Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.07.2018 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte das Merkzeichen H (Hilflosigkeit) zu Recht entzogen hat.
Die am 00.00.1994 geborene Klägerin leidet unter einer kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung (F83 ICD-10 GM) sowie einer leichten Intelligenzminderung (F70 ICD-10 GM). Bei der Klägerin war zunächst die Pflegestufe I und zwischenzeitlich die Pflegestufe II anerkannt. Später stellte der MDK unter dem 16.02.2015 einen täglichen Grundhilfebedarf von 74 Minuten fest. Mit Wirkung vom 01.01.2017 wurde die Klägerin in den Pflegegrad 2 übergeleitet (§ 140 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1a) SGB XI).
Das (damalige) Versorgungsamt C hatte nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte/Therapeuten und einer gutachtlichen Stellungnahme sowie Beiziehung eines Pflegegutachtens des MDK vom 06.12.2001 (Grundhilfebedarf: 67 Minuten täglich) bei der Klägerin einen GdB von 80 sowie die Nachteilausgleiche G, B und H festgestellt (Bescheid vom 26.07.2002). Nachprüfungsverfahren in den Jahren 2004 und 2009 führten zur Bestätigung dieser Feststellungen.
Im Februar 2014 leitete der Beklagte ein weiteres Nachprüfungsverfahren ein. Die Klägerin legte eine Schulbescheinigung, Zeugnisse sowie Entlassungsberichte über stationäre Behandlungen vor. Der Beklagte zog ein Pflegegutachten des MDK vom 24.02.2012 bei (Grundhilfebedarf: 79 Minuten täglich). Eine gutachtliche Stellungnahme vom 01.04.2014 ging unter Erhebung der Diagnose "psychomotorische Entwicklungsverzögerung" weiterhin von einem GdB von 80 aus. Ein behinderungsbedingter Fremdhilfebedarf liege nicht mehr vor, weil die altersbedingte Hilfsbedürftigkeit nicht mehr in erheblichem Umfang überschritten werde.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung des Merkzeichens H verwies die Klägerin u.a. auf ein im Betreuungsverfahren erstattetes neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 01.12.2011. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass sie auch als Erwachsene die umfassende Unterstützung einer Betreuungsperson bei den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Alltag benötige. Ihre Eltern seien ständig in Bereitschaft, sie zu Alltagsaufgaben anzuleiten und sie zu verschiedensten Terminen zu begleiten (Ärzte, Therapeuten, Sport). Da sie sehr zutraulich sei, bestehe die Gefahr, dass sie mit fremden Leuten mitgehe.
In einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme vom 06.05.2014 wird ausgeführt: Nach Erreichen der Volljährigkeit seien für die Anerkennung von Hilflosigkeit andere Kriterien maßgebend als für Kinder. Der zeitliche Umfang der notwendigen Hilfen bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen erreiche nach aktenkundiger Befundlage nicht das für die Anerkennung des Merkzeichens H erforderliche Ausmaß. Ein behinderungsbedingter Fremdhilfebedarf liege nicht mehr vor, weil die altersbedingte Hilfsbedürftigkeit nicht mehr in erheblichem Umfang überschritten werde. Der Beklagte holte ferner einen Befundbericht von der Fachärztin für Neurologie/Palliativmedizin I vom 16.05.2014 ein. Diese benannte als Diagnosen eine Feinmotorikstörung und eine Muskeltonusstörung sowie eine mentale Retardierung bei Balkenagenesie. Die komplexe Handlungsplanung sei erschwert. Eine weitere gutachtliche Stellungnahme vom 31.05.2014 blieb bei der bisherigen Beurteilung.
Im Rahmen einer weiteren Anhörung trug die Klägerin vor, sie benötige nach wie vor umfassende Hilfe bei Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Sie leide unter einer erheblichen geistigen Behinderung und könne weder lesen noch schreiben. Ihr Orientierungssinn sei nahezu aufgehoben. Ohne Begleitung könne sie nicht Bus fahren. Zu Freizeitaktivitäten, Arztbesuchen usw. müsse sie begleitet werden. Selbst das Herausholen der Post aus dem Briefkasten bedürfe der Beaufsichtigung. Sonst könne es passieren, dass sie nicht mehr wisse, dass sie die Post habe holen wollen und einfach auf die Straße trete und sich von der Wohnung der Familie entferne. Wenn dies geschehe – und nicht rechtzeitig bemerkt werde – bestehe die Gefahr, dass sie nicht mehr zurückfinde oder mit fremden Personen mitgehe. Sie stehe nachts häufig auf, irre durch die Wohnung und müsse dann zurück ins Bett gebracht werden. Bei einem derart hochgradigen Mangel an Selbstständigkeit und Bildungsfähigkeit sowie fehlender Sprachentwicklung sei ein GdB von 100 festzustellen.
Nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme teilte der Beklagte mit, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H lägen ab dem 27.08.2014 nicht mehr vor. Im Übrigen verbleibe es bei einem GdB von 80 sowie den Merkzeichen G und B (Bescheid vom 27.08.2014).
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte eine Bescheinigung des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie I1 vor, der die Beibehaltung des Nachteilsausgleichs H empfahl. Eine hierzu eingeholte gutachtliche Stellungnahme vom 02.01.2015 führte aus, die Voraussetzungen für das Merkzeichen H ließen sich auch unter Berücksichtigung des neu beigebrachten Befundes nicht ableiten. Insgesamt handele es sich um eine hohe Einzel-GdB-Bewertung bei einem IQ von 76 (Lernbehinderung an der Grenze zur geistigen Behinderung) und motorischen Einschränkungen.
Daraufhin wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 02.02.2015).
Mit ihrer am 06.03.2015 vor dem SG Detmold erhobenen Klage hat die Klägerin unter Vorlage medizinischer Unterlagen sowie des Pflegegutachtens vom 16.02.2015 im Wesentlichen vorgetragen: Entgegen der Auffassung des Beklagten habe sich ihre gesundheitliche Situation keineswegs gebessert. Das ergebe sich aus dem Pflegegutachten vom 16.02.2015. Es seien Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation zu berücksichtigen. Aufgrund ihres fehlenden Orientierungssinns und ihrer Angststörung sowie psychovegetativer Reaktionen könne sie sich nicht ohne unmittelbare Begleitung selbstständig außerhalb des Hauses frei bewegen. Wie der MDK bestätigt habe, sei ihre Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt. Dies mache regelmäßige Hilfestellungen in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens erforderlich.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 27.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2015 aufzuheben, soweit das Merkzeichen H entzogen worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat unter Vorlage gutachtlicher Stellungnahmen vom 17.04.2015, 26.07.2015 sowie 15.02.2016 erwidert: Für die Zuerkennung des Merkzeichens H werde ein Pflegebedarf von mehr als 120 Minuten täglich gefordert. Eine allgemeine Beaufsichtigung des behinderten Menschen – einem schulpflichtigen Kind gleich – reiche nach der Rechtsprechung des BSG selbst dann nicht, wenn Verwahrlosung drohe. Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn diese im erheblichen Umfang regelmäßig notwendig seien. Allgemeine Einschränkungen der Orientierungs- und Kommunikationsfähigkeit bei geistiger Behinderung machten nur gelegentliche Hilfeleistungen erforderlich und blieben daher außer Betracht.
Das SG hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Sodann hat das SG den Arzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. I zum Sachverständigen bestellt. In seinem nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstatteten Gutachten vom 21.01.2016 hat der Sachverständige Dr. I bei der Klägerin eine Hirnanlagestörung, eine Agenesie des Corpus callosum, eine Ventrikelerweiterung, eine Intelligenzminderung, eine Dyspraxie, eine Sehschwäche, einen Strabismus divergens, eine Hyperlordose der Lendenwirbelsäule und migränoide Kopfschmerzen diagnostiziert sowie den Verdacht auf ein myofasziales Schmerzsyndrom und eine Angststörung geäußert. Mit Blick auf das Merkzeichen H hat der Sachverständige u.a. ausgeführt: Da sich die Betreuungssituation und die Schwere der Behinderung in den vergangenen Jahren nicht geändert habe, sei weiterhin von einem Pflegeumfang im gleichen Maße auszugehen. Im Hinblick auf den Bewegungsradius habe sich allerdings aufgrund eines zunehmenden Schmerzsyndroms des Bewegungs- und Haltungsapparats zeitweise eine Verschlechterung ergeben. Die Klägerin sei daher nach Angaben der betreuenden Mutter nur noch eingeschränkt in der Lage, längere Gehstrecken oder Treppenstufen über zwei bis vier Etagen zu bewältigen. Es sei eine dauerhafte und regelmäßig wiederkehrende Hilfe bzw. Bereitschaft zur Hilfe erforderlich. Zumindest im häuslichen Rahmen bestehe eine nur eingeschränkte Selbstständigkeit der Klägerin. Sei diese Hilfestellung nicht gewährleistet, seien Umstände im Straßenverkehr oder bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel denkbar, die eine akute Lebensgefahr darstellen könnten. Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung könne seine persönliche Bewertung der Hilflosigkeit der Klägerin unabhängig von der Gesamtschwere der Behinderung und dem laut Pflegegutachten festgestellten konkreten Pflegeaufwand nur aufgrund der Angaben der betreuenden Mutter und der deswegen ausführlich durchgeführten Fremdbeurteilungen erfolgen, die vordergründig einen widersprüchlichen Eindruck vermittelten, da die Klägerin offenbar in Fremdbetreuungssituationen deutlich selbstständiger und weniger hilflos als zu Hause beschrieben werde. Auch eine übersteigerte Ängstlichkeit der Klägerin komme in den Fremdbeurteilungen nicht zum Ausdruck. Er gehe davon aus, dass die Klägerin tatsächlich in verschiedenen Lebenssituationen unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag lege und aufgrund der engen Eltern-Kind-Beziehung im familiären Rahmen mehr Hilfe und Unterstützung einfordere. Letztlich sei er der Auffassung, dass die Klägerin weiterhin hilflos sei.
Der von der Beklagten eingeschaltete ärztliche Dienst hat sich in einer Stellungnahme vom 15.02.2016 kritisch zu dem Gutachten des Sachverständigen Dr. I geäußert. Aus dessen Gutachten ließen sich die Voraussetzungen für das Merkzeichen H nicht ableiten. Insbesondere aufgrund der skizzierten Unterschiede des Hilfebedarfs im häuslichen Umfeld und in Fremdbetreuungssituationen seien die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
In einer vom SG veranlassten ergänzenden Stellungnahme vom 17.11.2016 hat der Sachverständige Dr. I zusammenfassend mitgeteilt, dass er auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des ärztlichen Dienstes und trotz der bekannten Widersprüche und der fehlenden Angaben zum konkreten zeitlichen Umfang für Hilfen bei der Erfüllung der geistigen und seelischen Grundbedürfnisse zu keiner anderen Einschätzung gelange.
Durch Urteil vom 19.07.2018 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Allein das Erreichen der Volljährigkeit bei geistiger Behinderung begründe keine wesentliche Änderung der Verhältnisse. Der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, wonach das Erreichen der Volljährigkeit bei geistiger Behinderung zu einer wesentlichen Änderung führe, könne das Gericht nicht folgen. Ebenso wenig lasse sich eine wesentliche Änderung unter Berücksichtigung von Teil A Nr. 5e VMG begründen. Danach könnten die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit nicht nur infolge einer Besserung der Gesundheitsstörungen entfallen, sondern auch dadurch, dass behinderte Jugendliche infolge des Reifungsprozesses ausreichend gelernt hätten, die wegen der Behinderung erforderlichen Maßnahmen selbstständig und eigenverantwortlich durchzuführen, die vorher von Hilfspersonen geleistet oder überwacht hätten werden müssen. Die Kammer teile die Auffassung des Sachverständigen Dr. I, dass die Klägerin zur Zeit der Entziehung des Merkzeichens H hilflos gewesen sei, weil sie nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufigen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedurft habe. Unschädlich sei dabei, dass genaue Zeitangaben für die erforderliche Hilfe teilweise nicht gemacht werden könnten. Denn eine Auflistung minutenweiser Hilfebedarfe (wie bei der Einstufung in eine Pflegestufe nach altem Recht) sei im Rahmen der Feststellung des Merkzeichens H nicht erforderlich, solange im Übrigen ein hinreichender Hilfebedarf dargetan sei. Hierfür spreche letztlich auch die zum 01.01.2017 in Kraft getretene Neufassung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit, der gänzlich auf zeitliche Vorgaben verzichte.
Gegen das ihm am 22.08.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18.09.2018 Berufung erhoben.
Er macht geltend: Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liege darin, dass die Klägerin volljährig geworden sei und damit nicht mehr die nach den VMG zu beachtenden Besonderheiten bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen anzuwenden seien. Nunmehr komme es allein auf die in § 33b Abs. 3 und 6 EStG geregelten Voraussetzungen an. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin auch unter Zugrundelegung der vom Sachverständigen Dr. I vertretenen Beurteilung nicht. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten keine Angaben zum konkreten Hilfebedarf der Klägerin gemacht, sondern lediglich die Ausführungen der Mutter während der Anamneseerhebung übernommen. Der Sachverständige habe selber auf eine hohe Diskrepanz des Hilfebedarfs im häuslichen Umfeld und in Fremdbetreuungssituationen hingewiesen, jedoch trotzdem die Einschätzung geäußert, dass die Klägerin i.S.d. § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfe. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin unter keiner schwerwiegenden geistigen Behinderung mit "nur" leichter Intelligenzminderung – ohne psychische Erkrankung – leide, stelle sich dieses Begutachtungsergebnis als widersprüchlich dar. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich hochgradige Mängel an Fertig- und Fähigkeiten im Hinblick auf Selbstständigkeit, Orientierung und Bildungsfähigkeit in Fremdberichten nicht fänden. Im Übrigen seien Hilfestellungen zur geistigen Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation nur dann berücksichtigungsfähig, wenn die Behinderung ein solches Ausmaß erreicht habe, dass die geistig-seelische Existenz im Kern betroffen sei und dadurch ohne fremde Hilfe im Ablauf eines jeden Tages ein Mindestmaß an persönlicher, kontaktschaffender Zuwendung nicht mehr zu realisieren sei. Dies sei bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.07.2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und erwidert: Wie das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt habe, könne allein die Vollendung des 18. Lebensjahres den Entzug des Merkzeichens H nicht rechtfertigen. Ungeachtet dessen seien bei ihr die Voraussetzungen des §§ 33b Abs. 6 Satz 3 EStG erfüllt. Das ergebe sich aus den schlüssigen Feststellungen des Sachverständigen Dr. I, der zudem eine ständige Anregung und Motivation für erforderlich gehalten habe.
Auf Anordnung des Senats hat der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D ein weiteres Gutachten erstattet. In seinem nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstatteten Gutachten vom 05.03.2019 hat der Sachverständige Dr. D die Diagnosen "kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung" (F83 ICD-10 GM) sowie "leichte Intelligenzminderung" (F70 ICD-10 GM) erhoben. Er ist der Auffassung, dass der MDK den Hilfebedarf in dem Gutachten vom 16.02.2015 zu hoch eingeschätzt habe. Er – der Sachverständige – sehe kein Erfordernis für eine Ganzkörperwäsche mit einem täglichen Zeitaufwand von 26 Minuten, da allenfalls eine Teilübernahme im Intimbereich erforderlich sei. Auch für das Waschen von Händen und Gesicht mit der Notwendigkeit der Anleitung sei der Hilfebedarf mit sechs Minuten recht hoch angesetzt. Das Erfordernis einer mundgerechten Zubereitung der Nahrung mit Teilübernahme und Anleitung sehe er nicht, da die Klägerin selbst essen könne. Anleitung für das Gehen/Stehen benötige die Klägerin ebenfalls nicht, da die klinische Untersuchung ein unauffälliges Gangbild mit guten Mitbewegungen der Arme ergeben habe. Die Klägerin benötige zwar bei einigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens Hilfe. Dies jedoch nicht in erheblichem oder höherem Maß. Auch sei keine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich, da bei der Klägern keine Erkrankungen und Behinderungen vorlägen, bei denen wegen einer möglichen Gesundheitsgefährdung oder Lebensgefahr sofortiger Hilfebedarf notwendig werde. Im Bereich "Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation" sei mithin kein Hilfebedarf erforderlich. Letztlich sei im Hinblick auf das Merkzeichen H eine Besserung gegenüber dem Bescheid vom 26.07.2002 eingetreten. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Klägern acht Jahre alt und der Hilfebedarf aufgrund des erst später einsetzenden guten Reifungsprozesses noch deutlich höher gewesen.
Die Klägerin hat im Wesentlichen beanstandet, dass der Sachverständige Dr. D keine Testverfahren durchgeführt habe, bei ihr ein nicht nur unerheblicher grundpflegerischen Hilfebedarf bestehe, dass sie für die notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeit der Kommunikation täglicher Hilfe bedürfe und sie außerhalb der Wohnung völlig orientierungslos sei.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 08.05.2019 hat der Sachverständige Dr. D entgegnet: Testverfahren zur Messung der Intelligenz seien entbehrlich, da bereits ein Test durchgeführt worden sei, der einen IQ von 52 ergeben habe. Hätte er den Test wiederholt, so wäre kein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen. Im Hinblick auf den grundpflegerischen Bedarf halte er an seiner Einschätzung fest. Ebenso wenig bestehe in den Bereichen körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeit der Kommunikation ein Hilfebedarf. Bei der Klägerin bestünden keine körperlichen Beeinträchtigungen. Im häuslichen Umfeld verhalte sich die Klägerin unauffällig. Insgesamt sei keine regelmäßige, im Laufe eines jeden Tages anfallende kontaktschaffende Zuwendung erforderlich. Alles in allem belaufe sich der Zeitaufwand für die Grundpflege auf unter 60 Minuten pro Tag.
Der Beklagte hat die Entziehung des Merkzeichens H nach Hinweis des Senats für den Zeitraum vom 27.08.2014 bis einschließlich 31.08.2014 aufgehoben. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 28.05.2019 und 07.06.2019).
Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
1. Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Beklagte hat den Bescheid vom 26.07.2002 im Hinblick auf die Feststellung des Merkzeichens H zu Recht für die Zeit ab 01.09.2014 aufgehoben. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 27.08.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2015 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, weil die Voraussetzungen für das Merkzeichen H nicht mehr erfüllt werden.
2. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 27.08.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 02.02.2015. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der des Widerspruchsbescheides (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96, Rn 11; Keller, a.a.O., § 54 Rn 33).
3. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Vergleichsmaßstab sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bescheides des damaligen Versorgungsamtes C vom 26.07.2002.
a) Das Merkzeichen H ist in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos i.S.d. des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV). Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 4 EStG).
Bei den gemäß § 33 Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst auch die bis zum 31.12.2016 von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI a.F.) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche wurden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst (§ 15 Abs. 3 SGB XI a.F.; vgl. nunmehr aber § 15 Abs. 2 bis 7 SGB XI in der ab 01.01.2017 geltenden Fassung). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil v. 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R, juris Rn. 11 ff. m.w.N. sowie Teil A Nr. 4d Satz 4 VMG). Hilflosigkeit kann jedoch nicht angenommen werden, wenn schwerbehinderte Menschen nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen sind. Der tägliche Zeitaufwand ist erst dann hinreichend erheblich, wenn sich dieser auf mindestens zwei Stunden beläuft. Erreicht der tägliche Hilfebedarf einen Aufwand von mehr als einer, jedoch unter zwei Stunden, ist Hilflosigkeit anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist (BSG, Urteil v. 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R, juris Rn. 15 und 18 m.w.N. aus der Rspr.). Ebenso müssen gemäß Teil A Nr. 4d VMG einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf immer wieder vorkommen (z.B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, Begleitung bei Spaziergängen oder Hilfen im Straßenverkehr) außer Betracht bleiben.
b) Im Vergleich der Verhältnisse am 26.07.2002 und 02.02.2015 ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Denn die Klägerin ist nicht mehr hilflos i.S.d. vorbezeichneten Grundsätze. Die wesentliche Änderung liegt hier zum einen – wie der Sachverständige Dr. D nachvollziehbar ausgeführt hat – darin, dass die Klägern bei Erlass des Bescheides vom 26.07.2002 acht Jahre alt und der Hilfebedarf aufgrund des erst später einsetzenden guten Reifungsprozesses noch deutlich höher als im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides war. Zum anderen führt das Erreichen der Volljährigkeit dazu, dass die in Teil A Nr. 5 VMG geregelten "Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen" nicht mehr zu berücksichtigen sind (hierzu 3. a] bb]).
aa) Die mit Bescheid vom 26.07.2002 erfolgte Feststellung des Merkzeichens H zu Gunsten der seinerzeit achtjährigen Klägerin war zutreffend. Erweist sich die Feststellung eines GdB oder Nachteilsausgleichs von Anfang an als rechtswidrig, ist eine Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die Feststellung kann in diesen Fällen allenfalls nach § 45 SGB X zurückgenommen werden.
Bei Kindern und Jugendlichen kann im Vergleich zu Erwachsenen mit derselben Erkrankung selbst bei einem gleich bleibenden Krankheitsverlauf die Annahme des Merkzeichens H gerechtfertigt sein, weil nicht nur die Anleitung zu den in der (seinerzeit noch gültigen) Nr. 21 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) genannten Verrichtungen, sondern auch die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung zu den berücksichtigungsfähigen Hilfeleistungen gehört (jetzt: Teil A Nr. 5a VMG). Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, so dass, anders als bei Erwachsenen, auch schon bei niedrigeren GdB-Werten Hilflosigkeit vorliegen kann (vgl. Nr. 22 Abs. 3 AHP – jetzt: Teil A Nr. 5c VMG). Bei einer geistigen Behinderung eines Kindes kommt auch dann die Zuerkennung des Merkzeichens H bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in Betracht, wenn das Kind wegen gestörten Verhaltens ständiger Überwachung bedarf (zum Ganzen: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 05.05.2011 – L 7 SB 10/07, juris Rn. 44 ff.; Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 9. Aufl. 2018, S. 70 ff. jeweils m.w.N.).
(1) Für die rechtmäßige Zuerkennung des Merkzeichens H spricht nicht nur der Umstand, dass der Klägerin aufgrund des Pflegegutachtens vom 06.12.2001 die Pflegestufe 1 und später nach Einholung eines weiteren Pflegegutachtens vom 13.02.2004 zwischenzeitlich die Pflegestufe 2 zuerkannt wurde, sondern auch die ärztliche Auskunft der Kinderärztin Dr. Q (Gesundheitsamt des Kreises Q) vom 10.06.2002. Dr. Q referiert dort die im Rahmen einer Vorstellung der Klägerin am 17.04.2000 erhobenen Befunde und teilt u.a. mit: Die Klägern erscheine körperlich altersentsprechend entwickelt. Die Wirbelsäule sei unauffällig; die Motorik stelle sich grob motorisch noch als unsicher dar: Der Einbeinstand sei nur zwei bis drei Sekunden möglich gewesen. Dass Einbeinhüpfen sei der Klägerin nicht möglich. Den Seiltänzergang habe sie unsicher mit Abweichbewegungen durchgeführt. Überkreuzbewegungen seien ebenfalls nicht sicher durchführbar. Die Klägern könne sich unter Anleitung der Mutter an- und ausziehen und benötige viel Zeit und Zuspruch. Sie habe sich nur wenig und teilweise unverständlich in unvollständigen Sätzen geäußert.
(2) Gleichermaßen hat sich der die Klägerin behandelnde Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie I1 in einem gegenüber dem damaligen Versorgungsamt C erstatteten Bericht vom 07.08.2002 geäußert und im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Klägerin im Erscheinungsbild sehr unsicher wirke. Das Denkvermögen stelle sich als deutlich vermindert dar. Die Psychomotorik sei gehemmt, der Wahrnehmungsbereich und die Aufmerksamkeit seien deutlich vermindert. Die Klägerin sei in Stimmung sowie Affektivität labil und im Verhalten deutlich unsicher. Die Interaktion sei sehr wechselnd, mal aufgeschlossen und dann eher introvertiert. Die Testdiagnostik habe bei der Klägerin unterdurchschnittliche Intelligenz- und Aufmerksamkeitsleistungen im unteren Bereich einer Lernbehinderung bzw. an der Grenze zu einer geistigen Behinderung ergeben.
bb) Ist Volljährigkeit eingetreten, sind die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften – insbesondere § 33b Abs. 6 Satz 3 und 4 EStG und Teil A Nr. 4 VMG – zum Nachteilsausgleich H anzuwenden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.03.2019 – L 10 SB 111/17, juris Rn. 27 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 05.05.2011 – L 7 SB 10/07, juris Rn. 44 a.E.). Einen Hilfebedarf von täglich mehr als einer Stunde in den bereits oben skizzierten Bereichen erreicht die Klägerin nicht mehr. Vielmehr ist der Hilfebedarf nunmehr auf ca. 32 Minuten täglich zu beziffern.
(1) Das ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D in seinem Gutachten vom 05.03.2019 nebst ergänzender Stellungnahme vom 08.05.2019. Unter Zugrundelegung der Einschätzung des Sachverständigen Dr. D stellt der Senat den folgenden täglichen Hilfebedarf fest:
Hilfeleistung – Form der Hilfe – Zeitaufwand
Waschen/Duschen/Baden – Anleitung/Teilübernahme – 10 Minuten
Zahnpflege – Anleitung/Teilübernahme – 6 Minuten
Kämmen – Anleitung/Teilübernahme – 2 Minuten
Darm- und Blasenentleerung – Teilübernahme – 2 Minuten
Ernährung – Anleitung/Kontrolle – 2 Minuten
An- und Auskleiden – Anleitung/Kontrolle – 10 Minuten
Psychische Erholung, geistige Anregung, Kommunikation – Kein Hilfebedarf – 0 Minuten
Gesamt = 32 Minuten
Dr. D hat hierzu ausgeführt, dass die Ansätze in dem Pflegegutachten vom 16.02.2015 teilweise zu hoch seien. Im Hinblick auf die Ganzkörperwäsche sei derzeit ein Ansatz von 26 Minuten zu hoch, da allenfalls für den Intimbereich eine Teilübernahme erforderlich sei, für die Ganzkörperwäsche sei der Zeitaufwand mittlerweile geringer. Auch für das Waschen von Händen und Gesicht mit der Notwendigkeit der Anleitung sei der Aufwand von sechs Minuten recht hoch angesetzt. Die Notwendigkeit einer mundgerechten Zubereitung der Nahrung mit Teilübernahme und Anleitung (10 Minuten täglich) sehe er nicht, da die Klägerin selbst essen könne und auch angegeben habe, dass sie sich in der Schule anlässlich des gemeinsamen Essens die Portionen selbst zurecht mache. Nachvollziehen könne er demgegenüber, dass die Klägerin immer wieder beim Essen und Trinken Anleitung benötige. Den Hilfebedarf für die Mobilität könne er ebenfalls nachvollziehen, eine Anleitung für das Gehen und Stehen benötige die Klägerin jedoch nicht. Insgesamt sei festzustellen, dass die Klägerin zwar bei einigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe bedürfe. Dies jedoch nicht in erheblichem oder höherem Maß. Ebenso wenig sei eine ständige Bereitschaft zur Hilfestellung erforderlich, da bei der Klägerin keine Erkrankung bestehe, bei denen sofortiger Hilfebedarf wegen einer möglichen Gesundheitsgefährdung oder Lebensgefahr notwendig sei.
(2) Die Einschätzung des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. I steht dem nicht entgegen. Dr. I hat in seinem Gutachten sowie der ergänzenden Stellungnahme u.a. ausgeführt, dass eine Diskrepanz zwischen den Hilfeleistungen in häuslicher Umgebung und in Fremdbetreuungssituationen (z.B. in der Werkstufe oder im Rahmen der Kurbetreuung) bestehe, wo sich die Klägerin als selbstständiger präsentiere. Er hat ferner ausgeführt, dass im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung seine persönliche Bewertung der Hilflosigkeit der Klägerin unabhängig von der Gesamtschwere der Behinderung und dem laut Pflegegutachten festgestellten konkreten Pflegeaufwand nur aufgrund der Angaben der betreuenden Mutter und der deswegen ausführlich aufgeführten Fremdbeurteilungen erfolgen könne. Diese vermittelten vordergründig allerdings einen widersprüchlichen Eindruck, da eine übertriebene Ängstlichkeit der Klägerin in Fremdbetreuungssituationen nicht beschrieben werde.
Der Sachverständige Dr. I hat es jedoch versäumt, die von ihm deutlich skizzierten Widersprüche aufzulösen. Darüber hinaus hat er letztlich nur die in dem Pflegegutachten vom 16.02.2015 angesetzten Zeitaufwände übernommen, ohne eine eigene Einschätzung des Hilfebedarfs vorzunehmen. Daran ändern auch seine Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme vom 17.11.2016 nichts. Auch in dieser Stellungnahme hebt der Sachverständige Dr. I die von ihm bereits dargestellten Diskrepanzen hervor. Insbesondere legt er dar, dass die Angaben der Mutter der Klägerin während eines Erörterungstermins vor dem SG ein nur eingeschränktes Bild über den zeitlichen Aufwand ergäben und darüber hinaus im Widerspruch zu den Antworten anlässlich der Erstbegutachtung stünden. Dort sei die Rede von Spaziergängen über 20 bis 30 Minuten Dauer gewesen, da längere Wege aufgrund von Schmerzen nicht möglich seien. Die während des Erörterungstermins erfragten und angegebenen zweistündigen Spaziergänge in der Woche und am Wochenende von drei bis vier Stunden Dauer stünden im deutlichen Gegensatz zu den Angaben, die er in seinem Gutachten niedergelegt habe. Trotz dieser Widersprüche müsse er dennoch davon ausgehen, dass – unabhängig von den konkreten zeitlichen Aufwänden – jegliche Art von geistiger Anregung, Kommunikation und psychischer Erholung im Rahmen der häuslichen Betreuung ausschließlich von den Eltern geleistet werde. Darüber hinaus sei anzunehmen, dass die Klägerin sich außerhalb der familiären oder schulischen Schutzräume aufgrund ihres Verhaltens in unmittelbare Gefahr begeben würde. Die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung resultiere aus den möglichen konkreten Gefahrensituationen, die sich für die Klägern durch Orientierungslosigkeit oder Panikreaktionen ergäben. Im konkreten Fall erscheine es sinnvoll und angemessen, dass nicht der zeitliche Umfang der notwendigen Hilfeleistung zugrunde gelegt werde, sondern allein das Ausmaß der körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionsbeeinträchtigungen.
Letztlich halten sich die Ausführungen des Sachverständigen Dr. I im Ungefähren, wobei er die von ihm selbst herausgearbeiteten Widersprüche auch in der ergänzenden Stellungnahme nicht aufgelöst hat. Soweit der Sachverständige unter Zugrundelegung der bei der Klägerin – angeblich – vorhandenen Orientierungslosigkeit das Merkzeichen H rechtfertigen will, ist zu berücksichtigen, dass für derartige Konstellationen das (bei der Klägerin bereits festgestellte) Merkzeichen B vorgesehen ist. Ebenso wenig ist es möglich, anstelle des zeitlichen Umfangs der Hilfeleistungen allein das Ausmaß der körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionsbeeinträchtigungen anzusetzen. Hiergegen spricht bereits die skizzierte Rechtsprechung des BSG, die jedenfalls für den hier einschlägigen Zeitraum auch angesichts der herausragenden steuerrechtlichen Bedeutung des Merkzeichens H eine zeitliche Aufschlüsselung des Hilfebedarfs für unumgänglich hält. Darüber hinaus kann ein allgemeiner Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf, wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des BSG selbst dann nicht berücksichtigt werden, wenn Verwahrlosung droht.
Entgegen der vom Sachverständigen Dr. I und vom SG vertretenen Auffassung kann im Hinblick auf die zeitliche Darlegung des Hilfebedarfs auch nicht vor dem Hintergrund der Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB XI verzichtet werden. Das ergibt sich für die vorliegende Konstellation bereits daraus, dass maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 02.02.2015 abzustellen ist. Zu diesem Zeitpunkt galten jedoch – wie sich auch aus dem Pflegegutachten vom 16.02.2015 ergibt – die allein die auf den zeitlichen Umfang des Hilfebedarfs abstellenden Regelungen der §§ 14, 15 SGB XI in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung.
(3) Ohne dass es darauf noch ankommt, ist im Übrigen Folgendes zu berücksichtigen: Der Sachverständige Dr. I hat mehr als nur einmal herausgestellt, dass die Klägerin in häuslicher Umgebung deutlich mehr Hilfestellungen einfordere als in Fremdbetreuungssituationen, wo die Klägerin selbstständiger auftrete. Dies bedeutet jedoch, dass sich auch unter Zugrundelegung seiner Auffassung die weitere Zuerkennung des Merkzeichens H nur schwerlich rechtfertigen lässt. Denn das Erfordernis dauernder Hilfe für zahlreiche häufig und wiederkehrende Verrichtungen i.S.d. Teil A Nr. 4d VMG lässt sich auch aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr. I nicht ableiten.
(4) Im Ergebnis rechtfertigt sich damit die Feststellung des Merkzeichens H – wie auch der von der Beklagte eingeschaltete Internist Dr. N in seiner Stellungnahme vom 08.04.2019 ausgeführt hat – vor dem Hintergrund einer relativ günstigen Persönlichkeitsentwicklung mit Reifungsprozess und guter sozialer Anpassungsmöglichkeit nicht mehr.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auch unter Berücksichtigung des vom Beklagten abgegebenen Teilanerkenntnisses stellt sich das Obsiegen der Klägerin als gering dar, so dass auch eine teilweise Kostenbeteiligung des Beklagten nicht in Betracht kam.
5. Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 06.01.2020
Zuletzt verändert am: 06.01.2020