Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 24.07.2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 24.07.2007, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 27.08.2007), ist unbegründet. Das SG hat zu Recht den Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt.
Der Senat kann vorliegend offen lassen, ob Aufhebungs- und Rückforderungs-/Erstattungsbescheide von § 39 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erfasst werden (LSG NRW, Beschluss vom 31.03.2006 – L 19 B 15/06 AS ER -; Beschluss vom 24.11.2006 – L 19 B 116/06 AS ER -; Beschluss vom 20.07.2006 – L 20 B 144/06 AS ER -; Eicher in Eicher/Spellbrink, Komm. zum SGB II, 2005, § 39 Rn. 12) oder aber kein von einem Bundesgesetz vorgeschriebener Fall im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt mit der Folge, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.06.2006 – L 13 AS 1824/06 ER-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.03.2006 – L 9 AS 127/06 ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2006 – L 5 B 549/06 AS ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.04.2006 – L 3 ER 47/06 AS -; Conradis in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 39 Rn. 7; Wagner in juris PK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 39 Rn. 14; offen gelassen LSG NRW, Beschluss vom 13.06.2006 – L 9 B 10/06 AS ER -). Denn die Antragsgegnerin hat mit Bescheiden vom 10.05.2007 und 14.05.2007 die im einzelnen aufgeführten, bisher ergangenen Bewilligungsbescheide aufgehoben, die dem Antragsteller gewährten Leistungen zurückgefordert und mit Änderungsbescheid vom 14.05.2007 zum Aufhebungsbescheid vom 10.05.2007 nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Gegen solche Anordnungen der sofortigen Vollziehung ist nur der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, Komm. zum SGG, 8. Auflage, § 86a Rn. 22a).
Das Gericht legt bei der rechtlichen Prüfung dieselben Maßstäbe zugrunde, wie die Behörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung, stellt aber stärker auf die Erfolgsaussichten der Klage ab (Keller, a.a.O., § 86a Rn. 22a). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist (in der Regel) eine Ermessensentscheidung der Behörde. Wegen des Gebots eines effizienten Rechtsschutzes ist die aufschiebende Wirkung die Regel und die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Ausnahme (Regel-Ausnahme-Verhältnis). Voraussetzung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist, dass diese im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegt, wobei die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes nicht zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichen. In Ausnahmefällen kann sich das besondere öffentliche Vollzugsinteresse schon aus denselben tatsächlichen Gründen ergeben, die auch den Erlass des Verwaltungsaktes gerechtfertigt haben (LSG NRW, Beschluss vom 06.01.2004 – L 11 B 17/03 KA ER -). Zu § 80 VwGO ist anerkannt, dass auch fiskalische Interessen ausreichen können, wenn sie hinreichend gewichtig sind (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2003 – L 13 AL 2374/03 -). Erforderlich ist in solchen Fällen, dass die Realisierung der Forderung später ernsthaft infrage steht. Das besondere öffentliche Interesse ist mit dem Interesse des Betroffenen abzuwägen, dass vor endgültiger Klärung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Verwaltungsakt nicht vollzogen wird. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die sofortige Vollziehung angeordnet und der Rechtsbehelf Erfolg haben würde gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die sofortige Vollziehung nicht angeordnet und ein Rechtsbehelf keinen Erfolg haben würde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist gerechtfertigt, wenn eine umfassende Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange zum Ergebnis kommt, dass das Vollziehungsinteresse überwiegt. Bei der Abwägung ist von Bedeutung, ob der Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat oder nicht.
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen hat die Antragsgegnerin im Rahmen der ihr obliegenden Ermessensausübung zutreffend nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 die sofortige Vollziehung angeordnet. Im vorliegenden Fall überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen des SG im Beschluss vom 24.07.2007, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht, verwiesen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass die Antragsgegnerin bei der Ermessensausübung zu Unrecht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Bescheide bejaht hat, betont der Senat, dass umfangreiche Wertgegenstände (Schmuck) bei der Durchsuchung sichergestellt wurden und nur durch den Sofortvollzug ein Zugriff hierauf möglich ist.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Klage weist der Senat ergänzend nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auf Folgendes hin:
Die Bescheide vom 10.05.2007 und 14.05.2007 genügen zunächst dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X. Die Antragsgegnerin hat sowohl Bescheide gegenüber dem Antragsteller als auch der Ehefrau als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erlassen (L 7 B 234/07 AS ER). Die an den Antragsteller adressierten Bescheide führen alle ihm gegenüber ergangenen Bewilligungsbescheide, die Berechnung der einzelnen Beträge (Regelleistung, Kosten der Unterkunft, Beiträge) und den von ihm insgesamt ermittelten Erstattungsbetrag auf.
Die Aufhebung der Bescheide und die Rückforderung der dem Antragsteller erbrachten Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2007 erfolgte nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Hier könnten bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen, da fraglich ist, ob der Antragsteller bereits bei oder erst nach der Antragstellung Einkommen oder Vermögen verschwiegen oder erzielt hat bzw. seiner Mitteilungspflicht nach Erlass der Bescheide nicht nachgekommen ist. In Betracht kommt insoweit ein Verwaltungshandeln nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 oder 2 SGB X. Denn es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller als faktischer Geschäftsführer der RiScho Baugesellschaft mbH (oder der Firma RiScho Bau GmbH) anzusehen ist, aus dieser Tätigkeit Einkommen ab Januar 2005 oder später erzielte, und zudem bei der Antragstellung am 09.09.2004 und bei allen Folgeanträgen verschwiegen hat, dass seine Ehefrau und er über ein Kraftfahrzeug und eine Lebensversicherung, d. h. über Vermögen verfügen. Der Antragsteller hat in den Formularen angegeben, dass er und seine Ehefrau über kein Einkommen oder Vermögen von mehr als 9.700,00 Euro verfügen. Selbst wenn die Ermittlungen im Hauptsacheverfahren ergeben sollten, dass hier die der Bewilligung zugrunde liegenden Verwaltungsakte von Anfang an rechtswidrig waren – z.B. wegen der Erzielung von Einkommen aus der Tätigkeit als faktischer Geschäftsführer – und daher die Rücknahme auf § 45 SGB X gestützt werden muß, kommt eine Umdeutung in Betracht. Zwar kann ein Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X dann nicht in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X umgedeutet werden, wenn letzterer eine Ermessensausübung erfordert (Wiesner in von Wulffen, a.a.O., § 45 Rn. 7). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Es bedarf keiner Ermessensausübung. Dies folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Danach sind die Vorschriften des Dritten Buches über die Aufhebung von Verwaltungsakten – hier § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) – entsprechend anwendbar. § 330 Abs. 2 SGB III enthält insoweit eine Abweichung von § 45 SGB X. Danach werden die Rechte des Leistungsempfängers insoweit eingeschränkt, als die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kein Ermessen mehr ausüben muss. Es handelt sich hierbei um die Fälle, in denen sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Dann muss zwingend eine Aufhebung erfolgen (Conradis in LPK-SGB II, § 40 Rn. 6). Nach § 45 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und/oder 3 SGB X kann sich auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3).
Von einen derartigen Sachverhalt ist nach der hier gebotenen summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren trotz der Einwände des Antragstellers auszugehen. Soweit der Antragsteller eine Kopie des "Zusatzblattes 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" als Beleg dafür vorlegt, dass die Kapitallebensversicherung bei der Antragstellung wahrheitsgemäß angegeben wurde mit der Folge, dass ein Bearbeitungsfehler der Antragsgegnerin vorliegt und er daher für sich Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann, weist der Senat darauf hin, dass diese Einlassung nach Auswertung der Akten nicht glaubhaft ist. Denn die Verwaltungsakte enthält im Erstantrag von September 2004 zum einen kein derartiges Zusatzblatt, wobei sich weder aus der Nummerierung noch aus anderen Umständen eine Unvollständigkeit der Akte ergibt. Zum anderen hat der Antragsteller im Antrag (Ziff. VII. und XI.) durch seine Unterschrift versichert, dass "kein 9.700,00 Euro übersteigendes Vermögen, Lebensversicherungen oder Ähnliches vorhanden ist". Der Antragsteller hat die Lebensversicherung nicht angegeben, obwohl er hierzu unabhängig einer Berücksichtigung (§ 12 Abs. 2 Nr. 6 SGB II) verpflichtet war. Da der Vordruck zudem den Zusatz enthält, dass nur in den Fällen, in denen ein diesen Betrag übersteigendes Vermögen vorliegt, das "Zusatzblatt 3" auszufüllen ist, lagen für die Antragsgegnerin weder widersprüchliche Angaben des Antragstellers vor noch drängten sich weitere Ermittlungen auf.
Einer Anhörung des Antragstellers zu der Anordnung der sofortigen Vollziehung bedurfte es nicht, da es sich hierbei nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, sondern um einen unselbstständigen Annex handelt (h.M.; Keller, a.a.O., Rn. 22, 17a). Soweit die Anhörung zu den Bescheiden vom 10.05.2007 und 14.05.2007 unterblieben ist, liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 6 SGB X vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 21.01.2008
Zuletzt verändert am: 21.01.2008