Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.12.1998 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 30.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1995 verurteilt, der Klägerin Altersruhegeld ab dem 01.01.1988 unter Anrechnung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit vom 21.12.1936 bis 31.12.1941 sowie einer Ersatzzeit vom 01.11.1939 bis zum 08.05.1945 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes unter Anerkennung weiterer in Polen zurückgelegter Beitrags- und Ersatzzeiten.
Die am … in Jedrzejow (bei Kielce; Polen) geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung und anerkannte Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG).
Von … bis … oder … besuchte sie in ihrem Geburtsort die Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache. Für die Zeit von Januar 1940 bis zum 08.05.1945 wurde ihr wegen eines Freiheitsschadens eine Entschädigung gewährt. Darüber hinaus erhält sie für Schaden an Körper oder Gesundheit eine monatliche Entschädigung.
Im März 1949 wanderte die Klägerin mit ihrem Ehemann und ihrer am … geborenen Tochter in Israel ein. Sie besitzt inzwischen die israelische Staatsangehörigkeit.
Mit Bescheid vom 07.01.1991 lehnte die Beklagte einen im Jahre 1990 gestellten Antrag auf Leistungen für Kindererziehung (KEZ) ab. Im März 1992 beantragte die Klägerin die Überprüfung dieses Bescheides.
Darüber hinaus stellte die Klägerin am 06.01.1993 einen Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld. Sie gab an, von September 1935 bis September 1939 bei ihrem Onkel (Familie …) in … und von September 1939 bis 1942 in … als Haushälterin rentenversicherungspflichtig gearbeitet zu haben. Sie habe dort Sachbezüge (z.B. Kost und/oder Wohnung) und darüber hinaus in … ca. 120 Zloty monatlich in bar erhalten. Abgesehen von diesen Beitragszeiten begehrte die Klägerin die Anerkennung einer KEZ von September 1947 bis August 1948 sowie einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit von etwa November 1939 bis Mai 1945.
Zur Glaubhaftmachung ihrer Angaben legte die Klägerin schriftliche Erklärungen der Zeugin … vom 05.08.1993 und … vom 23.01.1994 vor.
Die Zeugin …, geb. am …, gab in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 05.08.1993 an, die Klägerin habe in ihrem (der Zeugin) Elternhaus in … seit 1935 gearbeitet. Da ihre (der Zeugin) Mutter schwer krank gewesen sei – sie sei 1938 verstorben – habe die Klägerin dem Haushalt vorgestanden. Gleich bei Ausbruch des Krieges sei … als "judenrein" erklärt worden und sie seien nach … umgesiedelt. Sie wisse, dass die Klägerin von ihrem (der Zeugin) Vater, der ein sehr vermögender Kaufmann gewesen sei, sehr gut bezahlt worden sei, mehr noch wegen der lang jährigen Krankheit ihrer Mutter. Wie viel die Klägerin verdient habe, könne sie nicht mehr beziffern. Auch in … sei die Klägerin bei ihnen geblieben. Im Jahre 1942 sei die Klägerin in das Konzentrationslager P … gekommen; dort habe sie (die Zeugin) sich bereits seit 1941 aufgehalten.
…, geboren am …, versicherte unter dem 23.01.1994 an Eides statt, die Klägerin sei von 1935 bis 1939 in Kattowitz und von 1939 bis 1941 in Sosnowitz bei der Familie … als Haushälterin beschäftigt gewesen. Die Klägerin sei oft zu ihrem (M … R …s) Vater gekommen, der Schneider gewesen sei, und habe sich bei ihm Bekleidung anfertigen lassen. Sie hätte sich mit der Klägerin angefreundet und habe sie oft bei der Arbeit besucht. Sie hätten auch ihre Freizeit häufig zusammen verbracht. Trotz ihres Alters habe die Klägerin bei der Familie … eine sehr verantwortliche Stellung gehabt.
Im Rahmen ihrer Ermittlungen zog die Beklagte u.a. vom Bayerischen Landesentschädigungsamt in München die Entschädigungsakten bzgl. der Klägerin bei. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin anlässlich des 1950 gestellten Antrags auf Entschädigung wegen eines Freiheitsschadens angegeben hatte, von November 1940 bis Mai 1945 im Zwangsarbeitslager P … interniert gewesen zu sein.
… hatte unter dem 28.04.1957 erklärt, die Klägerin sei mit ihrem Onkel, dem sie die Wirtschaft geführt habe, gegen Ende des Jahres 1939 von … nach … gekommen.
Anlässlich des darüber hinaus von der Klägerin geltend gemachten Schadens an Körper und Gesundheit hatte die Klägerin in dem Antragsformular vom 10.10.1961 die Frage, welcher Krankenkasse sie vor und während der Verfolgung angehört habe, unbeantwortet gelassen. Unter der Rubrik "Berufsausbildung" hatte sie angegeben, ihr Vater sei in …, Polen, viele Jahre bis … Viehhändler und Molkerei- Besitzer gewesen. Die Frage nach dem ausgeübten Beruf bei Beginn der Verfolgung hatte sie ebenfalls im Hinblick auf ihren Vater beantwortet.
Im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung hatte sie im November 1962 angegeben, nach Abschluss der Schule zunächst ihren Eltern in der Landwirtschaft geholfen zu haben. Ab ihrem 14. Lebensjahr habe sie bis zum Einmarsch der Deutschen im Jahre 1939 bei ihrem Onkel in … die Wirtschaft geführt. Ende 1942 oder Anfang 1943 sei sie in ein Zwangsarbeitslager gekommen und dort bis zu ihrer Befreiung 1945 geblieben.
In einer eidesstattlichen Erklärung vom 05.11.1961 hatte … angegeben, die Klägerin in … durch eine gemeinsame Bekannte kurz vor dem Krieg kennen gelernt zu haben. Die Klägerin habe damals ihre Verwandten in … besucht. Sie habe die Klägerin dann erst im Jahre 1942 in … gesehen. Die Klägerin habe dort – ebenso wie sie – in einer Spinnerei bei der … gearbeitet.
M … R … hatte unter dem 05.11.1961 an Eides statt erklärt, die Klägerin habe vor dem Krieg in … ihre dortigen Verwandten besucht und auch dort gelebt. Sie seien zusammen in der zionistischen Jugendorganisation … gewesen, hätten gemeinsam Ausflüge unternommen und Sport betrieben. Die Klägerin sei Ende des Jahres 1943 in das Lager Paschnitz zu der … gekommen. Ihre beiden Arbeitsplätze seien später in einer Einheit konzentriert worden. Bl. 13 EA
Mit Bescheid vom 30.09.1994 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.01.1988 Altersruhegeld unter Anerkennung der Zeit vom 01.09.1947 bis 31.08.1948 als KEZ. Sie führte aus, die Rente beginne zwar gemäß § 1290 RVO bereits am 01.01.1987; die Rentenleistungen für die Zeit bis zum 31.12.1987 seien jedoch gemäß § 45 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) verjährt. Zugleich lehnte die Beklagte die Anerkennung der geltend gemachten Beitragszeit von September 1935 bis 1942 nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes (FRG) sowie – mangels anrechenbarer Beitragszeiten – einer Ersatzzeit von November 1939 bis zum 08.05.1945 ab.
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.1995 mit der Begründung zurückgewiesen, eine Anerkennung der geltend gemachten Beitragszeit nach § 17 Abs.1b FRG komme nicht in Betracht, weil die Beschäftigung der Klägerin in der Zeit von September 1939 bis 1942 aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zu ihrem Arbeitgeber nach den damals geltenden polnischen bzw. reichsgesetzlichen Bestimmungen nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Unabhängig davon sei auch nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin von ihrem Onkel entlohnt worden sei. Der Rentenbeginn sei nach § 44 Abs.4 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) zutreffend festgelegt worden.
Mit ihrer am 10.05.1995 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, die Anerkennung der behaupteten Beitragszeit als Haushälterin bei der Familie … allerdings auf die Zeit vom … (= Vollendung des 14. Lebensjahres) bis zum 31.12.1941 beschränkt. Insoweit hat sie ergänzend ausgeführt, in einer minderbemittelten Familie aufgewachsen zu sein und nach Beendigung der Volksschule bei ihrem Onkel den Haushalt geführt zu haben, um ihren Eltern zu helfen. Da ihre Tante schwerkrank gewesen sei und ihren Haushalt nicht habe führen können, habe sie dort die Stelle bekommen. Sie habe zunächst ca. 75 Zloty im Monat bekommen, habe in deren Haus gewohnt und volle Verpflegung erhalten. Später habe sie bis zum Ende ihrer dortigen Tätigkeit 120 Zloty erhalten. Nach dem Tod der Tante im Jahre 1938 sei ihr Onkel mit der Familie 1939 nach … umgesiedelt. Sie sei mitgefahren und habe die Wirtschaft weiter geführt, bis sie Anfang der 40er Jahre in ein Konzentrationslager eingewiesen worden sei. Sie sei sich sicher, dass ihr Onkel sie für alle Sozialfälle versichert habe. Das Bargeld, das sie bekommen habe, habe sie ihren Eltern zum Unterhalt für die Familie gegeben. Sie selbst habe ja alles gehabt, was sie gebraucht habe. Darüber hinaus sei sie im Jahre 1940 in der …, …, beschäftigt gewesen. Bis zur Auswanderung habe sie "in Wort" Deutsch und Polnisch gesprochen. Im persönlichen Lebensbereich und außerhalb der Familie habe sie ab 1933 bis zur Auswanderung überwiegend Deutsch gesprochen. Ihre Eltern hätten die deutsche und polnische Sprache beherrscht. Auch sie hätten im persönlichen Lebensbereich überwiegend Deutsch gesprochen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.09.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1995 zu verurteilen, die der Klägerin zuerkannte Rente neu zu berechnen und dabei weitere bzw. andere Versicherungszeiten der Berechnung zugrunde zu legen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das Sozialgericht eine Auskunft von der Heimatauskunftsstelle (HAST) beim Landesausgleichsamt Nordrhein-Westfalen für das Industriegebiet Ost-Oberschlesien und von der Heimatauskunftsstelle Polen II beim Landesausgleichsamt Niedersachsen vom 01.12.1995 eingeholt.
Anfragen an den Internationalen Suchdienst Arolsen sowie das israelische Finanzministerium über Angaben der Klägerin bzgl. ihrer Sprachkenntnisse beim Amt für Rehabilitation für Invaliden der NS-Verfolgung blieben erfolglos.
Mit Urteil vom 08.12.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 31.12.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.01.1999 Berufung eingelegt und an Eides statt erklärt, entgegen ihrer bisherigen Angaben nicht mit der Familie … verwandt gewesen zu sein. Sie habe ihren Arbeitgeber bisher nur deshalb als Onkel bezeichnet, weil sie sich ihrer Armut geschämt und allen erzählt habe, bei ihrem Onkel zu arbeiten. Daher hätten auch die Zeugen nicht gewusst, dass es sich bei ihrem Arbeitgeber nicht um einen Onkel gehandelt habe.
Bezüglich der darüber hinaus geltend gemachten Beitragszeit in der Spinnerei Walzel trägt sie nunmehr vor, dort bis zur Befreiung am 08.05.1945 an einer Maschine zur Reinigung von Flachs gearbeitet zu haben. Sie habe für diese Tätigkeit keine Barbezahlung, sondern Verpflegung und Bekleidung erhalten und damals in Tag- oder Nachtschicht jeweils acht Stunden, wenn viel Arbeit vorhanden gewesen sei, auch länger gearbeitet.
Im Hinblick auf die behauptete Beschäftigung bei der Familie Sal hat die Klägerin ergänzend eine eidesstattliche Erklärung der Zeugin d. L … vom 25.06.1999 überreicht, in der diese bestätigt, dass die Klägerin in der Familie von 1935 bis 1941 als Haushälterin beschäftigt gewesen sei. Ihre (der Zeugin) Mutter sei schwer krank und bettlägerig gewesen. Sie (die Zeugin) und ihr Bruder hätten studiert, während ihr Vater, ein angesehener Kaufmann, seinen Geschäften nachgegangen sei. Die Klägerin habe in jeder Beziehung das vollste Vertrauen ihres Vaters genossen und sei wie zur Familie zugehörig betrachtet worden. Sie habe den Haushalt mit großer Umsicht geführt und habe von dem Vater, der sehr vermögend gewesen sei, ein großzügiges Gehalt erhalten, so dass sie ihre armen Eltern habe unterstützen können. Die Klägerin habe über ihr gesamtes Gehalt verfügen können, da sie in der Familie … keinerlei Ausgaben gehabt habe und ihre persönlichen Wünsche habe befriedigen können. In der Familie … sei fast durchweg Deutsch gesprochen worden. Nach Kriegsbeginn sei die Klägerin mit der Familie nach … geflohen. 1941 sei sie (die Zeugin) in das Konzentrationslager P … gekommen. 1942 sei auch die Klägerin dort inhaftiert worden.
Die Klägerin, die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist und auch nicht vertreten war, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.12.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1995 zu verurteilen, ihr Altersruhegeld bereits ab 01.01.1987 unter Anrechnung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit vom 21.12.1935 bis zum 31.12.1941 sowie einer Ersatzzeit vom 01.11.1939 bis zum 08.05.1945 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Unter Zugrundelegung der bisherigen Angaben der Klägerin sei davon auszugehen, dass sie bei ihrem Onkel als Haushälterin tätig gewesen sei. Wenn die Klägerin sich tatsächlich – wie nunmehr behauptet – wegen ihrer Armut geschämt und deshalb ihren Arbeitgeber wahrheitswidrig als Onkel bezeichnet habe, hätte sie diesen Vortrag spätestens im Entschädigungsverfahren bzw. bei Rentenantragstellung korrigieren müssen. Im Übrigen sei eine Beschäftigung von Kindern/Jugendlichen unter 15 Jahren im Jahre 1939 in Polen gesetzlich verboten gewesen. Insoweit legt die Beklagte eine Auskunft der ZUS vom 22.03.1996 nebst Übersetzung vor. Bezüglich der erstmals im Klageverfahren geltend gemachten, nicht konkretisierten Arbeitseinsätze in der Spinnerei Walzel fehle es bislang an einer Verwaltungsentscheidung.
Der Senat hat die – einzig vernehmungsfähige – Zeugin … im Wege der Rechtshilfe durch das argentinische Gericht vernehmen lassen.
Diese hat bekundet, die Klägerin sei aufgrund der Krankheit ihrer (der Zeugin) Mutter von annähernd 1935/1936 bis 1941 im Haushalt der Familie beschäftigt gewesen. Sie sei mit der Klägerin nicht verwandt. Dies sei nur von der Klägerin behauptet worden, weil sie sich geschämt habe zuzugeben, eine Hausangestellte zu sein. Im Laufe der Zeit habe sie sich allerdings fast zu einem Familienmitglied entwickelt. Die Klägerin habe bei der Familie … Haushaltsarbeiten geleistet, d.h. gefegt, gekocht und gewaschen. Sie sei dort an allen Wochentagen zu den Stunden tätig gewesen, in denen auch die Familie zuhause gewesen sei. Neben Unterkunft und Verpflegung habe die Klägerin einen Geldbetrag an Lohn erhalten, der sehr großzügig gewesen sei und es der Klägerin ermöglicht habe, ihren Eltern zu helfen. Die Höhe des Lohnes sei ihr niemals bekannt gewesen. Auch wisse sie nicht, ob für die Tätigkeit der Klägerin Beiträge entrichtet worden seien. In ihrem (der Zeugin) Elternhaus sei Deutsch und Polnisch gesprochen worden. Die Eltern untereinander hätten manchmal Jiddisch gesprochen. Vorwiegend sei jedoch Deutsch gesprochen worden. Die Familie der Klägerin habe sie nicht gekannt. Daher wisse sie auch nicht, welche Sprachen dort gesprochen worden seien.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Entschädigungsakten des Bayrischen Landesentschädigungsamtes in München Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil ihr Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 03.08.2002 zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1995 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte die Anrechnung der behaupteten Beitragszeit vom 21.12.1936 bis zum 31.12.1941 sowie einer Ersatzzeit vom 01.11.1939 bis zum 08.05.1945 im Rahmen des Altersruhegeldes abgelehnt hat.
Der Anspruch auf Anrechnung der geltend gemachten Beitragszeit vom 21.12.1936 bis 31.12.1941 richtet sich nach § 15 Abs.1 FRG.
Auf das Altersruhegeld der Klägerin werden u.a. Beitragszeiten angerechnet (vgl. § 1250 Abs.1a RVO). Da die Klägerin lediglich Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen gesetzlichen Rentenversicherungsträger geltend macht, kommt eine Anrechnung der behaupteten Versicherungszeit nur gemäß §§ 15, 16 FRG in Betracht. § 15 Abs.1 S.1 FRG sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen gesetzlichen Rentenversicherungsträger zurückgelegt worden sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach Maßgabe des § 16 FRG gilt Entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet.
Die Klägerin gehört zu dem nach § 15 FRG begünstigten Personenkreis. Zwar fällt sie unstreitig nicht unter die in § 1 FRG aufgeführten Personen. Auch ist zweifelhaft, ob § 15 FRG vorliegend über § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG Anwendung findet, insbesondere ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Verlassens des Verfolgungsgebietes bzw. bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf ihr Heimatgebiet erstreckt hat, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehörte. Die behauptete Beitragszeit ist jedoch zumindest über § 17b FRG in der hier noch anwendbaren Fassung bis zum 31.12.1991 (vgl. Art.6 § 4 Abs.2 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes – FANG -) als sog. übergegangene Beitragszeit nach § 15 FRG auf das Altersruhegeld der Klägerin anzurechnen.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit vom 21.12.1936 (= Vollendung des 15. Lebensjahres) bis zum 31.12.1941 bei der Familie Sal als Haushälterin beschäftigt war und für diese Tätigkeit Beiträge zur polnischen staatlichen Versicherung abgeführt wurden. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 4 Abs.1 S.2 FRG).
Unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Klägerin, der schriftlichen Erklärungen von … und … vom 23.01.1994 und 28.04.1957 sowie insbesondere der Bekundungen der Zeugin d. L … ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin in dem genannten Zeitraum bei der Familie … als Haushälterin tätig war. Der Senat misst der Aussage der Zeugin d. L … besondere Bedeutung zu, weil diese als Mitglied der Familie … aufgrund eigener Wahrnehmung von der dortigen Tätigkeit der Klägerin berichten kann. Die Zeugin hat sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen vom 05.08.1993 und 25.06.1999 als auch im Rahmen ihrer persönlichen Vernehmung bestätigt, dass die Klägerin in der Familie der Zeugin im Jahre 1935 bzw. 1936 in … eine Beschäftigung als Haushälte rin aufgenommen hat, mit der Familie im Jahre 1939 nach … geflohen ist und dort bis 1941 den Haushalt weitergeführt hat. Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hat der Senat nicht. Die Angaben der Zeugin in ihren schriftlichen Erklärungen und anlässlich ihrer Vernehmung sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Der Senat hält die Zeugin auch für glaubwürdig. Er hat insbesondere den Eindruck gewonnen, dass sie ihre Angaben unbefangen aufgrund eigener Erinnerung gemacht und nicht mit der Klägerin abgesprochen hat. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass sie den Vortrag der Klägerin nicht in allen Einzelheiten bestätigt, sondern sich auf die Wiedergabe der Umstände beschränkt hat, die in ihrem eigenen Wahrnehmungsbereich lagen. So hat sie die Beschäftigung der Klägerin im Haushalt der Familie … lediglich bis zum Jahre 1941 bestätigt, dem Jahr, in dem sie selbst in das Konzentrationslager P … gebracht wurde. Auch hat sie eingeräumt, nicht zu wissen, ob für die Tätigkeit der Klägerin Beiträge an den Sozialversicherungsträger abgeführt wurden. Ebenso wenig hat sie Angaben zu dem Sprachgebrauch im Elternhaus der Klägerin gemacht und insoweit ausgesagt, das Elternhaus der Klägerin nicht gekannt zu haben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen auch die Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren einer Glaubhaftmachung der behaupteten Beitragszeit als Haushälterin bei der Familie … nicht entgegen. Sie sprechen vielmehr für die geltend gemachte Beschäftigung als Haushälterin.
Zwar hat die Klägerin in dem 1961 gestellten Entschädigungsantrag die Frage, welcher Krankenkasse sie vor und während der Verfolgung angehört habe, unbeantwortet gelassen und die Rubrik "Berufsausbildung" bzw. "ausgeübter Beruf bei Beginn der Verfolgung" im Hinblick auf ihren Vater vervollständigt. Der Senat geht davon aus, dass diese Angaben unvollständig bzw. unzutreffend waren, ohne dass die Gründe, die für die Unrichtigkeit der damaligen Angaben maßgebend waren, sich jetzt noch zuverlässig feststellen lassen. Möglicherweise wollte die Klägerin – wie zahlreiche andere Antragsteller auch – durch die auf ihren Vater bezogenen Angaben ihre Entschädigungsposition verbessern. Dies vermag jedoch keine durchgreifenden Zweifel an der behaupteten Beschäftigung als Haushälterin zu begründen. Denn die Klägerin hat diese Tätigkeit jedenfalls an anderer Stelle im Entschädigungsverfahren erwähnt. Anlässlich einer ärztlichen Untersuchung im November 1962 hat sie insoweit angegeben, ab Vollendung des 14. Lebensjahres bei ihrem Onkel in Kattowitz die Wirtschaft geführt zu haben. Vor diesem Hintergrund aber ist es gut möglich, dass die Klägerin die Fragen in dem Antragsformular missverstanden und aus diesem Grunde nicht bzw. unzutreffend beantwortet hat.
Die von der Klägerin behauptete Beitragsentrichtung für ihre Beschäftigung bei der Familie Sal … zur Überzeugung des Senats ebenfalls glaubhaft gemacht.
Die Angaben der Klägerin, von ihrem Arbeitgeber neben Verpflegung und Unterkunft Lohn erhalten zu haben, sind von der Zeugin … glaubhaft bestätigt worden. Diese hat sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen vom 05.08.1993 und 25.06.1999 als auch im Rahmen ihrer persönlichen Vernehmung bekundet, die Klägerin sei von ihrem Vater, einem sehr vermögenden Kaufmann, großzügig entlohnt worden. Dass die Zeugin keine Angaben zur Höhe des Lohnes machen konnte, ist nicht ungewöhnlich, zumal sie in der hier streitigen Zeit noch sehr jung war.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin unterlag in dem Zeitraum vom 21.12.1936 bis 31.12.1941 auch der Rentenversicherungspflicht.
Zwar mögen Beschäftigungen bei Verwandten nach dem damals geltenden Recht nicht rentenversicherungspflichtig gewesen sein. Zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber bestanden jedoch keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Klägerin hat ihren ursprünglichen Vortrag im Entschädigungs- und Rentenverfahren, bei ihrem Onkel als Haushälterin beschäftigt gewesen zu sein, im Berufungsverfahren glaubhaft berichtigt. Zweifel an der Richtigkeit der jüngeren Angaben hat der Senat insbesondere unter Berücksichtigung der Bekundungen der Zeugin … nicht. Diese hat im Rahmen ihrer persönlichen Vernehmung bestätigt, dass die Klägerin sich geschämt habe, als Hausangestellte zu arbeiten und daher gegenüber Dritten angegeben habe, bei einem Onkel tätig zu sein.
Gegen ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Klägerin und der Familie der Zeugin spricht im Übrigen auch der Umstand, dass die Zeugin offenbar keinerlei Einblicke in die Familiengeschichte der Klägerin hatte. Sie hat bekundet, die Familie der Klägerin, die Beschäftigung des Vaters und auch die Sprachgewohnheiten im Elternhaus der Klägerin nicht zu kennen.
Der Senat geht schließlich auch davon aus, dass in dem genannten Zeitraum Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin entrichtet wurden.
Als wohlhabender Kaufmann verfügte der Vater der Zeugin über die wirtschaftlichen Mittel, um für die Klägerin Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten. Aufgrund seiner beruflichen Stellung ist es auch überwiegend wahrscheinlich, dass er – gesetzestreu – die vorgeschriebenen Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin abgeführt hat.
Ist aber die behauptete Beitragszeit vom 21.12.1936 bis 31.12.1941 glaubhaft gemacht, so ist auch die darüber hinaus begehrte, mit Bescheid vom 30.04.1994 dem Grunde nach bereits anerkannte verfolgungsbedingte Ersatzzeit vom 01.11.1939 bis zum 08.05.1945 im Rahmen des Altersruhegeldes der Klägerin rentensteigernd zu berücksichtigen.
Unbegründet ist die Klage hingegen im Hinblick auf die darüber hinaus behauptete Beitragszeit vom … bis zum … (= Tag vor Vollendung des 15. Lebensjahres).
Zwar mag die Klägerin bereits ab … bei der Familie … als Haushälterin angestellt gewesen sein. Für die Zeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres ist aber jedenfalls eine Beitragszahlung nicht überwiegend wahrscheinlich; denn nach der Auskunft der ZUS vom 22.03.1996 war im Jahre 1939 eine Beschäftigung von Kindern bzw. Jugendlichen unter 15 Jahren in Polen gesetzlich verboten.
Darüber hinaus hat die Klägerin keinen Anspruch auf Anrechnung der behaupteten Beitragszeit in der … in … von … bis zum …
Selbst wenn diese, erstmals im Klageverfahren geltend gemachte Beitragszeit Gegenstand des Verfahrens geworden sein sollte, ist sie jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich gemacht. Denn schon aus den eigenen widersprüchlichen Angaben der Klägerin ergibt sich nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, dass sie in dem behaupteten Zeitraum in der Spinnerei beschäftigt war. So hat sie zunächst angegeben, (nur) im Jahre 1940 in der … gearbeitet zu haben. Später hat sie hingegen erklärt, dort bis zum … tätig gewesen zu sein. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben und den Bekundungen der Zeugin … bis zum 31.12.1941 als Haushälterin bei der … beschäftigt war und daher jedenfalls bis Ende des Jahres 1941 nicht zugleich in der … gearbeitet haben kann. Im Übrigen hat die Klägerin auch keinerlei Zeugen benannt, die die von ihr behauptete Tätigkeit in der … bestätigen könnten.
Schließlich steht der Klägerin das begehrte Altersruhegeld nicht schon ab dem 01.01.1987, sondern – wie bewilligt – erst ab dem 01.01.1988 zu. Denn etwaige Leistungen bis zum 31.12.1987 sind jedenfalls gemäß § 44 Abs.4 SGB X verjährt. Nach dieser Vorschrift werden Sozialleistungen – wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist – längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme gewährt. Erfolgt die Rücknahme – wie hier auf den Überprüfungsantrag aus März 1992 – auf Antrag, wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Antrag gestellt wird (hier: 01.01.1992).
Auch aus § 17c WGSVG kann die Klägerin insoweit keine weiteren Rechte herleiten. Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn das 65. Lebensjahr vollendet gewesen ist, wenn durch eine Nachzahlung nach § 10a WGSVG bis zum 31.12.1994 oder durch die Anrechnung von KEZ nach § 12a WGSVG die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt wird. Bei der Klägerin sind die Voraussetzung der hier allein denkbaren 2. Alternative aber nicht gegeben, denn die Anerkennung ihrer KEZ ist nicht nach § 12a WGSVG, sondern nach § 1251a RVO erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003