Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.03.2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs auf Insolvenzgeld.
Der am 00.00.1988 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.12.2008 als Industriekaufmann bei der Fa. O GmbH & Co. KG in W mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von brutto 1.750,73 EUR beschäftigt. Am 13.08.2007 schlossen Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. (nachfolgend METALL NRW), vertreten durch den Verband Münsterländischer Metallindustrieller e.V. (nachfolgend VMM) und die IG Metall, Bezirksleitung NRW (nachfolgend IG Metall) im Hinblick auf die Firma Gebr. O GmbH & Co. KG einen "Sanierungstarifvertrag gem. Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung". In dessen Präambel heißt es:
"Diese Tarifvereinbarung dient der weiteren wirtschaftlichen Stabilisierung der Firma Gebr. O GmbH & Co. KG. Ziel dieser Vereinbarung ist es, das Unternehmen in die Lage zu versetzen, die bestehenden Arbeitsplätze am Standort in W zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hierzu vereinbaren die Parteien in Anwendung des § 6 des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung vom 30.09.2005 (TV Besch) nachfolgende Regelungen:"
Der STV enthielt u.a. folgende Regelungen:
"( …)
2. Lohn- und Gehaltserhöhungen:
Die Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen werden mit Wirkung ab 01.06.2007 um 4,1% sowie mit Wirkung ab 01.06.2008 um weitere 1,7% erhöht.
Eine Anrechnung der Tariflohnerhöhung 2007/2008 findet auf die übertariflichen Zulagen nicht statt.
In Abweichung von §§ 2, 6, 7 des Lohnrahmenabkommens vom 8. Mai 2007, §§ 2, 5, 6 des Gehaltsrahmenabkommens vom 8. Mai 2007 sowie §§ 2, 3, 4 des Ausbildungsvergütungsabkommens vom 8. Mai 2007 entfallen der Pauschalbetrag für die Monate April und Mai 2007 sowie der Einmalbetrag für die Tarifperiode Juni bis Oktober 2008 in voller Höhe.
3. Zusätzliche Urlaubsvergütung – Teil eines 13. Monatseinkommens
( …)
Der Anspruch auf einen Teil des 13. Monatseinkommens gem. Tarifvertrag 13. Monatseinkommen (TV 13. ME) für die Kalenderjahre 2007/2008 wird durch eine einheitliche Zahlung in Höhe von jeweils 880,00 EUR brutto erfüllt. Teilzeitbeschäftigte haben einen Anspruch auf anteilige Zahlung.
( …).
9. Inkrafttreten/Laufzeit
Der Tarifvertrag tritt rückwirkend zum 1. Juni 2007 in Kraft und endet ohne Nachwirkung mit Ablauf des 31.12.2008.
Eine Kündigungsklausel enthielt der STV nicht.
Der TV 13. ME vom 11.12.1996 sah für Arbeitnehmer nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit hingegen eine Sonderzahlung in Höhe von 55% der Monatsvergütung vor (§ 2 Ziffer 2.2.). Das Gehaltsrahmenabkommen vom 08.05.2007 bestimmte für die erste Tarifperiode ab dem 01.06.2007 bis zum 31.05.2008 eine lineare Tariferhöhung um 4,1% und für die vom 01.06.2008 bis zum 31.10.2008 laufende zweite Tarifperiode eine weitere lineare Tariferhöhung um 1,7%. Zudem sah das Gehaltsrahmenabkommen vom 08.05.2007 vor, dass die Beschäftigten für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 31.10.2008 mit der Abrechnung für August 2008 zusätzlich einen Einmalbetrag in Höhe von 3,98% ihres Tarifeinkommens erhalten sollten.
§ 6 des zwischen METALL NRW und der IG Metall geschlossenen TV Besch vom 20.11.2000 hat folgenden Inhalt:
Die Tarifvertragsparteien werden sich, wie bisher, in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz darum bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden, um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten.
Am 13.11.2008 kam zwischen METALL NRW und der IG Metall mit Wirkung zum 01.11.2008 ein neues Lohnabkommen zustande. Dieses enthielt in § 6 u.a. folgende Regelung:
Für die Monate November und Dezember 2008 sowie Januar 2009 erhalten die gewerblichen Arbeitnehmer gem. §§ 2 Nr. 1, 3 Nr. 1 einen Pauschalbetrag in Höhe von insgesamt 510 Euro brutto nach Maßgabe folgender Bestimmungen: ( …).
Mit Beschluss vom 31.10.2008 ordnete das Amtsgericht N (AG) im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gebr. O GmbH & Co. zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21 ff. InsO an und bestellte u.a. einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des AG vom 31.10.2008 Bezug genommen (Aktenzeichen 000).
Nachdem Bemühungen der VMM auf eine einvernehmliche Aufhebung des Sanierungstarifvertrages gescheitert waren, erklärte die IG Metall mit an den VVM gerichtetem Schreiben vom 18.11.2008 "aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (Insolvenz)" die fristlose Kündigung des Sanierungstarifvertrages.
Mit Beschluss vom 01.01.2009 eröffnete das AG über das Vermögen der Fa. O GmbH & Co. KG das Insolvenzverfahren.
Der Kläger beantragte am 17.12.2008 die Gewährung von Insolvenzgeld. Nach einer von der Beklagten eingeholten Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters standen dem Kläger für Oktober 2008 noch offenes Arbeitsentgelt in Höhe von 1.777,32 EUR brutto (1.183,51 EUR netto), für November 3.228,51 EUR einschl. einer Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) von 880,- EUR (1.895,10 EUR netto) und für Dezember 2.214,63 EUR brutto (1.396,23 EUR netto) zu. Die für Oktober und November 2008 zu leistenden Arbeitsentgelte seien durch die Sparkasse X vorfinanziert worden. Nicht ausgezahlt sei das Entgelt für den Monat Dezember 2008.
In der Summe der bescheinigten Nettobeträge von 4.474,84 EUR erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 04.02.2009 einen Anspruch auf Insolvenzgeld an und bewilligte dem Kläger unter Berücksichtigung der vorfinanzierten Beträge noch ein Insolvenzgeld von 1.396,23 EUR.
Der Höhe des Insolvenzgeldanspruchs widersprach der Kläger am 02.03.2009 und machte geltend, die tarifliche Sonderzahlung gem. Ziffer 2.TV 13. ME sei nicht in zutreffender Höhe berücksichtigt worden. Schließlich fehle der Pauschalbetrag für November und Dezember 2008, der ihm aufgrund des Änderungstarifvertrages vom 13.11.2008, gültig ab 01.11.2008 in Höhe von je 170,- EUR monatlich zugestanden habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Insolvenzgeld sei in Höhe des von dem Insolvenzverwalter bescheinigten ausstehenden Nettoarbeitsentgelts anerkannt worden. Der für die Laufzeit von 01.06.2007 bis 31.12.2008 abgeschlossene Sanierungstarifvertrag vom 13.08.2007 schließe für seine Laufzeit vom 01.06.2007 bis zum 31.12.2008 die Zahlung eines über 880,- EUR hinausgehenden 13. Monatseinkommens aus. Ebenso komme nach dem Inhalt des Sanierungstarifvertrages eine Berücksichtigung der in § 6 des Lohnabkommens vom 13.11.2008 vereinbarten Pauschalbeträge für November und Dezember 2008 nicht in Betracht. Zweck des Sanierungstarifvertrages sei gewesen, für einen bestimmten Zeitraum die Liquidität des Unternehmens durch einen Verzicht auf bestehende tarifliche Ansprüche, insbesondere auf Pauschal- und Einmalbeträge zu stärken. Diesem Zweck widerspräche es, wenn nach Abschluss des Sanierungstarifvertrages beschlossene Tariferhöhungen für Monate innerhalb der Laufzeit wirksam werden könnten. Der befristete Sanierungstarifvertrag enthalte keine Rücktritts- oder Kündigungsklausel und sei daher nicht wirksam durch die IG Metall Bocholt am 18.11.2008 mit der Folge gekündigt worden, dass für die Ausfallmonate Oktober bis Dezember 2008 die vereinbarten Kürzungen keinen Bestand hätten.
Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04.03.2009 (B 11 AL 8/08 R) habe ein Fall zugrunde gelegen, in dem ein rückwirkendes Kündigungsrecht unter bestimmten Voraussetzungen vertraglich vereinbart worden sei. Das Fehlen einer solchen Klausel lasse darauf schließen, dass die Vertragsparteien das Risiko des Scheiterns der Sanierung und die damit verbundenen Folgen für die Höhe des Insolvenzgeldes in Kauf genommen hätten. Deshalb scheide auch die Kündigung aus wichtigem Grund oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus.
Am 12.11.2009 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Münster Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, höheres Insolvenzgeld unter Berücksichtigung weiterer Lohnbestandteile von 422,90 EUR brutto beanspruchen zu können. Unabhängig davon, ob der Sanierungstarifvertrag ein Kündigungsrecht vorsehe, habe der IG Metall ein wichtiger Grund zu dessen fristlosen Kündigung zugestanden. Eine außerordentliche Kündigung sei nämlich aus wichtigem Grund gem. § 314 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) grundsätzlich zulässig. Dieser habe sich aus den nach Tarifvertragsabschluss eingetretenen wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Beschluss des AG von 31.10.2008 ergeben, so dass die Geschäftsgrundlage des Sanierungstarifvertrages entfallen sei. Zur Begründung hat der Kläger auf die Präambel des Sanierungstarifvertrages verwiesen, wonach dieser die Sicherung der bestehenden bzw. die Schaffung neuer Arbeitsplätze bezweckt habe. Geschäftsgrundlage sei die Arbeitsplatzsicherung durch den Verzicht auf diverse tarifvertraglich vereinbarte Lohnbestandteile gewesen. Ohne die Sicherungsabsicht wäre es nicht zu einem Verzicht auf die tarifvertraglichen Lohnbestandteile gekommen. Aufgrund des Beschlusses des AG vom 31.10.2008 sei es zu einer wesentlichen Änderung der bei Vertragsschluss vorliegenden Umstände gekommen, so dass eine fristlose Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zulässig gewesen sei. Aufgrund der damit entfallenen Wirksamkeit des Sanierungstarifvertrages könne er als 13. Monatsgehalt noch einen Bruttobetrag von 82,90 EUR beanspruchen. Tarifvertraglich habe nämlich ein Anspruch auf diese Zahlung in Höhe von 55% des Monatsentgelts von 1.750,73 EUR bestanden, den die Beklagte lediglich im Umfang von 880,00 EUR anerkannt habe.
Mindestens könne er allerdings den in § 6 des Lohnabkommens vom 13.11.2008 mit Wirkung ab dem 01.11.2008 vereinbarten Pauschalbetrag für die Monate November und Dezember 2008 beanspruchen. Ziffer 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages regele nämlich nur einen Verzicht auf Beträge für die Tarifperiode Juni bis Oktober 2008. Der tarifvertraglich vereinbarte Pauschalbetrag für die Monate November und Dezember 2008 sei hiernach nicht ausgeschlossen worden. Generell sei sanierungstarifvertraglich eine Feststellung über noch abzuschließende Lohnabkommen nicht getroffen worden. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lohnabkommens vom 13.11.2008 sei bereits ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden. Eine Auslegung des Sanierungstarifvertrages dahingehend, die Liquidität des Unternehmens nicht durch Einmal- bzw. Pauschalbeträge zu belasten – auch nicht durch nachfolgende Tarifabschlüsse – gehe insoweit fehl, als von einer Liquidität des Unternehmens zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses vor dem Hintergrund des bevorstehenden Insolvenzverfahrens nicht mehr gesprochen werden könne. Der primäre Zweck des Sanierungstarifvertrages, nämlich der Erhalt von Arbeitsplätzen bzw. die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 04.02.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.12.2008 höheres Insolvenzgeld unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Bruttoarbeitsentgelts von 422,90 EUR zu gewähren, hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Der Sanierungstarifvertrag sei nur für einen begrenzten Zeitraum bis zum 31.12.2008 abgeschlossen worden. Eine Kündigung oder Rücktrittsregelung für den Fall der drohenden oder eingetretenen Insolvenz sei abweichend von anderen Fällen, auf die sich der Kläger berufen habe, nicht aufgenommen worden. Nicht vorstellbar sei, dass ein Kündigungsrecht angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens vergessen worden sein soll. Im Übrigen folge aus der mit Beschluss des AG vom 31.10.2008 angeordneten Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht, dass eine Sanierung und ein Erhalt der Arbeitsplätze nicht mehr erreicht werden könne. Schon deswegen liege in der vorläufigen Bestellung eines Insolvenzverwalters weder ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung des Tarifvertrages, noch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Insolvenzverwalter teile diese Auffassung und sei im Übrigen nicht bereit, höheres insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt zu bescheinigen.
Mit Urteil vom 24.03.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe zu Recht Insolvenzgeld in Höhe von 4.474,84 EUR anerkannt. Dem Kläger stehe ein darüber hinausgehendes Insolvenzgeld nicht zu.
Einen Anspruch auf Insolvenzgeld stehe gem. § 183 Abs. 1 SGB III a.F. Arbeitnehmern zu, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Anspruch auf Arbeitsentgelt hätten.
Ein Anspruch auf ein den Betrag von 880,- EUR übersteigendes 13. Monatseinkommen sowie auf einen Pauschalbetrag für die Monate November und Dezember 2008 sei aufgrund des geschlossenen Sanierungstarifvertrages nicht gegeben, da dieser für den Kläger für den Zeitraum seiner Laufzeit vom 01.06.2007 bis zum 31.12.2008 bindend sei.
Eine über den Betrag von 880,00 EUR hinausgehende Sonderzahlung sei sanierungstarifvertraglich wirksam ausgeschlossen worden. Insbesondere habe der Sanierungstarifvertrag nicht von der IG Metall fristlos gekündigt werden können, weil ein solches Kündigungsrecht zwischen den Tarifvertragsparteien nicht vereinbart worden sei. Enthalte ein Tarifvertrag kein Kündigungsrecht, sei er analog § 77 Abs. 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) grundsätzlich nur mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist kündbar (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 18.06.1997 – 4 AZR 710/95 m.w.N.). Auf die außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages finde hingegen § 314 BGB entsprechende Anwendung. Danach könne jede Vertragspartei ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liege vor, wenn unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden könne. Die IG Metall könne sich nicht auf einen wichtigen Grund berufen. Wie sich aus dem Begriff des "Sanierungsvertrages" und seinem in der Präambel dargelegten Zweck ergebe, seien wirtschaftliche Schwierigkeiten und ein drohender Abbau, möglicherweise auch der vollständige Verlust der Arbeitsplätze, Anlass für den Abschluss des Vertrages gewesen. Dass die Vertragspartner die Möglichkeit einer Insolvenz nicht in Betracht gezogen hätten, sei nicht anzunehmen. Hiergegen spreche die vereinbarte Laufzeit des Sanierungstarifvertrages, wie auch der Verzicht auf den 880,- EUR übersteigenden Teil des 13. Monatseinkommens und die teilweise Kompensation dieses Verzichts durch eine zusätzliche Urlaubsvergütung von 1.200,- EUR gem. Ziffer 3 Abs. 1 des Vertrages. Sinn und Zweck des Sanierungstarifvertrages stünden der Annahme eines außerordentlichen Kündigungsrechts entgegen. Bei einer außerordentlichen Kündigung seien solche Umstände erforderlich, die es einer Partei unzumutbar machten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Gerade aber angesichts der bevorstehenden Insolvenz habe die Kündigung, insbesondere die fristlose, die angestrebte Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Betriebes in ihr Gegenteil verkehrt und den Arbeitsplatzabbau/-verlust nur beschleunigt.
Der Kläger könne sich auch nicht auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung oder die Rechtsprechung des BSG berufen, wonach eine tarifvertragliche Kündigungsklausel nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB sei, wenn sie im Ergebnis sicherstellen solle, dass der zu Sanierungszwecken vorgenommene Lohn- und Gehaltsverzicht mit anschließenden Vergütungserhöhungen für den Fall der Insolvenz seine Wirksamkeit verliere und der jeweils arbeitsvertraglich geschuldete Monatslohn zu zahlen sei. Eine Kündigungsklausel habe der Sanierungstarifvertrag gerade nicht enthalten.
Der Kläger könne auch nicht die Berücksichtigung des Pauschalbetrages für die Monate November und Dezember 2008 nach § 6 des zum 01.11.2008 in Kraft getretenen Lohnabkommens vom 13.11.2008 beanspruchen. Dem stehe Ziffer 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages entgegen. Ausgehend von dessen Wortlaut sei zwar ausdrücklich nur auf den Pauschalbetrag für die Monate April und Mai 2007 nach dem Gehaltsrahmenabkommen vom 08.05.2007 verzichtet worden. Entgegen der Ansicht des Klägers könne daraus aber nicht abgeleitet werden, dass sich der Verzicht nicht auch auf zukünftige, aber noch während der Laufzeit des Sanierungstarifvertrages vereinbarte Pauschalbeträge beziehe. Die Regelung sei vielmehr nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung in analoger Anwendung von §§ 133, 157 BGB zu interpretieren. Ziffer 2 des Tarifvertrages habe nur die genannten Monate erfassen können, weil ein weiteres Lohn-/ Gehaltsrahmenabkommen für 2008 zu dem Zeitpunkt des Abschluss des Sanierungstarifvertrages noch nicht vorgelegen habe. Entsprechende Monate für 2008 hätten somit noch gar nicht genannt werden können. Der Sinn und Zweck des sanierungstarifvertraglichen Einigung, die Liquidität des Betriebes durch den Verzicht auf Einmalbeträge zu sichern, andererseits das Risiko des Verzichts durch die Laufzeit des Vertrages zu begrenzen, spreche dafür, dass auch weitere Pauschalbeträge während der Laufzeit des Tarifvertrages hätten erfasst werden sollten.
Das Sozialgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Gegen das am 27.04.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.05.2011 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgericht Münster habe der Sanierungstarifvertrag trotz einer fehlenden Rücktritts- oder Kündigungsklausel am 18.11.2008 wirksam gekündigt werden können. Unter Vertiefung der Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren bekräftigt der Kläger, dass der IG Metall wegen des Beschlusses des AG vom 31.10.2008 ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugestanden habe. Die Tarifvertragsparteien seien bei Vertragsschluss im August 2007 nicht von einer drohenden Insolvenz des Unternehmens ausgegangen (Schriftsatz vom 05.11.2011).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien die von dem BSG in dem Urteil vom 04.03.2009 (B 11 AL 8/08 R) aufgestellten Grundsätze anzuwenden, auch wenn der Tarifvertrag nicht ausdrücklich eine Kündigungsklausel enthalte. Der Kläger sei so zu stellen, als wäre der Sanierungstarifvertrag nie geschlossen worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.03.2011 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 04.02.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.10.2008 bis zum 31.12.2008 höheres Insolvenzgeld unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Bruttoarbeitsentgelts von 422,90 Euro zu gewähren,
hilfsweise,
weiteren Beweis darüber Beweis zu erheben, dass entsprechend dem Vortrag im Schriftsatz vom 05.11.2011 die Partner des Sanierungstarifvertrages von einer drohenden Insolvenz des Unternehmens bei Vertragsabschluss nicht ausgegangen sind, durch Vernehmung der im Schriftsatz benannten Zeugen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I. Die Berufung ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kraft erstinstanzlicher Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die als sog. kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1, Abs. 4, 56 SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Klage nicht begründet ist. Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Rechtsgrundlage für den verfolgten Anspruch auf (höheres) Insolvenzgeld ist § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 3 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (a.F.). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie – wie der für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.12.2008 noch über einen Anspruch auf Arbeitsentgelt verfügende, in W beschäftigt gewesene Kläger – im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III a.F.). Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen über die in dem angefochtenen Bescheid anerkannten Ansprüche keine weitergehenden Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis; insbesondere kann der Kläger weder die Berücksichtigung des Teil des 13. Monatseinkommens in einem über den von der Beklagten anerkannten Betrag von 880,00 EUR hinausgehenden Umfang bei der Leistungsberechnung beanspruchen (dazu nachfolgend 1.), noch eine Berücksichtigung der in § 6 des Lohnabkommens vom 13.11.2008 vereinbarten Pauschalbeträge für die Monate November und Dezember 2008 verlangen (dazu nachfolgend 2.). Dem stehen die Vereinbarungen in dem Sanierungstarifvertrag vom 13.08.2007 entgegen.
1. Der Kläger kann die Berücksichtigung der in dem TV 13. ME vereinbarten Sonderzahlung nur bis zur Höhe von 880,00 EUR beanspruchen, da auf den weitergehenden Betrag der Sonderzahlung tarifvertraglich wirksam verzichtet worden ist.
Nach Ziffer 3 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages wird der Anspruch auf einen Teil des 13. Monatseinkommens gem. TV 13. ME für die Kalenderjahre 2007/2008 durch eine einheitliche Zahlung in Höhe von jeweils 880,00 EUR brutto erfüllt. Diese – bis zum 31.12.2008 geltende – tarifvertragliche Abweichungsvereinbarung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht von der IG Metall wirksam gekündigt worden.
a. Enthält – wie im vorliegenden Fall – ein Tarifvertrag keine autonome Kündigungsklausel, ist dieser nach einhelliger Auffassung der Literatur nur unter Wahrung einer ordentlichen Kündigungsfrist von drei Monaten analog § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar, sofern nichts anderes vereinbart ist (Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 360; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rn. 18; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 13. Aufl., § 199 IV 1d (Rn. 39); Oetker, RdA 1995, 82, 92; Franzen in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl. 2011, TVG, § 1 Rn. 32). Dem hat sich die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen (etwa LAG Hessen, Urteil vom 30.12.2010 – 3 Sa 894/10 (juris Rn. 82)).
b. Der Kläger hat auch nicht durch die unter dem 18.11.2008 erklärte fristlose Kündigung des Sanierungstarifvertrages in dem Insolvenzgeldzeitraum vom 01.10.2008 bis zum 31.12.2008 weitere Ansprüche auf Arbeitsentgelt erworben. Zwar ist auch eine außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages grundsätzlich zulässig (zur Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung eines – wie hier gem. § 9 des Sanierungstarifvertrages befristeten – Tarifvertrages vgl. BAG, Urteil vom 18.12.1996 – 4 AZR 129/96 (juris)). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung ergibt sich aus der Rechtsnatur des Tarifvertrages als Dauerrechtsverhältnis. Hierbei gilt der Grundsatz, dass jedes Dauerschuldverhältnis auch ohne gesetzliche oder vertragliche Grundlage vorzeitig aus wichtigem Grund beendet werden kann (BGH NJW 1991, 1828, 1829; für die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung einer Betriebsvereinbarung vgl. BAG, Beschluss vom 28.04.1992 – 1 ABR 68/91; BAG, Urteil vom 18.12.1996 – 4 AZR 129/96 (juris)).
Auf die außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages findet § 314 BGB grundsätzlich Anwendung (LAG Hessen, Urteil vom 30.12.2010 – 3 Sa 894/10 (juris Rn. 74 m.w.N.)). Nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jeder Vertragsteil Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Nach Überzeugung des Senats konnte sich die IG Metall jedoch am 18.11.2008 nicht auf einen zur Kündigung des Tarifvertrages ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigten wichtigen Grund berufen. Nach § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrages oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. An die Voraussetzungen des wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages sind nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen (BAG, Urteil vom 18.12.1996, a.a.O. (juris Rn. 59 m.w.N. zur Literatur)). Hiernach können zwar ausnahmsweise auch veränderte wirtschaftliche Verhältnisse ein außerordentliches Kündigungsrecht begründen (Franzen, TVG, § 1 Rn. 34). Dieses gilt allerdings nur, wenn sich die Umstände, die bei Vertragsschluss vorlagen, wesentlich geändert haben und dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann, das Ende des Tarifvertrages oder den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 13. Aufl., § 199 Rn. 40 ff.). Dieses gilt selbst bei rapiden Ertragseinbrüchen bei Unternehmen, die Arbeitsplätze gefährden können (Franzen, TVG, § 1 Rn. 34). Dies folgt aus der Überlegung, dass insbesondere Lohntarifverträge nur für einen relativ kurzen Zeitraum abgeschlossen werden und daher – anders als gewöhnliche Dauerschuldverhältnisse – auf ein nahes zeitliches Ende angelegt sind. Hierfür spricht überdies, dass es die Tarifvertragsparteien bei Vertragsschluss in der Hand haben, entsprechende Risiken durch Öffnungs-, Anpassungsklauseln oder die Vereinbarung eines Rechts zur außerordentlichen Kündigung zu steuern (Frenzen, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben konnte sich die IG Metall nicht auf einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Sanierungstarifvertrages berufen. Gegen die Annahme der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Sanierungstarifvertrages bis zum Ablauf des – ohnehin etwa sechs Wochen nach der unter dem 18.11.2008 erklärten fristlosen Kündigung eintretenden – Endes der Laufzeit am 31.12.2008 spricht schon, dass mit dem Beschluss des AG vom 31.10.2008 nur Maßnahmen zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts (§§ 21 ff. InsO) im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens angeordnet wurden.
Soweit sich der Kläger zur Begründung des wichtigen Grundes lediglich auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters beruft, ergibt sich hieraus die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Sanierungstarifvertrages bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit nicht im Ansatz. So ist weder erkennbar, noch von dem Kläger substantiiert vorgetragen worden, dass der vorläufige Insolvenzverwalter zeitnah im Anschluss an den Beschluss des AG vom 31.10.2008 etwa in größerem Umfang einen – den Zielen des Sanierungstarifvertrages zuwiderlaufenden – Arbeitsplatzabbau vorangetrieben hätte. Vielmehr ergibt sich aus den öffentlich zugänglichen Berichterstattungen über das Insolvenzverfahren bei der Firma Gebr. O GmbH & Co. KG, dass im Rahmen der dort durchgeführten Restrukturierungsmaßnahmen die Bemühungen über die Arbeitsplatzsicherung einen breiten Raum eingenommen haben. In diese war auch der Insolvenzverwalter involviert. So entstand nach einer Veröffentlichung des Wirtschaftsspiegels im Frühjahr 2009 aus der Gebr. O GmbH & Co. KG die O Manufaktur GmbH & Co. KG. In diesem Zuge ist etwa 20 Arbeitnehmern gekündigt worden, während 109 Arbeitsplätze gerettet werden konnten (Wirtschaftswoche 2009, 56, 57). Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, dass der Insolvenzverwalter dem schon in der Präambel des Sanierungstarifvertrages definierten Zweck der Arbeitsplatzsicherung zuwiderlaufende Maßnahmen ergriffen hätte. Angesichts der weitgehend erfolgreichen Bemühungen um eine Arbeitsplatzsicherung bei dem in Rede stehenden Unternehmen ist schon im Ansatz nicht erkennbar, weshalb die mit Beschluss des AG vom 31.10.2008 erfolgte Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Sanierungstarifvertrages begründet.
Gegen die Unzumutbarkeit der Fortsetzung spricht auch, dass der Sanierungstarifvertrag "in Anwendung des § 6 des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung (TV Besch)" geschlossen worden ist. § 6 TV Besch bestimmt nämlich, dass sich die Tarifvertragsparteien in "besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz" um Sonderregelungen bemühen, um damit einen Beitrag zum Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze zu leisten". Da der Sanierungstarifvertrag seine tarifvertragsrechtliche Grundlage folglich in einer Öffnungsklausel gefunden hat, die gerade zur Abwendung einer Insolvenz Sonderregelungen ermöglicht, kann der befürchtete Eintritt der Insolvenz nicht zugleich zur Annahme einer Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Sanierungstarifvertrages bis zum Ende seiner Laufzeit begründen. Vielmehr stellte schon nach dem Wortlaut des § 6 TV Besch die Gefahr der Insolvenz einen typischen Anwendungsfall für den Abschluss von den allgemeinen tarifvertraglichen Vereinbarungen abweichender Regelungen dar. Würde bei einer hiernach zustande gekommenen sanierungstarifvertraglichen Regelung, die gerade einer Insolvenz entgegen wirken soll, eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zur fristlosen Kündigung rechtfertigen, wäre der Konsolidierungszweck einer solchen Regelung regelmäßig gefährdet, da durch kündigungsbedingte Erhöhung der Personalkostenbelastung des Unternehmens die Unternehmenskrise nur beschleunigt würde.
c. Soweit sich die IG Metall bei der Kündigung auf einen "Wegfall der Geschäftsgrundlage (Insolvenz)" berufen hat, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann die Anpassung des Vertrages verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (§ 313 Abs. 1 BGB). Gem. § 313 Abs. 2 BGB steht einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen. Ist eine Veränderung des Vertrages nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB). Nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB tritt für Dauerschuldverhältnisse an die Stelle des Rücktrittsrechts das Recht zur Kündigung.
Hierbei kann der Senat offen lassen, ob und inwieweit die Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB überhaupt auf Tarifverträge Anwendung finden (hierzu Franzen, a.a.O., TVG, § 1 Rn. 36). Es mangelt nämlich bereits an der in tatbestandlicher Hinsicht erforderlichen Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird die Geschäftsgrundlage eines Vertrages durch die nicht zum Vertragsinhalt erhobenen, aber beim Vertragsschluss zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und nicht von ihm beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder durch entsprechende gemeinsame Vorstellungen beider Vertragspartner gebildet, auf denen der Geschäftswille aufbaut.
Soweit die IG Metall in der Kündigungserklärung vom 18.11.2008 erklärt hat, der Sanierungstarifvertrag werde wegen "Wegfalls der Geschäftsgrundlage (Insolvenz)" gekündigt, ist dem schon entgegen zu halten, dass das Insolvenzereignis zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht eingetreten ist. Vielmehr ordnete das AG mit dem im Insolvenzeröffnungsverfahren ergangenen Beschluss lediglich Maßnahmen nach den §§ 21 ff. InsO zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und der Aufklärung des Sachverhalts an. Bei dieser Sachlage kann der Senat offen lassen, ob durch die – erst mit Beschluss vom 01.01.2009 erfolgte – Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten ist. Die mit dem Beschluss vom 31.10.2008 erfolgte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hat die Geschäftsgrundlage des Sanierungstarifvertrages jedenfalls nicht entfallen lassen. Dieses gilt auch, soweit man mit dem Kläger annimmt, dass die Sicherung der Arbeitsplätze durch den Verzicht auf diverse tarifvertraglich bestehende Lohnbestandteile zur Geschäftsgrundlage des Tarifvertrages geworden ist.
Aufgrund der auch nach dem Beschluss vom 31.10.2008 fortwährenden Bemühungen um eine langfristige Arbeitsplatzsicherung hat die von dem Kläger erwähnte "Sicherungsabsicht" fortbestanden. Im Übrigen steht auch insoweit einer Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB entgegen, dass sich mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens das dem Sanierungstarifvertrag immanente Risiko verwirklicht hat.
Bei dieser Sachlage bedurfte es nicht der im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Kläger beantragten Beweiserhebung durch Vernehmung des Bevollmächtigten der IG Metall und des Geschäftsführers des VMM zu der Frage, ob die Vertragspartner bei Abschluss des Sanierungstarifvertrages eine Insolvenz in Betracht gezogen haben. Auch wenn unterstellt wird, dass diese von dem Kläger für erheblich erachtete Frage durch eine Vernehmung der Zeugen bestätigt würde, ergäbe sich hieraus nicht die von dem Kläger angestrebte Folge eines Kündigungsrechts unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien eine Insolvenz des Unternehmens im Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungstarifvertrages nicht in Betracht gezogen haben sollten, ist die Geschäftsgrundlage für den Sanierungstarifvertrag aufgrund der dargelegten fortwährenden Bemühungen um eine Arbeitsplatzsicherung nicht wesentlich gestört worden.
d. Wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, kann sich der Kläger zur Begründung seiner Rechtsauffassung nicht auf die Rechtsprechung des BSG, insbesondere die Entscheidung vom 04.03.2009 (B 11 AL 8/08 R) berufen. Der vorliegende Sachverhalt ist mit dem von dem BSG entschiedenen Fall nicht vergleichbar. Der Entscheidung des BSG lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem die vertragsschließende IG Metall für den Fall einer drohenden Insolvenz ein Recht zur Kündigung des Restrukturierungsvertrages vereinbart hat, wodurch die ursprünglichen Ansprüche neu entstehen und sofort fällig wurden (BSG, a.a.O. (juris Rn. 3)). Ein solches Kündigungsrecht haben die Vertragsschließenden des STV gerade nicht vereinbart. Wird von den Tarifvertragsparteien die Vereinbarung eines vertraglichen Kündigungsrechts allerdings – wie im vorliegenden Fall – für entbehrlich erachtet, kann sich eine Tarifvertragspartei nicht dennoch auf ein vertragliches Kündigungsrecht berufen.
2. Ebenso wenig kann der Kläger die Berücksichtigung des in § 6 des am 01.11.2008 in Kraft getretenen Lohnabkommen vom 13.11.2008 vereinbarten Pauschalbetrages für die Monate November und Dezember 2008 als Bezug aus dem Arbeitsverhältnis i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III a.F. beanspruchen.
Zwar entfallen nach dem Wortlaut der Ziffer 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages in Abweichung von §§ 2, 5, 6 des Gehaltsrahmenabkommens vom 08.05.2007 nur die Pauschalbeträge für die Monate April und Mai 2007 sowie der Einmalbetrag für die Tarifperiode Juni bis Oktober 2008 in voller Höhe. Wenngleich hiernach die in § 6 des zum 01.11.2008 in Kraft getretenen Lohnabkommens vom 13.11.2008 vereinbarten sog. Pauschalbeträge für die Monate November und Dezember 2008 nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind, ergibt sich – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – ein Ausschluss dieser Beträge aus einer Auslegung der tariflichen Vereinbarungen.
a. § 2 Abs. 3 STV ist einer erweiternden Auslegung zugänglich. Bei der Auslegung eines Tarifvertrages ist im Grundsatz zwischen dem schuldrechtlichen und dem normativen Teil zu unterscheiden (Franzen, a.a.O., TVG, § 1 Rn. 92 unter Hinweis auf Wank, RdA 1998, 71). Die – hier maßgebende – Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages, namentlich der Ziff. 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages, folgt nach der ständigen Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst von Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können u.a. Kriterien wie Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rspr. des BAG, vgl. etwa Urteil vom 29.08.2001 – 4 AZR 337/00 = BAGE 99, 24, 28 f. m.w.N.; BAG, Urteil vom 06.07.2006 – 2 AZR 587/05 (juris Rn. 14)). Die ständige Rspr. des BAG verlangt insoweit in Anlehnung an die sog. Andeutungstheorie, dass der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien in dem tarifvertraglichen Normtext seinen Niederschlag gefunden haben muss (grundlegend BAG, Urteil vom 02.06.1961 – 1 AZR 573/59; Franzen, a.a.O., TVG § 1 Rn. 93 unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 12.09.1984, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 135; BAG, Urteil vom 24.11.1988, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 127; Gamillscheg, KollArbR I § 15 XI 2 b; Löwisch/Rieble Rn. 547).
b. Die für eine erweiternde Auslegung der tarifvertraglichen Norm erforderliche Regelungslücke liegt vor. Eine solche ist nämlich gegeben, wenn die Tarifvertragsparteien einen Gesichtspunkt übersehen oder wenn sie ihn zwar nicht übersehen, aber bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht für regelungsbedürftig gehalten haben und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (LAG Hamm, Urteil vom 27.10.2011 – 17 Sa 1054/11 (juris Rn. 24 m.w.N.)).
Bei Anwendung des § 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages ist eine nachträgliche Regelungslücke zu Tage getreten, da die Behandlung der (erst) mit dem Lohnabkommen vom 13.11.2008 vereinbarten Pauschalbeträge für die Monate November und Dezember 2008 keiner ausdrücklichen Regelung unterworfen worden ist. Es handelt sich hierbei um eine nachträgliche Regelungslücke, da erst mit dem Abschluss bzw. dem Inkrafttreten des Lohnabkommens vom 13.11.2008 überhaupt entstehen konnte. Der Tarifvertrag vom 13.08.2007 konnte mithin nur Vereinbarungen über solche Pauschalbeträge bzw. Einmalzahlungen berücksichtigen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungstarifvertrages im August 2007 überhaupt bekannt gewesen sind.
d. Die damit entstandene nachträgliche Regelungslücke im normativen Teil des Tarifvertrages ist im Wege einer Tarifauslegung auszufüllen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urt. v. 29.08.2001, a.a.O.). Eine diesen Maßstäben entsprechende Tarifauslegung führt zu dem Ergebnis, dass nicht nur auf die in Ziff. 2 Abs. 3 des Sanierungstarifvertrages ausdrücklich genannten Pauschalbeträge für die Monate April und Mai 2007 verzichtet werden sollte, sondern dass auch weitere, während der Laufzeit des Sanierungstarifvertrages von den Vertragsparteien vereinbarte Pauschalbeträge ausgeschlossen sein sollen.
Dem tarifvertraglichen Gesamtzusammenhang lässt sich der Regelungswille der Parteien entnehmen, dass durch einen Verzicht auf weitere Einmalzahlungen die Liquidität des Unternehmens gesichert werden sollte. Zudem lässt sich den sanierungstarifvertraglichen Regelungen der Wille der Vertragsparteien entnehmen, dass während der Dauer der Laufzeit des Sanierungstarifvertrages bis zum 31.12.2008 Planungssicherheit für das Unternehmen geschaffen werden sollte. Hierfür spricht insbesondere auch, dass nach Ziff. 2 Abs. 1 des Tarifvertrages die in dem Gehaltsrahmenabkommen vom 08.05.2007 vereinbarten linearen Tariferhöhungen unverändert übernommen worden sind und damit die Personalkostenbelastungen für das Unternehmen festgeschrieben und kalkulierbar werden sollten. Hätte der Sanierungstarifvertrag für die Dauer seiner Laufzeit weitere Entgeltansprüche nicht ausschließen wollen, hätte es der Regelung in Ziff. 2 Abs. 1 nicht bedurft. Gerade die deckungsgleiche Übernahme der kraft des Gehaltsrahmenabkommens vom 08.05.2007 vereinbarten linearen Vergütungserhöhung lässt aus Sicht des Senats nur den Schluss zu, dass den Tarifvertragsparteien daran gelegen war, für die Dauer des Sanierungstarifvertrages ein "Gesamtpaket" zu schnüren, welches sämtliche Ansprüche der Arbeitnehmer für die Dauer der Laufzeit des Sanierungstarifvertrages vom 01.06.2007 bis zum 31.12.2008 umfassend sollte. Dieser Grundausrichtung würde indessen eine Berücksichtigung von weiteren Lohnerhöhungen bzw. Pauschalbeträgen während der Vertragslaufzeit entgegenwirken.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen liegen nicht vor.
Erstellt am: 21.01.2013
Zuletzt verändert am: 21.01.2013