Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08. Dezember 1997 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 10. Dezember 1996 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Beiträgen zur Gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV).
Der Kläger beantragte 1993 bei der LVA Westfalen die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, worauf seine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner – KVdR – festgestellt wurde. Mit Bescheid vom 27.12.1994 erhob die Beklagte Beiträge zur GPV in Höhe von 13,80 DM monatlich ab dem 01.01.1995.
Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt über die Gewährung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einen Rechtsstreit mit der LVA Westfalen führte, legte am 10.01.1995 Widerspruch ein, den er damit begründete, sein Rentenanspruch sei durch die LVA Westfalen abgelehnt worden, so dass als Nichtrentenbezieher für ihn keine Versicherungspflicht in der GPV bestehe. Als Rentenantragsteller unterliege er lediglich einer Formalversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Eine solche Formalversicherung begründeten die Bestimmungen über die GPV im Elften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XI) nicht, da dort in § 49 Abs. 2 SGB XI lediglich geregelt sei, dass für das "Fortbestehen der Mitgliedschaft" entsprechende Regelungen der GKV Geltung hätten. Da in seinem Fall aber nie eine Mitgliedschaft in der GPV bestanden habe, könne eine solche auch nicht fortbestehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.1996 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 10.12.1996 erhöhte sie den Beitrag für die Pflegeversicherung auf monatlich 24,48 DM ab dem 01.01.1997.
Der Kläger hat am 16.12.1996 vor dem Sozialgericht – SG – Münster Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 27.12.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.1996 sowie auf Feststellung erhoben, dass seine Versicherungspflicht ab dem 01.01.1995 in der GPV nicht bestehe und die entrichteten Beiträge zuzüglich 4 % Zinsen zu erstatten seien. Er hat seine im Feststellungsverfahren vorgetragene Auffassung wiederholt.
Mit Urteil vom 08.12.1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 18.12.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.12.1997 Berufung eingelegt.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22.12.1997 die Beendigung der Mitgliedschaft des Klägers als Rentenantragsteller zum 01.12.1997 festgestellt.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des SG beinhalte das SGB XI keine regelungsbedürftige Lücke für Sachverhalte wie den vorliegenden. Die gesetzlichen Bestimmungen seien eng auszulegen und nur unter besonderen Voraussetzungen einer Analogie zugänglich.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG Münster vom 08.12.1997 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 27.12.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.1996 sowie den Bescheid vom 10.12.1996 insoweit aufzuheben, als hierdurch Beiträge zur Pflegeversicherung erhoben worden sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, nach dem Willen des Gesetzgebers hätten möglichst alle Versicherten auch in die GPV aufgenommen werden sollen. Dem trage ihre Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen Rechnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, da dieser auf die entsprechende Möglichkeit, deren Zulässigkeit aus den Bestimmungen der §§ 110 Abs. 1, 126, 127 Sozialgerichtsgesetz (SGG) folgt, mit der Ladung hingewiesen worden ist.
Das persönliche Erscheinen des Klägers ist auch nicht zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung angeordnet worden, sondern lediglich, um mit ihm die Rechtssache zu erörtern.
Die jedenfalls kraft Zulassung statthafte Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Beklagte zu Recht Beiträge zur GPV erhoben hat.
Die angefochtenen Bescheide sind von der zuständigen und hier beklagten Pflegekasse erteilt worden, auch wenn dies im angefochtenen Ausgangsbescheid vom 27.12.1994 nicht ausdrücklich dokumentiert worden ist. Da zwischen der Krankenkasse und der Pflegekasse Organidentität besteht (§ 46 Abs. 2 Satz 2 SGB XI), sich der Widerspruch des Klägers aber ausschließlich gegen seine Heranziehung zu Beiträgen zur GPV richtete, kann nicht zweifelhaft sein, dass die Bearbeitung der Angelegenheit und Erteilung des Widerspruchsbescheides durch die Pflegekasse erfolgt ist und diese auch die erlassende Behörde des Beitragsbescheides vom 10.12.1996 hinsichtlich der Pflegeversicherungsbeiträge gewesen ist.
Letzterer Bescheid ist in zumindest entsprechender Anwendung des § 86 SGG oder § 96 SGG (vgl. zur Frage, welche dieser Bestimmungen bei Bescheiden, die zwischen Erteilung des Widerspruchsbescheides und Erhebung der Klage erlassen werden, Anwendung findet Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl. 1998, Rn. 2 zu § 96) Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden. Folgebescheide in Dauerrechtsverhältnissen, die auf identischer Rechtsgrundlage beruhen, sind danach in das Verfahren einzubeziehen (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O., Rn. 9 zu § 96), zumal der Kläger sich ausdrücklich gegen seine Mitgliedschaft in der GPV wendet und sein Begehren dem Sinne nach demzufolge darauf gerichtet ist, die Aufhebung sämtlicher entgegenstehender Bescheide zu erreichen. Auch wenn das SG diesen Bescheid übergangen hat, war er daher entsprechend dem Antrag des Klägers in das Berufungsverfahren einzubeziehen (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O., Rn. 12 zu § 96).
Der Kläger ist mit Wirkung vom 01.01.1995 Mitglied der Beklagten als Trägerin der GPV geworden. Dies folgt aus dem Regelungsgehalt der Bestimmungen der §§ 49 Abs. 2 SGB XI, 189, 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Der Kläger war infolge seiner zurückgelegten Versicherungszeiten und seiner Rentenantragsstellung bei Nichterfüllung des Anspruchs auf vorzeitige Rente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit nach § 189 Abs. 1 SGB V seit 1993 in der KVdR pflichtversichert. Als solches Pflichtmitglied ist er gemäß § 49 SGB XI seit dem 01.01.1995 auch Mitglied in der GPV geworden.
Nach § 49 Abs. 1 Satz 1 SGB XI beginnt die Mitgliedschaft bei einer Pflegekasse mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen des § 20 oder des § 21 vorliegen. Für das Fortbestehen der Mitgliedschaft gelten die §§ 189, 192 des Fünften Buches sowie § 25 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte entsprechend (§ 49 Abs. 2 SGB XI). Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI erfüllte der Kläger am 01.01.1995 mangels Anspruch auf eine Rente nicht. Er erfüllte jedoch die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 SGB XI. Bei strenger wörtlicher Auslegung dieser Regelung konnte allerdings eine Mitgliedschaft in der GPV nicht "fortbestehen", weil vor dem 01.01.1995 ein solcher Versicherungstatbestand noch nicht existierte.
Der Zusatz "Fortbestehen" in § 49 Abs. 2 SGB XI beruht jedoch offensichtlich auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers (vgl. Peters, Kasseler Kommentar, Rn. 51 zu § 20 und Rn. 23 zu § 49 SGB XI; Leitherer in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts – Pflegeversicherungsrecht -, § 12 Anm. 50, 51; Laufer, DAngVers. 1994, 247, 252; Linz, Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1994, 461, 471). Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung des SGB XI "eine Pflichtversicherung für alle" einführen (BT-Drucks. 12/5952 S. 7), wobei der Grundsatz durchgängig eingehalten werden sollte, dass die Mitgliedschaft in der GPV der Mitgliedschaft in der GKV folgen sollte (BT-Drucks. 12/5952 S. 36 f.) und "Überbrückungstatbestände" entsprechend der GKV Geltung haben sollten (BT-Drucks. 12/5952 S. 41). Der entgegen dieser gesetzgeberischen Intention in § 49 Abs. 2 SGB XI aufgenommene Zusatz über das Fortbestehen, der in § 189 SGB V nicht enthalten ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich der Antrag in der Regel unmittelbar an die Zurücklegung von Pflichtversicherungszeiten anschließt, was aber nach § 189 SGB V für die Aufnahme in die KVdR keine zwingende Voraussetzung ist (vgl. Peters a.a.O. § 20 Rn. 51). Es besteht jedoch kein nachvollziehbarer Grund dafür, diesen Personenkreis, der vor Rentenantragstellung nicht in der GKV bzw. GPV versichert gewesen ist, von der Versicherungspflicht in der GPV auszunehmen, obwohl er in der KVdR infolge der Rentenantragstellung Pflichtmitglied geworden ist. Der Gesetzgeber hat für solche Rentenantragsteller eine Ausnahmeregelung nicht beabsichtigt, für die ein einleuchtender Grund auch nicht zu erkennen ist.
Diesem Ergebnis steht nicht der Grundsatz entgegen, dass insbesondere aus Gründen der Rechtsklarheit zunächst eine am Wortlaut der Gesetzesnorm orientierte Auslegung zu erfolgen hat (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Vorbem. 2 zu Art. 70). Beachtlich bleibt der Sinnzusammenhang sowie eine unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze gebotene Interpretation der Norm (BVerfGE 67, 70, 88; Schmidt-Bleibtreu/Klein a.a.O.). Wie der Vergleich der Bestimmungen über die Versicherungspflicht in § 2 SGB XI (GPV) und § 5 SGB V (GKV) zeigt, hat der Gesetzgeber konsequent den Grundsatz "PV folgt KV" verfolgt (vgl. Krauskopf, Soziale KV und PV, Rn. 1 zu § 20), da die Vorschriften nahezu identisch ausgestaltet sind. Dem entspricht es, dass in § 49 Abs. 2 SGB XI auch die gemäß § 189 SGB V Versicherten Pflichtmitglieder in der GPV sind. Für eine Einschränkung des Grundsatzes "PV folgt KV" in diesem Einzelfall fehlt ein sachlicher Grund. Soweit der Kläger diesen darin sieht, dass Rentenantragsteller, die keinen Anspruch auf Rente haben, in der Regel wegen der Kürze der Dauer des Antragsverfahrens und der Mitgliedschaft in der KVdR in der Regel keinen Anspruch auf Pflegeleistungen hätten, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen kann ein entsprechendes Verfahren einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen (im Fall des Klägers mehr als vier Jahre) und zum anderen kann diese Zeit als Vorversicherungszeit von Bedeutung sein (§ 33 Abs. 2 SGB XI). Gründe der Billigkeit, wie der Kläger meint, sprechen daher gerade nicht gegen, sondern für die Einbeziehung dieses Personenkreises, auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG).
Die Berufung des Klägers mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 10.08.2003
Zuletzt verändert am: 10.08.2003