Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 04.09.2003 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw. voller Erwerbsminderung.
Der am 00.00.1943 geborene Kläger ist gelernter Maurer und war in diesem Beruf bis 1986 tätig. Von 1987 bis 1992 bezog der Kläger eine EU-Rente und anschließend bis zum Bezug der Altersrente für Schwerbehinderte (ab 1.5.2003) Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Nach erfolglosem Antrag aus dem Jahre 1998 beantragte der Kläger am 22.12.2000 gestützt auf ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. C Rente wegen EU. Die Beklagte holte zunächst Befundberichte dieses Arztes sowie des Arztes für Innere Medizin G ein. Anschließend erstattete Medizinaldirektor Dr. L ein internistisch- sozialmedizinisches Gutachten. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers im April 2001 stellte Dr. L im Gutachten vom 27.4.2001 beim Kläger ein Verschleißleiden der Wirbelsäule mit kleinem Bandscheibenvorfall L5/S1, ein Schulter-Armsyndrom (bei noch ausreichender Armbeweglichkeit) beidseits, degenerative Kniegelenksveränderungen rechts (bei ausreichender Kniebeugefähigkeit), eine mäßiggradige obstruktive Atemwegserkrankung und Übergewicht fest. Mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen könne der Kläger noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten ohne überwiegende einseitige Körperhaltung und ohne Bücken, sowie ohne starke Witterungseinflüsse vollschichtig verrichten.
Mit Bescheid vom 27.5.2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf "Rente wegen voller Erwerbsminderung" ab, weil der Kläger noch in der Lage sei, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zur Begründung seines Widerspruchs legte der Kläger Bescheinigungen des Dr. C und des Orthopäden Dr. E vor. Die Beklagte holte dazu eine Stellungnahme des Dr. L vom 21.8.2001 ein, der keine Notwendigkeit zur Änderung der bisherigen Leistungsbeurteilung sah. Anschließend legte der Kläger noch eine Bescheinigung des Lungenfacharztes Dr. F vom 1.8.2001 vor. Der Widerspruch wurde schließlich durch Bescheid vom 10.10.2001 als unbegründet zurückgewiesen, weil "volle Erwerbsminderung" nicht vorliege.
Mit der zum Sozialgericht Detmold erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Rente wegen EU weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen: Mit seinen behandelnden Ärzten gehe er davon aus, dass in dem Verwaltungsgutachten seine gesundheitlichen Einschränkungen nicht richtig gewürdigt seien. Die Leiden und deren Wechselwirkungen seien dergestalt, dass ohne negative Folgen für die Gesundheit selbst eine leichte Arbeit vollschichtig nicht mehr verrichtet werden könne. Das degenerative Wirbelsäulensyndrom mit Bandscheibenvorfall führe zu Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Es lasse im Zusammentreffen mit den kardiologischen Problemen und Asthma bronchiale nicht einmal eine 3-stündige Arbeitsbelastung zu.
Die Beklagte hat auf die Ergebnisse der Untersuchung im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Danach sei der Kläger trotz der bestehenden Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit noch in der Lage, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.
Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befund- und Behandlungsberichte des Dr. E, des Dr. F, des Kardiologen Dr. T und des Dr. C eingeholt.
Im Erörterungstermin am 7.3.2003 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, "dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei".
Der Kläger hat anschließend unter Vorlage einer Bescheinigung des Hausarztes Dr. V geltend gemacht, er könne keinerlei Erwerbstätigkeit mehr verrichten. Bislang sei die Kumulation der einzelnen Leiden in den einzelnen Befundberichten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er bitte daher um die Einleitung der gebotenen Maßnahmen nach §§ 103, 106 SGG. Dr. V hat in seinem Attest vom 13.3.2003 zahlreiche Diagnosen genannt und ausgeführt, aufgrund der kontinuierlich auftretenden Luftnot bei anfallsweisem Herzrasen mit Arrhythmia absoluta bei dekompen-sierter Herzinsuffizienz ausgelöst durch die Schmerzen des Bewegungsapparates sei nach seiner Meinung auch keine leichte körperliche Arbeit zumutbar. Nach Zusendung des Altersrentenbescheides hat der Bevollmächtigte (laut einem nicht paraphierten Vermerk vom 10.6.2003) telefonisch mitgeteilt, dass er das Verfahren fortführen wolle.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid der Kammervorsitzenden vom 8.9.2003 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Es habe ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden können, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise, der Sachverhalt geklärt sei und die Beteiligten im Rahmen des durchgeführten Erörterungstermins hierzu angehört worden seien.
Die Klage sei nicht begründet. Die Voraussetzungen einer Rente wegen EU bzw. voller Erwerbsminderung lägen nicht vor.
Der Kläger sei nicht erwerbsunfähig. Nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB VI), in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.), sei nicht erwerbsunfähig, wer unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes vollschichtig erwerbstätig sein könne. Nach § 300 Abs. 2 SGB VI sei die bis zum 31.12.2000 geltende Fassung des § 44 SGB VI für einen möglichen Leistungsfall der EU bei Antragsstellung bis zu 3 Monate nach Aufhebung der Vorschrift für Leistungsfälle vor diesem Zeitpunkt anwendbar. Für einen späteren Leistungsfall sei hingegen § 43 SGB VI in der ab dem 1.1.2001 geltenden Fassung gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI anwendbar. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI sei nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des Allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne.
Der Kläger sei jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. L im April 2001 noch in der Lage gewesen, leichte Tätigkeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung vollschichtig zu verrichten. Bei der Untersuchung durch Dr. L hätten die Bewegungsmaße nach Schober 10/14 und der Fingerbogenabstand 34 cm betragen.
Ob nach diesem Zeitpunkt eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet eingetreten sei, könne offen bleiben. Der Kläger sei jedenfalls bis zur Bewilligung der Altersrente für Schwerbehinderte in der Lage gewesen, mit den festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen, ohne Einwirkung von Nässe oder Kälte oder sonstigen Einwirkungen bronchialirritativer Stoffe, ohne länger anhaltende Überkopfarbeiten arbeitstäglich mindestens 6 Stunden zu verrichten.
Der behandelnde Orthopäde des Klägers, Dr. E, habe ausgeführt, die Belastbarkeit der Wirbelsäule des Klägers sei herabgesetzt. Heben und Tragen von Lasten über 10 Kg sei nicht mehr möglich. Bei seiner ersten Untersuchung des Klägers im Juli 2001 hätten die Bewegungsmaße nach Ott 10/12 und der Fingerbodenabstand 50 cm betragen. Orthopädischerseits bestünden Einschränkungen für Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 Kg, in Zwangshaltung, unter Nässe oder Kälte und für länger anhaltende Überkopfarbeiten. Leichte körperliche Tätigkeiten seien jedoch arbeitstäglich 6 Stunden möglich.
Auch der behandelnde Lungenfacharzt des Klägers, Dr. F, der beim Kläger eine mittelgradige chronisch obstruktive Atemwegserkrankung festgestellt habe, halte den Kläger für fähig leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Weitere Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers ergäben sich auch nicht aus den Berichten des behandelnden Internisten und Kardiologen des Klägers, Dr. T. Die letzte Behandlung dort sei im August 1998 erfolgt. Eine kardiologische Diagnostik sei im September 1998 im St. W-Krankenhaus Q durchgeführt worden und habe eine nicht kritische stenosierende Koronarsklerose, intermittierende absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern und eine obstruktive Ventilationsstörung ergeben. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Ergometerbelastung des Klägers bis 100 Watt möglich gewesen. Weitere kardiologische Behandlungen des Klägers seien seit diesem Zeitpunkt nicht mehr erfolgt. Auch der behandelnde Allgemeinmediziner des Klägers, Dr. C, dem die insgesamt beim Kläger bestehenden Erkrankungen bekannt gewesen seien, halte den Kläger für fähig, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.
Sämtliche von den behandelnden Ärzten des Klägers mitgeteilten Befunde seien auch bei der Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch Dr. L bekannt gewesen und von diesem berücksichtigt worden. Auch hinsichtlich der Leistungsbeurteilung bestehe nahezu vollständige Übereinstimmung zwischen dem Begutachtenden im Verwaltungsverfahren und den behandelnden Ärzten des Klägers.
Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers seit der Begutachtung und auch seit dem vorherigen Klageverfahren, das durch Klagerücknahme beendet worden sei, sei aus den mitgeteilten medizinischen Befunden nicht ersichtlich. Auch die behandelnden Ärzte des Klägers hätten übereinstimmend mitgeteilt, eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers sei nicht eingetreten. Auch aus der nachgereichten ärztlichen Bescheinigung des Allgemeinmediziners und Psychotherapeuten Dr. V ergebe sich keine weitere Änderung der gesundheitlichen Situation des Klägers. Die dort aufgeführten Diagnosen seien im Wesentlichen schon bei der Begutachtung im Verwaltungsverfahren bekannt gewesen und seien auch von den übrigen den Kläger behandelnden Ärzten mitgeteilt worden. Aus der – lediglich hinsichtlich der Leistungsbeurteilung abweichenden Meinung – von Dr. V habe sich aufgrund einer nicht erkennbaren Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes, kein Anlass für weitere Ermittlungen ergeben.
Gegen den am 8.9.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.9.2003 Berufung eingelegt. Er rügt unzureichende Aufklärung des Sachverhalts durch das Sozialgericht. Aus den Befundberichten ergebe sich, dass die Erkrankungen des Bewegungs- und Skelettsystems erheblicher und ausgeprägter seien, als dies von dem Internisten Dr. L zugrunde gelegt worden sei. Der Orthopäde Dr. E habe insbesondere auf eine S 1-Reizung und eine aktivierte Osteochondrose der HWS hingewiesen. Nur aus orthopädischer Sicht seien dem Kläger leichte Arbeiten 6 Stunden zugemutet worden. Das hätte Veranlassung gegeben, den Sachverhalt weiter abzuklären, zumal im Verwaltungsverfahren kein orthopädisches Gutachten eingeholt worden sei. Auch auf internistischem Gebiet habe zu weiterer Aufklärung Veranlassung bestanden. So habe etwa Dr. C über eine zeitweise dekompensierte Myocardinsuffizienz berichtet und Dr. V auf eine chronische Gastritis hingewiesen und die Ansicht geäußert, eine körperlich leichte Arbeit sei nicht mehr möglich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 4.9.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.5.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2001 zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu bewilligen,
hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten ( Bl. 399-461), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht begründet (§ 159 Abs. 1 Ziffer 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne ehrenamtliche Richter durch Gerichtsbescheid haben nicht vorgelegen. Gemäß § 105 Abs 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts war bereits der Sachverhalt nicht im Sinne des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG geklärt.
Der Sachverhalt ist geklärt, wenn sich dem Gericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG keine weiteren Ermittlungen aufdrängen (Eschner in Jansen, Berliner Kommentare, SGG § 105 Rdnr.7; Pawlak in Hennig § 105 Rdnr.34). Hier hätte sich aber dem SG aufdrängen müssen, weiteren Beweis zu erheben.
Das Verwaltungsgutachten war 2 Jahre alt. Es war von einem Internisten erstellt worden. Nicht nur auf internistischem Fachgebiet bestand eine Vielzahl von Erkrankungen. Es lagen auch auf orthopädischem Gebiet gravierende Gesundheitsstörungen wie z.B. Bandscheibenschäden und eine Wurzelreizung vor. Nach dem bei Blatt 41 der Prozessakten zu findenden Röntgenbericht war u. a. auch eine PCP nicht ausgeschlossen worden. Die Fragen, ob das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten alle Krankheiten und Behinderungen berücksichtigt und richtig bewertet hatte und ob eine Änderung eingetreten war, konnte nicht ohne ein Sachverständigengutachten in dem vom Sozialgericht angenommenen Sinne beantwortet werden. Mit seiner Behauptung, das letzte Attest des Dr. V gebe im Wesentlichen die Erkrankungen wieder, die Dr. L festgestellt habe, gerät es in die Nähe eines Verstoßes gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Dr. L selbst hatte deutliche weniger Diagnosen als Dr. V gestellt. Bei seiner ergänzenden Stellungnahme konnte Dr. L Bescheinigungen mit erweiterter Diagnosestellung berücksichtigen. Neu gegenüber dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme sind z.B. die Nennung der operierten Prostataerkrankung, der Gicht, und des weiteren Prolapses L 4 / L5. Dr. L hatte nur den Vorfall in Höhe L 5/ S1 genannt und sich auf einen Röntgenbericht von 1998 bezogen. Ferner hatte er 2001 gegenüber dem Vorgutachten aus 1997, das sich i. ü. nicht bei dem Teil der Verwaltungsakten befindet, der dem Sozialgericht zur Verfügung gestanden hat, keine wesentliche Änderung angenommen, obwohl im radiologischen Bericht vom 7.12.1998 noch eine mäßige Osteochondrose und im Bericht des Orthopäden vom 19.7.2001 eine hochgradige Osteochondrose beschrieben worden ist. Ein radiologischer Bericht vom 25.5.2001 nennt ferner eine Coxarthrose rechts. Weitere Ermittlungen, wie sie der Kläger zutreffend gefordert hat, haben sich daher aufgedrängt.
Verzichtet werden konnte auf eine Beweisaufnahme auch nicht im Hinblick die Ausführungen der behandelden Ärzte. Denn abgesehen davon, dass stets nahe liegt, dass der jeweilige Arzt nur für sein Fachgebiet spricht und im Wesentlichen die dort vorliegenden Erkrankungen vor Augen hat, kann jedenfalls die Einschätzung des Dr. E, dass der Kläger noch 6 Stunden erwerbstätig sein könne, keineswegs die Ablehnung einer Rente wegen EU rechtfertigen. Der medizinische Sachverhalt war zur Überzeugung des Senats mithin sicher nicht im Sinne des § 105 SGG geklärt.
Zumindest zweifelhaft ist ferner, ob die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist. Bei der Frage, ob ein schwieriger Fall vorliegt, steht dem Sozialgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Das Landessozialgericht kann nur prüfen, ob die Grenzen dieses Spielraums überschritten sind. Als überdurchschnittlich anzusehen ist die Streitsache, wenn Schwierigkeiten bei der Auslegung der anzuwendenden Norm bestehen, der Sachverhalt unübersichtlich ist oder eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich und eine nicht einfache Beweiswürdigung vorzunehmen ist (vgl. Eschner aaO Rdnr.5). Hier könnte man die Beweiswürdigung deshalb für schwierig halten, weil das Sozialgericht sich nicht auf ein aktuelles Sachver- ständigengutachten stützen konnte, sondern mehrere Berichte auf verschiedenen Fachgebieten selbst auswerten und in Beziehung zu einem zwei Jahre alten Verwaltungsgutachten setzten musste.
Der Fall dürfte auch die nicht einfache und von den Beteiligten offenbar durchaus unterschiedlich beantwortete Frage aufwerfen, welches Recht hier anwendbar ist, ferner die, ob über den geltend gemachten Anspruch überhaupt eine Verwaltungs- entscheidung vorliegt oder ob eine solche ggf. nachgeholt werden muss. Beantragt worden war im Verwaltungsverfahren wie mit der Klage Rente wegen EU. Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid verhielten sich aber nur über Rente wegen voller Erwerbs- minderung, also über eine andere Leistungsart.
Zur Überzeugung des Senats war schließlich auch die vor dem Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG gebotene Anhörung des Sozialgerichts unzureichend. Die angefochtene Entscheidung verletzt damit verfahrensfehlerhaft den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art. 103 Abs.1 GG).
Das SG hatte den Kläger im Erörterungstermin am 7.3.2001, ein halbes Jahr vor dem Erlass des Gerichtsbescheides, angehört. In der Regel genügt zwar die einmalige Anhörung; es kann sich aber die Notwendigkeit einer erneuten Anhörung ergeben. Das ist in erster Linie der Fall, wenn sich nach Durchführung der ersten Anhörung eine neue Prozesssituation ergibt (vgl. Eschner aaO Rdnr. 10). Eine neue Prozesssituation kann dadurch entstehen, dass sich die Beteiligten im Rahmen der ersten Anhörung ausführlich zur Sach- und Rechtslage äußern (vgl. LSG Schleswig-Holstein 28.6.2000- L 8 RA 18/00; LSG NRW 18.10.2001- L 7 SB 103/01; LSG Berlin 3.9.1998- L 3 U 7/98). Das BSG hat zum Verfahren nach § 153 Abs 4 SGG mehrfach entschieden, dass eine erneute Anhörung z.B. erforderlich wird, wenn der Kläger auf die (erste) Anhörung hin einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widerspricht und – auch ohne Stellung eines förmlichen Beweisantrages – ein Attest vorlegt, aus dem sich nach seiner Behauptung eine Verschlimmerung der Gesundheits- störungen ergibt (BSG, Urteil vom 17.8.2000 – B 13 RJ 69/99R; Urteil vom 1.9.1999 – B 9 SB 7/98 R; vgl. auch BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4; BSG, Urteil vom 28. Juli 1999 – B 9 SB 6/98 R; BSG, Urteil vom 24.2.2000 – B 2 U 32/99 R).
So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hat nach der Anhörung noch eingehend Stellung genommen und eine Beweisaufnahme (§§ 103,106 SGG) angeregt. Er hat ein ausführliches Attest vorgelegt, in dem nicht nur zusätzliche Krankheiten genannt worden sind, sondern vor allem auch sein Leistungsvermögen anders als bis dahin und auch anders, als es das Sozialgericht angenommen hatte, beurteilt wurde. Aufgrund dieser geänderten Prozesssituation hätte das Sozialgericht zumindest eine neue Anhörungsmitteilung fertigen und die Beteiligten über die unverändert beabsichtigte Verfahrensweise unterrichten sowie darauf hinweisen müssen, dass das Gericht keine weiteren Schritte zur Sachaufklärung vornehmen werde (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. Rn. 11 m.w.N.; LSG Berlin, Urteil vom 3.9.1998- L 3 U 7/98 -; BSG, Urteil vom 1.9. 1999, B 9 SB 7/98 R (zu § 153 SGG)).
Weil das Sozialgericht allein durch die Kammervorsitzende, also in einer von § 12 Abs.1 SGG abweichenden Besetzung, nur unter den Voraussetzungen des § 105 SGG entscheiden darf, diese aber (aus mehreren Gründen) nicht vorgelegen haben, verletzt die Entscheidung Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG , denn der Kläger ist seinem gesetzlichen Richter, der vollen Kammerbesetzung, entzogen worden (vgl. BSGE 88, 274,277).
Wegen der aufgezeigten Verfahrensfehler und mangels Entscheidungsreife hat der Senat die Sache gemäß § 159 SGG an das Sozialgericht zurückverweisen. Das Sozialgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu entscheiden haben.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Erstellt am: 02.04.2004
Zuletzt verändert am: 02.04.2004