NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.11.2016 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch im zweiten Rechtszug die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 7). Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Entziehung der Zulassung des Klägers zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung wegen mehrjähriger systematischer Falschabrechnung.
Der am 00.00.1957 geborene Kläger wurde im April 1995 als Facharzt für Urologie in D zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er verfügt u.a. über die Genehmigung zur sonographischen Untersuchung der Uro-Genitalorgane.
Im März 2010 informierte ein beim Kläger nach einer Blasenkrebsoperation in Nachbehandlung befindlicher Patient seine Krankenkasse darüber, dass der Kläger bei ihm (Sonographie-)Leistungen abgerechnet habe, die nicht erbracht worden seien. Die Krankenkasse benachrichtigte die Beigeladene zu 7) hierüber, die den Kläger um Stellungnahme zu dem Vorwurf bat. Der Kläger behauptete, sich an den Patienten, den er ab Mai 2005 über vier Jahre lang behandelt und bei dem er fast jedes Quartal eine Sonographie abgerechnet hatte, nicht erinnern zu können. Auf Nachfrage der Beigeladenen zu 7) reichte der Kläger die Patientendokumentation sowie gefertigte Sonographien zu den Akten. Alle übersandten Aufnahmen enthielten entgegen den Vorgaben des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM; 33. Kapitel – Ultraschalluntersuchung – Nr. 3 der Präambel) keine automatisch "eingedruckten" Patientendaten, sondern lediglich handschriftliche Vermerke. Dies veranlasste die Beigeladene zu 7) vom Kläger weitere 162 Bilddokumentationen betreffend neun andere Patienten, bei denen in den Jahren 2006 bis 2011 (ebenfalls) die Gebührenordnungsposition (GOP) 33043 EBM – Uro-Genital-Sonographie – abgerechnet worden war, sowie 55 weitere Dokumentationen von anderen Patienten aus dem Quartal IV/2009 anzufordern. Die Prüfung der Unterlagen durch die Sonographie-Kommission der Beigeladenen zu 7) führte zum Ergebnis, dass die Abrechnung der GOP 33043 EBM in keinem einzigen Fall gerechtfertigt war. So fehlte bis zur Anschaffung eines neuen Sonographiegeräts im März 2010 nicht nur stets der automatische "Eindruck" der Patientendaten, sondern es waren auch in keinem Fall die zu dokumentierenden Organe zu erkennen. Mit diesen Fakten konfrontiert erklärte der Kläger, nur tatsächlich durchgeführte Sonographien abgerechnet zu haben. Die fehlende Abbildung der abgerechneten Organe führte er auf die schlechte Qualität seines alten Sonographiegeräts zurück. Soweit er nach den vorgelegten Aufnahmen drei unterschiedliche Patienten binnen 17 Sekunden sonographiert habe und weitere ebenfalls binnen Sekunden oder weniger Minuten, sei u.U. die Zeiterfassung am Gerät defekt gewesen.
Erst in einem Telefonat vom 21.11.2011 gestand der Kläger der Beigeladenen zu 7), Bilddokumentationen mit handschriftlichen Einträgen übersandt zu haben, die nicht von den Patienten stammten, deren Name er handschriftlich darauf vermerkt habe. Die Praxis-EDV habe ihm bei einigen Krankenkassen die Abrechnung bestimmter Leistungsketten vorgeschlagen. In Einzelfällen könne er nicht ausschließen, dass erforderliche Korrekturen dieser vorgeschlagenen Abrechnungsketten nicht erfolgt seien. Insgesamt gehe er davon aus, die abgerechneten Sonographien zu 90% erbracht zu haben.
Die Beigeladene zu 7) hat daraufhin Anfang Januar 2012 den Sachverhalt an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Dieser gegenüber erklärte der Kläger, in den Quartalen IV/2007 bis III/2008 rund 90% der abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht zu haben, vom Quartal IV/2008 bis zum Quartal III/2010 seien es dann noch zumindest 70% der abgerechneten Leistungen gewesen und ab dem Quartal IV/2010 wieder alle abgerechneten Leistungen. Diese Angaben widersprachen den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft für das Quartal IV/2009, nach denen der Kläger nur 20% der abgerechneten Sonographien tatsächlich durchgeführt hatte. Da es bezüglich des möglichen Strafmaßes nicht wesentlich auf die exakte Zahl falsch abgerechneter Fälle je Quartal und auch nicht auf alle Quartale mit Falschabrechnungen ankam, hat die Staatsanwaltschaft die vom Kläger zugestandenen Zahlen und Quartale dem von ihr beantragten Strafbefehl zugrunde gelegt. Der Kläger hat dem Erlass des Strafbefehls zugestimmt, den das Amtsgericht (AG) Dortmund – 170 Js 219/12 – am 19.11.2012 erließ. Darin wurde gegen ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs in zwölf Fällen (Quartale III/2007 bis III/2010) eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten festgesetzt. Die Freiheitsstrafe wurde für zwei Jahre unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt.
Die Beigeladene zu 7) hat nach Abschluss des Strafverfahrens die Honorarbescheide des Klägers für die Quartale III/2007 – II/2011 um die zu Unrecht abgerechnete GOP 33043 EBM sowie die Zuschlagsziffern GOP 33090 sowie 33092 EBM berichtigt und 77.332,53 EUR zurückgefordert (Bescheid vom 14.03.2013). Nachdem der Kläger sich hiergegen zunächst gewehrt hatte, haben die Beteiligten sich in der Folgezeit über die Rückzahlungsmodalitäten geeinigt. Rund 15.000,00 EUR des ursprünglichen Rückforderungsbetrags sind derzeit noch offen.
Im August bzw. im September 2013 beantragte die Beigeladene zu 7) sowie die zu 1) bis 3) und 5) zum Verfahren beigeladenen Krankenkassen(-verbände) beim Zulassungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen für den Regierungsbezirk Münster, dem Kläger wegen gröblicher Pflichtverletzung die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen. Mit Beschluss vom 18.02.2014 entsprach der Zulassungsausschuss diesem Antrag. Hiergegen legte der Kläger am 18.04.2014 beim Beklagten Widerspruch ein und vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Entziehung lägen nicht mehr vor. Er habe die Pflichtverletzungen zugegeben und bereue sie; diese lägen nunmehr drei Jahre zurück, zu weiteren Verstößen sei es nicht mehr gekommen. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seien daher mildere Mittel als die Entziehung der Zulassung in Betracht zu ziehen. Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Entscheidung des Zulassungsausschusses vom 18.02.2014 an (Beschluss vom 22.10.2014). Dieser sei rechtmäßig, die Voraussetzungen für einen Entzug der Zulassung lägen vor. Das Wohlverhalten des Klägers während der Dauer des Entziehungsverfahrens sei nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger während dieser Zeit verstärkt durch die Beigeladene zu 7) kontrolliert worden sei. Auch für eine nur hälftige Entziehung der Zulassung gebe es keinen Anlass. Die Versorgung der bisherigen Patienten des Klägers könne durch andere Urologen im Planungsbereich des Kreises Recklinghausen sichergestellt werden.
Auf den Eilantrag des Klägers ordnete das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers vom 18.04.2014 gegen den Beschluss des Beklagten vom 18.02.2014 an (Beschluss vom 11.12.2014 – S 16 KA 4/14 ER -). Auf die hiergegen gerichteten Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen zu 7) beschloss der Senat am 24.06.2015, die Beschwerden mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass – klarstellend – "die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid aus der Sitzung vom 22.10.2014 (BA Nr. 7 30/2014) aufgehoben wird". Die Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien nicht erfüllt. Der schriftlichen Begründung der Anordnung sei nicht zu entnehmen, warum das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiege und inwiefern der Sofortvollzug verhältnismäßig sei.
Gegen die seine Zulassung entziehenden Beschlüsse des Zulassungsausschusses und des Beklagten hat der Kläger am 15.12.2014 Klage zum SG erhoben und die Auffassung vertreten, die Entscheidung des Beklagten sei aufgrund des inzwischen nicht mehr gezeigten Fehlverhaltens unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Zulassungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen für den Regierungsbezirk Münster vom 18.02.2014 in Gestalt der Entscheidung des Berufungsausschusses vom 22.10.2014 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 7) haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben eingewandt, dass das Bundessozialgericht (BSG) seine Rechtsprechung zum Wohlverhalten während eines laufenden Zulassungsentzugsverfahrens inzwischen aufgegeben habe. Das Verhalten des Klägers nach der letzten Verwaltungsentscheidung könne daher allenfalls im Rahmen eines erneuten Zulassungsverfahrens berücksichtigt werden.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.11.2016) und ausgeführt: Die Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 18.02.2014 sei unzulässig. Dieser Beschluss sei in der Entscheidung des Berufungsausschusses vollständig aufgegangen und daher nicht mehr existent. Die Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Beklagten vom 22.10.2014 sei hingegen zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger sei zu Recht seine Zulassung entzogen worden. Gemäß § 95 Abs. 6 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei einem Vertragsarzt die Zulassung unter anderem dann zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletze. Davon sei nach der Rechtsprechung des BSG auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt werde und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig zerstört sei, so dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden könne (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -). Vorliegend habe der Kläger eine Vielzahl nicht erbrachter Sonographieuntersuchungen abgerechnet. Vom AG E sei er hierfür mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, belegt worden. Durch sein Verhalten habe der Kläger das Vertrauen der am Abrechnungssystem Beteiligten tiefgreifend gestört. Er habe sogar Bildmaterial in Patientenakten manipuliert, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch Patienten durch sein Verhalten gefährdet worden seien, weil sich falsches sonographisches Bildmaterial in den Akten befinde. Vor diesem Hintergrund komme eine nur hälftige Entziehung der Zulassung nicht in Betracht. Auf das vom Kläger nach der Entdeckung der Tat gezeigte "Wohlverhalten" komme es nicht an, denn nach der Rechtsprechung des BSG müsste dieses fünf Jahre lang – beginnend mit der Entscheidung des Berufungsausschusses – gezeigt werden. Diese Frist sei noch nicht abgelaufen.
Das Urteil ist dem Kläger am 15.12.2016 zugestellt worden; er hat hiergegen am 11.01.2017 Berufung eingelegt. Das BSG habe in dem im angefochtenen Urteil zitierten Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 3/12 B – ausgeführt, dass die Sozialgerichte bei einer Zulassungsentziehung zu prüfen hätten, ob sich die Sachlage während des Prozesses durch Wohlverhalten des Leistungserbringers geändert habe. Es sei zu prüfen, ob eine neue Vertrauensbasis zwischen ihm und den vertragsärztlichen Institutionen aufgebaut worden sei, so dass die Zulassungsentziehung nicht mehr angemessen erscheine. Diese Prüfung habe das SG nicht durchgeführt. Es habe auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob ein "Regelfall" im Sinne der Rechtsprechung des BSG vorliege, in dem für das Wohlverhalten eine Frist von fünf Jahren eingehalten werden müsse. Das sei nicht der Fall, denn er sei bereits 60 Jahre alt, so dass die Frist kürzer zu bemessen sei. Für ihn wäre es altersbedingt unmöglich, nach einer Zulassungsentziehung noch eine Anstellung als Arzt zu finden; sie käme damit einem Berufsverbot gleich. Schließlich seien inzwischen auch sechs Jahre verstrichen, in denen er sich nichts mehr habe zuschulden kommen lassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 14.11.2016 abzuändern und den Beschluss des Beklagten vom 22.10.2014 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 7) beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger übersehe, dass die von ihm in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 49 /11 R -) von diesem inzwischen ausdrücklich aufgegeben worden sei (Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -). Auch fehle es an einem Wohlverhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der beigezogenen Akte des SG Gelsenkirchen – S 16 KA 4/14 ER – verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie ist jedoch unbegründet, denn der Beklagte war berechtigt, dem Kläger die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit zu entziehen (dazu 1.). Die Entziehung der Zulassung war auch verhältnismäßig (dazu 2.). Auf ein Wohlverhalten des Klägers kommt es nach der seit Oktober 2012 geänderten Rechtsprechung des BSG im Rahmen des vorliegenden Zulassungsentziehungsverfahrens nicht an (dazu 3.).
1. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung lagen zum Zeitpunkt des Beschlusses des Beklagten vom 22.10.2014 vor.
a) Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V. Danach ist einem Vertragsarzt die Zulassung unter anderem dann zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.; Senat, Beschluss vom 16.04.2014 – L 11 KA 76/13 B ER -). Davon ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wie auch des BSG auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, so dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 28.03.1985 – 1 BvR 1245/84 -; BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.; Senat, Beschluss vom 16.04.2014 – L 11 KA 76/13 B ER -). Wiederholt unkorrekte Abrechnungen können dabei die Zulassungsentziehung rechtfertigen, weil das Abrechnungs- und Honorierungssystem der vertragsärztlichen Versorgung auf Vertrauen aufbaut und das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Leistungserbringers ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung darstellt (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -; Urteil vom 21.03.2012 – B 6 KA 22/11 R – m.w.N.; Senat, Urteil vom 28.10.2009 – L 11 KA 60/08 -).
b) Der Kläger hat seine vertragsärztlichen Pflichten durch die – auch strafgerichtlich – festgestellten Abrechnungsverstöße in diesem Sinne gröblich verletzt. Die Pflichtverletzungen als solche – falsche Abrechnungen von Sonographien über mehrere Jahre und Quartale in erheblichem Umfang von zumindest 10% – 25% aller abgerechneten Aufnahmen sowie die Manipulation von Sonographieaufnahmen zwecks Vertuschung der Falschabrechnungen – stellt der Kläger nicht mehr in Abrede. Sie sind bereits in dem von ihm zugestandenen Umfang derart gravierend, dass sie die Entziehung der Zulassung tragen (hierzu BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.; Urteil vom 21.03.2012 – B 6 KA 22/11 R – m.w.N.; Senat, Urteil vom 28.10.2009 – L 11 KA 60/08 -; Beschluss vom 16.04.2014 – L 11 KA 76/13 B ER -). Es kommt daher nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zumindest für das Quartal IV/2009 belegen, dass der Kläger in noch viel größerem Umfang, nämlich in bis zu fast 80% aller Fälle dieses Quartals, zu Unrecht Sonographien abgerechnet hat.
2. Unter Berücksichtigung der im Strafbefehlsverfahren, in den Verfahren vor dem Zulassungsausschuss und vor dem Beklagten sowie im gerichtlichen Verfahren erhobenen Beweise und der vom Kläger zugestandenen Falschabrechnungen sowie Manipulationen steht für den Senat fest, dass auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die vom Beklagten getroffene Zulassungsentziehung rechtmäßig ist.
Dabei wird nicht verkannt, dass eine Zulassungsentziehung die Berufsfreiheit in einem Maße einschränkt, das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl i.S. des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nahe kommt (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -m.w.N.; Senat, Beschluss vom 16.04.2014 – L 11 KA 76/13 B ER -). Es kann indes dahingestellt bleiben, ob Art. 12 Abs. 1 GG gebietet, einem Vertragsarzt auch nach einer gröblichen, eine Zulassungsentziehung auf Dauer rechtfertigenden Pflichtverletzung in jedem Fall zu ermöglichen, seine Zulassung als freiberuflich tätiger Arzt wieder zu erlangen. Denn abgesehen davon, dass bereits das Gesetz gerade im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sehr hohe Anforderungen an eine Entziehung der Zulassung stellt, macht diese jedenfalls einen Wiedereinstieg nach Absolvieren einer Bewährungszeit nicht (mehr) faktisch unmöglich. Eine Privilegierung durch die "Wohlverhaltensrechtsprechung" ist daher nicht mehr durch Art. 12 Abs.1 GG geboten (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -). Im vertragsärztlichen Bereich haben sich im letzten Jahrzehnt die beruflichen Chancen von Ärzten innerhalb und außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung so deutlich verbessert, dass die Erwägung, eine Zulassungsentziehung stehe zumindest faktisch einer Beendigung der ärztlichen Tätigkeit im Sinne einer wirtschaftlich tragfähigen beruflichen Betätigung gleich, nicht mehr gerechtfertigt ist. Beispielsweise ist die Altersgrenze für die (Wieder-) Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung weggefallen. Auch haben sich die Neu- oder Wiederzulassungsmöglichkeiten dadurch erheblich gebessert, dass für Hausärzte zahlreiche Zulassungsmöglichkeiten bestehen und auch im fachärztlichen Zulassungsbereich außerhalb der Ballungsräume und besonders attraktiver Landkreise Stellen offen stehen. Der Gesetzgeber hat zudem durch die Möglichkeit von Arztanstellungen in Praxen und Medizinischen Versorgungszentren sowie die Möglichkeit, hälftige Versorgungsaufträge zu übernehmen, die Aussichten von Ärzten, auch in fortgeschrittenem Lebensalter (neu oder wieder) vertragsärztlich tätig zu werden, ohne eine eigene Praxis eröffnen zu müssen, deutlich erweitert (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.). Das ändert zwar nichts daran, dass eine (vollzogene) Zulassungsentziehung weiterhin im Regelfall zu einem Verlust der bisherigen Praxis führt. Jedoch stellt der Gesichtspunkt des Praxisverlustes und der Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Praxis keine Besonderheit des Vertragsarztrechts dar, sondern gilt gleichermaßen für alle freien Berufe, deren Tätigkeit von einer Approbation, Zulassung oder einer anderen Form der Genehmigung abhängig ist. Auch rein privatärztlich tätige Ärzte und in anderen Gesundheitsberufen Tätige (etwa Apotheker, Logopäden), aber auch Rechtsanwälte und Notare müssen sich nach einem Verlust ihrer bisherigen Praxis unter mehr oder weniger großem finanziellen Aufwand und unter Schaffung eines neuen Kundenstamms eine neue Praxis aufbauen (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R -.). Entsprechendes gilt auch für den Gesichtspunkt, dass eine erneute vertragsärztliche Tätigkeit nicht am Ort der bisherigen Tätigkeit, sondern ggf. nur an einem anderen Ort möglich ist. Denn es ist dem betroffenen Arzt auch unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG zuzumuten, ein Wiederzulassungsverfahren an einem anderen Ort zu betreiben. Er hat keinen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch darauf, am bisherigen Ort der Tätigkeit wieder zugelassen zu werden. Durch Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht die Tätigkeit als Vertragsarzt an einem bestimmten Ort geschützt, sondern allein die vertragsärztliche Tätigkeit als solche. Im Übrigen müssen sich auch Ärzte – anderen Staatsbürgern vergleichbar, die infolge einer rechtskräftigen Verurteilung ihren Arbeitsplatz verlieren – nach Wiedererteilung der Approbation bzw. Wiedererlangung der Zulassung neu in ihrem Beruf einrichten, und zwar unter den dann herrschenden Bedingungen (BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.).
3. Nicht (mehr) zu prüfen ist, ob der Kläger sich nach der Entscheidung des Beklagten über den Entzug der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Leistung "wohlverhalten" hat.
Das BSG hat seine Rechtsprechung, nach der im gerichtlichen Verfahren um die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung auch Umstände aus der Zeit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen sind, bereits mit Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – aufgegeben. Es hat zwar zugleich entschieden, dass aus Gründen prozessualen Vertrauensschutzes bereits vor der Veröffentlichung dieses Urteil ergangene Entscheidungen von Berufungsausschüssen nach der bisherigen Rechtsprechung behandelt werden müssen. Dies gilt allerdings nur, wenn die vom BSG für ein "Wohlverhalten" vorausgesetzte "Bewährungszeit" von in der Regel fünf Jahren (BSG, Beschluss vom 22.03.2016 – B 6 KA 69/15 B – m.w.N.; Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 3/12 B -) seit der Entscheidung des Berufungsausschusses bereits verstrichen war. Das ist hier nicht der Fall, denn die Entscheidung des Berufungsausschusses vom 22.10.2014 erging nicht mehr als fünf Jahre vor der Veröffentlichung des Urteils des BSG vom Oktober 2012, sondern erst zwei Jahre nach der Änderung der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 28.10.2015 – B 6 KA 36/15 B -).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat der Kläger die Kosten des Verfahrens auch im zweiten Rechtszug zu tragen, weil er (mit dem Rechtsmittel) unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 und 2 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6. ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO; BSG, Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – m.w.N.)
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 22.10.2018
Zuletzt verändert am: 22.10.2018