I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 verpflichtet, beim Kläger ab dem 24. Januar 2013 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festzustellen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des dem Kläger nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zustehenden GdB und ob in seiner Person die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), B (Erforderlichkeit einer Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel) und H (Hilflosigkeit) vorliegen.
Am 24.01.2013 beantragte der 1949 geborene Kläger beim Beklagten die Feststellung eines GdB von wenigstens 80 und die Feststellung der Merkzeichen G, B und H. Er fügte dem Antrag diverse Arztbriefe betreffend einen Ende November 2012 erlittenen Herzinfarkt mit nachfolgenden Stent- und Bypassoperationen bei.
Nach versorgungsärztlicher Auswertung der vorgelegten Unterlagen stellte der Beklagte beim Kläger mit Bescheid vom 11.02.2013 einen GdB von 30 fest. Es lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: 1. Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation, Stentimplantation, Bypass, Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (Einzel-GdB 30), 2. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10), 3. Bronchialasthma (Einzel-GdB 10).
Hiergegen erhob der Kläger am 13.02.2013 Widerspruch und legte weitere Arztbriefe vor. Der Beklagte zog noch einen aktuellen Befundbericht der behandelnden Psychiaterin des Klägers, Dr. D., bei und ließ die vorliegenden Unterlagen durch seinen ärztlichen Dienst auswerten. In der Folge half der Beklagte dem Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2013 ab und stellte einen GdB von 50 fest. Die Gesundheitsstörungen des Klägers wurden nun wie folgt bezeichnet: 1. Depression, Somatisierungsstörung, chronisches Schmerzsyndrom (Einzel- GdB 30), 2. Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation, Stentimplantationen, Bypass, Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (Einzel-GdB 30), 3. Mittelnervendruckschädigung beidseits (Carpaltunnelsyndrom) (Einzel-GdB 10), 4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach Halswirbelsäulenverletzung (Einzel-GdB 10), 5. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10), 6. Bronchialasthma (Einzel-GdB 10).
Hiergegen erhob der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 10.05.2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg mit dem Ziel der Feststellung eines GdB von 80 und der Merkzeichen G, B und H. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.07.2013 legte der Kläger zahlreiche ärztliche Unterlagen vor.
Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen unterbreitete der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 27.08.2013 ein Vergleichsangebot. Er erklärte sich bereit, ab 24.01.2013 einen GdB von 60 festzustellen. Bei Beibehaltung der übrigen Einzel-GdBs sei die Gesundheitsstörung "Depression, Somatisierungsstörung, chronisches Schmerz-syndrom" nunmehr mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten.
Der Kläger teilte mit, dass er das Vergleichsangebot nicht annehme.
Das Gericht beauftragte den Orthopäden Dr. C. mit der Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens. Nach Untersuchung des Klägers am 16.01.2014 gelangte Dr. C. zu der Einschätzung, der GdB des Klägers sei mit 60 zutreffend bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen erfülle der Kläger nicht. Für eine geringfügige Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenkes bei beginnenden Aufbrauchveränderungen sei ein weiterer Einzel-GdB von 10 festzustellen.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das Gericht in der Folge noch die Psychiaterin Dr. D. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens. Nach Untersuchung des Klägers am 11.02.2015 schlug auch Frau Dr. D. vor, den Einzel-GdB für die psychischen Erkrankungen des Klägers mit 40 anzusetzen. Unter Einbeziehung der orthopädischen Leiden sei der Gesamt-GdB mit 50 zu bewerten. Dabei seien die internistisch-kardiologischen Erkrankungen nicht berücksichtigt, da diese psychiatrischerseits nicht bewertet werden könnten. Das Gehvermögen des Klägers sei nach dessen detaillierten Alltagsbeschreibungen derart eingeschränkt, dass er die üblichen Fußwege im Ortsverkehr nur mit erheblichen Schwierigkeiten zurücklegen kann. Laut eigenen Angaben könne der Kläger nur kurze Wege zwischen 500 Meter und 1 Kilometer zurücklegen. Bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei der Kläger nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Auch für Verrichtungen des täglichen Lebens bedürfe er nicht dauernd fremder Hilfe.
Der Beklagte hielt in der Folge an seinem Vergleichsangebot vom 27.08.2013 fest. Die Empfehlung der Dr. D. hinsichtlich des Merkzeichens "G" sei überwiegend auf den subjektiven Beschwerdevortrag des Klägers gestützt. Eine objektive Begründung für eine relevante Einschränkung der Gehstrecke sei nicht festzustellen.
Der Kläger teilte schließlich mit, dass er das Vergleichsangebot nicht annehme. Unter Vorlage weiterer Arztbriefe machte er geltend, er begehre weiterhin die Feststellung eines GdB von 80 und der Merkzeichen G, B und H.
Zwischenzeitlich hatte das Gericht einen Bericht des Klinikums E-Stadt betreffend eine stationäre Behandlung des Klägers im Juli 2015 eingeholt. Nach diesem Bericht haben sich die Bypasses bei der Herzkatheteruntersuchung offen gezeigt. Interventionsbedürftige Stenosen zeigten sich nicht. Auch beim HR-CT der Lunge zeigte sich ein weitgehend unauffälliger Befund.
Der Beklagte hielt nach versorgungsärztlicher Auswertung der neu vorgelegten Unterlagen weiterhin am bisherigen Vergleichsangebot fest. Für die Kniegelenke sei grenzwertig ein Einzel-GdB von 20 vertretbar. Insgesamt ergebe sich kein höherer GdB als 60, da bei der bisherigen Beurteilung der Ermessensbereich ausgeschöpft worden sei.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.04.2013 zu verpflichten, bei ihm ab 24.01.2013 einen GdB von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraus-setzungen für die Merkzeichen G, B und H festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit der Antrag über das Vergleichsangebot vom 27.08.2013 hinausgeht.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet. Der Beklagte war entsprechend seinem Vergleichsangebot vom 27.08.2013 unter Abänderung des Bescheides vom 11.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.04.2013 zu verpflichten, bei dem Kläger ab Antragstellung am 24.01.2013 einen GdB von 60 festzustellen. Soweit der Kläger einen höheren GdB als 60 (hierzu im Folgenden unter I.) und die Zuerkennung der Merkzeichen G, B und H (hierzu im Folgenden unter II.) begehrt, ist die Klage unbegründet.
I. Rechtsgrundlage für die Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG sowie der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (seit dem 01.07.2011 § 30 Abs. 16 BVG) erlassenen Rechtsverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung – Anl VersMedV -) entsprechend. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Zur Feststellung des GdB sind in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen Zuständen und den sich hieraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in der Anl VersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Aus dem hiernach festzustellenden Einzel-GdB ist in einem dritten Schritt, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (Teil A Nr. 3 c) Anl VersMedV), in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen ein Gesamt-GdB zu bilden. Dabei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) ee) Anl VersMedV).
Aufgrund der im Verwaltungs- und insbesondere im Klageverfahren eingeholten ärztlichen Berichte und Gutachten ist der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht hinreichend geklärt. Die vom Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.09.2015 vertretene Auffassung, es wären weitere Befundberichte seiner behandelnden Ärzte einzuholen gewesen, vermag das Gericht nicht zu teilen. Der Kläger hat dem Gericht mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.07.2013 und vom 30.09.2015 selbst umfangreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt. Die Einholung weiterer Befundberichte war daher entbehrlich.
Insgesamt ist der vom Beklagten vergleichsweise angebotene GdB von 60 den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers angemessen. Im Einzelnen:
1. Depression, Somatisierungsstörung, chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 40) Für stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gibt die Anl VersMedV in Teil B Nr. 3.7 einen GdB-Rahmen von 30 bis 40 vor. Dieser Rahmen kann angesichts der beim Kläger bestehenden Symptomatik durchaus ausgeschöpft werden. Für eine noch höhere Bewertung müsste eine schwere Störung mit zumindest mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen vorliegen. Eine schwere Störung beschreibt auch die Gutachterin nach § 109 SGG, Dr. D., nicht. Insbesondere ergibt sich eine solche nicht aus dem von ihr geschilderten psychischen Befund. Dementsprechend spricht Dr. D. zwar von einer "chronischen" Störung, aber nicht von einer "schweren" und schlägt auch selbst keinen höheren Einzel-GdB als 40 vor. Gegen das Vorliegen zumindest mittelgradiger sozialer Anpassungsstörungen spricht zudem, dass der Kläger täglich mit dem Bus in die Wärmestube des Deutschen Roten Kreuzes fährt, um sich dort – wie er dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. C. gegenüber geäußert hat – den ganzen Tag unterhält.
2. Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilata-tion, Stentimplantationen, Bypass, Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (Einzel-GdB 30) Aus den aktuellen Berichten des Dr. P. vom 08.07.2015 und des Klinikums E-Stadt vom 21.07.2015 ergibt sich ein stabiler Verlauf der Herzerkrankung mit nur leichtgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (Ejektionsfraktion 45 %) und geringgradiger Mitralklappeninsuffizienz. Insoweit ist der festgestellte Einzel-GdB von 30 gemäß Teil B Nr. 9.1.1 Anl VersMedV nicht einmal vollständig ausgefüllt.
3. Knorpelschäden am Kniegelenk rechts (Einzel-GdB 20) Hier ist aufgrund der fortgeschrittenen Arthrose auf der Innenseite des Gelenks, die sich bei einer Kernspintomographie am 27.06.2014 ergeben hat, ein Einzel-GdB von 20 vertretbar. Ein noch höherer GdB kommt gemäß Teil B Nr. 18.14 Anl VersMedV nicht in Betracht, zumal wesentliche Reizerscheinungen nicht dokumentiert sind.
4. Mittelnervendruckschädigung beidseits (Carpaltunnelsyndrom) (Einzel-GdB 10) Insoweit vermochte der gerichtliche Sachverständige Dr. C. bei seiner Untersuchung des Klägers keine Einschränkungen der Handfunktion festzustellen. Auch die Daumenballenmuskulatur imponierte als normal ausgeprägt. Bewegungseinschränkungen stärkeren Grades sind nicht dokumentiert, so dass gemäß Teil B Nr. 18.13 Anl VersMedV ein höherer Einzel-GdB als 10 nicht in Betracht kommt.
5. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach Halswirbelsäulenverletzung (Einzel-GdB 10) Im Entlassungsbericht der Waldburg-Zeil-Kliniken vom 22.01.2013 wird von einer gut beweglichen Wirbelsäule und allseits frei beweglichen Extremitäten berichtet. Dr. C. hat bei seiner Untersuchung des Klägers Anfang 2014 beobachtet, dass dieser beim An- und Auskleiden den Rumpf problemlos nach vorne beugen konnte und einen Finger-Boden-Abstand von 0 Zentimetern erreicht hat. Auf der Untersuchungsliege war dem Kläger ein Langsitz ohne Abstützung möglich, wobei mit den Fingern die Zehenspitzen fast erreicht wurden. Die neben der Wirbelsäule liegende Muskulatur imponierte als kräftig ausgebildet, die Wirbelsäule als frei entfaltbar. Dementsprechend finden sich im Röntgenbild der Lendenwirbelsäule allenfalls minimale Aufbraucherscheinungen, ebenso in der Kernspintomographie vom 06.05.2014. Im Bereich der Halswirbelsäule liegen deutlichere Aufbraucherscheinungen vor; Nervenwurzelreizerscheinungen oder statische Fehlstellungen sind jedoch bis heute nicht dokumentiert und ergeben sich auch nicht aus den vorgelegten Berichten des behandelnden Orthopäden Dr. B., zuletzt vom 27.11.2015, so dass hier gemäß Teil B Nr. 18.9 Anl VersMedV kein höherer Einzel-GdB als 10 zuerkannt werden kann.
6. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10) Hier sind wesentliche Beeinträchtigungen oder Auswirkungen auf Nachbarorgane nicht dokumentiert, so dass gemäß Teil B Nr. 10.1 Anl VersMedV ein höherer Einzel-GdB als 10 nicht in Betracht kommt.
7. Bronchialasthma (Einzel-GdB 10) Im Entlassungsbericht der Waldburg-Zeil-Kliniken vom 22.01.2013 ist dokumentiert, dass keine Lungenfunktionseinschränkung vorlag. Zwar haben sich nach dem Bericht des Dr. P. vom 08.07.2015 – bei allerdings "etwas eingeschränkter Mitarbeit" des Klägers – Hinweise auf eine restriktive Ventilationsstörung gezeigt, das am 24.07.2015 im E. durchgeführte Thorax-CT war dann aber unauffällig. Ein höherer Einzel-GdB als 10 wird gemäß Teil B Nr. 8.2 und 8.3 Anl VersMedV nicht erreicht.
8. Weitere Gesundheitsstörungen Hinweise für weitere Funktionsstörungen mit einem für die Bildung des Gesamt-GdB relevanten Ausmaß liegen nicht vor. Insbesondere kann kein weiterer Einzel-GdB für eine arterielle Verschlusskrankheit festgestellt werden. Der gerichtliche Sachverständige Dr. C. stellte bei der Untersuchung im Januar 2014 fest: "keine Ödembildung, kein Lymphstau". Der behandelnde Internist des Klägers Dr. P. berichtete unter dem 08.07.2015: "kein Anhalt für eine relevante pAVK".
9. Bildung des Gesamt-GdB Insgesamt ist derzeit ein höherer GdB als 60 nicht vertretbar. Der 40er-Wert für die psychischen Störungen kann wegen der Kniebeschwerden um 10 Punkte erhöht werden. Die Herzerkrankung füllt den in Ansatz gebrachten 30er-Wert nicht aus und kann nur zu einer weiteren Erhöhung um 10 Punkte führen. Weitere Gesundheitsstörungen mit Auswirkungen auf den Gesamt-GdB liegen nicht vor.
II. Die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen erfüllt der Kläger nicht. Im Einzelnen:
1. Merkzeichen G Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Anl VersMedV konkretisiert dies in Teil D, Nr. 1 Buchst. b) und d) wie folgt: Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Die Vor-aussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Die in Anl VersmedV Teil D, Nr. 1 Buchst. d) genannten Leiden liegen beim Kläger nicht vor, vgl. oben unter I. Beim Kläger bestehen nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme keine wesentlichen Funktionsdefizite der unteren Extremitäten. Soweit die Gutachterin nach § 109 SGG Dr. D. die Zuerkennung des Merkzeichens G empfiehlt, ist dies nicht mit den vorgenannten gesetzlichen Voraussetzungen in Einklang zu bringen, zumal Dr. D. ihre Einschätzung erkennbar nur auf die subjektiven Angaben des Klägers stützt. Entsprechende Befunde, die diese Angaben stützen könnten, vermochten weder der gerichtliche Sachverständige Dr. C. noch die vom Kläger nach § 109 SGG selbst benannte Gutachterin Dr. D. noch die behandelnden Ärzte des Klägers zu erheben. Auch der behandelnde Orthopäde des Klägers Dr. B. gibt in seinem Arztbrief vom 23.09.2015 nur die subjektiven Angaben des Klägers wieder, ohne diese objektivieren zu können.
2. Merkzeichen H Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf.
Sowohl der gerichtliche Sachverständige Dr. C. als auch die vom Kläger nach § 109 SGG selbst benannte Gutachterin Dr. D. sind zu der Einschätzung gelangt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H in der Person des Klägers nicht erfüllt sind. Auch aus den Berichten der behandelnden Ärzte des Klägers ergibt sich nichts anderes.
3. Merkzeichen B Die Zuerkennung des Merkzeichens B kommt – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – nach Anl VersMedV in Teil D, Nr. 2 nur bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen, in Betracht. Der Kläger gehört schon nicht zu dieser Personengruppe.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 05.03.2018
Zuletzt verändert am: 05.03.2018