Vergleich bzw. Rücknahme der Klage / Anerkenntis
Sitzungsprotokoll BSG
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.04.2011 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung der ihr im Rahmen einer so genannten "auditiv-verbalen Therapie" entstandenen Kosten hat.
Die im Jahre 2004 geborene Klägerin wurde aufgrund einer erstmals im Alter von 20 Monaten diagnostizierten, beidseitig bestehenden, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit an der Medizinischen Hochschule I im Mai 2006 beidseitig mit Cochleaimplantaten (im Folgenden: CI) versorgt. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 bei Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen u.a. des Merkzeichens Gl.
Seit dem 20.04.2006 (Erstgespräch am 11.04.2006) wird die Klägerin im Rahmen einer "auditiv-verbalen Therapie" in der Praxis für auditiv-verbale Therapie von Frau X in E betreut.
Die Klägerin beantragte unter dem 20.04.2006 unter Vorlage eines Begleitschreibens der Frau X vom 19.04.2006 bei der beigeladenen Krankenkasse die Übernahme der Therapiekosten. In ihrem Begleitschreiben führt Frau X u.a. aus, in Absprache mit den Ärzten der Medizinischen Hochschule I, dem zuständigen Ingenieur und mit der Therapeutin für auditiv-verbale Therapie im Hörzentrum in I, Frau L, solle die Habilitation durch eine wöchentliche auditiv-verbale Therapie mit den Eltern in ihrer Praxis in E erfolgen. Ziel sei die Entwicklung eines ersten Hörbewusstseins, welches der Klägerin die Verarbeitung auditiver Reize mittels CI sehr erleichtern werde. Die Eltern der Klägerin hätten in I durch Prof. Dr. M sowie Frau L von der auditiv-verbalen Therapie erfahren. Diese erfolge auf der Grundlage einer in Deutschland bisher einzigartigen therapeutischen Zusatzausbildung für die Therapie hörgeschädigter Kinder, welche im Anschluss an ein Studium der Hörgeschädigtenpädagogik durchlaufen werde. Die Erfolge auditiv-verbaler Arbeit seien in CI-Zentren landesweit bekannt.
Frau X gab an, seit etwa Juni 1989 wöchentliche Therapien mit hochgradig schwerhörigen Kindern zunächst in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas E und seit Dezember 1993 in eigener Praxis durchzuführen. Sie ist Sonderpädagogin und war nach eigenen Angaben als Sonderschullehrerin für Schwerhörige an der S Schule für Schwerhörige in F (Name jetzt: Förderschule des LVR, Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation) tätig. Von 1999 bis 2002 unterrichtete sie an der Universität L (Seminar für Hörgeschädigtenpädagogik – auditiv-verbale Therapie).
Dem Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme war zudem ein Schreiben des Direktors der Medizinischen Hochschule I, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Prof. Dr. M1, sowie der Oberärztin Prof. Dr. M vom 29.04.2006 beigefügt. Darin ist ausgeführt, die indizierte Versorgung der Klägerin mit CI werde in Kürze vorgenommen. Um die Dynamik zunächst der Hörentwicklung und im Folgenden der Sprachanbahnung im Sinne einer ausreichenden Versorgung und unter optimaler Ausnutzung des Systems zu gewährleisten, werde die auditiv-verbale Therapie als therapeutisches Instrument für außerordentlich geeignet gehalten. Sie sei im Fall der Klägerin medizinisch indiziert. Sowohl die therapiespezifischen Inhalte der auditiv-verbalen Therapie als auch das Konzept der ambulanten Betreuung mit kurzfristigen Wiedervorstellungen in kurzen Konzentrationseinheiten für die Kleinkinder ließen einen erhöhten Erfolg erwarten. Um Kostenübernahme werde gebeten.
Mit Bescheid vom 11.05.2006 führte die beigeladene Krankenkasse aus, eine Kostenübernahme komme nicht in Betracht, da die auditiv-verbale Therapie nicht zu den vertraglich anerkannten Leistungen gehöre. Damit ggf. mit Hilfe des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) festgestellt werden könne, welche Behandlungsmethode im Fall der Klägerin geeignet sei, würden nähere Informationen des behandelnden Arztes benötigt.
Mit einem Schreiben vom 14.06.2006 wies die Klägerin die beigeladene Krankenkasse darauf hin, dass sie mittlerweile mit CI versorgt sei, und der Termin für die Erstanpassung vom Hörzentrum I für die Zeit vom 03. bis 07.07. 2006 festgesetzt worden sei. In einem beigefügten Schreiben der Medizinischen Hochschule I vom 12.06.2006 wird ausgeführt, die auditiv-verbale Therapie sei, auch in Anbetracht der schlechten Hörsystemversorgung ohne CI, bereits teilweise erfolgreich durchgeführt worden. Es sei medizinisch indiziert, die Therapie fortzuführen. Eine Unterbrechung oder ein Therapiewechsel würde die Dynamik der Entwicklung deutlich reduzieren und den Behandlungserfolg gefährden.
Der von der beigeladenen Krankenkasse befragte MDK verneinte die sozialmedizinischen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme. In seinem Gutachten vom 27.06.2006 bescheinigte er der auditiv-verbalen Therapie zwar sehr gute Ergebnisse. Mit der Frühförderung als ganzheitlichem und interdisziplinärem System nach den Frühförderrichtlinien bestehe für das hörbehinderte Kind jedoch die Möglichkeit einer systematischen Entwicklungsförderung. Diese umfasse medizinische, pädagogische und psychologische Leistungen. Insofern bestehe keine medizinische Indikation für eine zusätzliche auditiv-verbale Therapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei der auditiv-verbalen Therapie handele es sich um eine pädagogische Leistung, die nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden könne. Die entsprechende Ausbildung stelle eine Zusatzqualifikation nach dem Abschluss des Studiums der Hörgeschädigtenpädagogik dar. Eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses fehle.
Mit Bescheid vom 28.06.2006 teilte die beigeladene Krankenkasse mit, eine Kostenübernahme scheide nach der geltenden Rechtslage aus. Da es sich bei der auditiv-verbalen Therapie um eine pädagogische Leistung handele, komme ggf. der Landschaftsverband als leistungspflichtig in Betracht.
Die Klägerin legte zur Begründung ihres hiergegen die Leistungsablehnung gerichteten Widerspruchs weitere Schreiben der sie behandelnden Ärzte der Medizinischen Hochschule I vom 05.07.2006 und 04.08.2006 vor, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Darin weisen die behandelnden Ärzte u.a. darauf hin, dass nach einer Versorgung mit CI eine interdisziplinäre Therapie zwischen Ärzten, Ingenieuren, Audiologen und Pädagogen zwingend notwendig sei. Dies werde in aller Regel realisiert und von den Krankenkassen in so genannten CI-Zentren auch finanziert. Es gebe aber durchaus die individuelle Notwendigkeit, dass diese Standardtherapie nicht zum Tragen komme. Es müsse für jedes Kind das richtige Setting der Förderung gefunden werden. Bei der Probeanpassung in I habe sich gezeigt, dass diese (Standard-) Therapiestruktur für die Klägerin tatsächlich ungünstig sei. Dass die auditiv-verbale Therapie noch nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschusses diskutiert worden sei, liege an der Überlastung durch die vielen Themen, die dort besprochen werden müssten. Dem Versicherten dürften keine Therapien versagt werden, die dem neuesten Stand der Entwicklung entsprechen. Der MDK habe ausgeführt, die Ergebnisse der von der Klägerin gewünschten Therapie seien sehr gut. Ökonomisch mache es keinen Unterschied, in welche Institution die Klägerin gehen werde. Denn auch die in ihrem Fall kontraindizierte Behandlung in einem CI-Zentrum müsse finanziert werden.
In einem an die beigeladene Krankenkasse gerichteten Schreiben vom 14.08.2006 bemängelte die Therapeutin X, dass der Gutachter des MDK weder die grundlegenden Prinzipien, Ziele und Inhalte der auditiv-verbalen Therapie kenne noch die Regelungen der Früherziehung durch die Förderschulen Hören und Kommunikation. Die Frühförderung sei nicht geeignet, eine auditiv-verbale Therapie zu ersetzen.
Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren nahm Prof. Dr. M in einer E-Mail vom 13.01.2007 zu der Frage Stellung, warum die Therapie heimatnah zu leisten sei. Es sei nahezu bei allen Kindern erforderlich, mehr oder weniger regelmäßig/wöchentlich eine Therapie am Wohnort anzubieten, auch wenn die Therapieangebote grundsätzlich nur im Ausnahmefall auf externe CI-Zentren ausgeweitet werden sollten. Im Fall der Klägerin sei es aber so, dass sie das besondere Angebot einer auditiv-verbalen Therapie vor Ort wahrnehmen könne. Mit der Therapeutin X werde intensiver Kontakt gepflegt. Sowohl aus inhaltlichen Gründen als auch aus organisatorischen Gründen werde dringend geraten, die beanspruchte Therapie durchzuführen. Die Vorstellungen in I würden sich erfahrungsgemäß reduzieren. Rein pädagogische Vorstellungen in I würden überflüssig. Auch wenn man die Ersparnis nicht beziffern könne, sei dies der Grund für die Absprache mit den Eltern der Klägerin und für die Indikationsstellung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2007 wies die beigeladene Krankenkasse den Widerspruch zurück. Das sich anschließende Klageverfahren beim Sozialgericht Duisburg S 9 KR 77/07 ruht seit dem 09.05.2007 mit Blick auf das anhängige Verfahren gegen den Sozialhilfeträger.
Bereits am 04.07.2006 hatte die Klägerin bei der Beklagten mit einem auf den 22.05.2006 datierten Schreiben die Kostenübernahme für die auditiv-verbale Therapie als heilpädagogische Behandlung im Rahmen der Eingliederungshilfe beantragt, dabei auf die Ablehnung der beigeladenen Krankenkasse vom 11.05.2006 verwiesen und zur weiteren Begründung ein Schreiben der Therapeutin X vom 22.05.2006 überreicht. In diesem ist ausgeführt, die Familie der Klägerin wünsche eine wöchentliche auditiv-verbale Therapie, da dieser therapeutische Ansatz ein Gesamtkonzept beinhalte, das gekennzeichnet sei durch eine fortlaufende Diagnostik, die Förderung des Kindes in Anlehnung an die natürliche Entwicklung hörender Kinder, eine schwerpunktmäßige Entwicklungsförderung in den Bereichen Hören, Sprache und Kognition, die Verwendung eines auditiv-verbalen Curriculums zum Hörenlernen, die Erstellung von Ziel- und Behandlungsplänen, schriftliche Dokumentation des Entwicklungsverlaufs (Gutachten), den Einsatz auditiv-verbaler Strategien und Techniken zur Erleichterung der Hör-Sprach-Entwicklung, die Sicherstellung der technischen Versorgung durch eine Kooperation mit Ingenieuren und Akustikern, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, das Ziel des Besuchs von Regeleinrichtungen (Kindergarten, Schule) sowie eine intensive Elternbegleitung, -beratung und -anleitung. Die Familie sehe in dieser Therapie eine große Chance für die Klägerin, eine natürliche Sprache und Kommunikation über das Ohr, das heißt durch Hören, zu entwickeln und somit an den Bildungsmöglichkeiten hörender Kinder teilhaben zu können. Der Therapie komme für die Entwicklung der Klägerin und ihre Bildungschancen besondere Bedeutung zu. Dem Schreiben der Therapeutin waren erläuternde Unterlagen zur auditiv-verbalen Therapie beigefügt, ferner Bewilligungsbescheide der Städte F und N sowie des Kreises N1 zugunsten anderer Betroffener.
Mit Bescheid vom 17.07.2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Bei der beantragten Leistung handele es sich um Eingliederungshilfe in Gestalt der medizinischen Rehabilitation. Zuständig für diese Leistung sei die Krankenkasse. Diese habe die Kostenübernahme abgelehnt. Dies führe jedoch nicht zu einem Wechsel der Hilfeart. Die dem Antrag beigefügten Bewilligungsbescheide anderer Sozialhilfeträger ließen eine andere Entscheidung nicht zu. Die Klägerin könne sich beim Institut für Jugendhilfe der Stadt E über bestehende Hilfemöglichkeiten beraten lassen.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs vom 27.07.2006 trug die Klägerin vor, es handele sich bei der auditiv-verbalen Therapie nicht um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Der Eingliederungshilfeträger sei verpflichtet, die persönliche Entwicklung des behinderten Menschen ganzheitlich zu fördern. Gleichwertige Möglichkeiten seien nicht ersichtlich. Zur weiteren Begründung legte die Klägerin ein Schreiben der Therapeutin X vom 07.08.2006 vor. Diese führte nunmehr aus, die auditiv-verbale Therapie stelle einen therapeutischen Ansatz dar, der von sonderpädagogischen Prinzipien geprägt sei und mit Logopädie nichts gemein habe. In den Sitzungen werde im gemeinsamen Spiel mit den Eltern das Gehör des Kindes entwickelt, so dass das Kind Sprechen durch Hören lernen könne. Der therapeutische Ansatz sei nicht neu, werde jedoch nur von wenigen Therapeuten aufgrund der langen und hochspezialisierten Ausbildung angeboten. Die Kostenübernahme durch die Krankenversicherer finde nur selten statt, da diese keine sonderpädagogischen Leistungen übernähmen. Alle Sozialämter, an die sich Familien aus ihrer Praxis bisher gewandt hätten, übernähmen die Kosten der Therapie. Eine allgemeine heilpädagogische Förderung benötige die Klägerin nicht. Auch die Förderung durch eine Förderschule für Hören und Kommunikation sei nicht ausreichend. Die Gehörlosigkeit der Klägerin könne zwar nicht mehr gemindert werden, wohl jedoch ihre Separation von der Gemeinschaft durch ihre Sprachlosigkeit bzw. durch eine Sprache, die kaum jemand in ihrem Umfeld verstehe. Die auditiv-verbale Therapie, die das Kind gezielt unter aktiver Beteiligung der Eltern fördere, ermögliche die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Sie ziele darauf ab, die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen und zu erleichtern.
Nach Beteiligung sozial erfahrener Personen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2006 zurück. Zwar gehöre die Klägerin zum Personenkreis des § 53 SGB XII. Auch wenn die auditiv-verbale Therapie zum Teil von sonderpädagogischen Prinzipien geprägt sei, zähle sie jedoch zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es für die Abgrenzung von medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen auf die Zielsetzung der Maßnahme an (Urteil vom 03.09.2003 – B 1 KR 34/01 R). Ziel der Therapie sei die Sprachbehandlung bzw. die Entwicklung einer natürlichen altersgemäßen Sprache und Kommunikation. Somit könne eine wesentliche Linderung des Leidens, also der krankheitsbedingten Behinderung erreicht werden. Es gehe nicht darum, lediglich Auswirkungen der Behinderung auf die Lebensgestaltung aufzufangen oder abzumildern.
Gegen den am 30.09.2006 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 26.10.2006 Klage beim Sozialgericht Duisburg erhoben. Zunächst hat sie an ihrer Auffassung festgehalten, dass es sich bei der auditiv-verbalen Therapie um eine heilpädagogische Behandlung handele, die im Wege der Eingliederungshilfe durch die Beklagte zu finanzieren sei. Mit dieser Therapie würden die nach durchgeführter Versorgung mit CI noch vorhandenen Auswirkungen der Behinderung auf die Lebensgestaltung weiter abgemildert. In der Folgezeit hat die Klägerin die Auffassung vertreten, es handele sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation in Gestalt einer nicht-ärztlichen Leistung, die unter ärztlicher Verantwortung erbracht werde. Sie hat darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht Düsseldorf in dem Verfahren S 9 KR 47/05 die dort beklagte Krankenkasse verpflichtet habe, die entstandenen Kosten für die Durchführung einer auditiv-verbalen Therapie zu erstatten. Das Gericht sei unter Berücksichtigung eines von ihm eingeholten Gutachtens zu der Überzeugung gelangt, ein Anspruch auf die auditiv-verbale Therapie bestehe, weil sie Teil eines Behandlungskonzeptes sei, welches von den behandelnden Ärzten für medizinisch notwendig angesehen werde, um dem Kläger jenes Verfahrens innerhalb der ersten sechs Lebensjahre das Erlernen von Sprache zu ermöglichen. Ziel dieser Behandlung sei es, die Auswirkungen der vorliegenden Hörschädigung zu lindern.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.07.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2006 zu verurteilen, für die Zeit ab 22.05.2006 die für die auditiv-verbale Therapie entstandenen Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, bei der auditiv-verbalen Therapie handele es sich um eine medizinische Rehabilitationsleistung, die von den Krankenkassen zu finanzieren sei. Jedenfalls seien Leistungen der medizinischen Rehabilitation, soweit sie nach dem SGB XII in Betracht kämen, auf den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt.
Die beigeladene Krankenkasse, die ihrerseits keinen Antrag gestellt hat, hat die Auffassung vertreten, dass zum einen eine adäquate Förderung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation in I möglich gewesen wäre. Im Übrigen sei jedoch die Frage entscheidend, ob es sich bei der fraglichen Therapie – wie in den Akten eigentlich durchweg behauptet – um eine heilpädagogische Maßnahme handele oder um eine medizinische. Nur im letzteren Fall komme eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht. Soweit eine pädagogische Maßnahme im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation erbracht werde, könne die gesetzliche Krankenversicherung als Träger der Maßnahme diese Leistung mit übernehmen. Sinn der Regelung sei es, dem Behinderten möglichst überschaubare Ansprechpartner im Rahmen der Rehabilitation zu gewährleisten. Wenn aber – wie im vorliegenden Fall – eine pädagogische Maßnahme nicht Bestandteil einer Kompaktrehabilitationsleistung sei, komme eine Kostenträgerschaft der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Betracht. Auf Nr. 16.3 der Heilmittelrichtlinien werde hingewiesen. Die auditiv-verbale Therapie sei ungeachtet der Rechtsprechung des Sozialgerichts Düsseldorf (a.a.O.) keine Vertragsleistung. Sie stehe somit nicht als Sachleistung zur Verfügung. Eine neue Methode könne auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nur infrage kommen, wenn keine vertragliche Methode zur Verfügung stehe. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Es stehe die ambulante vertragliche Sprachtherapie zur Verfügung sowie weiterhin die klinische Begleitung/Nachbehandlung. Ein Systemversagen im Sinne der Rechtsprechung des BSG liege nicht vor. Ein solches sei vom Sozialgericht Düsseldorf auch nicht geprüft worden. Zudem habe das Sozialgericht Düsseldorf die Problematik des § 124 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht angesprochen.
Das Sozialgericht hat einen Behandlungs- und Befundbericht der Therapeutin X angefordert. In diesem Bericht vom 11.04.2007 ist u.a. ausgeführt, allein die auditiv-verbale Therapie gewährleiste die erforderliche enge Zusammenarbeit mit den Fachleuten, welche die Implantate oder Hörgeräte anpassten. Die Therapie sei speziell für Kinder mit Hörschädigung und deren Eltern entwickelt worden. Logopädie oder eine Sprachtherapie seien nicht geeignet, da eine fehlende Sprachentwicklung aufgrund einer Hörstörung nicht gleichgesetzt werden könne mit einer Sprachstörung. Das betroffene Kind benötige kein Sprachtraining, sondern Förderung bei der Aufnahme und Verarbeitung auditiver Reize, um Hören zu lernen. Auditiv-verbale Therapie erfordere fundiertes Wissen in Bereichen wie Audiologie, Hörgeräte- und CI-Technik, Hör-, Sprach- und Kognitionsentwicklung, Phonetik/Phonologie, Spielentwicklung und Lernpsychologie, Säuglings- und Kleinkindentwicklung, Psychologie (Beratung, Gesprächsführung, systemisches Arbeiten, Motivation, Trauerverarbeitung, …). Die Zulassung zur Prüfung erfordere nachgewiesene 2.400 Praxisstunden. In Deutschland würden Seminare angeboten und eine Ausbildung erarbeitet. Zu den Teilnehmern der Seminare gehörten Hörgeschädigtenlehrer, Sprachheilpädagogen, Logopäden und Lehrlogopäden, Heilpädagogen und Fachlehrer für Hörgeschädigte (Erzieher). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Behandlungs- und Befundbericht Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat ferner einen von der Therapeutin X vorgelegten Auszug zu den Eignungsvoraussetzungen (Stand: 2007) für die die Zusatzausbildung in auditiv-verbaler Therapie bei der AG Bell Academy for Listening and Spoken Language®, Washington, in die deutsche Sprache übersetzen lassen und den Beteiligten zur Verfügung gestellt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat zudem die behandelnden Ärzte der Medizinischen Hochschule I befragt. Diese haben unter dem 15.07.2007 die auditiv-verbale Therapie als eine Leistung zu medizinischen Rehabilitation eingestuft. Es handele sich um eine nichtärztliche Leistung, die zur Förderung der frühkindlichen Entwicklung zwingend sei. Die frühkindliche Entwicklung zu fördern, sei der tatsächliche Inhalt und Auftrag einer heilpädagogischen Therapie. Letztlich werde die auditiv-verbale Therapie immer in ärztlicher Verantwortung erbracht, da die Indikation und somit die Verordnung von einem Arzt erfolgen müsse. Dies sei auch bei der Klägerin der Fall.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Gemeinsame Bundesausschuss (§ 91 SGB V) unter dem 22.11.2007 mitgeteilt, die auditiv-verbale Therapie sei bisher nicht geprüft worden. Ein Antrag auf Prüfung der Methode gemäß den Vorgaben des § 135 SGB V sei von den berechtigten Organisation nicht gestellt worden.
Mit Urteil vom 28.04.2009 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die ab dem 22.05.2006 entstehenden Kosten für die auditiv-verbale Therapie nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Bei der auditiv-verbalen Therapie handele es sich um eine isolierte heilpädagogische Maßnahme, die nach § 56 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) vom zuständigen Sozialhilfeträger als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu übernehmen sei. Die Therapie sei auch geeignet, die Behinderung der Klägerin zu beseitigen bzw. zu mildern. Der Auffassung der beigeladenen Krankenkasse, ebenso geeignete Mittel stellten die Sprachtherapie sowie die Unterstützung durch Frühförderung dar, werde nicht gefolgt. Lediglich soweit die auditiv-verbale Therapie als Komplexleistung mit weiteren Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung erbracht werde, komme grundsätzlich auch eine Kostenübernahme durch die Beigeladene in Betracht. Bei der auditiv-verbalen Therapie handele es sich – entgegen dem Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.04.2008 (S 9 KR 47/05) – nicht um ein Heilmittel im Sinne der Heilmittel-Verordnung. Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Therapeutin X gehe das Gericht davon aus, dass die auditiv-verbale Therapie nicht mit Logopädie zu vergleichen sei. Die pädagogischen Elemente überwögen. Als Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gölten nur nichtärztliche heilpädagogische Leistungen, soweit und solange sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht würden und erforderlich seien, um einen individuellen Förder- und Behandlungsplan aufzustellen. Alle darüber hinausgehenden – isoliert erbrachten – heilpädagogischen Leistungen seien keine solchen zur medizinischen Rehabilitation, sondern zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Gegen das ihr am 06.05.2009 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 26.05.2009. Sie hält an ihrer Auffassung fest, die auditiv-verbale Therapie sei eine medizinische Rehabilitationsleistung. Für die Abgrenzung zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Maßnahmen komme es in erster Linie auf die Zielsetzung der Maßnahme an. Im Vordergrund der auditiv-verbalen Therapie stehe eindeutig das Ziel, dass das Kind Sprechen und Hören lerne. Die Therapie setze an der Krankheit selbst (der Hörschädigung) an. Durch die Behandlung der hörgeschädigten Kinder solle die krankheitsbedingte Behinderung selbst gebessert werden. Es gehe nicht darum, lediglich Auswirkungen der Behinderung auf die Lebensgestaltung aufzuheben oder abzumildern. Damit trete der Umstand, dass auch pädagogische Mittel eingesetzt würden, in den Hintergrund. Die medizinische Hochschule I gehe ebenfalls davon aus, dass es sich um eine medizinische Rehabilitation handele. Die Leistung werde unter ärztlicher Verantwortung erbracht, die Indikationsstellung erfolge durch einen Arzt. Es wäre durchaus vertretbar, die auditiv-verbale Therapie mit der Weiterbehandlung durch die medizinische Hochschule I im Rahmen der ständigen Anpassung der CI als eine komplexe Leistung zur medizinischen Rehabilitation zu qualifizieren. Im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R (Petö) sei durchaus denkbar, dass die beigeladene Krankenkasse durch ihren Bescheid vom 11.05.2006 bestandskräftig über die Gewährung der Leistung entschieden habe und so im Sinne der Rechtsprechung des BSG eine abschließende Zuständigkeit für die Leistungsgewährung begründet habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.04.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie teilt Auffassung des Sozialgerichts, dass es sich bei der auditiv-verbalen Therapie um eine pädagogische Maßnahme handele, die nach § 56 SGB IX von der Beklagten zu finanzieren sei. Jedenfalls sei die Therapie geeignet, die Behinderung der Klägerin zu mindern. Durch die CI sei der Grund der Behinderung der Klägerin nicht beseitigt worden sei. Es handele sich bei den CI lediglich um Hilfsmittel, die die Behinderung erleichterten. Im Ergebnis lägen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des BSG im Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R (Petö) habe die beigeladene Krankenkasse durch ihre Entscheidung konkludent auch eine Leistung der Eingliederungshilfe abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des BSG sei § 14 SGB IX zu beachten. Das BSG habe zudem in Bezug auf § 55 Abs. 2 SGB IX ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufzählung in § 55 Abs. 2 SGB IX nicht abschließend sei. Die Frage der Klassifizierung als heilpädagogische Leistung sei deshalb insoweit von Bedeutung, als es um die weiteren Voraussetzungen des § 56 SGB IX für die Erbringung heilpädagogischer Leistungen gehe. Die auditiv-verbale Therapie ermögliche der Klägerin unter anderem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht den Besuch einer Regelschule. Die Fortschritte der Klägerin durch die auditiv-verbale Therapie seien evident und könnten auch nicht durch andere Mittel wie Sprachtherapie erreicht werden. Dies habe das Sozialgericht zutreffend erkannt.
Die beigeladene Krankenkasse weist auf § 26 Abs. 2 SGB IX hin, wonach die medizinische Rehabilitation die Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und andere Heilberufe umfasse. Pädagogen seien keine Medizinberufler. Deren Leistungen könnten daher nicht unter § 56 Abs. 2 SGB IX gefasst werden. Auch gebe die Leistungsbeschreibung der streitigen Methode deutlich wieder, dass diese keine medizinische, sondern eine pädagogische Maßnahme sei. In den Therapiesitzungen wirkten die Eltern aktiv mit und lernten, wichtige Prinzipien im alltäglichen Umgang mit dem Kind umzusetzen; es handele sich um eine Eltern-Kind-zentrierte Therapie. Im Mittelpunkt steht die Begleitung, Beratung und Anleitung der Eltern. Sie entspreche nicht der vertraglichen Sprachtherapie und werde nicht von der Heilmittel-Richtlinie umfasst. Bei der hier gegebenen Indikation sei das Heilmittel der Sprachtherapie vertraglich vorgesehen. Diese wiederum beinhalte zwar Teile der auditiv-verbalen Therapie, wie beispielsweise Vermittlung und Anwendung von Techniken zur Beeinflussung der Wahrnehmung und auch die Anleitung der Eltern zur Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme. Sie sei aber explizit nicht vollinhaltlich vertraglich geregelt. Das Berufsbild der auditiv-verbalen Therapie sei nicht anerkannt. Weiterhin sei diese Therapie nicht die einzige, die bei Vorliegen der Indikation zur Verfügung stehe.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens der Fachärztin für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie Dr. M2, Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Uniklinik L. Die Sachverständige hat ein sonderpädagogisches (Zusatz-) Gutachten der Lehrerin für Sonderpädagogik Dr. T, pädagogische Leiterin im CI-Zentrum der genannten Klinik, bei der Erstellung ihres Gutachtens berücksichtigt.
Dr. T führt aus, die von ihr durchgeführten Sprachentwicklungstests zeigten eine durchschnittliche, dem Lebensalter angemessene sprachliche Entwicklung. Lediglich der Zahlenfolgetest weise auf unterdurchschnittliche Werte hin. Diese Ergebnisse seien in Anbetracht der spät erfolgten Versorgung mit CI im Vergleich zu den Daten der Literatur als überaus positiv einzuschätzen. Die Klägerin zähle zu den so genannten "best-performing" Kindern, welche die Schere zwischen Hör- und Lebensalter hätten deutlich verringern können. Dies werde dem hohen Einsatz der Eltern, der angemessenen Versorgung, der Einsprachigkeit sowie der intensiven spezifischen Therapie und den Fähigkeiten des Kindes zugeschrieben. Nach der Implantation von CI sei eine Rehabilitation oder Nachsorge an einem CI-Zentrum basierend auf den (sich derzeit in Überarbeitung befindlichen) Leitlinien der deutschen HNO-Gesellschaft sowie dem Konsensuspapier des ACIR (Arbeitsgemeinschaft Cochelar Implantat [Re-] Habilitation) für die pädiatrische CI-Versorgung die Regel. Diese umfasse die ärztliche, pädagogisch/therapeutische und technische Nachsorge. Die Programmierung und Anpassung eines CI-Systems bei Kindern stelle eine besondere Herausforderung dar. In enger Vernetzung zwischen dem I Hörzentrum und der Praxis für auditiv-verbale Therapie hätten bei der Klägerin die Systeme eingestellt und die Feinanpassung optimiert werden können. Die Habilitation (Sprache sei noch nicht vorhanden) von Kindern mit einer Hörschädigung sei eine interdisziplinäre Aufgabe. Für die Klägerin sei eine pädagogisch/therapeutische Behandlung notwendig (gewesen). Die durch die Therapeutin mit der Zusatzausbildung auditiv-verbale Therapie durchgeführte Therapie sei wegen der Spezialisierung geeignet gewesen. Die Therapie hochgradig hörgeschädigter Kinder stelle für die Berufsgruppen der Diplom-Logopäden, Sprachtherapeuten und Pädagogen ohne zusätzliche Spezialisierung und Fortbildung in der Praxis ein neues Berufsfeld dar. Meistens spezialisierten sich Diplom-Logopäden oder Sprachtherapeuten in den ersten Praxisjahren, um die Anerkennung durch die Kostenträger zu erlangen; im Umfeld des Wohnorts der Klägerin habe jedoch kein Therapeut die Ausbildung in auditiv-verbaler Therapie durchgeführt. Eine Zertifizierungsgelegenheit in deutscher Sprache existiere bisher nicht. Obwohl sich bisher in Deutschland keine Zusatzausbildung zum auditiv-verbalen Therapeuten etabliert habe, spezialisierten sich viele Therapeuten, insbesondere diejenigen, die in CI-Zentren tätig seien; durch Fortbildungsveranstaltungen lernten sie die Grundlagen und Techniken der auditiv-verbalen Therapie kennen, so dass sie diese in den beruflichen Alltag integrieren könnten. Die Klägerin habe durch die auditiv-verbale Therapie den Aufbau und die Ausbildung des auditiven Gedächtnisses als Grundlage zum nachfolgenden Erwerb der gesprochenen Sprache mit der Zielsetzung der Integration in die "hörende" Gesellschaft erfahren. Im Sinne der medizinischen Rehabilitation werde kein weiterer Leistungszweck verfolgt. Grundsätzlich könne die Therapeutin X sonderpädagogische Förderung als heilpädagogische Maßnahme im Sinne der Eingliederungshilfe anbieten. Zunächst habe im Fall der Klägerin jedoch die medizinische Rehabilitation durch den gesetzlichen Kostenträger aufgrund der Kooperation zwischen der implantierenden Einrichtung und der wohnortnahen Praxis X geleistet werden sollen. Die auditiv-verbale Therapie sei eine geeignete Methode, sofern Eltern, Kind und Therapeuten gemeinsam kooperierten. Im Falle der Klägerin sei die Therapie Bestandteil der medizinischen Rehabilitation nach Versorgung mit CI gewesen. Die Therapie habe die Klägerin in hervorragender Weise auf die allgemeinbildende Schule vorbereitet. Die Nachsorge/Rehabilitation hätte auch in Kooperation mit einem CI-Zentrum durchgeführt werden können. Die konkrete Therapie sei eine medizinisch indizierte Maßnahme durch nichtmedizinisches Personal gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten von Dr. T vom 22.11.2011 Bezug genommen.
Die Sachverständige Dr. M2 berichtet von einem höchst erfreulichen Rehabilitationserfolg, der dazu geführt habe, dass die Klägerin in eine allgemeinbildende Schule habe aufgenommen werden können. Die Klägerin habe eine sehr gute lebensaltersgemäße Hör- und Sprachentwicklung gezeigt. Nach der Sprachprozessor-Erstanpassung sei eine therapeutische Begleitung des Kindes und der Familie notwendig. Insofern sei ein multiprofessionelles Team erforderlich, zumindest bestehend aus einem betreuenden Arzt, einem Techniker, welcher kompetent die Sprachprozessor-Anpassung bei kleinen Kindern durchführen könne, und einem Pädagogen/Therapeuten, der zum einen erfahren in der Behandlung von jungen, mit CI versorgten Kindern sei, zum anderen Kenntnisse im Umgang mit Sprachprozessoren habe und vor Ort sei. Die Familie der Klägerin habe sich für Frau X entschieden, die eine in Kanada und den USA weit verbreitete, spezielle Ausbildung in auditiv-verbaler Therapie habe und seit vielen Jahren mit der operierenden Klinik in I zusammenarbeite. Die erfolgten Maßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen und hätten zu dem sehr positiven Ergebnis geführt. Da sich die Eltern gegen ein stationäres Konzept entschieden hätten, sei eine therapeutische Betreuung vor Ort notwendig gewesen. Die therapeutische Begleitung der Klägerin im Prozess des Hörenlernens und des Lautspracheerwerbs sei medizinisch notwendig gewesen. Die intensive therapeutische, mehrjährige Begleitung sei notwendig und hänge von den regionalen Gegebenheiten und von den Vorstellungen der Eltern ab; sie sei zusätzlich zur Hörfrühförderung an den Förderschulen notwendig. Die Eltern hätten einen rein lautsprachlichen und für Eltern und Kind anspruchsvollen Weg gesucht, um der Klägerin einen den Möglichkeiten entsprechenden optimalen Lautspracheerwerb zu ermöglichen. Bisher existiere keine Standardtherapie nach CI. Die auditiv-verbale Therapie stelle einen möglichen therapeutischen Ansatz dar, der prinzipiell erstrebenswert sei. In Deutschland existierten nur wenige Therapeuten mit dieser Ausrichtung, so dass die räumlichen Gegebenheiten vor Ort ausschlaggebend seien. In den ersten drei Hörjahren sei eine intensive therapeutische Nachsorge mit einmal wöchentlichen Therapieeinheiten à 60 Minuten am Heimatort notwendig. Nach den ersten drei Jahren intensiver Nachsorge könne bei guter Sprachentwicklung und nach Einschulung die Therapie in größeren Abständen erfolgen. Bei der Klägerin sei (aktuell) eine Betreuung alle vier bis sechs Wochen, später alle drei Monate sinnvoll. Schwierigkeiten im Schrift-/Spracherwerb könnten allerdings auch noch zu therapieintensiveren Phasen führen. Eine alleinige Betreuung durch Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation scheide aus. Es bestehe die medizinische Indikation für eine spezielle Therapie. Einen der speziellen therapeutischen Ansätze stelle die auditiv-verbale Therapie dar. In Deutschland werde die Behandlung eines cochleaimplantierten Kindes, die spezielle Kompetenzen und Erfahrungen erfordere, meist in den multiprofessionellen CI-Zentren gewährleistet, die sich immer mehr heimatnah entwickelten. Zunehmend seltener erfolge dies im Rahmen einer stationären Intervalltherapie an größeren Zentren. Die ambulante Behandlung der Klägerin hätte auch durch eine Logopädin/Diplom-Sprachtherapeutin/Hörgeschädigtenpädagogin mit profunder Kenntnis in der Therapie von jungen "CI-Kindern" oder in einem heimatnahen CI-Zentrum (etwa in F) durchgeführt werden können. Die Familie der Klägerin habe sich jedoch für den Ansatz auditiv-verbale Therapie entschieden. Die auditiv-verbale Therapie stelle die adäquate medizinisch indizierte Rehabilitationsmaßnahme nach einer Versorgung mit CI dar. Sie sei bei der Klägerin Bestandteil der ärztlichen Behandlung nach der Implantation gewesen. Die intensive Nachsorge, die über drei Jahre üblicherweise an den lokal bestehenden Zentren erfolge, sei hier von dem überregionalen Zentrum in I an den Heimatort E ausgelagert und durch die Therapeutin X durchgeführt worden. Eine klassische heilpädagogische Maßnahme sei die auditiv-verbale Therapie nicht, wenngleich Frau X Sonderpädagogin sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 10.04.2012 verwiesen.
Die beigeladene Krankenkasse hat nachfolgend darauf hingewiesen, die Ausführungen der Sachverständigen machten deutlich, dass eine vertragliche medizinische Versorgung der Klägerin im Anschluss an die Versorgung mit CI hätte erfolgen können.
Die Beklagte sieht sich durch die gutachterlichen Ausführungen in ihrer Auffassung bestätigt, wonach es sich bei der auditiv-verbalen Therapie um eine medizinische Rehabilitationsleistung handele. Die Sachverständige habe explizit festgestellt, dass die auditiv-verbale Therapie keine klassische heilpädagogische Maßnahme darstelle.
Die Klägerin führt aus, die Gutachten hätten eindeutig bestätigt, dass die auditiv-verbale Therapie eine sinnvolle und wirksame Behandlungsmethode darstelle. Die erfolgten Maßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen und hätten zu sehr positiven Ergebnissen geführt. Eine Standardtherapie existiere nicht.
Die gerichtliche Sachverständige hat ihr Gutachten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiter erläutert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 20.08.2012 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der beigeladene Krankenkasse, Prozessakte S 9 KR 77/07 Sozialgericht Duisburg) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die der Klägerin durch die Inanspruchnahme der auditiv-verbalen Therapie seit dem 22.05.2006 entstandenen (bzw. entstehenden) Kosten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen. Auch ein Anspruch der Klägerin gegen die beigeladene Krankenkasse kommt nicht in Betracht.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 17.07.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage als statthafte Klageart (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) wendet.
II. Die (notwendige) Beiladung der Krankenkasse der Klägerin beruht auf § 75 Abs. 2 Satz 1, 1. Vor. SGG. Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Voraussetzungen einer notwendigen echten Beiladung liegen vor, da die von der Klägerin begehrte Entscheidung im Hinblick auf § 14 SGB IX nur einheitlich auch gegenüber der beigeladenen Krankenkasse möglich ist. Die Beigeladene ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für die Entscheidung über die Leistung und damit auch für die Erbringung der Leistung zuständig geworden. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger den (gesamten) Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest, wenn der Antrag – wie hier – nicht an einen anderen (zuständigen) Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist. Die hier streitige Leistung ist eine solche zur Teilhabe im Sinne des § 14 SGB IX. § 14 SGB IX gilt seiner Intention nach auch in den Fällen, in denen eine Leistung beantragt wird, die von einem anderen in § 6 SGB IX genannten Träger als Rehabilitationsleistung zu erbringen wäre, wenn der erstangegangene Leistungsträger jedenfalls Rehabilitationsträger i.S.d. § 6 SGB IX ist. Dies gilt für die beigeladene Krankenkasse. Die Zuständigkeit der beigeladenen Krankenkasse ist (im Außenverhältnis zur Klägerin) auch nicht dadurch entfallen, dass die Klägerin nach der Ablehnung von Leistungen nach dem SGB V durch die Krankenkasse (auf den dortigen Antrag der Klägerin vom 20.04.2006) mögliche Ansprüche nach dem SGB XII (mit entsprechendem Antrag auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII vom 04.07.2006) auch gegenüber dem Träger der Sozialhilfe verfolgt hat (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R (Petö)). Es geht vorliegend damit nicht um die Frage, ob eine Zuständigkeit der Beklagten gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (auch für eine medizinische Rehabilitation) ggf. deshalb ausscheidet, weil die durchgeführte Therapie ohnedies nicht zum Leistungskatalog des SGB V gehört, so dass sowohl eine echte notwendige ebenso wie eine unechte Beiladung der Krankenkasse ausschiede (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R (Montessori)).
III. Dabei kann der Senat im Ergebnis dahinstehen lassen, ob über § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Verhältnis zur Klägerin eine (endgültige) Zuständigkeit der beigeladenen Krankenkasse begründet wurde. Denn ungeachtet der Frage des zuständigen Leistungsträgers scheidet ein Anspruch auf Übernahme (bzw. Erstattung) der durch die auditiv-verbale Therapie entstandenen (und entstehenden) Kosten sowohl unter dem Aspekt der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII auch als demjenigen einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V aus.
Als Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung durch die Beklagte bzw. die beigeladene Krankenkasse kommt § 15 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. SGB IX in Betracht (a.A. wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.02.2012 – L 7 SO 1246/10, das die Auffassung vertritt, ein solcher Erstattungsanspruch beziehe sich nur auf Sachleistungen; vgl. aber BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O.). Danach sind selbst beschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der (zuständige) Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
1. Die (ambulante) auditiv-verbale Therapie durch die Therapeutin X kann von der Klägerin nicht als Leistung der Eingliederungshilfe gemäß den §§ 53 ff. SGB XII beansprucht werden.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Welche Leistungen im Wege der Eingliederungshilfe zu erbringen sind, ist sodann in § 54 SGB XII geregelt.
a) Die beidseitige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit der Klägerin ist zwar eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit einschränkt im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 des SGB XII sind gemäß § 1 Nr. 5 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV); neugefasst durch Bekanntmachung vom 01.02.1975, BGBl. I S. 433; zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl. I, S. 3022) Personen, die gehörlos sind oder denen eine sprachliche Verständigung über das Gehör nur mit Hörhilfen möglich ist. Hierzu zählt die Klägerin nach den vorliegenden ärztlichen Befunden sowie den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen (nicht maßgeblich ist, dass die Klägerin nach Versorgung mit CI nunmehr "hören" kann; nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gemäß der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 ist maßgeblich für die Feststellung des Grades der Behinderung das Hörvermögen ohne Versorgung mit Hilfsmitteln). Die Klägerin gehört somit zu dem leistungsberechtigten Personenkreis des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII.
b) Ein Leistungsanspruch der Klägerin besteht gleichwohl nicht. Er ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 53, 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX bzw. aus §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Denn Leistungen der Eingliederungshilfe waren jedenfalls nicht erforderlich, da eine erfolgreiche (Re-) Habilitation der Klägerin zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ebenso zu erreichen gewesen wäre.
aa) Nach § 55 Abs. 1 SGB IX, auf den § 54 Abs. 1 SGB XII verweist, werden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder ihn so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 55 Abs. 2 SGB IX u.a. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Nr. 3), und ebenso Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (Nr. 7). Nach der Rechtsprechung des BSG (Petö, a.a.O.) soll es insbesondere unter Berücksichtigung des umfassenden Förderungspostulats des § 4 SGB IX naheliegen, diese Regelung als Auffangnorm zu verstehen, nach der etwa auch die Erbringung heilpädagogischer Hilfe ermöglicht werde. Denn die Formulierung des § 55 Abs. 2 SGB IX ("insbesondere") mache deutlich, dass es sich bei der Aufzählung in § 55 Abs. 2 SGB IX nicht um eine abschließende Regelung handele. Die Frage der Klassifizierung als heilpädagogische Leistung sei deshalb nur insoweit von Bedeutung, soweit es um die weiteren Voraussetzungen des § 56 SGB IX für die Erbringung heilpädagogischer Leistungen gehe. Gemäß § 56 Abs. 1 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt (Nr. 1) oder die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können (Nr. 2). Sie werden immer an schwerstbehinderte und schwerstmehrfachbehinderte Kinder, die noch nicht eingeschult sind, erbracht. Nach § 56 Abs. 2 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen in Verbindung mit Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung (§ 30 SGB IX) und schulvorbereitenden Maßnahmen der Schulträger als Komplexleistung erbracht.
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Nach § 12 Nr. 1 EinglHV umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Die Klassifizierung als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge, dass eine Leistungserbringung als Heilmittel wegen § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch nicht im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX) möglich ist, bedeutet dabei nicht, dass eine Leistungserbringung nicht unter einer anderen Zielsetzung möglich ist (BSG, Petö, a.a.O.).
Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nach der Rechtsprechung des BSG nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen; entscheidend ist danach vielmehr der Leistungszweck. Das BSG geht insoweit davon aus, dass sich Leistungszwecke des SGB V bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation überschneiden können (siehe auch BSG Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R). Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch; insbesondere verfolgten die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs Ziele, die über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen.
§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 EinglHV liege dabei auch ein stärker individualisiertes Förderverständnis zu Grunde als etwa den Leistungen zur Heilmittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung, die generell der Begrenzung des § 138 SGB V unterlägen. Dieser individualisierende Ansatz zeige sich auch in § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und § 9 Abs. 1 SGB IX, die es ermöglichten, den Wünschen der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) habe bereits zu § 40 Abs. 1 Nr. 3 Bundessozialhilfegesetz a.F. (i.V.m. § 12 Nr. 1 EinglHV), einer Vorgängervorschrift des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGB XII, hervorgehoben, dass sich der Verordnungsgeber in § 12 Nr. 1 EinglHV mit der Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Einzelfall begnügt habe und dies mit historisch-systematischen und teleologischen Erwägungen begründet (BVerwG, Urteil vom 30.5.2002 – 5 C 36/01 = FEVS 53, 499 ff.). Nach wie vor knüpfe die Möglichkeit einer Förderung auch an die (individuell zu bestimmende) "Aussicht" auf Erfolg an.
In seiner Entscheidung zur Montessori-Therapie (a.a.O.) hat das BSG ergänzt, eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, sei rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kämen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich seien, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern.
bb) Lässt sich die auditiv-verbale Therapie deshalb zwar grundsätzlich auch unter die genannten sonstigen Voraussetzungen einer Eingliederungshilfe fassen, so steht gleichwohl einem Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe der medizinische Leistungszweck dieser Therapie entgegen.
Zwar wirkt sich die Versorgung der Klägerin mit CI in allen Teilbereichen des täglichen Lebens aus; sie sichert damit – wie es auch bei einem Hörgerät der Fall ist – als Hilfe gegen die Auswirkungen der Behinderung im Alltag eine uneingeschränkte Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben und ermöglicht hierdurch erst den umfassenden Zugang zur Gesellschaft. Dies führt gleichwohl nicht dazu, dass sich der Leistungszweck der auditiv-verbalen Therapie losgelöst von der medizinischen Zielrichtung (und damit einer krankenversicherungsrechtlichen Zwecksetzung) bestimmen ließe.
Evident ist zunächst, dass die auditiv-verbale Therapie nicht den Kernbereich schulischer Verantwortung berührt. Sie verfolgt einen ganzheitlichen und damit außerschulischen Ansatz. Insbesondere aus den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M2 ergibt sich zwar zweifelsfrei, dass die auditiv-verbale Therapie der Klägerin im Ergebnis u.a. den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht ermöglichte und erleichterte. In Bezug auf die günstige individuelle Lernfähigkeit der Klägerin galt dies auch unter Anlegung eines prognostischen Maßstabes (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., m.w.N.) ohne Weiteres auch schon im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Beklagte bzw. die beigeladene Krankenkasse. Indem sie (vereinfacht ausgedrückt) das Hör- und (erst) damit auch das Sprachvermögen fördert, führt die Therapie zugleich auch zur Sicherung bzw. Verbesserung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft; denn deren wesentlicher Bestandteil ist die Kommunikation, für die wiederum Hören essentielle Voraussetzung ist (BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R (Hörgerätebatterien)).
Gleichwohl verfolgt die auditiv-verbale Therapie nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. M2 einen (rein) medizinischen Leistungszweck. War und ist sie, ausgehend von ihren wesentlichen Leistungsinhalten, medizinisch indiziert, so ist sie (untrennbarer) Bestandteil der (medizinischen) Nachsorge im Anschluss an die Versorgung mit CI. Zur medizinischen Rehabilitation zählen die Maßnahmen zum Hör- und Spracherwerb bereits deshalb, weil die Versorgung mit CI ohne diese Nachsorge ihr eigentliches Ziel der Ermöglichung lautsprachlicher Kommunikation nicht erreichen würde und die alleinige Versorgung mit CI als einem nur technischen Gegenstand damit sinnlos bliebe. Aus diesem Grund ist in Bezug auf die Nachsorge nach Versorgung mit CI auch von Habilitation im ursprünglichen Wortsinn (lat. habilitare: "geschickt machen, geeignet machen, befähigen") die Rede. Erst die auditiv-verbale Therapie oder eine vergleichbare Leistung befähigt die Betroffenen dazu, die Vorzüge der CI nutzbar zu machen; ohne (Re-) Habilitation wäre sinnentnehmendes Hören und in dessen Folge auch Sprache nicht zu erreichen. Dementsprechend gehört die (Re-) Habilitation, wie sich den Ausführungen der Sachverständigen ergibt, auch zum – medizinischen – Standardprogramm im Anschluss an eine CI-Versorgung insbesondere im Kindesalter. Bereits die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen, Neurootologen und Otologen (ADANO) aus dem Jahr 2002 gingen deshalb davon aus, dass die (Re-) Habilitation nach erfolgter uni- bzw. bilateraler Implantation mit CI einen unverzichtbaren Bestandteil dieser Versorgung darstelle. Die Begutachtungsanleitung "Schwerhörigkeit" des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (Stand Oktober 2004) führt aus: "Da die Rehabilitation ein unverzichtbarer Bestandteil auf dem Weg zum Erfolg, d.h. zum Verstehen und zum Spracherwerb bei praelingual ertaubten Kindern ist, soll auf ihre Bedeutung schon in der Einleitung hingewiesen" werden. Die aktuelle Leitlinie (Stand 05/12) der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. zu "Cochlea-Implantat Versorgung und zentral-auditorische Implantate" (im Folgenden CI-Leitlinie) formuliert, dies bestätigend, nunmehr: "Die postoperative Anpassung und Hörrehabilitation über einen individuell angemessenen Zeitraum stellen den Hörerfolg sicher. Die gesamte Versorgung erfolgt im multidisziplinären Expertenteam unter Nutzung einer adäquaten technischen Ausstattung". Zum Behandlungsabschnitt postoperative Basis- und Folgetherapie heißt es weiter:
"Die Anpassung des Sprachprozessors und die Hör-Sprach-Therapie bilden die entscheidende Grundlage für eine erfolgreiche Versorgung. Sie sind solange vorzuhalten, wie das Implantat genutzt wird. Dies schließt auch erforderliche technische Upgrades und Kontrollen ein. Hierzu sind spezielle Expertisen und eine adäquate räumliche Situation unabdingbar. Dabei kommen ambulante oder auch stationäre Versorgungsformen zum Tragen; diese Frage entscheidet sich an der erforderlichen bzw. sinnvollen Intensität der Behandlung und örtlichen sowie sozialen Faktoren. Die Verantwortung liegt bei der implantierenden Klinik."
Übereinstimmend mit den Angaben der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen zur ärztlichen Verantwortung der hier erfolgten auditiv-verbalen Therapie bestimmt auch die aktuelle Leitlinie, dass die Basis- und Folgetherapie durch die implantierende Klinik bzw. den implantierenden Arzt/Ärztin indiziert und delegiert wird.
An dem sich daraus ergebenden medizinischen Leistungszweck der auditiv-verbalen Therapie der Klägerin (mit einer aufgrund der Grunderkrankung zwangsläufigen Wirkung für alle – jedenfalls – die Kommunikation betreffenden Lebensbereiche) ändert allein der Umstand, dass ihre (Re-) Habilitation aufgrund der örtlichen Entfernung zur Medizinischen Hochschule I und dem dort angeschlossenen CI-Zentrum (das einen der auditiv-verbalen Therapie vergleichbaren Rehabilitationsansatz verfolgt und den Kontakt zur Therapeutin X herstellen konnte) wohnortnah bei Frau X erfolgen konnte, nichts. Die auditiv-verbale Therapie der Klägerin wurde im Ergebnis in Absprache mit den behandelnden Ärzten und auf Empfehlung der in I verantwortlich tätigen Therapeuten aus dem eigentlichen (im Übrigen originär krankenversicherungsrechtlichen) "Setting" herausgelöst und in die Verantwortung der Therapeutin X übertragen, ohne dass sich an der Eingliederung in den die (Re-) Habilitation einschließenden gesamten Behandlungsrahmen (und damit der Kooperation mit den Ärzten und Technikern in I) etwas geändert hätte. Den medizinischen Leistungszweck betonen, dem Rechnung tragend, letztlich auch die Stellungnahmen der Therapeutin selbst, soweit sie im Zusammenhang mit der Antragstellung bei der beigeladenen Krankenkasse abgegeben wurden.
Dieser Annahme eines medizinischen Leistungszwecks steht im Übrigen nicht etwa der Umstand der Einbeziehung der Eltern entgegen. Das Wesen der (Re-) Habilitation erfordert im Anschluss an eine CI-Versorgung bei Kindern gerade eine intensive Einbeziehung von Eltern und Bezugspersonen sowie von Pädagogen der Fördereinrichtungen in die Therapie; dies führt die aktuelle CI-Leitlinie nunmehr auch explizit aus.
Von der medizinischen Rehabilitation im eigentlichen Sinn wiederum von vornherein abzugrenzen sind Maßnahmen der Institutionen der Frühförderung hörgeschädigter Kinder, der vorschulischen Einrichtung sowie von Regel- oder Sonderschulen. Dies bestätigt auch die CI-Leitlinie, wenn ausgeführt wird, die sonderpädagogische Förderung könne auch bei Kindern mit CI erforderlich sein und sei Aufgabe der Schule. Die Rehabilitation nach CI ersetze nicht die ggf. notwendige sonderpädagogische Förderung und könne umgekehrt auch durch diese nicht ersetzt werden. In der Regel sei dies die Aufgabe der Hörgeschädigtenpädagogen. Sei die Basis- und Folgetherapie Aufgabe der CI-Zentren und die sonderpädagogische Förderung Aufgabe der Schulen für Hörgeschädigte, so arbeiteten beide Einrichtungen interdisziplinär und kooperativ zusammen. Sowohl die Therapeutin X selbst als auch die vom Senat gehörte(n) Sachverständige(n) grenzen die auditiv-verbale Therapie von den Maßnahmen dieser Einrichtungen ebenso ab wie auch von pädagogischen oder heilpädagogischen Maßnahmen. Eine im eigentlichen Sinne pädagogische oder heilpädagogische Leistung (im Sinne des § 56 SGB IX) stellt die auditiv-verbale Therapie nicht dar, wenn sie – wie dargelegt – immanenter Bestandteil der medizinischen Behandlung ist.
cc) Kommt nach alledem der auditiv-verbalen Therapie der Klägerin ein medizinischer Leistungszweck zu, vermögen auch weder der in § 9 Abs. 1 SGB XII normierte Individualisierungsgrundsatz noch das in § 9 Abs. 2 SGB XII verortete Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe zu begründen. Unbeschadet der Frage der Erforderlichkeit dieser Therapie bleibt in einer solchen Konstellation kein Raum, der Frage der Geeignetheit der Leistung unter Anlegung eines individualisierten Förderverständnisses nachzugehen. Dies gilt ganz allgemein in Fällen, in denen geeignete und hinreichende medizinische Leistungen innerhalb des Leistungsspektrums der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen. Dass für die Klägerin im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung solche geeigneten und hinreichenden Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, steht für den Senat insbesondere im Anschluss an die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung fest. Danach bestand neben der Möglichkeit der (üblichen) Inanspruchnahme der Leistungen des überregionalen Cochlear Implant Centrum I, das in der Regel nach einer CI-Versorgung in der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule I tätig wird, für die Klägerin alternativ auch die (zumutbare) Möglichkeit einer therapeutischen Inanspruchnahme eines der regional tätigen CI-Zentren. Dementsprechend hat im Übrigen die Therapeutin X bereits mit Schreiben vom 19.04.2006 darauf hingewiesen, die Erfolge auditiv-verbaler Arbeit seien den CI-Zentren landesweit bekannt. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Versorgung mit CI gerade durch die Medizinische Hochschule I dem Wunsch der Klägerin bzw. ihrer Eltern entsprach; auch dort wäre jedoch eine anschließenden (Re-) Habilitation im Rahmen der Versorgung nach dem SGB V möglich gewesen.
Angesichts der nachgewiesenen Therapiealternativen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kommt es auch nicht darauf an, inwieweit für die Klägerin auch wohnortnah zu Lasten der beigeladenen Krankenkasse vergleichbar qualifizierte (weil spezialisierte) ambulant tätige Therapeuten (etwa Logopäden mit entsprechender Weiterbildung und Spezialisierung) zur Verfügung gestanden hätten.
2. Ein Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die (ambulante) auditiv-verbale Therapie der Klägerin ergibt sich schließlich auch nicht aus dem SGB V. Denn die von der Klägerin wahrgenommene Therapie bei der Therapeutin X unterfällt nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Therapie wird nicht von ärztlichen Fachkräften erbracht, so dass sie allenfalls als medizinische Dienstleistung in der Gestalt eines Heilmittels im Sinne des § 32 SGB V in Betracht käme. Der Heilmittelanspruch eines Versicherten unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Neue Heilmittel werden grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der Gemeinsame Bundessauschuss zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V (über die Versorgung mit Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung) Empfehlungen für die Sicherung der Qualität einer Leistungserbringung abgegeben hat (§ 138 SGB V). Die Beurteilung der Neuheit eines Heilmittels beurteilt sich danach, ob es nach dem Stand der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses bei Inkrafttreten des § 138 SGB V Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung war oder seitdem einbezogen wurde (zu alledem BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R m.N. zur Rechtsprechung der für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständigen Senate des BSG).
Dies trifft auf die auditiv-verbale Therapie, deren eigenständigen fachlichen Ansatz die Therapeutin X unter Verweis nicht zuletzt auf die für eine Zertifizierung erforderliche Qualifikation betont, nicht zu. Denn sie wurde nicht als verordnungsfähige Leistung in die Heilmittelrichtlinien aufgenommen und sie ist mithin als mögliches Heilmittel neu.
Ungeachtet des Umstandes, dass auch eine nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V vorausgesetzte ärztlichen Verordnung (BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O.) nicht vorliegen dürfte, scheidet ein Anspruch darüber hinaus deshalb aus, weil die Klägerin mit der Therapeutin X eine nicht zugelassene Leistungserbringerin in Anspruch genommen hat. Denn Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden, insbesondere Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachtherapie oder der Ergotherapie, dürfen an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden (§ 124 Abs. 1 SGB V).
Ein Sachverhalt, bei der die (medizinische) Versorgung durch einen zugelassenen Leistungserbringer nicht möglich war, liegt hier (wie bereits oben unter III.1.b.cc dargelegt) nicht vor.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
V. Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 05.06.2014
Zuletzt verändert am: 05.06.2014