I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2019 und unter teilweiser Abänderung des Bescheides vom 16.11.2017 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 10.08.2018 um EUR 10,00 monatlich höhere Leistungen gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der 1993 geborene Kläger ist sierra-leonischer Staatsangehöriger und stellte am 22.05.2017 (Einreise am 11.05.2017) einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen und bezieht seit 16.11.2017 Leistungen nach dem AsylbLG von diesem. Mit Bescheid vom 29.11.2017 bezog der Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG bis 10.08.2018, aufgrund der teilweisen Gewährung von Sachleistung in Höhe von EUR 320,14. Gemäß Bescheid vom 05.12.2018 gewährte der Beklagte ab dem 11.08.2018 Leistungen nach § 2 AsylbLG.
Mit Schreiben vom 27.06.2019 beantragte der Kläger alle bestandskräftigen Bescheide ab Januar 2018 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen und die Leistungen neu zu berechnen, da diese seit 2016 entgegen der Regelung des § 3 Abs. 5 AsylbLG a.F. nicht in der Höhe angepasst worden seien.
Der Beklagte lehnte die Gewährung höherer Leistungen mit Bescheid vom 06.08.2019 ab, da die Regelsatzerhöhung weder vom Gesetzgeber, noch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veranlasst sei.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und berief sich auf ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts (SG) Stade zu diesem Thema. Es bedürfe für die Fortschreibung der Leistungshöhe keines Umsetzungsaktes.
Der Beklagte legte den Widerspruch der Regierung von Schwaben zur Entscheidung vor. Diese wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2019 als unbegründet zurück. Sie verwies wiederholend darauf, dass es an einer Fortschreibung der Beträge seit 2016 fehle und diese, anders als das SG Stade darlege, ohne Umsetzung der EVS 2013 durch Änderung des AsylbLG nicht möglich sei. Auch eine hilfsweise Gewährung höherer Leistungen nach § 6 AsylbLG komme nicht in Betracht.
Am 16.12.2019 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Er begehrt höhere Leistungen nach § 3 AsylbLG für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 10.08.2018. Es fehle bis heute an einer Umsetzung der Anpassung der Leistungshöhen. Die Höhe ergebe sich dabei direkt aus dem Gesetz. Es stehe ihm daher ein höherer Leistungsanspruch zu. Die Erhöhung für 2017 habe nach der Fortschreibungsverordnung 2016 zu erfolgen, da es für 2017 keine eigene Verordnung gegeben habe. Die Erhöhung sei hier 1,24%, weshalb die Leistungen in 2017 bei EUR 358,00 hätten liegen müssen. Für das Jahr 2018 sei die Erhöhung 1,63%, sodass EUR 364,00 hätten gewährt werden müssen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2019 zu verpflichten, ihm Leistungen gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG an die Teuerung angepasste Leistungen gem. § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 10.08.2018 in Höhe von mindestens EUR 10,00 monatlich zu gewähren,
hilfsweise,
den Betrag zu bewilligen, den das Gericht bei einer unterstellten Fortschreibung der entsprechenden Veränderungsraten nach § 28a SGB XII iVm den Verordnungen nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG für angemessen erachten würde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dieser legt seine Akte vor und verweist auf deren Inhalt. Er verweist nochmals darauf, dass vor der aktuellen Gesetzesänderung zum 01.09.2019 keine Erhöhung der Beträge möglich sei. Der Rechtsauffassung des SG Stade könne nicht gefolgt werden. Es bedürfe eines Umsetzungsaktes, welcher bislang gefehlt habe.
Beide Beteiligten haben in der Folge schriftlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die vor dem zuständigen Gericht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig.
Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid vom 06.08.2019, welcher die höhere Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG für den Zeitraum 01.01.2018 bis 10.08.2018 im Rahmen der Überprüfung ablehnt.
Die Klage ist diesbezüglich begründet.
Die maßgebliche Rechtsgrundlage stellt vorliegend § 44 Abs. 1 SGB X dar. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist danach der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Zu Recht macht der Kläger geltend, dass der Beklagte seinen Leistungssatz nach § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 28 a SGB XII jährlich anhand der jeweils gültigen Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII hätte erhöhen müssen.
Gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG werden der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe nach Absatz 1 Satz 8 sowie der notwendige Bedarf nach Absatz 2 Satz 2 jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII fortgeschrieben. Gem. § 3 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG sind die sich dabei ergebenden Beträge jeweils bis unter 0,50 EUR abzurunden sowie von 0,50 EUR an aufzurunden.
Dieser Regelung zuwider hat der Beklagte die Leistungssätze seit dem Jahr 2016 nicht fortgeschrieben. Seine Pflicht zur höheren Leistungsbewilligung und entsprechend ein Anspruch des Klägers folgt dabei direkt aus dem Gesetz (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Mai 2019 – L 8 AY 49/18 -, juris; SG Bremen, Beschluss vom 15. April 2019 – S 40 AY 23/19 ER -, juris; SG Stade, Urteil vom 11. April 2019 – S 19 AY 5/19 -, juris; a.A. Hohm, ZFSH SGB 2/2019, S. 68 ff.).
Zwar bestimmt § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG, dass das BMAS jeweils spätestens bis zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt gibt. Dies hat das BMAS für die Jahre 2017, 2018 und bis 31.08.2019 unterlassen (bereits in der vergangenen, der 18. Wahlperiode hatte der Gesetzgeber einen Versuch unternommen, ein Drittes Gesetz zur Änderung des AsylbLG (fortan: 3. AsylbLG-ÄndG) auf den Weg zu bringen (Gesetzentwurf auf BT-Drs. 18/9985). Dieses Gesetzesvorhaben fand seinerzeit zwar die Billigung des Bundestages (BT-PlPr. 18/206, S. 20581A), nicht aber die des Bundesrates (BR-PlPr. 952, S. 514C). Der von der Bundesregierung angerufene Vermittlungsausschuss (BT-Drs. 18/10752) erzielte sodann kein Ergebnis und letztlich fiel der Gesetzentwurf der Diskontinuität anheim. Ein erneuter Anlauf in der laufenden 19. Wahlperiode (Gesetzentwurf auf BT-Drs. 19/10052) war dagegen von Erfolg gekrönt. Das 3. AsylbLG-ÄndG (v. 13.08.2019 – BGBl I 2019, 1290) trat am 01.09.2019 in Kraft.). Daraus folgt jedoch nicht, dass für den Zeitraum davor keine Leistungserhöhung zu erfolgen hat. Denn die Bekanntgabe selbst hat keine rechtsgestaltende Wirkung (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014 und LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 23.05.2019 – L 8 AY 49/18).
Auch soweit der Gesetzgeber entsprechend seinem eigenen in § 3 Abs. 5 AsylbLG vorgesehenen gesetzgeberischen Programm die Leistungssätze nach Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe – EVS – 2013 nicht – wie im SGB II und SGB XII zu 2017 geschehen – neu festgesetzt hat, ergibt sich hieraus nichts Anderes. Solange der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Ermittlung neuer Bedarfssätze nicht nachkommt, verbleibt es bei der Regelung des § 3 Abs. 4 AsylbLG. Nur durch eine solche Auslegung, die dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, wird eine offensichtlich verfassungswidrige Unterdeckung des Bedarfs vermieden (vgl. hierzu im Einzelnen: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen a.a.O.). Zwar wäre eine Neufestsetzung der Bedarfssätze durch den Gesetzgeber grundsätzlich vorrangig anzuwenden (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen a.a.O.). Jedoch ist die Anwendung der (auch) gesetzlich normierten Fortschreibungsregelung solange nicht versperrt, solange der Gesetzgeber seiner Aufgabe nach § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht nachkommt (vgl. auch: SG Oldenburg, Beschluss v. 12.07.2019 – S 26 AY 18/19 ER).
Aus § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 1 der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach den §§ 28a und 134 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBSFV) für das Jahr 2018 (BGBl. I 2017, 3767) ergibt sich eine Veränderungsrate i.H.v. 1,63 % und für 2019 eine Veränderungsrate i.H.v. 2,02 % (§ 1 RBSFV 2019, BGBl. I, 2018, 1766).
Für das Jahr 2017 ist zwar keine Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung erlassen worden. Insoweit ist jedoch die RBSFV 2016 analog anzuwenden. Für eine Analogie spricht, dass eine planwidrige Lücke besteht, die durch die analoge Anwendung der Verordnung angemessen ausgefüllt werden kann. Der Gesetzgeber ist bei Erlass des § 3 AsylbLG i.d.F. v. 11.3.2016 davon ausgegangen, dass eine dynamische Anpassung jährlich erfolgen wird, indem entweder die Bedarfssätze anhand der i.R.d. SGB XII erlassenen Fortschreibungsverordnung fortgeschrieben werden oder er in allen drei Grundsicherungssystemen (SGB II, SGB XII und AsylbLG) die Bedarfssätze nach Auswertung einer neu vorliegenden EVS neu festschreibt. Den Fall, dass in einem Grundsicherungssystem – insb. dem AsylbLG, dass sich ausweislich des § 3 Abs. 4 und Abs. 5 AsylbLG an dem System des SGB XII eng anlehnt, trotz Vorliegens einer EVS keine gesetzliche Neufestsetzung der Bedarfe erfolgt, hat der Gesetzgeber nicht bedacht und entsprechend nicht geregelt. Zwar ist die RBSFV 2016 nach ihrem Wortlaut für das Jahr 2016 (zum 1. Januar 2016) anzuwenden. Die bestehende Interessenlage ist jedoch vergleichbar. Die RBSFV 2016 ist erlassen worden, um eine dynamische Anpassung der Leistungssätze, auch ohne Neufestsetzung der Bedarfssätze durch den parlamentarischen Gesetzgeber, zu erreichen (so auch: SG Oldenburg aaO).
Die durch die Nicht-Verabschiedung neuer Bedarfssätze für das AsylbLG entstandene Lücke lässt sich auch nicht durch eine andere Vorschrift des öffentlichen Rechts schließen. Insbesondere kann der Rechtsanwender nicht selbst eine Veränderungsrate anhand der Bestimmung des § 28a Abs. 2 SGB XII bilden. Dies ist durch das Gesetz ausdrücklich dem normativen (Verordnungs-) Gesetzgeber (vgl. § 40 SGB XII) vorbehalten. Auch ist nach Ansicht des Gerichts nicht die in § 7 Abs. 2 RBEG vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3159) für die im SGB II und SGB XII ermittelten Summen nach § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 RBEG anzuwendende Veränderungsrate anzuwenden. Auch wenn diese, ausweislich ihres Wortlauts, gem. § 7 Abs. 1 RBEG abweichend von § 28a SGB XII die Veränderungsrate für den Mischindex für die Fortschreibung zum 1. Januar 2017 regelt, kann sie auf den Bereich des AsylbLG keine analoge Anwendung finden. Denn dies stünde dem gesetzgeberischen Willen entgegen. Der Gesetzgeber wollte mit dem RBEG vom 22. Dezember 2016 gerade keine Aussagen zu den Bedarfssätzen nach dem AsylbLG treffen. Dies kann dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung entnommen werden. Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf zum RBEG 2017 zwar erkannt, dass mit Vorliegen der Einkommens- und Verbrauchstichprobe 2013 ein entsprechender Überprüfungsbedarf auch der Bedarfssätze nach dem AsylbLG besteht (BRDrs. 541/16, 2, 26). Gleichzeitig wird jedoch ausgeführt, dass dies in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden soll und aus diesem Gesetzentwurf keine Aussagen zu den Geldleistungen nach dem AsylbLG zu treffen sind (BRDrs. 541/16, S. 2, 26).
Der analogen Anwendung der RBSFV 2016 steht nicht ihre Ungültigkeit entgegen. Denn ausweislich § 4 RBSFV 2016 ist lediglich ihr Inkrafttreten nicht jedoch ihr Außerkrafttreten geregelt worden, so dass sie auch im Jahr 2017 noch rechtliche Wirksamkeit entfaltet hat.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erhöhen. Ausgehend von folgenden Beträgen: – Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG 135,00 – Leistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG 219,00 sind die Erhöhungssätze zu berechnen.
Dementsprechend war der Bedarfssatz des Klägers um 1,24 % für das Jahr 2017 (aufgerundet 4 EUR – 354EUR mal 1,24% gleich 4,38EUR – abgerundet auf EUR 4,00) und im Jahr 2018 um weitere 6 EUR (358EUR mal 1,63% gleich 5,83EUR, aufgerundet auf EUR 6,00) monatlich zu erhöhen, sodass sich für den ausschließlich streitigen Zeitraum in 2018 ein um EUR 10,00 monatlich höherer Leistungsanspruch ergibt.
Über den Hilfsantrag war aufgrund des vollen Erfolges des Hauptantrags nicht zu entscheiden.
Die Kostenfolge basiert auf § 193 SGG.
Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG gesondert zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, der Streitwert aber die Berufungsgrenze ansonsten unterschreiten würde.
Erstellt am: 18.01.2021
Zuletzt verändert am: 18.01.2021