Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. März 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Gefahrklasse 24 für die Gefahrtarifperiode vom 01. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1997 herabsetzen muss.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und betreibt ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Um die Beiträge ab dem 01. Januar 1995 zu berechnen, beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten am 07. Juli 1995 den Gefahrtarif 1995 (GT 1995). Dieser listet in Abschnitt I alle Unternehmensarten auf, für die die Beklagte sachlich zuständig ist, und ordnet sie einer bestimmten Gefahrentarifstelle zu. Die Gefahrtarifstellen sind – je nach Unternehmensart – in bestimmten Gefahrklassen unterteilt, die das Gefährdungsrisiko widerspiegeln. Die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung teilt der GT 1995 den Gefahrtarifstellen 23 und 24 zu. Die Gefahrtarifstelle 23 mit der Gefahrklasse 1,6 erfasst Beschäftigte, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten. Die übrigen Arbeitnehmer sind der Gefahrtarifstelle 24 zugeordnet, und zwar gestaffelt nach den Gefahrklassen 12,8 für das Kalenderjahr 1995, 15,8 für das Kalenderjahr 1996 und 18,8 für die Kalenderjahre 1997 bis 1999. In Teil II Nr. 1 ("Sonstige Bestimmungen") normiert der GT 1995, dass die Gefahrklassen des ersten Teils für alle Unternehmen einer Gefahrgemeinschaft mit regelrechter Betriebsweise, guten Einrichtungen und allen üblichen und durch die Unfallverhütungsvorschriften angeordneten Schutzvorkehrungen gelten. Ergibt sich in Einzelfällen, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise oder Betriebseinrichtung die Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterliegen als die, für die die Gefahrklasse im Teil I berechnet ist, so kann die Berufsgenossenschaft [BG] die Gefahrklasse um 10 bis 50 vom Hundert (v.H.) herabsetzen oder heraufsetzen (Teil II Nr. 2). Für diese Möglichkeit entwickelte die Beklagte Kriterien, die sie katalogisierte und ihren Mitgliedern aus dem Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung übermittelte: Die Gefahrklasse werde herabgesetzt, wenn das Unternehmen die sicherheitstechnischen Standards einhalte, seine Betriebsweise erheblich von der üblichen abweiche und deswegen die Unfallgefährdung wesentlich verringert werde. Wegen der einzelnen Prüfkriterien wird auf den "Kriterienkatalog" der Beklagten (Bl. 56 bis 63 der Gerichtsakte [GA]) verwiesen. Für die Frage, ob eine Betriebsweise erheblich von der üblichen abweicht, nennt dieser Kriterienkatalog u.a. "eine besondere Arbeitsschutzorganisation" (bAsO). Dieses Merkmal liegt vor, wenn neun weitere (Unter-) Kriterien erfüllt sind. Hinsichtlich dieser Unterkriterien wird auf Bl. 62 bis 64 der GA Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 01. August 1995 beantragte die Klägerin "die Gefahrenherabsetzung für das Kalenderjahr 1995". Mit Bescheid vom 27. Oktober 1995 veranlagte die Beklagte die Klägerin ab dem 01. Januar 1995 zu den Gefahrtarifstellen 23 und 24 des Gefahrtarifs 1995 (GT 1995), ohne die Gefahrklassen herabzusetzen. Dagegen erhob die Klägerin am 13. November 1995 Widerspruch. Am 26. Februar 1996 beantragte die Klägerin, ihre Beiträge für die Kalenderjahre 1996 bis 1999 herabzusetzen, weil sie ihre (Leih-)Arbeitnehmer dem jeweiligen Entleiher überdurchschnittlich lange überlasse und ihr Kundenstamm bei den Entleihern kaum wechsle. Dennoch forderte die Beklagte für die Kalenderjahre 1995, 1996 und 1997 den vollen Beitrag (Beitragsbescheide vom 26. April 1996, 25. April 1997 sowie vom 27. April und 11. Mai 1998).
Mit Bescheid vom 08. Oktober 1998 lehnte es die Beklagte ab, die Gefahrklassen herabzusetzen, weil das Unternehmen der Klägerin nicht erheblich von der üblichen Betriebsweise abweiche. Denn nach Angaben des Rechnungsprüfungsdienstes verleihe die Klägerin ihre Beschäftigten, bei denen es sich hauptsächlich um "Helfer" handele, in mindes-tens 30 Entleihbetriebe. In über 90% der Fälle habe sie ihre Arbeitnehmer weniger als 3 Monate überlassen. Eine geringere Unfallgefährdung sei deshalb nicht zu erkennen.
Dagegen erhob die Klägerin am 14. Oktober 1998 Widerspruch und führte aus, der GT 1995 sei aufgrund schwerwiegender Mängel rechtswidrig und damit nichtig. Im Übrigen seien ihre Personaldisponenten bzw. Niederlassungsleiter im Hinblick auf Unterweisung und sicherheitstechnische Betreuung der externen Mitarbeiter besonders geschult. Alle neuen Mitarbeiter erhielten eine Grundsatzunterweisung im Arbeitsschutz. Durch umfangreiche Arbeitsplatzbegehungen mit der Sicherheitsfachkraft prüfe sie, ob ihre Mitarbeiter persönliche Schutzausrüstungen trügen und an Arbeitsplätzen eingesetzt würden, die ihrer Qualifikation entsprächen.
Nachdem die Beklagte hierzu eine Stellungnahme des Präventionsstabes eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch vom 14. Oktober 1998 gegen den Bescheid vom 08. Oktober 1998 durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1999 zurück: Der Unternehmer sei bereits aufgrund der Unfallverhütungsvorschriften verpflichtet, seine Mitarbeiter im Arbeitsschutz zu unterweisen und zu kontrollieren. Dass der Verleiher dem Entleiher wiederholt dieselben Leiharbeitnehmer überlasse, sei durchaus branchenüblich. Eine abweichende Betriebsweise sei daher nicht erkennbar, wobei die Qualifikation der Leiharbeitnehmer hierauf keinen Einfluss habe.
Dagegen hat die Klägerin am 02. Juli 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben und vorgetragen, sie erfülle alle Voraussetzungen des Kriterienkatalogs. Denn sie unterweise ihre Mitarbeiter im Arbeitsschutz, erläutere ihnen vor jedem Neueinsatz die spezifischen Arbeitsbedingungen und führe umfangreiche Arbeitsplatzbegehungen durch, um die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu überprüfen. Ferner setzte sie 60 bis 70% ihrer Mitarbeiter in der Möbelindustrie ein. Auch wenn sie Mitarbeiter an verschiedene Unternehmen verleihe, seien ihnen die Arbeitsabläufe vertraut, weil sie immer im selben Arbeitsvorgang eingesetzt würden. Der Einsatz erfolge zu 90% bei einem ihrer 30 Stammentleiher, wobei die Verweildauer im Durchschnitt 8 Monate betrage. Außerdem seien im maßgeblichen Zeitraum ausschließlich deutsche Arbeitnehmer beschäftigt worden, so dass eine optimale Unterweisung möglich gewesen sei. Dass bis zu 10% der Unternehmen diesen Kriterienkatalog erfüllten, hindere nicht die Annahme eines Einzelfalls. Denn die Beklagte habe etwa 30% aller Unternehmen eine Herabsetzung von mindestens 20% gewährt. Im Übrigen müsse sie – die Klägerin – genauso behandelt werden wie die Unternehmen, mit denen sich die Beklagte auf der Grundlage einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig-Holstein vom 06. Februar 2002 (Az: L 8 U 55/01) verglichen habe. Insgesamt sei eine Herabsetzung von 40% gerechtfertigt.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Regelgefahrklasse für alle Unternehmen mit gewöhnlichen Betriebsverhältnissen gelte. Die Einrichtungen und Vorkehrungen zur Verhütung von Unfällen müssten dem Stand der Technik entsprechen. Wer die Unfallverhütungsvorschriften einhalte, Vorkehrungen zur Prävention treffe und gute Arbeitsschutzkonzepte habe, könne allein deshalb nicht verlangen, dass die Gefahrklasse herabgesetzt werde. Vielmehr müsse die Betriebsweise der Klägerin von den Betriebsabläufen und -einrichtungen erheblich abweichen, die bei Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen üblich seien. Nicht zur Betriebsweise gehörten Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen, Organisation der Steuerungsinstrumente, persönliche Eigenschaften der im Unternehmen Tätigen sowie besondere Unfallverhütungsmaßnahmen oder die Einhaltung von Arbeitsschutznormen. Die Unfallverhütung und der Arbeitsschutz könnten allenfalls im Rahmen der Vorschriften über Beitragszuschläge und -nachlässe oder Prämien berücksichtigt werden. Deshalb könne der Umstand, dass Mitarbeiter eine Grundsatzunterweisung im Arbeitsschutz erhielten, die Qualifikation der Mitarbeiter überprüft werde und regelmäßig Arbeitsplatzbegehungen stattfänden, keine von der üblichen erheblich abweichende Betriebsweise rechtfertigen. Im Übrigen sei bei der Klägerin keine besondere Arbeitsschutzorganisation festzustellen, weil z.B. kein Betriebsarzt bestellt und ausgebildete Personalentscheidungsträger nur zeitweise vorhanden gewesen seien. Auf vergleichsweise Regelungen mit anderen Unternehmen könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Herabsetzungsbestimmungen gälten nur für ganz außergewöhnliche, extreme Ausnahmefälle und seien auf wenige Einzelfälle beschränkt.
Mit Urteil vom 23. März 2004 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Voraussetzungen für die Herabsetzung der Gefahrklasse lägen nicht vor, weil das Unternehmen der Klägerin nicht erheblich von der üblichen Betriebsweise abweiche. Unter dem Begriff der "Betriebsweise" seien nur die tatsächlichen Arbeitsabläufe und die Unfallgefahren zu fassen. Unfallverhütungsmaßnahmen und -schutzvorkehrungen gehörten nicht dazu und könnten nur beim Beitragsausgleichsverfahren berücksichtigt werden. Schon deshalb könne sich die Klägerin im Beitragsherabsetzungsverfahren nicht darauf berufen, dass sie alle Arbeitsschutzvorschriften eingehalten und eine besondere Arbeitsschutzorganisation eingerichtet habe. Es sei auch rechtswidrig, dass die Beklagte die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften in ihrem Kriterienkatalog als besondere Betriebsweise angesehen habe. Soweit die Klägerin geltend mache, sie arbeite schon seit vielen Jahren mit wenigen ausgesuchten Entleihern zusammen, überlasse ihnen ihre Mitarbeiter vergleichsweise lange und nur für Tätigkeiten, die dem erlernten Beruf entsprächen, könne dies keine abweichende Betriebsweise rechtfertigen. Der Begriff der "erheblich abweichenden Betriebsweise" sei eng auszulegen und nur auf wenige Einzelfälle beschränkt, weil ansonsten die Gefahr bestehe, dass die Tarifstellenstruktur ausgehöhlt und die Gefahrklassenberechnung entwertet werde. Deshalb seien Abweichungen von der normalen Gefahrklasse nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich. Ein derartiger Fall liege bei der Klägerin nicht vor.
Nach Zustellung am 13. Mai 2004 hat die Klägerin gegen dieses Urteil am 04. Juni 2004 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie habe einen Anspruch auf Gleichbehandlung, weil die Beklagte allen Unternehmern, die die unterlassene Herabsetzung für 1995 bis 1997 durch Widerspruch und Klage angegriffen hätten, eine Herabsetzung von 6% gewährt habe. Dabei habe es keine Rolle gespielt, ob das jeweilige Unternehmen alle Sicherheitskriterien erfüllt habe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. März 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1999 zu verpflichten, die Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 24 für die Gefahrtarifperiode vom 01. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1997 um 20 vom Hundert herabzusetzen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte (Az: 000) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid vom 08. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1999 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist. Denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 24 für die Gefahrtarifperiode vom 01. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1997 um 20 v.H. herabzusetzen (Hauptantrag). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Herabsetzungsanträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (Hilfsantrag).
Ob die Beitragserhebung in der gesetzlichen Unfallversicherung rechtmäßig ist, richtet sich bis zum 31. Dezember 1996 nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) und für die anschließende Zeit nach dem Siebten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VII). Denn nach § 219 SGB VII, der am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, sind die Vorschriften des SGB VII erstmals für das Haushaltsjahr 1997 anzuwenden. Das SGB VII hat das Beitragsrecht in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht grundlegend geändert, sondern das zuvor geltende Recht der RVO im Wesentlichen übernommen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/2204, S. 73, 110, 112), wie auch das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden hat (BSG, Urteile vom 06. Mai. 2003, B 2 U 7/02 R, SozR 4-2700 § 162 Nr. 1 und B 2 U 17/02 R , HVBG-Info 2003, 2003ff. sowie vom 22. Juni 2004, B 2 U 39/03 R, ZfS 2004, 238).
Die Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der jeweiligen BG, den Arbeitsentgelten der Versicherten im jeweiligen Unternehmen und dem Grad der Unfallgefahr, die sich in der Gefahrklasse ausdrückt (vgl. §§ 723 Abs. 1, 725 Abs. 1, 730 RVO, §§ 150 Abs. 1, 153 Abs. 1, 157 Abs. 3 SGB VII). Sie werden auf Grundlage des Gefahrtarifs erhoben, den die jeweilige BG als autonomes (Satzungs-)Recht erlässt (§§ 730, 734 Abs. 1 RVO; § 157 Abs. 1 bis 3 SGB VII). Dieser Gefahrtarif war nach § 731 Abs. 1 RVO alle fünf Jahre nachzuprüfen und darf nach § 157 Abs. 5 SGB VII höchstens sechs Jahre gelten. Nach dem Gefahrtarif sind die Unternehmen für die Tarifzeit zu den Gefahrklassen zu veranlagen (§ 734 Abs. 1 RVO, § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle haben die BGen Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen (§ 725 Abs. 2 Satz 1 RVO, § 162 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen – nach der RVO: Kosten – der Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (§ 725 Abs. 2 Satz 3 RVO, § 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Die sog. Wegeunfälle (§ 550 RVO, § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII) bleiben dabei außer Betracht (§ 725 Abs. 2 Satz 2 RVO, § 162 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Außerdem können die Unfallversicherungsträger unter Berücksichtigung der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen Prämien gewähren (§ 725 Abs. 1 Satz 4 RVO, § 162 Abs. 2 SGB VII). Der neue § 162 Abs. 1 SGB VII übernimmt im Wesentlichen das bisher geltende Recht des § 725 Abs. 2 RVO (BT-Drucks., a.a.O., S. 112). Der Neuregelung, dass das Nähere über das Zuschlags-Nachlass-Verfahren in "der" oder, da BGen nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGB VII mehrere Satzungen erlassen dürfen, "einer" Satzung zu erfolgen hat, wird durch eine Regelung in dem als Satzung beschlossenen Gefahrtarif Rechnung getragen (BSG SozR 4-2700 § 162 Nr. 1; BSG, HVBG-Info 2003, 2003ff.).
Das BSG hat für die Auslegung des § 162 Abs. 1 SGB VII auf seine bisherige Rechtsprechung zu § 725 Abs. 2 RVO zurückgegriffen (BSG, a.a.O.). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Danach gilt folgendes: Die BG muss ein Zuschlags-Nachlass-Verfahren einführen, wobei sie aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Sachnähe im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Die Gerichte entscheiden nicht, ob das beschlossene Verfahren die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung ist (BSG, Urteil vom 15. Dezember 1982, Az: 2 RU 61/81, SozR 2200 § 809 Nr. 1). Das Verfahren muss Zuschläge und Nachlässe von wirtschaftlichem Gewicht vorsehen (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1984, Az: 2 RU 31/83, SozR 2200 § 725 Nr. 10). Grenzen sind das Versicherungsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot), der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet (BSG SozR 2200 § 725 Nr. 10). Das Verfahren soll den Unternehmer anspornen, sich verstärkt für die Unfallverhütung einzusetzen. Nach den Kriterien für die Höhe der Zuschläge und Nachlässe ("Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle") ist das tatsächliche objektive Unfallgeschehen als Folge der durch den Betrieb bedingten Gefahrenlage ausschlaggebend (BSG, Urteil vom 5. August 1976, Az: 2 RU 231/74, SozR 2200 § 548 Nr. 22).
Im Teil II Nr. 2 sieht der GT 1995 vor: "Ergibt sich in Einzelfällen, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise die Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterliegen als die, für welche die Gefahrklasse im Teil I berechnet ist, so kann die Berufsgenossenschaft die Gefahrklasse um 10 bis 50 vom Hundert herabsetzen oder heraufsetzen". Diese Regelung in den Gefahrtarifen der Beklagten ist sowohl mit § 725 Abs. 2 RVO als auch mit § 162 Abs. 1 SGB VII vereinbar, wie das BSG mehrfach entschieden hat (zuletzt Urteil vom 11. November 2003, Az: B 2 U 55/02 R, HVBG-Info 2004, 62, 68 ff.; BSG SozR 4-2700 § 162 Nr. 1; BSG, HVBG-INFO 2003, 2003 ff.; s. BSG, Urteile vom 21. August 1991, Az: 2 RU 54/90, NZA 1992, 335 f. und vom 14. Dezember 1967, Az: 2 RU 60/65, SozR Nr. 1 zu § 730 RVO). Die Voraussetzungen für eine Herauf- oder Herabsetzung sind erfüllt, wenn in Abweichung vom "Normalfall" eines Unternehmens mit regelrechter Betriebsweise, guten Einrichtungen und allen üblichen und durch die Unfallverhütungsvorschriften angeordneten Schutzvorkehrungen bei einem einzelnen Unternehmen eine Betriebsweise vorliegt, die von der in dem betreffenden Gewerbezweig üblichen nicht unerheblich abweicht und zu einer von dem "normalen" Unternehmen nicht unwesentlich geminderten oder erhöhten Gefahrenlage führt (BSG SozR Nr. 1 zu § 730 RVO und BSG, NZA 1992, 335 f.). Nur besondere betriebliche Gegebenheiten können es rechtfertigten, ein Unternehmen abweichend von der Gefahrklasse zu veranlagen, die im Teil I des Gefahrtarifs vorgesehen ist (vgl. BSG SozR Nr. 1 Zu § 730 RVO). Diese Korrekturmöglichkeit ist auf Einzelfälle beschränkt. Sie darf nicht dazu führen, für eine bestimmte Art von Unternehmen, die einer bestimmte Gefahrtarifstelle zugeordnet wurden, über den Weg der Herabsetzung eine niedrigere Gefahrklasse festzusetzen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 162 Nr. 1; BSG, HVBG-Info 2003, 2003 ff. sowie HVBG-Info 2004, 62 ff.).
Ob die BG im konkreten Einzelfall die Gefahrklasse herabsetzt, steht nicht in ihrem Ermessen (BSG, HVBG-Info 2004, 62 ff.). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen "Einzelfall", "erheblich abweichende Betriebsweise", "geringere Unfallgefahr" und der Ursachenzusammenhang zwischen den beiden letzten Voraussetzungen ("wegen") vor, muss die Gefahrklasse herabgesetzt werden (gebundene Entscheidung). Ob diese Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, hat der Senat in vollem Umfang zu überprüfen (so auch LSG Niedersachsen, Urteil vom 09. Januar 2001, Az L 6 U 313/99, Breithaupt 2001, 340 ff; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2002, L 17 U 632/99; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Januar 2003, Az: L 2 U 207/01). Der gegenteiligen Meinung des LSG Schleswig-Holstein (Urteil vom 06. Februar 2002, Az L 8 U 55/01), wonach dem Unfallversicherungsträger insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, folgt der Senat nicht (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2003, Az: L 17 U 199/02). Soweit der GT auf der Rechtsfolgenseite den Begriff "kann" verwendet, ist dies nicht als Ermessens-, sondern als "Kompetenz-Kann" zu verstehen (BSG, a.a.O.). Aus dem weiten Rahmen (10 bis 50 v.H.) für die Herab- bzw. Heraufsetzung und den fehlenden Bemessungskriterien ist allerdings zu folgern, dass die BG über die Höhe der Herabsetzung nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, insoweit also ein Auswahlermessen besteht (BSG, a.a.O.; vgl. auch Ricke in: Kasseler Kommentar, § 730 RVO Rn. 19 und § 157 SGB VII Rn. 17).
Nach diesen Grundsätzen hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Gefahrklasse für das Unternehmen der Klägerin herabzusetzen und die Beiträge dementsprechend neu festzusetzen. Denn das Tatbestandsmerkmal einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise ist nicht erfüllt. Folglich kommt es auf das Bestehen der weiteren Merkmale und eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht mehr an.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Dass ihr Unternehmen dieser Gattung angehört, stellt sie nicht in Abrede. Die Klägerin entfaltet auch keine Aktivitäten, die für ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung untypisch wären. Denn sie "verleiht" gegen Entgelt an andere Unternehmen (vorwiegend aus der Möbelindustrie) Arbeitskräfte, die dort Waren (Möbel) herstellen. Dabei setzt sie keine Arbeits- oder Produktionsmethoden ein, die für den Gewerbezweig der Arbeitnehmerüberlassung ungewöhnlich wären.
Kennzeichnend für die Betriebsweise eines Unternehmens ist die Art und Weise, wie es seinen Unternehmenszweck verwirklicht. Maßgebend sind die jeweiligen Betriebsabläufe, die durch Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften nicht berührt werden (Senatsurteil, a.a.O.; Schulz, SGB 1993, 402, 404). Soweit die Beklagte für den GT 1995 einen Kriterienkatalog aufgestellt und die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften als besondere Betriebsweise angesehen hat, entsprach dies – wie das SG zu Recht erkannt hat – nicht der Rechtslage (Senatsurteil, a.a.O.). Vielmehr liegt eine "erheblich abweichende Betriebsweise" nur vor, wenn sie bei Betrieben derselben Art in der Regel nicht vorkommt (LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Wer aber an Maßnahmen der besonderen Arbeitsschutzorganisation teilnimmt (Unternehmerseminar, Ausbildung der Personalentscheidungsträger, Fachkraft für Arbeitssicherheit, hauptberufliche Sicherheitsfachkraft, Dokumentation, Integration der Arbeitsschutzvereinbarungen in den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, Arbeitsplatzbesichtigungen, Unfallauswertung, Unterweisung der Leiharbeitnehmer), weicht allein damit nicht von der Betriebsweise anderer Betriebe ab.
Auch die übrigen Gesichtspunkte, die die Klägerin geltend gemacht hat, können die Annahme einer abweichenden Betriebsweise keinsfalls rechtfertigen. Denn die Verweildauer von Leiharbeitnehmern, die Facharbeiterquote, die Zahl der Stammkunden, etwaige Arbeitsplatzkontrollen und der qualifikatonsgerechte Einsatz der Leiharbeitnehmer stellen keine abweichende Betriebsweise dar. Ungeachtet dessen unterschied sich die Überlassungsdauer im Unternehmen der Klägerin nicht wesentlich von anderen Leiharbeitsunternehmen, wie die Beklagte substantiiert vorgetragen hat. Denn die durchschnittliche Beschäftigungsdauer eines 1996 angestellten Leiharbeitnehmers betrug nur 168 Kalendertage und damit weniger als sechs Monate; die durchschnittliche Überlassungsdauer betrug nur 27 Tage. Diesen Ermittlungen der Beklagten ist die Klägerin nicht mit substantiierten Einwänden entgegengetreten. Der Prozentsatz der überlassenen Helfer, die nicht als "Facharbeiter" zu qualifizieren sind, lag (im Mittelwert) bei 64,55%, so dass sich auch hieraus keine wesentlich abweichende Betriebsweise ableiten lässt. Angesichts der relativ hohen Zahl von Stammkunden (30), an die die Klägerin ihre Arbeitnehmer "verleiht", hält sich ihr Betrieb auch noch innerhalb des Spektrums der vielfältigen Möglichkeiten einer üblichen Betriebsweise. Soweit die Klägerin angibt, sie kontrolliere ihre Mitarbeiter bei Kundenbesuchen, überwache und erläutere dabei Unfallverhütungsmaßnahmen und fertige entsprechende Berichte, kann hieraus nicht auf eine grundsätzlich abweichende Betriebsweise geschlossen werden. Dasselbe gilt für die Behauptung der Klägerin, sie prüfe in jedem Einzelfall, ob der Entleiher den Leiharbeitnehmer qualifikationsgerecht einsetze. Insgesamt betrachtet handelt es sich bei der Betriebsweise des Unternehmens der Klägerin noch um eine Variante der üblichen Betriebsweise, jedenfalls weicht sie nicht erheblich davon ab. Wer bei Mitgliedsunternehmen mit dieser Betriebsvariante die Gefahrklasse herabsetzen würde, schüfe im Kern eine neue, im Gefahrtarif bisher nicht vorgesehene Gefahrklasse für eine bestimmte Art von Unternehmen. Eine solche Möglichkeit eröffnet Teil II Nr. 2 des GT 1995 aber gerade nicht (vgl. BSG SozR 4-2700 § 162 Nr. 1).
Im Übrigen ist auch das Tatbestandsmerkmal des "Einzelfalls" nicht erfüllt, weil die Beklagte – nach dem Vortrag der Klägerin – bis zum 31. Dezember 1997 etwa 30% der Unternehmen eine Herabsetzung von mindestens 20% gewährt hat, die sich dem Präventionssystem angeschlossen hatten. Auch deshalb kann der Herabsetzungsantrag keinen Erfolg haben.
Schließlich kann die Klägerin auch nicht verlangen, mit den Unternehmen gleichgestellt zu werden, denen die Beklagte eine Herabsetzung von 6% gewährte, obwohl die Tatbestandsvoraussetzungen angeblich nicht erfüllt waren. Indem die Beklagte der Klägerin den Abschluss eines entsprechenden Vergleichsvertrags (§ 54 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X]) verweigert, verstößt sie nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG]). Er gebietet, alle Menschen (und alle inländischen juristischen Personen, Art. 19 Abs. 3 GG) vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Handelt die Verwaltung aber rechtswidrig und begünstigt sie Einzelne zu Unrecht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, so lässt sich daraus kein Anspruch auf Fehlerwiederholung herleiten. Denn es gibt keine "Gleichheit im Unrecht" (Beschluss vom 17. Januar 1979, Az: 1 BvL 25/77, BVerfGE 50, 142, 166; BVerwG, Urteil vom 16. März 1977, Az: VIII C 72.75, BVerwGE 92, 153, 157; Jarass/ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [Kommentar], 7. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 36; Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1992, Band V, S. 1003f.). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG, der die Gleichheit "vor" und nicht "entgegen" dem Gesetz garantiert. Andernfalls würde die rechtswidrige Verwaltungspraxis über den Gleichheitssatz gesetzesändernd wirken, was mit dem Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar wäre (vgl. auch Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 20 Rn. 41). Die Verwaltung könnte – bewusst oder unbewusst – Gesetze unrichtig anwenden, auf diese Weise durch eine fehlerhafte Rechtsanwendung geltendes Recht verdrängen und sich faktisch eine Gesetzgebungskompetenz verschaffen. Dann wäre die Rückkehr zu einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis praktisch unmöglich, weil die Behörde auch in allen weiteren Fällen nach ihrer rechtswidrigen Praxis verfahren müsste. Dies hätte letztlich auch Folgen für die Gerichte, weil sie entgegen Art. 20 Abs. 3 GG nicht mehr an Gesetz und Recht, sondern an das tatsächliche Handeln der Verwaltung gebunden wären. Folglich kann sich die Klägerin nicht auf rechtswidrige Parallelfälle berufen und eine entsprechende "Gleichbehandlung" fordern.
Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Teils II Nr. 2 GT 1995 fehlen, war der Ermessensspielraum im Hinblick auf eine Herabsetzung der Gefahrklasse nicht eröffnet. Haupt- und Hilfsantrag konnten daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 4 Satz 1 SGG in ihrer bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes; vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 05. Mai 2003, Az: B 13 SF 5/02 S, SozR 4-1500 § 183 Nr. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 8. Aufl. 2005, Vor § 183 Rn. 12).
Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des BSG ab und die Rechtssache hat auch deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil der GT 1995 bereits außer Kraft getreten ist und entsprechende Regelungen in den neuen Gefahrtarifen der Beklagten fehlen.
Erstellt am: 14.11.2005
Zuletzt verändert am: 14.11.2005