I. Die Klage gegen den Bescheid vom 17. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2011 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Leistungsbewilligung aufgrund eines vorübergehenden Wegzugs der Klägerin aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
Die am 1974 geborene Klägerin stand mit ihrem Ehemann und den beiden am 2009 geborenen Kindern im Leistungsbezug beim Beklagten (letzte Leistungsbewilligung bis 31.01.2010).
Mit Schreiben vom 08.10.2009 teilte die Klägerin mit, dass sie zu ihren Eltern nach D. ziehen wolle. Zurzeit sei der Vater ihrer Kinder zuhause, da sie aufgrund ihrer Sehbehinderung die Kinder nicht alleine versorgen könne. Damit er wieder arbeiten gehen könne, wolle sie nach D. ziehen, wo ihre Eltern sie bei der Versorgung ihrer Kinder unterstützen könnten.
Am 22.10.2009 sprach der Ehemann vor. Sie benötigten einen Aufhebungsbescheid, da sie die Leistungen in D. beantragen wollten. Er selbst werde ab dem 01.11.2009 nach S. ziehen.
Mit Bescheid vom zwar 20.10.2009 hob daraufhin der Beklagte die Leistungsbewilligung gegenüber der Klägerin ab 01.11.2009 auf.
Ab 11.11.2009 war die Klägerin mit ihren Kindern in D. polizeilich gemeldet.
Zum 01.02.2010 zog sie mit ihren Kindern wieder in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten, der ab diesem Zeitpunkt erneut Leistungen bewilligte.
Mit Überprüfungsantrag vom 14.01.2011 beantragte sie die Überprüfung des Aufhebungsbescheides vom 22.10.2009, da gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) weiter Leistungen zu erbringen gewesen seien. Es sei zu keiner Leistungserbringung durch einen anderen Leistungsträger gekommen.
Mit Bescheid vom 17.01.2011 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag unter Hinweis auf die weggefallene örtliche Zuständigkeit ab.
Den Widerspruch vom 20.01.2011 mit Hinweis auf Kommentierung zu § 2 SGB X wies er mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2011 zurück. Eine weitere Leistungsgewährung gemäß § 2 Abs. 3 SGB X könne nicht rechtmäßig erfolgen, da sich die Klägerin ab 01.11.2009 ohne Zustimmung ihres persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Zuständigkeitsbereichs aufgehalten habe.
Am 07.06.2011 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg gegen den Bescheid vom 17.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2011. Auf sie finde aufgrund der Kinderbetreuung § 7 Abs. 4a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine Anwendung. Sie habe sich in Absprache mit dem Vater um die Zwillingskinder gekümmert und sei daher gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht dazu verpflichtet gewesen, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.
Mit Schreiben vom 07.07.2011 erwiderte der Beklagte und beantragte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin, die sich tatsächlich nicht in D., sondern bei ihren Eltern in B. aufgehalten habe, hätte jederzeit Leistungen in B. beantragen können. Eine Fortsetzung der Erbringung von Leistungen sei durch das widersprüchliche Verhalten der Klägerin verhindert worden. Es könne dem Beklagten auch nicht auferlegt werden, Leistungen für eine Zeit zu erbringen, in der die Klägerin durch eigenes Verschulden keine Leistungen bei einer anderen Behörde erhalten habe. Er legte Auszüge aus dem Leistungsprogramm vor, aus denen sich zahlreiche Anrufe und Vorsprachen der Klägerin beim SGB II Leistungsträger in D. ab 13.11.2009 ergaben. Die Klägerin beantragte danach dort Leistungen, die – allerdings wohl ohne Bescheid – abgelehnt wurden, da sie sich tatsächlich nicht in D., sondern in B. bei ihren Eltern und anderen Verwandten aufgehalten habe und nur erklärt habe, dass sie mit diesen nach D. ziehen wolle. Am 16.12.2009 wurde ihr bei einer Vorsprache mitgeteilt, dass dem Umzug nicht zugestimmt werden könne, weil keine Notwendigkeit gesehen werde und sie jedenfalls keinen Aufenthaltsort in D. habe.
Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 09.07.2011 mit, dass die Verpflichtung zur Leistungsgewährung gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X unabhängig davon bestehe, ob die zuständige Behörde ihren Erstattungsanspruch durchsetzen könne.
Mit Schreiben vom 29.08.2011 ergänzte sie auf Anfrage des Gerichts zur Gefährdung der Erziehung bei der Betreuung durch den Vater, dass dieser nicht erwerbstätig gewesen sei und sogar ausdrücklich Elternzeit beantragt und erhalten habe. Allerdings habe sich die Klägerin alleinerziehend mit ihren Kindern in B. aufgehalten. Da sie sich auch tatsächlich nicht im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten habe, müsse bezüglich des zeit- und ortsnahen Bereichs auf den Zuständigkeitsbereich des B. Jobcenters abgestellt werden. Schließlich werde auch auf die Freizügigkeitsgarantie des Art. 13 Grundgesetz (GG) verwiesen.
Das Gericht teilte mit Schreiben vom 16.01.2012 mit, dass keine Erfolgsaussichten gesehen würden. Bezüglich der Alleinerziehung und des zeit- und ortsnahen Bereichs könne ausschließlich auf den Zuständigkeitsbereich des Beklagten abgestellt werden, von dem Leistungen beantragt würden. Schließlich hätte die Leistungserbringung auch im Übrigen rechtmäßig gewesen sein müssen, was jedenfalls für eine nicht mehr bewohnte Unterkunft nicht der Fall sei.
Mit Schreiben vom 20.03.2012 stellte die Klägerin klar, dass die Klage auf Erbringung einer 80 %igen Regelleistung gerichtet sei. Die Klägerin habe in dieser Zeit bei ihren Eltern und verschiedenen Geschwistern gewohnt, die als Bedarfsgemeinschaft von der ARGE B. Leistungen bezogen hätten. Anders als § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X sei die Erreichbarkeitsanordnung für Umzugsfälle nicht anwendbar, was sich auch aus den Hinweisen der Agentur für Arbeit ergebe.
Mit Schreiben vom 18.04.2012 regte sie eine Beiladung des Jobcenters B. an, da der Antrag bei der Vorsprache in D. gemäß § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gegenüber der B. Behörde gelte. Sie legte ein Schreiben der ARGE D. vom 04.05.2010 vor, in dem erläutert wird, wieso die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht vorgelegen hätten. Insbesondere habe die Klägerin unterschiedliche Angaben gemacht, eine Vermieterbescheinigung für eine Wohnung in D. vorgelegt, die zu groß und zu teuer gewesen sei. Schließlich habe auch keine Notwendigkeitsbescheinigung aus S. vorgelegt werden können und die Notwendigkeit eines Umzugs nach D. sei nicht erkennbar gewesen, zumal dort lediglich ein Bruder von ihr lebe, und zwar in einem betreuten Wohnen für Behinderte. Alle anderen Verwandten lebten in B …
Das Gericht hat die Streitsache am 21.06.2012 in Augsburg mündlich verhandelt.
In der mündlichen Verhandlung beantragt der Beklagte, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin macht mit ihrer Klage Leistungen in Höhe des Regelsatzes eines Angehörigen in Höhe von 80 % der Regelleistung eines Haushaltsvorstandes auch für die Zeit des Aufenthalts außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beklagten im Rahmen eines sog. Zugunstenverfahrens gemäß § 44 SGB X geltend.
Diese Klage ist zulässig aber unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten vom 27.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 22.10.2009 und Weiterzahlung der Leistungen über den 31.10.2009 hinaus.
Die formal bestandskräftige Entscheidung vom 22.10.2009 über die Aufhebung der Leistungsbewilligung zum 01.11.2009 ist rechtmäßig ergangen und war daher auch auf den Überprüfungsantrag vom 14.01.2011 nicht gemäß § 44 SGB X aufzuheben.
Der Aufenthalt der Klägerin in B. 01.11.2009 bis 31.01.2010 stellte eine wesentliche Änderung gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X dar, welche den Beklagten gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zur Aufhebung der Leistungsbewilligung auch während des laufenden Bewilligungszeitraums berechtigte und verpflichtete.
Dies ergibt sich zum einen aus der Zuständigkeitsregelung in § 36 Abs. 2 SGB II, die entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung nicht nur eine Ordnungsvorschrift, sondern eine Anspruchsvoraussetzung im engeren Sinn darstellt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.05.2011 – L 5 AS 92/7). Die Klägerin hatte auch nach eigenen Angaben ab 01.11.2009 bis 31.01.2010 weder einen gewöhnlichen noch einen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Sie hat sich in dieser Zeit nach den Vorsprachevermerken der ARGE D. und nach eigenem Vortrag wohl in B. bei Verwandten aufgehalten. Der Wohnsitz und gewöhnliche Aufenthalt in I. ist mit der Aufenthaltsnahme in B. zum 01.11.2009, vollzogen durch Ummeldung nach D. (!) zum 11.11.2009 aufgegeben worden. Die Klägerin hat mehrfach erklärt, dass sie sich auf absehbare Zeit nicht mehr in I. aufhalten und in D. einen neuen Aufenthalt bis auf Weiteres begründen wolle. Dass sie sich dann tatsächlich nach B. und nicht nach D. begeben hat, ist jedenfalls für die Frage, ob in S. noch ein gewöhnlicher Aufenthalt bestanden hat, unerheblich.
Damit hat sich die Klägerin aber auch ab diesem Zeitpunkt ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1605 und 80), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476) definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten (§ 7 Abs. 4a SGB II in der Fassung bis 31.03.2011).
Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht erwerbsfähig beziehungsweise gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht zumutbar in Arbeit vermittelbar gewesen wäre, liegen nicht vor, und zwar ausdrücklich auch unter Berücksichtigung der Betreuung der beiden am 20.01.2009 geborenen Kinder. Denn die Versorgung und Betreuung der Kinder erfolgte auch nach Angaben der Klägerin bis zu ihrem Wegzug durch den Ehemann, der bei seinem Arbeitgeber Elternzeit beantragt hatte. Sie selbst sei aufgrund ihrer Sehbehinderung ohne Hilfe nicht in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern. Ausdrücklich hat sie daher auch gegenüber dem Beklagten den Umzug nach D. damit begründet, dass ihre Kinder von ihrer dort lebenden Familie betreut würden.
Sie war daher auch zu keinem Zeitpunkt alleinerziehend im Sinne des Urteils des SG Karlsruhe vom 14.03.2011 (S 5 AS 4172/10).
Der Aufenthalt in D. (tatsächlich B.) ist vom Beklagten auch zu keinem Zeitpunkt gemäß § 7 Abs. 4a SGB II genehmigt worden. Insbesondere liegt in der Kenntnisnahme vom Umzug und dem Hinweis darauf, dass Leistungen nach dem Umzug beim danach zuständigen Leistungsträger zu beantragen seien, keine Zustimmung nach dieser Vorschrift.
Die Regelungen über den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II werden vorliegend auch nicht von der allgemeinen Regelung in § 2 Abs. 3 SGB X überlagert, wonach beim Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch so lange erbringen muss, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Vielmehr besteht auch der Anspruch auf weitere Bezahlung von Leistungen danach nur in dem Umfang, in dem die Leistungsgewährung rechtmäßig ist und auch die bisher zuständige Behörde mit Rechtsgrund leistet. Ausgeschlossen sind danach von vornherein Unterkunftskosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung (SG D. vom 13.03.2007 – S 10 AS 34/07 ER sowie Schleswig-Holsteinisches LSG vom 12.04.2011 – L 6 AS 45/10).
Diese Einschränkung gilt entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung aber auch für die Regelungen zum Leistungsausschluss bei ungenehmigter Ortsabwesenheit. Auch in diesem Fall ist die weitere Erbringung von Leistungen nicht mehr gerechtfertigt. § 7 Abs. 4a SGB II stellt insoweit eine vorrangige Regelung gegenüber § 2 Abs. 3 SGB X dar. Dass danach § 2 Abs. 3 SGB X im Geltungsbereich des SGB II nur einen begrenzten Anwendungsbereich hat, ergibt sich aus der Bedeutung, die der Aufenthalt vor Ort für die Leistungserbringung hat. Denn nur der Träger vor Ort kann ohne größeren Aufwand in Kenntnis und unter Anknüpfung an die lokalen Gegebenheiten sachgerecht über den geltend gemachten Leistungsanspruch entscheiden. Sowohl die Sachverhaltsaufklärung (z.B. Vorsprachen und Hausbesuche) als auch – soweit geltend gemacht – die Bestimmung der angemessenen KdU Leistungen würden ungleich erschwert, wenn eine örtliche Unzuständigkeit folgenlos bliebe (LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O).
Dass es dabei auf die Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung durch den vorleistenden Träger, hier den Beklagten, ankommt, ergibt sich auch aus § 2 Abs. 3 S. 3 SGB X in Verbindung mit § 102 Abs. 2 SGB X. Die Klägerin kann also nicht mit Erfolg geltend machen, gegenüber dem örtlich zuständigen Träger (B. oder D.) sei sie nicht ortsabwesend gewesen beziehungsweise im Verhältnis zu diesem sei sie als alleinerziehend anzusehen gewesen.
Schließlich wird ergänzend noch darauf hingewiesen, dass das Jobcenter D., bei dem die Klägerin während ihres Aufenthalts in B. mehrfach vorgesprochen hat, die Bearbeitung des Falles grundsätzlich übernommen hatte. Es waren allerdings zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung durch die ARGE D. gegeben, weswegen es zu keiner Leistungsbewilligung kam. Allenfalls hätte die Klägerin aufgrund ihres tatsächlichen Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich des Jobcenters B. auch nur dort Leistungen in Anspruch nehmen können. Wenn sie es aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterlassen hat, in B. einen Antrag zu stellen, kann dies nun ebenfalls nicht dazu führen, dass nachträglich nach bestandskräftiger Aufhebung der Beklagte verpflichtet wird, Leistungen für diesen Zeitraum zu bewilligen.
Auch aus diesem Grunde wären im Übrigen die Voraussetzungen für einen Umzugsfall, in dem jedenfalls nach Auffassung der Klägerin unabhängig von den Voraussetzungen des § 7 Abs. 4a SGB II die Leistungen vorläufig weiter zu erbringen wären, nicht gegeben. Denn weder hat der Beklagte dem Umzug zugestimmt noch ist die Klägerin entsprechend ihrer Ankündigung nach D. verzogen. Sie hat sich vielmehr durchgehend an einem anderen als dem angegebenen Ort aufgehalten.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abzuweisen.
Erstellt am: 06.07.2012
Zuletzt verändert am: 06.07.2012