Das beklagte Land wird verurteilt, der Klägerin Entschädigung in Höhe von 500,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 5/6, das beklagte Land zu 1/6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Entschädigung nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Sie macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 15 R 170/09 / S 44 (15) 170/09 Sozialgericht (SG) Düsseldorf geltend.
01.07.2009 In diesem Verfahren hat die Klägerin am 01.07.2009 Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung erhoben. Gegenstand des Rechtsstreits war im Wesentlichen die Frage, ob der Klägerin aufgrund Abtretung eine Witwerrentenabfindung ihres verstorbenen Ehemanns i.H.v. 13.871,53 EUR zustand oder ob der Abtretung entgegenstand, dass sie nicht im wohlverstandenen Interesse des Ehemanns war. Die Klägerin war in einem ersten darüber geführten Rechtsstreit unterlegen (Urteil des SG Düsseldorf vom 04.07.2006 – S 10 RA 15/04 -, Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 05.03.2008 – L 8 R 18/08 -, mit dem die Erledigung des Rechtsstreits durch Berufungsrücknahme festgestellt wurde). In dem Rechtsstreit S 15 R 170/09 SG Düsseldorf verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf der Grundlage des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) weiter.
03.08.2009
Am 03.08.2009 bestellten sich für die Klägerin Prozessbevollmächtigte, die zur Begründung der Klage um Akteneinsicht baten.
05.08.2009
Die Akten wurden am 05.08.2009 an die Prozessbevollmächtigten übersandt, die diese nach zweimaliger Erinnerung
29.10.2009
am 29.10.2009 zurückreichten und die Klage
04.05.2010
nach zweimaliger Erinnerung und Fristsetzung i.S.d. § 102 Sozialgerichtsgesetz schließlich am 04.05.2010 begründeten.
14.05.2010
Die Beklagte erwiderte auf die Klage am 14.05.2010;
17.05.2010
die Verwaltungsvorgänge reichte sie am 17.05.2010 nach.
Die Vorlagefrist für die Gerichtsakte wurde in der Folge mit 4 Wochen, 3 Monate, 3 Monate und
21.12.2010
am 21.12.2010 mit "ET (PE)" gesetzt.
01.02.2011
Die Sachstandsanfrage der Klägerin vom 01.02.2011 beantwortete das SG dahin, dass ein Erörterungstermin vorgesehen sei, ein neuer Termin wegen der Belastung der Kammer aber nicht mitgeteilt werden könne.
23.04.2012
Am 23.04.2012 erhob die Klägerin Verzögerungsrüge unter Hinweis darauf, dass bisher noch nicht über ihr Prozesskostenhilfegesuch entscheiden worden sei.
13.12.2012
Das SG lehnte den auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag der Klägerin unter dem 13.12.2012 mangels Erfolgsaussicht ab.
Die Gerichtsakten wurden an den 11. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen versandt, der diese wegen der vorliegenden Entschädigungsklage vom 04.12.2012 angefordert hatte.
19.12.2012
Die Klägerin erhob gegen den Beschluss des SG vom 13.12.2012 am 19.12.2012 Beschwerde.
23.01.2013
Beschwerde und Akten lagen dem 14. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen am 23.01.2013 vor.
11.02.2013
Die Beklagte nahm am 11.02.2013 zu der Beschwerde der Klägerin Stellung.
28.05.2013 Unter dem 28.05.2013 teilte der Vorsitzende des 14. Senats den Beteiligten mit, wegen überdurchschnittlichen Arbeitsanfalls habe das Beschwerdeverfahren noch nicht gefördert werden können; nun stehe längerer Urlaub an; das Beschwerdeverfahren werde im Juli 2013 zum Abschluss gebracht werden. 16.10.2013 Am 16.10.2013 bewilligte das LSG Nordrhein-Westfalen der Klägerin Prozesskostenhilfe (Beschluss vom 16.10.2013 – L 14 R 49/13 B -).
07.11.2013
Nach Erhalt der Akten am 07.11.2013 bat das SG die Klägerin
11.11.2013
unter dem 11.11.2013 unter Hinweis auf seine Beurteilung der Rechtslage um weitere Klagebegründung.
10.03.2014
Nach zweimaliger Erinnerung nahm die Kläger am 10.03.2014 Stellung.
19.03.2014
Das SG lud daraufhin am 19.03.2014 zur mündlichen Verhandlung am 06.05.2014.
20.05.2014
Wegen eines akuten Hörsturzes der Klägerin wurde der Termin am 20.05.2014 nach fernmündlicher Besprechung zwischen SG und Bevollmächtigtem der Klägerin zunächst auf den 01.07.2014 und dann auf weiteren Verlegungsantrag der Klägerin wegen Verhinderung ihres Bevollmächtigten auf den 28.07.2014 verlegt.
28.07.2014
Am 28.07.2014 wies das SG die Klage ab.
Die Klägerin hatte bereits am 04.12.2012 vorliegende Klage erhoben und wegen Verzögerung des Rechtsstreits S 15 R 170/09 SG Düsseldorf eine angemessene Entschädigung begehrt.
Die Klägerin beantragt,
das beklagte Lande zu verurteilen, ihr wegen einer Verzögerung des Rechtsstreits von 30 Monaten vor dem Sozialgericht Düsseldorf – S 15 R 170/09 – eine Entschädigung in Höhe von 3.000,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte spricht der Klage eine Erfolgsaussicht nicht ab, erachtet aber eine Entschädigung von allenfalls 500,00 EUR für angemessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Akten SG Düsseldorf – S 10 RA 15/04 / L 8 R 18/08 LSG Nordrhein-Westfalen – und S 15 R 170/09 / L 14 R 49/13 B LSG Nordrhein-Westfalen – Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und im Übrigen zulässige Klage ist nur im tenorierten Umfang begründet. Darüber hinaus hat die Klägerin gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Verfahrens S 15 R 170/09 / S 44 (15) R 170/05 SG Düsseldorf.
I.
Für eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind § 198 Abs. 1 GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I 2554), maßgebend.
Davon ausgehend gilt:
1. Nach Art. 23 Satz 1 ÜGG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die – wie vorliegend – bei Inkrafttreten am 03.12.2011 bereits anhängig waren.
2. Für die Entscheidung über die Klage ist das LSG Nordrhein-Westfalen zuständig.
Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.
Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; das streitgegenständliche Verfahren wurde im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geführt.
3. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -; Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2014 – L 10 SF 11/14 EK -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2014 – L 2 SF 3228/13 EK -).
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Das beklagte Land ist zur Zahlung von 500,00 EUR verpflichtet; im Übrigen ist die Klage unbegründet. Das Ausgangsverfahren hat unangemessen lang gedauert (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Insgesamt beläuft sich die Phase der berücksichtigungsfähigen Unangemessenheit auf fünf Monate.
1. Haftungsauslösend ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 SGG).
2. Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) infolge Versagens des Landes Nordrhein-Westfalen in seiner Funktion als Justizgewährungsgarant und Haftungsschuldner (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG(, Beschluss vom 29.11.2005 – 2 BVR 1737/05-). Auf die Frage, ob der zuständige Richter pflichtwidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Gleichermaßen unerheblich ist, ob sonstige Justizgewährungsgaranten wie Angehörige der Exekutive (Justizverwaltung, Gerichtsleitung, Landesregierung) oder der Landtag Nordrhein-Westfalen als zuständiges Legislativorgan es pflichtwidrig oder schuldhaft unterlassen haben, dem SG personelle Kapazitäten in einem Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht werdenden Umfang zuzuweisen.
3. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
a) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG). Diese Voraussetzung ist nur für die Zeit ab 03.12.2011 erfüllt.
aa) Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Andernfalls werden diese Umstände von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Abs. 2 Satz 5 GVG).
Die Verzögerungsrüge hat eine Doppelnatur. Sie ist materielle Anspruchsvoraussetzung (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B -; LSG Thüringen, Urteil vom 26.11.2013 – L 3 SF 1135/12 EK -; LSG Bayern, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 SF 134/12 EK -), kombiniert mit Elementen einer Prozesshandlung (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Ohne wirksame Verzögerungsrüge entsteht der Entschädigungsanspruch nicht (Senat, Beschluss vom 17.12.2014 – L 11 SF 832/14 EK AS PKH -).
(bb) Eine diesen Anforderungen genügende Verzögerungsrüge hat die Klägerin erhoben. § 198 Abs. 3 Sätze 1 und 3 GVG regeln die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Verzögerungsrüge. Diese Anforderungen sind niedrig gefasst und orientieren sich daran, dass die Rüge keinen eigenständigen Rechtsbehelf, sondern nur eine Obliegenheit als Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch darstellt. Es ist keine ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung erforderlich; sie muss mit ihrem Inhalt zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist (Ott, in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Auflage, 2013, § 198 GVG Rdn. 208 f.; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Indes kann auch nicht jegliche Bezugnahme auf die Verfahrensdauer oder jede Sachstandanfrage als Rüge i.S.d. § 193 Abs. 3 GVG angesehen werden (Senat, Urteil vom 09.07.2014 – L 11 SF 333/13 EK P -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.02.2015 – L 38 SF 66/14 EK AS -; LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 49/13 EK -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.11.2013 – L 11 SF 25/12 EK U -).
Dem genügt das Vorbringen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 23.04.2012. Sie hat ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwandt; sie hat zusätzlich durch ihren Hinweis auf die ausstehende Entscheidung über ihren Prozesskostenhilfeantrag hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass das Verfahren ihres Erachtens ohne Grund verzögert werde und sie dies nicht länger hinnehmen wolle.
Es bestand auch begründeter Anlass für die von der Klägerin inzidenter zum Ausdruck gebrachte Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Die Klägerin hatte nämlich die für die Prozesskostenhilfe erforderlichen Unterlagen bereits im April 2010 eingereicht, ihre Klage im Mai 2010 begründet und im Januar 2011 an die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch erinnert.
(cc) Zu berücksichtigen ist nur eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens für die Zeit ab 03.12.2011.
Nach Art. 23 ÜGG gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert waren, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum. Wird eine Verzögerungsrüge i.S.d. § 23 ÜGG nicht unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben, entfällt zunächst die Zuerkennung einer Geldentschädigung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜÜG und soll darüber hinaus ein Anspruch nach § 198 GVG auch für den Zeitraum, der vom Inkrafttreten bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge verstrichen ist, nicht bestehen (BFH, Urteil vom 20.08.2014 – X K 9/13 -; BGH, Urteile vom 17.07.2014 – III ZR 228/13 – und 10.04.2014 – III ZR 335/13 -; BSG, Urteil vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R -).
Indes liegt kein Fall des Art. 23 ÜGG vor. Die Klägerin hat mit ihrer Rüge vom 23.04.2012 nicht geltend gemacht, dass das Verfahren am 03.12.2011 schon verzögert war. Ihr Vorbringen hat ausnahmslos aktuellen Bezug. Dies ergibt sich u.a. aus ihrem Gesamtvorbringen gegenüber dem SG und ihrem Hinweis, dass nunmehr die Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch nachzuholen sei, nachdem das SG auf ihre Erinnerung an diese Entscheidung vom Januar 2011 nicht reagiert hatte. In verobjektivierter Auslegung kann die Erklärung vom 23.04.2012 unter Berücksichtigung des aktenkundigen Umfeldes nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin mit Blick auf das am 03.12.2011 in Kraft getretene ÜGG nunmehr eine rechtserhebliche Beschleunigungsaktivität bewirken, aber keine weiter rückwirkende anspruchsbewahrende Wirkung i.S.d. Art. 23 ÜGG konstituieren wollte.
(cc) Im Übrigen würde auch ein anderes Verständnis der Klägerin nicht zu weitergehendem Erfolg verhelfen. Selbst wenn nämlich ihre Rüge vom 23.04.2012 als Rüge i.S.d. Art. 23 ÜGG verstanden würde, wäre diese nicht "unverzüglich" erhoben. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) "ohne schuldhaftes Zögern" (Arnold, in Erman, BGB, 14. Auflage, 2014, § 121 Rdn. 3). Hierbei handelt es sich um eine Legaldefinition, die für das gesamte Privatrecht wie auch für das öffentliche Recht gilt (Arnold, in Erman, a.a.O., § 121 Rdn. 3). Die Gesetzesbegründung zum ÜGG legt es nahe, diese Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 31). Damit gehört zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. Demnach ist "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss (BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B – m.w.N.). Bei der Bemessung der angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes zu beachten, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird. Hinzu kommt, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGG). Davon ausgehend ist der Begriff "unverzüglich" in Art. 23 Satz 2 ÜGG weit zu verstehen; eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -), des BGH (Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) und des BSG (Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist. Diese Frist hätte die Klägerin mit ihrer am 23.04.2012 eingegangenen Eingabe nicht eingehalten.
b) Die Dauer des Ausgangsverfahrens war bei der gebotenen Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Art. 23 ÜGG nicht zur Anwendung gelangt, im Umfang von 5 Monaten unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
(aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Feste Zeitvorgaben sind mit § 198 GVG nicht vereinbar. Die Vorschrift verbietet es nachgerade, die Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Hilfe von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme, Erfahrungswerten oder auf statistisch basierten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; so auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; Urteil vom 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV -; LSG Thüringen, Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1147/12 EK -). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach dem sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet, folgt überdies aus der Gesetzesbegründung, derzufolge eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 18; insoweit abweichend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, wonach statistischen Daten eine Indizwirkung zukommen soll; abgrenzend hierzu BSG, Beschluss vom 16.12.2013 – B 10 ÜG 13/13 B -). Auch die als Auslegungshilfe mit Orientierungsfunktion heranzuziehende Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 -) lässt nicht ansatzweise den Schluss zu, der Gerichtshof habe feste Vorgaben entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Sachverhalt wird auf der Grundlage der immer wiederkehrenden Eingangsformel
"Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu beurteilen ist: Komplexität der Rechtssache, Verhalten des Beschwerdeführers sowie der zuständigen Behörden und Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer (siehe u.v.a. Frydlender./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII)."
einer individuellen Betrachtung unterzogen (z.B. EGMR, Urteil vom 13.10.2011 – 37264/06 – (Mianowicz/Deutschland); Urteil vom 22.09.2011 – 28348/09 – (Otto/Deutschland); Urteil vom 21.07.2011 – 21965/09 – (Bellut/Deutschland); Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Es gibt weder eine feste zeitliche Grenze noch hat der EGMR eine allgemeine Höchstdauer für Verfahren einer bestimmten Art definiert (vgl. Mayer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage, 2011, Art 6. Rdn. 199; Meyer, in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage, 2015, Art. 6 Rdn. 76). So hat der EGMR eine Verfahrensdauer von zwölf Jahren und sieben Monaten durch mehrere Instanzen einschließlich des Kosten- und Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage und des Verhaltens des Beschwerdeführers als angemessen bewertet (EGMR, Urteil vom 04.02.2010 – 13791/06 – (Gromzig/Deutschland)). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft ("insbesondere") solche Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drucks. 17/3802, S. 18), nämlich die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(bb) Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsträger und Haftungssubjekt ist zwar verpflichtet, die Justiz so zu organisieren und mit Personal und sächlichen Mitteln auszustatten, dass die Gerichte in der Lage sind, Rechtsschutz in einer den Vorgaben von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK inhaltlich richtig und zeitnah zu gewähren. Versäumt das Land, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, haftet es nach den Maßgaben des § 198 GVG für dem jeweiligen Beteiligten entstandene materielle und/oder immaterielle Nachteile. Andererseits ist das Land nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Hingegen vermag eine hohe Belastung des zuständigen Gerichts eine lange Verfahrensdauer nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 1 BvR 331/10 -). Um einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen, haben Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber vielmehr die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 -; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009 – VfGBbg 30/09 – und Beschluss vom 13.04.2012 – VfGBbg 54/11 – zu Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung). Diesen Anforderungen ist das beklagte Land nicht gerecht geworden.
(cc) Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -).
(dd) Von diesen rechtlichen Maßstäben ausgehend ergibt sich bei einer Verfahrensdauer ab 03.12.2011 im sozialgerichtlichen Verfahren zunächst eine Inaktivität von 26 Monaten. In den zwölf Monaten vom 03.12.2011 bis zum 13.12.2012 (Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag) ist keine Aktivität des SG festzustellen. Gleiches gilt für die zehn Monate ab Eingang der Beschwerde der Klägerin gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss am 19.12.2012 bis zur Rückkehr der Akten zum SG am 07.11.2013 und – mit Ausnahme der Verfügungen über die Terminsverlegungen – die vier Monate von der Ladung am 19.03.2014 und dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.07.2014.
ee) Diese 26 Monate sind jedoch nicht gleichzusetzen mit der Feststellung, dass die Verfahrensdauer entsprechend unangemessen lang war. Eine ggf. durch inaktive Zeiten bedingte statistische "Überlänge" hat keinen Bezug zur rechtserheblichen Fragestellung, ob das Ausgangsverfahren unangemessen gedauert hat. Beruht die Verfahrensdauer nämlich auf einem sachlichen Grund oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht dies die Verfahrensdauer in der Regel noch nicht unangemessen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -). Dementsprechend ist von den vier Monaten zwischen Ladung am 19.03.2014 und Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.07.2014 lediglich nur der eine Monat von der Ladung bis zum zunächst beabsichtigten Termin am 06.05.2014 zu berücksichtigten, da die nachfolgenden Terminsverlegungen auf Verhinderungen der Klägerin beruhten. Ähnliches gilt für die Zeit vom 19.12.2012 bis zum 07.11.2013, in der das SG infolge der Beschäftigung des LSG Nordrhein-Westfalen mit der Beschwerde der Klägerin gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss nicht weiter tätig sein konnte. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass das beim LSG geführte Verfahren ebenfalls inaktive Zeiten aufweist und dass diese keinen sachlichen Grund für die Verlängerung des sozialgerichtlichen Verfahrens begründen können. Unerheblich ist, dass insoweit die Verlängerung des Verfahrens vom SG nicht beeinflussbar war. § 198 GVG umfasst die Dauer des Gerichtsverfahrens und unterscheidet nicht, von welcher Gerichtsinstanz das Verfahren gerade bearbeitet wird. Darüber hinaus ist das gleiche Haftungssubjekt (s.o.) verantwortlich. Das Verfahren vor dem LSG ist ab Eingang der Beschwerdeerwiderung der Beklagten am 11.02.2013 in Stillstand geraten. Dies bedeutet aber nicht, dass die nachfolgenden acht Monate bis zur Entscheidung des LSG die Verlängerung des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht mehr begründen können. Denn dem LSG sind in dem Beschwerdeverfahren ebenso wie dem SG im erstinstanzlichen Verfahren sog. Vorbereitungs- und Bedenkzeiten (s. dazu auch nachfolgend) zuzubilligen, die bei Abwägung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls wie einer eher durchschnittlichen Schwierigkeit der im Beschwerdeverfahren geforderten richterlichen Beurteilung und eines auch eher leicht zu erfassenden, nicht besonders umfangreichen Sachverhalts, und unter Berücksichtigung richterlicher Erfahrung mit vier Monaten als angemessen in Ansatz zu bringen sind. Dies entspricht auch der Wertung des Vorsitzenden des 14. Senats, der über drei Monate nach Eingang der Beschwerdeerwiderung der Beklagten am 11.02.2013 sinngemäß auf eine Verzögerung hingewiesen und damit Entscheidungsbedürftigkeit signalisiert hat. Mithin ist im Verfahren vor dem LSG eine Verzögerung von vier Monate eingetreten, die die Verzögerung des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht rechtfertigt.
ff) Auch die sich damit ergebende, grundsätzlich berücksichtigungsfähige Zeit von 17 Monaten Inaktivität trägt noch nicht die Feststellung, dass das die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist.
Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -; Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Gerichte sind überdies wegen des Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) berechtigt, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 03.09. 2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.2015 – 4 EK 3/14 -). Inhaltliche Richtigkeit geht wegen Art. 20 Abs. 3 GG vor Schnelligkeit.
Unerheblich ist in diesem Kontext, ob das SG das Verfahren aus Sicht ex-post (hierzu BT-Drucks.17/3802, S. 18) optimal gefördert hat. Es ist nicht die Aufgabe des Entschädigungsgerichts, jede richterliche Verfahrenshandlung darauf zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich ex-post als verfahrensfördernd oder -hemmend darstellt. Anspruchsauslösend sind vom Haftungssubjekt zu vertretenes Systemversagen und/oder strukturelle Defizite (zutreffend LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; hierzu auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2014 – L 12 SF 47/13 EK U WA – zu strukturellen Defiziten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern), nicht aber etwaige richterliche Pflichtwidrigkeiten (hierzu BT- Drucks. 17/3802, S. 19). Schon im Ansatz verfehlt sind daher Überlegungen danach, richterliche Verfahrensgestaltung auf "Vertretbarkeit" mit der Folge zu prüfen ist, dass eine nicht vertretbare Maßnahme entschädigungsrelevant ist. Abgesehen davon, dass sich insoweit eine Kollisionslage mit Art. 97 Abs. 1 GG und § 26 Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben kann (hierzu mit Blick auf die Untätigkeitsbeschwerde Bäcker, EuGRZ 2011, 222, 224 und Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177, 196 f.; zum weiten richterlichen Gestaltungsspielraum siehe auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -), verkennen die eine schlichte Vertretbarkeitsprüfung präferierenden Entscheidungen (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2013 – 11 EK 4/13 (PKH) -; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 – 4 EntV 3/13 -, nachgehend BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) Sinn- und Zweck der §§ 198 ff. GVG. Im Gegensatz zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB knüpft der Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht an Handlungs- sondern an Erfolgs"unrecht" an. Damit verbietet sich jede Prüfung richterlicher Verfahrensgestaltung dahin, ob sie (noch) vertretbar ist. Im Übrigen werden die vom BGH entwickelten Vertretbarkeitsmaßstäbe verkannt. Mitnichten prüft der BGH richterliche Verfahrenshandlungen auf "schlichte" Vertretbarkeit. Die vom BGH verwendete Formel lautet vielmehr: "Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ( …). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13, juris Rn. 30)." Diese qualifizierte Vertretbarkeitskontrolle ("nicht mehr verständlich") ist ein offenkundiges aliud zur gelegentlich vorausgesetzten, Sinn und Zweck des Entschädigungssystem der §§ 198 ff. GVG allerdings verkennenden schlichten Vertretbarkeitsprüfung (Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -). Ein "nicht mehr verständliches Verhalten" des SG hat die Klägerin nicht aufgezeigt (zur Substantiierung des Klagevorbringens siehe auch OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -); es liegt auch – offenkundig – nicht vor. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht daher ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 -) bzw. "nicht mehr verständlich" ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Das BSG hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten eingeräumt werden könne, sodass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -; LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2014 – L 1 SF 15/13 ESV -). ff) Hiernach ist bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen:
(1) Der Streitstoff des Ausgangsverfahrens war nicht umfangreich; das Vorbringen der Beteiligten beschränkte sich auf wenige Seiten; es waren aber die Akten des Vorstreitverfahrens S 10 RA 15/04 SG Düsseldorf auszuwerten.
(2) Das Ausgangsverfahren wies nur annährend mittelgradige Schwierigkeiten auf; es bestand im Wesentlichen lediglich eine Rechtsfrage.
(3) Es stand kein eilbedürftiger, z.B. auf Existenzsicherung gerichteter Anspruch in Streit; der Klägerin war zudem insoweit bereits einmal sozialgerichtlicher Rechtsschutz gewährt worden.
Davon ausgehend besteht kein Anhaltspunkt dafür, von der vom BSG (Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -) als regelmäßig akzeptierten Zeitspanne von zwölf Monaten abzuweichen. Die unter (1) und (2) aufgeführten Gesichtspunkte deuten zwar darauf hin, dass auch eine geringfügig unter zwölf Monaten liegende Vorbereitungs- und Bedenkzeit hinreichend sein könnte. Das kann jedoch dahinstehen, weil aufgrund der Überlegungen zu (3) eine Reduzierung der pauschalierten Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht angemessen wäre.
Im Ergebnis verbleiben somit fünf Monate unangemessene Verfahrensdauer.
c) Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie das BSG bereits entschieden hat (Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat.
Die Bedeutung des Verfahrens war bei einem Streitwert von 13.871,53 EUR weder objektiv noch subjektiv unterdurchschnittlich.
d) Die Entschädigung beträgt 500,00 EUR.
Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet.
aa) Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Entschädigung kann nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Die Entschädigung beträgt 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG); das entspricht 100,00 EUR für jeden Monat der Verzögerung. Ist dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG).
Nachteil i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sind u.a. sämtliche immateriellen Folgen eines unangemessen dauernden Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere eine durch die lange Verfahrensdauer bedingte seelische Unbill (BT-Drucks 17/3802, S. 19). Ein zu entschädigender Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat.
Umstände, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG (BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) zu widerlegen, sind nicht ersichtlich und auch nicht vom beklagten Land vorgetragen. Umgekehrt hat die Klägerin keine Tatsachen benannt, die den Betrag gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG als unangemessen niedrig erscheinen lassen.
bb) Einen durch die Verfahrensverzögerung verursachten materiellen Schaden hat die Klägerin nicht dargelegt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung; sie entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 26.01.2016
Zuletzt verändert am: 26.01.2016