Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.01.2013 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C aus N beigeordnet. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache begehrt der Kläger die Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente.
Der Kläger bezieht laufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und stellte am 20.3.2012 den Antrag auf Gewährung eines besonderen Bedarfs im Hinblick auf die Zuzahlung für Medikamente ab 01.04.2012 in einer Höhe von 72,33 EUR monatlich. Auf Nachfragen der Beklagten teilte der Kläger den Bedarf folgender Medikamente mit: Nagellack "Ciclopoli", Augentropfen "Optive", Hautcreme "Allpresan" und "Gewohl" – Gesamtkosten 83,73 EUR.
Die Krankenversicherung des Klägers – die BARMER GEK – teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.5.2011 mit, die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel könnten nicht übernommen werden. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel könnten vom Arzt verordnet werden, wenn diese in der Ausnahmeliste aufgelistet seien.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 30.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 hat der Kläger fristgerecht Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhoben und zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.
Das SG hat mit Beschluss vom 23.01.2013 den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II. Ein unabweisbarer Bedarf für nicht verschreibungspflichtige Medikamente ergäbe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht. Der Anspruch auf medizinische Versorgung werde durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt. Von der Versorgung ausgeschlossen seien nicht verschreibungspflichtige Medikamente. Ausnahmsweise könnten auch hierfür Kosten übernommen werden nach der Ausnahmeregelung des § 12 der Arzneimittel-Richtlinie, erlassen durch den gemeinsamen Bundesausschuss nach § 34 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Eine Verordnung solcher Medikamente sei nur dann zulässig, wenn diese Medikamente bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Leistungen durch den Träger der Grundsicherung schieden daher ohne weitere Ermittlungen aus. Das SG bezog sich dabei auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NW) (LSG NW Beschluss vom 14. März 2012 – L 12 AS 134/12) und eine Entscheidung des BSG (BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 146/10 R -, BSGE 108, 235-241).
Gegen den am 28.1.2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 22.02.2013 Beschwerde eingelegt. Das Medikament "Ciclopoli" sei erforderlich, um Beeinträchtigungen zu verhindern. Eine orale Therapie aufgrund diverser anderer Erkrankungen sei unmöglich. Das Medikament sei in der Arzneimittelrichtlinie nicht enthalten und werde daher nicht von der Krankenkasse übernommen. Erwerbstätige mit höheren Einkommen könnten gewisse Medikamente aus eigener Tasche bezahlen. Dem Kläger, der ausschließlich Leistungen nach dem SGB II beziehe, stehe diese Möglichkeit nicht offen. Der Kläger überreichte ein weiteres Schreiben seiner Krankenkasse vom 14.06.2013. Die BARMER bestätigt darin, dass die Präparate "Ciclopoli-Lack" und "Optive ATR" nicht in der Übersicht der Arzneimittelrichtlinie enthalten sind. Diese Präparate seien daher nicht verordnungsfähig. Der "Allpresam-Schaum" sei für Erwachsene nicht verordnungsfähig, die Arzneimittelrichtlinie sähe lediglich eine Ausnahme vor für Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahres und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres mit Entwicklungsstörungen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu Unrecht abgelehnt. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Verfolgung des Anspruchs des Klägers auf Kostenübernahme für die geltend gemachten, nicht verschreibungspflichtigen und auch nicht verordnungsfähigen Arzneimittel kann nicht von vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Es ist vielmehr im Einzelnen zu prüfen, ob der Kläger einen unabweisbaren Bedarf iSd § 21 Abs. 6 SGB II hat. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.
Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit den §§ 114,115 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Erfolgsaussicht ist grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), NJW 1991, 413 ff; BVerfG, NJW-RR 2002, 665 ff; LSG NRW, Beschluss vom 29.06.2009 – L 20 B 6/09 AS; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, a.a.O., § 73a, Rn. 7 ff; Düring in: Jansen, Kommentar zum SGG, 3. Auflage 2009, § 73a Rn. 12 m.w.N). Dabei ist eine schwierige Rechtsfrage nicht im Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu klären, sondern erst abschließend im Hauptsacheverfahren zu entscheiden (BVerfG, Entscheidung vom 05.02.2003 – 1 BvL 1526/02, FamRZ 2003, 833; Leitherer, a.a.aO., § 73 ab, Rn. 7 b m.w.N.); ist die Rechtsauffassung des Antragstellers vertretbar, ist daher Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Gemessen hieran waren die Erfolgsaussichten im vorliegenden Verfahren nicht zu verneinen. Denn vorliegend liegen zu der Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Medikamente (OTC [over the counter]-Präparate) von der Krankenkasse oder aber als Mehrbedarf nach § 21 SGB II vom Job-Center zu übernehmen sind, wiederstreitende Entscheidungen vor (BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R und BSG, Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R; vgl. hierzu auch Wenner, SoSi 2012, S. 114-117).
Zwar hat der für das Grundsicherungsrecht zuständige 14. Senat des BSG geurteilt, dass aufgrund der Notwendigkeit einer Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln grundsätzlich keine unabweisbaren laufenden Bedarfe entstehen. Die Verordnungsfähigkeit könne nur innerhalb des Leistungssystems des SGB V geprüft werden (BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 146/10 R – Rn. 24). In Ansehung der Rechtsprechung des für das Krankenversicherungsrecht zuständigen 1. Senats des BSG (BSG, Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R) kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass ohne weitere Ermittlungen seitens der Träger der Grundsicherung davon auszugehen ist, dass grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden (so aber LSG NW, Beschluss vom 14. März 2012 – L 12 AS 134/12 B). Nach der Rechtsprechung des 1. Senats sichern die bei Hilfebedürftigkeit eingreifenden Teile des Sozialsystems das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum, sofern Versicherte krankheitsbedingt Mittel benötigen, die verfassungskonform nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen. Bei Bedürftigkeit Betroffener übernehmen daher andere Teile des Sozialsystems die Versorgung mit solchen Leistungen, etwa das SGB II und SGB XII unter den dort genannten Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 06. März 2012 – B 1 KR 24/10 R – Rn. 27, 35, 36 -, juris). Das gilt nach der Rechtsprechung des 1. Senats grundsätzlich sowohl für nicht verschreibungspflichtige als auch für nicht verordnungsfähige Arzneimittel.
Daher wird umfassend das Erkrankungsbild des Klägers zu ermitteln sein, um abzugleichen, ob die Voraussetzungen, unter denen nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente übernommen werden können, erfüllt sind (vgl. hierzu Knickrehm/Hahn in Eicher-Spellbrink, SGB II, § 21 Rn. 74; Behrend in juris-PK, § 21, Stand 31.12.2013, Rn. 109 ff., 115, 117.3 ff. m.w.N.). Zudem wird das SG zu prüfen haben, ob die Krankenkasse beizuladen ist (vgl. hierzu auch Wenner, SoSi 2012, S. 117).
Der Kläger ist nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen.
Kosten werden im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 26.06.2014
Zuletzt verändert am: 26.06.2014