Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 28. Januar 2000 geändert. Die Bescheide vom 14. November 1997 und 13. April 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1999 werden aufgehoben. Die Beklagte hat die der Klägerin in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) sowie die hierauf entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.
Die Klägerin beschäftigte den im Jahre 1938 geborenen W … (W) als Gefahrengutkraftfahrer vom 09.09.1985 bis zum 14.11.1996. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos zum selben Zeitpunkt, hilfsweise fristgemäß zum 31.03.1997. Die Beklagte bewilligte W Alg ab 01.04.1997, das er bis 09.09.1997 unter Anrechnung von in der Zeit vom 01.04. bis 31.05.1997 erzielten Nebenverdienst bezog (Bemessungsentgelt 950,00 DM, Leistungsgruppe C, Kindermerkmal O). Anschließend war er vom 10.09. bis 30.11.1997 beitragspflichtig beschäftigt. Vom 01.12.1997 bis 26.01.1998 bezog W erneut Alg. Ab 27.01.1998 stand er wieder in einem Arbeitsverhältnis. Gegen die fristlose sowie gleichzeitig fristgerecht ausgesprochene Kündigung der Klägerin wandte sich W mit der am 25.11.1996 vor dem Arbeitsgericht (Az.: …) erhobenen Kündigungsschutzklage. Das Verfahren endete in der mündlichen Verhandlung am 24.04.1997 durch Vergleich. Dessen Ziffer 1 hat folgenden Wortlaut: "Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 14.01.1996 (richtig 14.11.1996) unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03.1997 sein Ende gefunden hat." Die Zahlung einer Abfindung wurde nicht vereinbart.
Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14.11.1997 fest, dass die Klägerin gemäß § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dem Grunde nach verpflichtet sei, das dem W gezahlte Alg und die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge ab 01.04.1997 für längstens 624 Tage zu erstatten. Die Klägerin erhob hiergegen am 19.12.1997 Widerspruch, den sie nicht begründete. Die Beklagte machte in der Folgezeit nach Anhörung der Klägerin durch Leistungsbescheide vom 22.10.1998, 24.02.1999 sowie durch Änderungsbescheide vom 13.04.1999 unter Anrechnung des von W erzielten Nebeneinkommens und Berücksichtigung der Arbeitnehmerzahl der Klägerin (Beschäftigung zwischen 40 und 60 Mitarbeitern) einen Erstattungsanspruch von insgesamt 13.625,79 DM geltend. Sie wies durch Bescheid vom 31.05.1999 den Widerspruch der Klägerin zurück, weil keine den Nichteintritt der Erstattungspflicht begründenden Tatbestände des § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG erfüllt seien (zugestellt am 01.06.1999).
Hiergegen richtet sich die am 01.07.1999 erhobene Klage, die die Klägerin nicht begründet hat.
Sie hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 14.11.1997 und 13.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.1999 aufzuheben.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2000 abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Erstattungsvoraussetzungen nach § 128 Abs. 1 Satz 1 AFG seien gegeben. Die Klägerin sei nicht von der Erstattungspflicht befreit. Die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG seien nicht erfüllt. Es komme insbesondere nicht der Befreiungstatbestand des
§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG in Betracht, weil das Arbeitsverhältnis durch arbeitsgerichtlichen Vergleich beendet worden sei, dem die rechtliche Qualität eines Aufhebungsvertrages zukomme. Für die Befreiung nach dieser Vorschrift hätte die Klägerin jedoch eine sozial gerechtfertigte Kündigung aussprechen müssen. Diesem Formerfordernis habe sie nicht Genüge getan. Sie sei im Sinne des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG auch nicht berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältniss aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Dies ergebe sich aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich.
Gegen den am 04.02.2000 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.02.2000 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt zu deren Begründung vor, das Arbeitsverhältnis sei durch arbeitsgerichtlichen Vergleich beendet worden, um W die weitere Erwerbsmöglichkeit nicht gänzlich zu verbauen. Dies ergebe sich aus der Akte des Arbeitsgerichts Aachen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 28.01.2000 zu ändern und nach dem Klageantrag erster Instanz zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochte Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten – Stammnr.: … und der Akte des Arbeitsgerichts Aachen – Az: … – Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist zu ändern und der Klage stattzugeben. Die im Urteilstenor aufgeführten Bescheide sind aufzuheben. Die Klägerin erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 1 AFG für die Erstattung der von der Beklagten an und für W erbrachten Leistungen. Der Senat nimmt insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug.
Die Erstattungspflicht ist aber nach § 128 Abs 1 Satz 2 nicht ein getreten, weil die Klägerin den Befreiungstatbestand nach Nummer 4 dieser Vorschrift erfüllt hat. Sie hat das Arbeitsverhältnis nach dem gerichtlichen Vergleich vom 24.04.1997 sozial gerechtfertigt zum 31.03.1997 beendet, was einer entsprechenden Kündigung gleichzustellen ist. Das BSG hat zwar bisher mehrfach entschieden, dass § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG über seinen Wortlaut hinaus – "sozial gerechtfertigte Kündigung" – nicht auf Fälle einer einvernehmlichen (auch sozial gerechtfertigten) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder "ähnliches" erstreckt werden könne (vgl. z.B BSG Urteil vom 03.12.1998 – … -). Der Gesetzgeber habe gerade in der Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer das maßgebliche Indiz dafür gesehen, dass die Arbeitslosigkeit in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers falle (vgl. BSG Urteil vom 21.09.2000 – B 11 AL 5/00; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr. 5). Da der Prozessvergleich eine Doppelnatur hat und sowohl eine Prozesshandlung zur Beendigung eines Rechtstreits als auch einen öffentlich – rechtlichen – Vertrag darstellt, für den materielles Recht gilt (vgl. Meyer-Ladewig SGG, 6. Auflage, § 101 Rn. 3), kann der von der Klägerin vor dem Arbeitsgericht geschlossene Vergleich bei formaler Betrachtungsweise als "ähnlicher" Beendigungstatbestand im Sinn der genannten BSG-Entscheidungen angesehen werden (vgl. zu den Beendigungsarten auch BAG vom 03.05.1979 in AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969; Hueck/v. Hojningen – Huene, KSchG, 12. Auflage, § 1 Rn. 13). Der Vertragscharakter des Prozessvergleichs steht jedoch im vorliegenden Fall der Annahme einer Kündigung im Sinne der Nr. 4 nicht entgegen, weil die Vergleichsform nur die "äußere Hülle" für die Anerkennung der Rechtfertigung der von Anfang an von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung durch den Arbeitnehmer darstellt. Die Sachlage unterscheidet sich insoweit nicht von der Hinnahme einer Kündigung, die nicht Gegenstand eines Kündigungsschutzverfahrens gewesen ist (vgl. dazu BSG Urteil vom 15.06.2000 – B 7 Al 78/99 R -). Ziffer 1 des Prozessvergleichs besagt ausdrücklich, dass das Arbeitsverhältnis mit W auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 14.01.1996 (richtig: 14.11.1996) unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03.1997 beendet worden ist. Dies ist – wie der Arbeitsgerichtsakte zu entnehmen ist – so auch von der Klägerin von Anfang an gewollt gewesen. Sie hatte dem W mit Schreiben vom 14.11.1996 fristlos zum 14.11.1996, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.1997 gekündigt. Gegen beide Kündigungen hat sich die Klage des W vor dem Arbeitsgericht gerichtet. Da nur die fristlose Kündigung fallen gelassen worden ist, hat bis zum Abschluss des Arbeitsgerichtsverfahrens eine fristgerechte Kündigung existiert, die von W so verstanden und akzeptiert worden ist. Diese Kündigung ist auch sozial gerechtfertigt gewesen, weil sie die Klägerin wegen verhaltensbedingter Gründe in der Person des W zu Recht ausgesprochen hat. Aus den Schriftsätzen der Arbeitsgerichts parteien ergibt sich insoweit, dass die Klägerin zuletzt im November 1995 und Oktober 1996 den W unter Darlegung der Sachverhalte und Gründe abgemahnt hatte, weil er ihren Firmenruf durch unterstellende Fragen an Betriebsfremde geschädigt und grob fahrlässig gegen Sicherheitsvorschriften bei der Entladung von Gefahrengut auf dem Betriebsgelände anderer Firmen verstoßen hat. Im ersten Fall hat die Klägerin dem W wegen seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit neben der Kündigungsandrohung noch eine weitere Beschäftigungschance durch Umsetzung angeboten, im letzten Fall hat sie bei einem weiteren Verstoß ausschließlich die fristlose Kündigung angedroht. Es kann auf sich beruhen, ob das Fehlverhalten des W für eine fristlose Kündigung gereicht hätte, weil letztlich die fristgerechte Kündigung aufrecht erhalten worden ist. W, der die Verstöße als solche nicht bestritten hat und der sich deshalb nicht mit Erfolg auf die in dem arbeitsgerichtlichen Vergleich zu Ziffer 2 eingegangene Verpflichtung der Klägerin, die in den Schriftsätzen angeklungenen Vorwürfe nicht aufrecht zu erhalten, berufen kann, hat im Rahmen seiner Tätigkeit als Gefahrenguttransportfahrer derart schwerwiegend gegen die Sorgfaltspflicht zur Vermeidung von Gefahren verstoßen und ist geschäftsschädigend zu Lasten seiner Arbeitgeberin aufgetreten, dass dieser nach ausdrücklicher Abmahnung und Aufforderung zu einem anderen Verhalten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach einem erneuten Verstoß nicht zuzumuten und die fristgerechte Kündigung gerechtfertigt gewesen ist. Es liegt somit eine sozialgerechtfertigte Kündigung vor, so dass die Klägerin nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG nicht erstattungspflichtig ist.
Der Nichteintritt der Erstattungspflicht ist vorliegend auch im Hinblick auf die Begründung des BSG zur Bedeutung der Beendigungsform gerechtfertigt. Im Gegensatz zum Aufhebungsvertrag, dem keine Kündigung und kein Kündigungsschutzverfahren vorausgegangen sind, hat sich die Klägerin hier gerade der Prüfung der die Kündigung sozial rechtfertigenden Gründe ausgesetzt. Dadurch, dass sie im Rahmen des Prozessvergleichs lediglich vom Ausspruch und vom Aufrechterhalten der fristlosen Kündigung abgerückt ist, ausdrücklich aber die fristgerechte aufrechterhalten hat und diese von W akzeptiert worden ist, hat sie das Vorliegen derartiger Gründe nachgewiesen und damit belegt, dass die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit des W sie nicht trifft. Folgerichtig hat sie dem W. auch keine Abfindung wegen des Arbeitsplatzverlustes gezahlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 13.08.2003
Zuletzt verändert am: 13.08.2003