NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) des Klägers ab Mai 2005.
Der 1943 geborene Kläger meldete sich am 25.01.2005 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Laut Arbeitsbescheinigung der N GmbH hatte er von Mai 2004 bis April 2005 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von 62.686,84 EUR erzielt.
Mit Bescheid vom 06.05.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 01.05.2005 in Höhe von täglich 62,84 EUR nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 171,74 EUR und der Leistungsgruppe C/0. Dabei war das tägliche Bemessungsentgelt berechnet worden, indem das bescheinigte Arbeitsentgelt durch 365 Kalendertage geteilt wurde.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts müsse die gleiche Anzahl Tage wie bei der Auszahlung berücksichtigt werden. Bei der Ermittlung des täglichen Bemessungsentgelts würden 365 Tage zugrunde gelegt, bei der Auszahlung aber nur 360 Tage.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. U. a. wurde darin ausgeführt, der Bemessungszeitraum vom 01.05.2004 bis 30.04.2005 umfasse 365 Kalendertage. Das im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt lediglich durch 360 Tage zu dividieren, widerspreche den gesetzlichen Vorgaben.
Am 07.09.2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Aachen Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, § 131 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) sei in Verbindung mit § 339 SGB III in der Weise auszulegen, dass bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts das beitragspflichtige Entgelt des Bemessungszeitraums bei der Jahresberechnung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III durch 360 Kalendertage zu dividieren sei. Dann ergäbe sich in seinem Fall ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 174,13 EUR.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2005 zu verurteilen, ihm ab 01.05.2005 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 174,13 EUR zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf § 339 SGB III verwiesen und die Auffassung vertreten, dass die Berechnung der Höhe des Alg nach den gesetzlichen Vorgaben erfolgt sei.
Mit Urteil vom 21.09.2006 hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Kläger ab 01.05.2005 keinen Anspruch auf höheres Alg habe. Zur weiteren Begründung hat es wie folgt ausgeführt:
"Das Arbeitslosengeld beträgt gemäß § 129 Nr. 2 SGB III für Arbeitslose, die – wie der Kläger – kein Kind im Sinne des § 33 Abs. , 3 – 5 des Einkommensgesetzes haben, 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Leistungsentgelt ist gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Diese Abzüge sind eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 % des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen aufgrund des § 51 Abs. 4 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes bekannt gegebenen Programmablaufplan bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 10 c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in dem Jahr, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt und der Solidaritätszuschlag (§ 133 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Das Bemessungsentgelt, aus dem sich das Leistungsentgelt errechnet, ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Letzterer umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III) und dieser wiederum ein Jahr (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Infolge dieser tagesgenauen Berechnung ist die Leistungsentgelt-Verordnung entbehrlich geworden (vgl. BT-Drucksache 15/1515 Seite 85 zu § 131 Abs. 1). Der Bemessungsrahmen umfasst vorliegend den Zeitraum vom 01.05.2004 bis 30.04.2005. In diesem Zeitraum erzielte der Kläger unstreitig ein versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt von 62.686,84 EUR. Teilt man dieses Arbeitsentgelt durch 365 Kalendertage, ergibt sich das von der Beklagten zu Grunde gelegte tägliche Bemessungsentgelt von 171,74 EUR.
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt aus § 134 Satz 2 SGB III, wonach der Monat mit 30 Tagen anzusetzen ist, sofern für einen vollen Kalendermonat Arbeitslosengeld zu zahlen ist bzw. aus der Bestimmung des § 339 Satz 1 SGB III, der für die Berechnung von Leistungen die Berechnung eines Monats mit 30 Tagen vorsieht, nicht, dass für die Umrechnung des täglichen Bemessungsentgelts ein entsprechender 30-Tage-Ansatz heranzuziehen ist. Abgesehen davon, dass diese Regelungen sich ihrem Wortlaut nach nur auf den Zahlungsmodus bzw. die Leistungsseite beziehen und auch keine Definition des Jahres enthalten, führte diese Berechnung zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Leistungsempfängern, deren versicherungspflichtiges Entgelt monatlich abgerechnet worden ist, gegenüber solchen, bei denen kürzere Abrechnungszeiträume im Bemessungsrahmen angefallen sind. Bei letzteren entstünde wegen der Notwendigkeit der Berücksichtigung der tatsächlich abgerechneten Tage regelmäßig ein höherer Divisor, so dass sich ihr Bemessungsentgelt gegenüber der ersten Gruppe verringerte. Hierfür fehlt jedoch ein Rechtfertigungsgrund, da auch die erste Gruppe ihr versicherungspflichtiges Entgelt nicht für einen Zeitraum von 360 Tagen bezogen hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.04.2006 – L 19 AL 161/05). Unter Berücksichtigung des zutreffend ermittelten täglichen Bemessungsentgelts von 171,74 EUR errechnet sich unter Beachtung der nach § 133 Abs. 1 Satz 2 SGB III maßgeblichen Abzüge ein tägliches Arbeitsentgelt von 62,84 EUR."
Gegen das ihm am 24.10.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.11.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist zudem der Ansicht, die Rechtsanwendung zu Lasten des Klägers, dass bei der Berechnung des Alg der kalendertägliche Betrag mit 30 Kalendertagen, d. h. jährlich mit 360 Tagen multipliziert werde, bei der Berechnung des Bemessungsentgelts jedoch 365 Kalendertage zugrunde gelegt würden, sei im Lichte des grundgesetzlich garantierten Eigentumsrechts nicht gerechtfertigt. Eine Verwaltungsvereinfachung reiche zur Rechtfertigung des Eingriffs in Eigentumsrechte nicht aus.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2006 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das SG-Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höheren Alg unter Berücksichtigung eines höheren täglichen Bemessungsentgelts gerichtete Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, weil höheres Alg für 960 Tage und damit für mehr als 1 Jahr im Streit ist. Die gleichwohl erfolgte Zulassung durch das SG ist unbeachtlich.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Beklagte bei der Berechnung des täglichen Leistungssatzes zu Recht das tägliche Bemessungsentgelt in Höhe von 171,74 EUR zugrunde gelegt hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Alg unter Berücksichtigung eines täglichen Bemessungsentgelts von 174,13 EUR.
Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sei zunächst lediglich ergänzt, dass der vom Kläger gewollten Auslegung des § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III i.V.m. § 339 SGB III der klare Wortlaut des § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III entgegensteht, wonach Bemessungsentgelt das durchschnittlich "auf den Tag entfallende" beitragspflichtige Arbeitsentgelt ist. Auch der Zusammenhang mit § 130 Abs. 1 SGB III verdeutlicht, dass das Normaljahr mit 365 Tagen (im Schaltjahr mit 366 Tagen) gemeint ist, weil ansonsten entsprechend den Vorschriften des § 134 Satz 2 SGB III und § 339 SGB III, in denen ausdrücklich bestimmt wird, dass der Monat 30 Tagen entspricht, in § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III in gleicher Weise hätte klargestellt werden müssen, dass der Bemessungsrahmen statt einem Jahr nur 360 Tage umfasst. Deshalb lassen § 134 Satz 2 SGB III und § 339 SGB III gerade nicht die Auslegung zu, dass der Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III und vorliegend auch der Bemessungszeitraum nach Satz 1 dieser Vorschrift lediglich 360 Tage umfasst.
Soweit der Kläger des Weiteren "diese Rechtsanwendung … im Lichte des grundgesetzlich garantierten Eigentumsrechts" für nicht gerechtfertigt hält, er im Ergebnis also seine Auslegung allein für verfassungskonform hält, ist ihm schon deshalb nicht zu folgen, weil – wie dargelegt – eine solche Auslegung nicht möglich ist.
Im Übrigen vermag der Senat eine Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Eigentumsgarantie des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zu erkennen.
Zwar unterfällt der Anspruch auf Alg, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die gesetzliche Neuregelung mit der zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Vorschriften über die Neuregelung des Bemessungsrechts auf Grund des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGB I 2848) verstößt aber nicht gegen das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht, weil sie durch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel gerechtfertigt seid. Bezweckt war eine durchgreifende Vereinfachung des Leistungsrechts als Teil des Reformvorhabens mit dem Ziel, die Bundesagentur zu "dem" modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt zu machen (BT-Drucks. 15/1515 Seite 71). Das Leistungsrecht sollte mit Blick auf eine unbürokratische Anwendung grundlegend vereinfacht und damit transparenter gestaltet werden. Dadurch sollte gleichzeitig mehr Personal für die Aufgaben der Förderung der Arbeitsaufnahme und Verbesserung der Dienstleistungen für Arbeitgeber frei werden. Das bisherige Leistungsrecht hatte sich zu einem so komplexen Regelungssystem entwickelt, dass die Entscheidung über Bewilligung und Umfang des Alg erheblichen Informationsbedarf bei den Betroffenen auslöste und einen hohen Personal-, Sach- und Zeitaufwand der Arbeitsverwaltung zur Folge hatte (BT-Drucks. a.a.O., Seite 73). Der Gesetzgeber war sich dabei bewusst, dass sich die vorgesehenen Neuregelungen im Einzelfall zu Gunsten, aber auch zu Ungunsten der Betroffenen auswirken konnten, ohne dass jedoch das Leistungsniveau insgesamt beeinträchtigt werden sollte; Leistungseinschränkungen der Alg-Bezieher waren nicht das Ziel (BT-Drucks. a.a.O.). Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland und der Bedeutung einer funktionierenden Arbeitsvermittlung und -Leistungsverwaltung handelt es sich folglich um wichtige Ziele des Gemeinwohls. Die Umstellung auf ein tägliches Bemessungsentgelt (§ 131 SGB III n.F.) bei gleichzeitiger Reduzierung bzw. Pauschalierung der Abzüge (§ 133 SGB III n.F.) waren geeignete Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele, weil sie den Erlass einer jährlichen Verordnung über die Leistungsentgelte entbehrlich machte (vgl. BT-Drucks. a.a.O. Seite 85 zu § 131 Abs. 1), den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Einbeziehung der Kirchensteuer (Beschluss vom 23.03.1994 – 1 BvL 8/85 = SozR 3 – 4100 § 111 Nr. 6) Rechnung trugen und die Abzugspositionen insgesamt überschaubarer und für die Betroffenen verständlicher machten (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.04.2006 – L 19 AL 161/05 -; auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 – B 7a AL 38/07 – zur Herabsetzung des Alg zum 01.01.2005).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Erstellt am: 27.11.2008
Zuletzt verändert am: 27.11.2008