen seien (BSG, 4 RA 36/94). Das sei hier der Fall gewesen, weil nur durch die Wahl eines Stichtages eine wirtschaftlich effektive Einsparung im Bereich der Rentenversicherung habe erreicht werden können. Dass die Beschäftigten der Montanindustrie in § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI begünstigt worden seien, beinhalte keine ungerechtfertigte Besserstellung, sondern beruhe auf Gründen des europäischen Gemeinschaftsrechts, wonach bei ihnen an die Stelle des 55. Lebensjahres das 52. Lebensjahres trete (vgl. Hauck/Heines/Klattenhoff, SGB VI, § 237 Rdnr. 76).
Desgleichen liege kein Verstoß gegen Art. 14 GG vor. Zwar unterliege das Recht auf Altersrente der Eigentumsgarantie, weil es durch nicht unerhebliche Eigenleistungen begründet worden sei. Doch habe der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken dieser vermögenswerten Rechtsposition eine weite Gestaltungskompetenz. Das gelte insbesondere für Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des gesetzlichen Rentenversicherungssystems auf rechtzuerhalten. Zu diesem Zweck sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, den Umfang von Ansprüchen zu vermindern, wenn es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Das sei im Rahmen der Vorschrift des § 237 SGB VI bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Renten beachtet worden. Den Versicherten bleibe unbenommen, die Leistungen nicht frühzeitig in Anspruch zu nehmen, sondern länger zu arbeiten.
Dieses ihm am 04.07.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger mit der am 18.07.2002 eingegangenen Berufung angefochten. Zur Begründung macht er unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen weiterhin geltend, dass § 237 SGB VI verfassungswidrig sei. Er habe sich damit einverstanden erklärt, dass ihm die Firma D … auf Grund des zwischen ihr und dem Betriebsrat vereinbarten Sozialplanes vom 07.06.1994 kündige, weil zu dieser Zeit noch die Möglichkeit bestanden habe, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Bezug von Arbeitslosengeld die ungekürzte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Zwar sei ihm dann erst nach dem Stichtag für die Vertrauensschutzregelung vom 14.02.1996 gekündigt worden. Doch sei der Sozialplan zu dieser Zeit längst beschlossene Sache gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.06.2002 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 10.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2002 zu verurteilen, ihm Altersrente ab 01.10.2001 ohne Abschläge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm seine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge gewährt wird. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 237 SGB VI in der ab 01.01.2000 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1999. Die Voraussetzungen des Abs. 1 dieser Vorschrift sind bei ihm erfüllt. Denn er hatte zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung das 60. Lebensjahr vollendet, ist vor dem 01.01.1952 geboren, war in den letzten eineinhalb Jahren vor Beginn der Rente mindestens 52 Wochen arbeitslos und hat die Wartezeit von 15 Jahren zurückgelegt. Streitig ist aber, ob ihm die Rente ohne Abschläge zusteht.
Bei der Entscheidung dieser Frage gehen die Beteiligten zutreffend davon aus, dass die dem Kläger bewilligte Altersrente gemäß § 237 Abs. 3 SGB VI um 57 Monate anzuheben und folglich nach § 77 Abs. 2 SGB VI um 17,1 v.H. zu kürzen war (Minderung des Zugangsfaktors um 0,171).
Desgleichen besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit darüber, dass die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI nicht zu Gunsten des Klägers eingreift, weil er nicht vor dem 14.02.1941 geboren ist, nicht Arbeitnehmer in einem Betrieb der Montanunion war und keine 45 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt hat.
Der Kläger macht jedoch geltend, dass die Absätze 3 und 4 des § 237 SGB VI wegen Verstoßes gegen Art. 3 und Art. 14 GG verfassungswidrig seien. Dieser Ansicht kann aber nicht gefolgt werden. Denn wie das Sozialgericht mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargelegt hat, hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung über die Anhebung der Altersgrenze zwar in eine eigentumsgeschützte vermögenswerte Rechtsposition eingegriffen. Doch handelt es sich dabei um eine zulässige Neubestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums, so dass Art. 14 GG nicht verletzt ist. Außerdem verstößt die Stichtagsregelung des Abs. 4 § 237 SGB VI nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie keine willkürliche Ungleichgehandlung beeinhaltet. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG).
Lediglich ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin:
Grund für die Änderung der Altersgrenze bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Altersrenten war die Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung, da die erhebliche Ausweitung der Frühverrentungspraxis in den vorangegangenen Jahren Kosten verursachte, die letztlich nur über höhere Beitragssätze zu finanzieren gewesen wären. Dies hätte dem Wirtschaftsstandort Deutschland geschadet und die künftige Finanzierbarkeit der Renten- und Arbeitslosenversicherung gefährdet. Angesichts des Umstandes, dass auch in den folgenden Jahren zahlenmäßig starke Jahrgänge das Alter für Frühverrentungsmaßnahmen erreichten, war schnelles Handeln notwendig (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, in BT-Drucksache 13/4336 vom 15.04.1996). Deshalb musste der Gesetzgeber im öffentlichen Interesse zum Schutze des Gemeinwohls dafür sorgen, dass die sozialen Sicherungssysteme Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung weiterhin funktions- und leistungsfähig bleiben. In einem solchen Falle sind auch im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG Beschränkungen des Eigentums zulässig, wenn dabei die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (BVerfGE 53, 257, 293). Das ist hier geschehen, wobei zu berücksichtigen ist, das jede Strukturveränderung gerade bei den Neuzugängen einsetzen muss, um die geplante Entlastung möglichst schnell herbeizuführen. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die angestrebten Einsparungen mit weniger einschneidenden Mitteln hätten erreicht werden können. Außerdem liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob und wie er notwendige Einsparungen vornimmt (vgl. hierzu BVerfGE 76, 240, 241).
Dem Kläger ist zuzugestehen, dass ihn die neuen Regelungen bei einer Kürzung seiner Rente um 17,1 v.H. erheblich belasten. Gemessen an der Notwendigkeit einer raschen Verbesserung der Finanzlage der Renten- und Arbeitslosenversicherung sind die Maßnahmen aber verhältnismäßig und für ihn auch zumutbar. Die neue Regelung begann nämlich erst ab Januar 1997 und wirkte sich erst für nach Januar 1941 geborene Versicherte aus, also für Versicherte, die jünger als 55 Jahre alt waren. Für sie war es regelmäßig noch möglich, ihre Altersvorsorge erneut zu überplanen. Das galt auch im Falle des Klägers, weil die einverständliche Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses bei der Firma D … erst zum 30.09.1996 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgte, als das den neuen Bestimmungen zugrunde liegende Eckpunktepapier des Bundeskabinetts längst beschlossen und bekannt war.
Außerdem muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er zur Zeit des im Juni 1994 in seiner damaligen Beschäftigungsfirma geschlossenen Sozialplans keineswegs davon ausgehen konnte, dass eine erst seit zwei Jahren (ab 1992) bestehende Gesetzeslage auch noch zur Zeit der von ihm sieben Jahren später ab Oktober 2001 beabsichtigten Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente weiter bestehen werde.
Desgleichen hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass der für die Änderung des Gesetzes maßgebende Stichtag in § 237 Abs. 4 Nr. 1 a SGB VI nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Die Stichtagsregelung hat zwar zur Folge, dass bereits bewilligte Altersrenten weiterhin nach altem Recht berechnet werden, wohingegen beim Kläger das neue, einschneidende Recht anzuwenden ist. Das ist jedoch das Ergebnis jeder Stichtagsregelung. Dadurch bedingte Härten müssen hingenommen werden, wenn sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (BVerfGE 58, 81, 126). Jedenfalls durfte der Gesetzgeber den Bestandsrenten auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes den Vorzug vor dem Schutz der Rentenanwartschaften geben, um die beabsichtigte rasche Verbesserung der finanziellen Situation der sozialen Sicherungssysteme herbeizuführen (vgl. BVerfGE 75, 78, 106).
Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass § 237 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VI gegen das Sozialstaatsprinzip verstößt. Denn aus Art. 20 GG können allenfalls dann unmittelbar Ansprüche hergeleitet werden, wenn das Existenzminimum des Einzelnen nicht mehr gewährleistet ist. Ansonsten obliegt die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips der Eigenverantwortung des Gesetzgebers (BVerfGE 1, 97, 207; 8, 274, 329). Es dient nicht der Korrektur jeglicher hart oder unbillig erscheinenden Einzelregelungen (BVerfGE 69, 272, 314).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003