Der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2011 wird aufgehoben; die Beklagte wird verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die RLV der Klägerin für die Quartale I/2009 bis IV/2009 durch Anerkennung von Praxisbesonderheiten im Bereich der GOP 33022 zu erhöhen und dementsprechend Honorar für diese Quartale nachzuzahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Quartale I bis IV/2009.
Die Klägerin ist Fachärztin für Innere Medizin und nimmt seit 01.01.2002 in X als Hausärztin an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Bescheid vom 30.03.2005 genehmigte die Beklagte der Klägerin unter Widerrufsvorbehalt für die Zeit ab 18.03.2005 gemäß der Vereinbarung von Qualifikationsvoraussetzungen nach § 135 Abs. 2 SGB V die Ausführung und Abrechnung bestimmter Ultraschalluntersuchungen. Ansatzfähig waren danach u.a. die Gebührennummern (GBN) 616 (echokardiographische Untersuchung im B-/M-Mode-Verfahren), 617 (Dopplerechokardiographische Untersuchung im CW-/PW-Doppler und Duplex-Verfahren) und 618 (farbkodierte dopplerechokardiographische Untersuchung) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM).
Der Berufungsausschuss genehmigte der Klägerin mit Beschluss vom 28.06.2006 gemäß § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2010 die Durchführung der Farb-Doppler-Echokardiographie nach GBN (bzw. Gebührenordnungsposition –GOP-) 33022. Für die Folgezeit bis zum 30.06.2014 hat der Berufungsausschuss am 23.06.2010 die entsprechende Genehmigung erteilt.
Diese Genehmigungen flossen ein, als die individuelle Fallpunktzahl der Klägerin für das Punktzahlgrenzvolumen durch Bescheid vom 10.11.2008 für die Quartale III/2006 bis II/2008 erhöht wurde und mit Bescheid vom 04.06.2009 eine Anpassung der Fallpunktzahl für die Quartale III und IV/2008 erfolgte.
Mit Bescheid vom 28.11.2008 wies die Beklagte der Klägerin für das Quartal I/2009 ein praxisbezogenes Regelleistungsvolumen (RLV) in Höhe von 35.982,94 EUR zu. Der Betrag errechnet sich als Produkt der RLV-relevanten Fallzahl der Klägerin aus dem Vorjahresquartal (1146), dem RLV-Fallwert für die Arztgruppe der Hausärzte (32,43 EUR) und dem nach den Daten des Vorjahresquartals bemessenen Morbiditätsfaktor der Praxis (0,9682).
Unter dem 27.02.2009 erging der Zuweisungsbescheid für II/2009, in dem ein RLV von 36.059,41 EUR (= 1167 x 32,18 EUR x 0,9602) ausgewiesen wurde. Für III/2009 wies die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 28.05.2009 ein RLV von 36.630,20 EUR (= 1155 x 33,06 EUR x 0,9593) und für IV/2009 mit Bescheid vom 28.08.2009 in Höhe von 36.339,44 EUR (= 1179 x 32,14 EUR x 0,9590) zu. In den Bescheiden waren jeweils Umsatzkorridore ausgewiesen.
Nachdem die Klägerin unter dem 11.05.2009 gebeten hatte, den "Punktzahlgrenzrahmen" mit Blick auf die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der GBN 33022 auch für die Quartale ab 01.01.2009 zu erhöhen, und die Beklagte unter dem 04.06.2009 insoweit die Prüfung einer Praxisbesonderheit gemäß Ziffer 4.4.2 der RLV-Vereinbarung angekündigt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 15.12.2009 für die Quartale I bis IV/2009 die Anerkennung von Praxisbesonderheiten im Bereich Echokardiographie ab. Sie führte aus, dass für diese Quartale ein Zuschlag auf das RLV wegen Praxisbesonderheiten nicht möglich sei, weil die Klägerin den Fallwert der Fachgruppe im Bereich des RLV nicht in dem erforderlichen Umfang von 30 %, sondern in I/2009 nur um 1,3 % überschritten und in den anderen drei Quartalen um 1,43 %, 3,69 % bzw. 0,44 % unterschritten habe.
Hiergegen legte die Klägerin am 22.12.2009 Widerspruch ein. Sie wies darauf hin, dass sie nicht die Anerkennung eines Zuschlags auf das RLV beantragt, sondern lediglich um Nachvergütung der Echokardiographie mit der GOP 33022 als qualitätsbezogene Leistung gebeten habe. Seit Beginn des Jahres 2009 bekomme sie die Leistungen nach der GOP 33022 nicht vergütet. Obwohl es sich dabei um Qualitätsleistungen handele, würden sie im RLV abgerechnet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte hierzu aus: Das dem Arzt vorab zuzuweisende RLV sei so ausgelegt, dass es das von einer weit überwiegenden Mehrzahl der Ärzte der Fachgruppe erbrachte Leistungsspektrum ausreichend abbilde. Daher könne das RLV lediglich in Ausnahmefällen aufgrund von Praxisbesonderheiten nach den Voraussetzungen der Ziffer 4.4.2 RLV-V erhöht werden. Die Anerkennung von Praxisbesonderheiten setze zunächst eine Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von grundsätzlich mindestens 30 % voraus. Außerdem müsse die Überschreitung aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung resultieren. Um den Umfang der erforderlichen Überschreitung festzustellen, würden die zu vergleichenden Fallwerte auf der Basis des angeforderten Leistungsbedarfs aller RLV-relevanten Leistungen des jeweiligen Quartals aus 2008 mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung dividiert durch die RLV-relevanten Fallzahlen ermittelt. Danach ergebe sich im Fall der Klägerin eine Überschreitung überhaupt nur für das Quartal I/2009, und zwar lediglich um 1,3 %. Mangels überdurchschnittlicher Leistungsanforderung könne dahinstehen, ob sich aus der Genehmigung zur Abrechnung der Echokardiographie nach GOP 33022 die Annahme eines besonderen Versorgungsbedarfs herleiten lasse. Im Übrigen sei der Hinweis erlaubt, dass die Klägerin in den Quartalen des Jahres 2009 jeweils höhere Fallwerte erzielt habe als in den vor der Honorarreform liegenden Vorjahresquartalen.
Dieser Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 02.03.2011 zugestellt. Daraufhin hat sie am 30.03.2011 die vorliegende Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor: Nachdem es auch schon in der Vergangenheit Probleme bei der Honorierung ihrer Leistungen der Echokardiographie gegeben habe, seien die diesbezüglichen Zahlungen zum Quartal I/2009 erneut eingestellt und ihre, der Klägerin, individuelle Punktzahl auf das Niveau von November 2006 gesenkt worden. Die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid könne sie nicht nachvollziehen. Denn der RLV-Fallwert der Arztgruppe habe in II/2009 und I/2010 bei 32 EUR gelegen und erst in IV/2010 36 EUR betragen. Ihr eigener Fallwert berechne sich nach der tatsächlich bezogenen Vergütung in I/2009 bis IV/2009 auf 38,06 EUR, 37,06 EUR, 37,71 EUR bzw. 37,45 EUR. Die tatsächlich erarbeiteten Beträgen lägen bei 49,79 EUR, 46,01 EUR, 46,32 EUR bzw. 49,07 EUR, so dass sie immer um die 30 % mehr erarbeitet als vergütet bekommen habe. Mit dem erarbeiteten Betrag übersteige sie gleichzeitig den Fachgruppenwert um 28 % bis 34 %. Dass sie Leistungen abrechne, die nicht zum Leistungskatalog der Hausärzte gehörten, stelle eine Praxisbesonderheit dar.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ihre RLV für die Quartale I bis IV/09 durch Anerkennung von Praxisbesonderheiten im Bereich der GOP 33022 zu erhöhen, und dementsprechend Honorar für diese Quartale nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, dass die Klägerin ihr Ziel der Vergütung für angeblich nicht honorierte Leistungen nach GOP 33022 nur im Wege eines Antrags auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten durch Gewährung eines Zuschlags auf das RLV erreichen könne. Diesen Antrag habe die Beklagte aber zu Recht abgelehnt, weil aus den im Bescheid dargelegten Gründen die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Entgegen der Ansicht der Klägerin seien deren Leistungen nach GOP 33022 nicht unvergütet geblieben, sondern gemäß den Vorgaben des Bewertungsausschusses im RLV vergütet worden. Danach sei eine Vergütung als qualitätsgebundene Leistung in einem zusätzlichen Honorarvolumen für Echokardiographien nach GOP 33022 nicht vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-/Bescheidungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG zulässig.
Dass die Klägerin nicht auch die Abrechnungsbescheide für die in Rede stehenden Quartale I bis IV/2009 angefochten hat, ist unschädlich. Zwar besteht für die Klärung der Rechtmäßigkeit der Zuweisung eines RLV und in diesem Rahmen auch für die Geltendmachung von Praxisbesonderheiten nur solange ein Rechtsschutzbedürfnis, wie die den streitbefangenen Zeitraum betreffenden Honorarbescheide noch nicht bestandskräftig sind (vgl. Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 15.08.2012, Az.: B 6 KA 38/11 R; ferner Beschluss vom 17.08.2011, Az.: B 6 KA 30/11 B). Da das BSG die Voraussetzungen und Konsequenzen der gesonderten Anfechtbarkeit von Regelungen im Zusammenhang mit der Vergütung in früheren Entscheidungen nicht einheitlich beurteilt hat und die grundlegenden Ausführungen in dem Beschluss vom 17.08.2011 nicht veröffentlicht worden sind, hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu prüfen, ob Vertragsärzten, die im Vertrauen auf die ältere Rechtsprechung von einer gleichzeitigen Anfechtung der Honorarbescheide abgesehen haben, Vertrauensschutz zu gewähren ist. Dies gilt – wie das BSG in dem vorstehend zitierten Urteil vom 15.08.2012 entschieden hat – jedenfalls für Honorarbescheide, bei denen vor Veröffentlichung dieses BSG-Urteils bereits Bestandskraft eingetreten ist. Nachdem sich die Beklagte weder in ihrem Widerspruchsbescheid vom 01.03.2011 noch im Klageverfahren auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis berufen hat, ist davon auszugehen, dass sie einen Vertrauensschutz der Klägerin annimmt.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Zuweisungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Quartale I/2009 bis IV/2009 und ggf. Erhöhung ihrer RLV durch Zuschläge auf den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe und entsprechende evtl. Nachzahlung. Denn der Vorstand hat das ihm insoweit eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin sind Nr. 4.4.2 der Vereinbarung über die Honorierung vertragsärztlicher Leistungen auf der Grundlage der regionalen Euro-Gebührenordnung in Verbindung mit Regelleistungsvolumina – RLV-V- in ihren jeweiligen in den Quartalen I/2009 bis IV/2009 geltenden Fassungen und der diesbzgl. Vorstandsbeschluss vom 18.03.2009, soweit sich dieser selbst als rechtmäßig erweist.
Nach Nr. 4.4.2 RLV-V kann der Arzt für Praxisbesonderheiten Zuschläge auf den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe beantragen. Der Antrag muss die Leistungen unter Angabe der EBM-Gebührenordnungspositionen (GOP) benennen, in denen sich die Praxisbesonderheit ausdrückt. Als Praxisbesonderheit gelten ein besonderer Versorgungsauftrag oder eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung, soweit hieraus eine Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % resultiert. Der Vorstand der Beklagten beurteilt nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall, ob eine Praxisbesonderheit vorliegt und in welchem Umfang sowie für welche Dauer Zuschläge zu gewähren sind. Mit Wirkung zum 01.04.2009 ist diese Vorschrift dahingehend ergänzt worden, dass der Vorstand im Einzelfall abweichend von der Vorgabe des Grenzwertes nach Satz 3 eine Praxisbesonderheit feststellen kann, obwohl die vorgegebene Überschreitung von mindestens 30 % nicht vorliegt.
Diese Regelungen entsprechen den Vorgaben des (Erweiterten) Bewertungsausschusses und erweisen sich damit als rechtmäßig. In dessen Beschluss vom 27.und 28.08.2008 Teil F Nr. 3.6 heißt es: Praxisbesonderheiten ergeben sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung, wenn zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % vorliegt. Über das Verfahren der Umsetzung einigen sich die Partner der Gesamtverträge. Wie sich aus Teil A Nr. 3 des vom Erweiterten Bewertungsausschuss mit Wirkung zum 01.01.2009 gefassten Beschlusses vom 15.01.2009 ergibt, können die Partner der Gesamtverträge aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung abweichend von der vorstehend wiedergegebenen Regelung in Nr. 3.6 zur Vorgabe eines Grenzwertes zur Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe in Höhe von 30 % im Einzelfall eine Praxisbesonderheit feststellen, obwohl die so vorgegebene Überschreitung nicht vorliegt.
Auf dieser Grundlage hat der Vorstand der Beklagten die Voraussetzungen für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten mit Beschluss vom 18.03.2009 wie folgt präzisiert:
"Die Anerkennung einer Praxisbesonderheit bedarf eines Antrags an die zuständige Verwaltungsstelle der KVWL; dieser muss neben der Besonderheit auch diejenigen Leistungen beinhalten, in denen sich die Praxisbesonderheit ausdrückt.
Die Verwaltungsstelle prüft die eingegangenen Anträge unter Berücksichtigung der im RLV-Vertrag festgelegten Kriterien in folgenden Schritten:
1. Als Vergleichsgröße ist der durchschnittliche Fallwert einer Arztgruppe für alle RLV-relevanten Leistungen des Quartal 1/08 heranzuziehen. Dieser wird berechnet als Summe des Leistungsbedarfs aller RLV-relevanten Leistungen (bewertet mit den Preisen der Euro-GO) dividiert durch die RLV-relevante Fallzahl der Arztgruppe.
2. Analog wird der Fallwert der RLV-relevanten Leistungen des Quartals 1/08 für den zu überprüfenden Arzt ermittelt und dem Wert der Arztgruppe gegenüber gestellt.
3. Zeigt der Vergleich der Fallwerte nach Nr. 1 und 2 eine Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 %, so ist zu überprüfen, ob und in wieweit diese Überschreitung aus den vom antragstellenden Arzt genannten Leistungen resultiert, in denen sich die Praxisbesonderheit ausdrückt.
4. Hierzu ist der durchschnittliche Fallwert dieser Leistungen über die Arztgruppe zu ermitteln und ebenso der Fallwert dieser Leistungen beim betrachteten Arzt (leistungsbezogenen Fallwertüberschreitung).
5. Zur Anerkennung einer Praxisbesonderheit muss die mindestens 30 %ige Fallwertüberschreitung aller RLV-relevanten Leistungen (vgl. Nr.3) aus der leistungsbezogene Fallwertüberschreitung des Arztes nach Nr.4 resultieren. Ist diese Bedingung erfüllt, so wird die Praxisbesonderheit in Höhe dieser leistungsbezogenen Fallwertüberschreitung berücksichtigt, höchstens jedoch in Höhe der Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der RLV-relevanten Leistungen.
Im Einzelfall kann aus Sicherstellungsgründen abweichend von der Vorgabe des Grenzwertes nach Satz 1 eine Praxisbesonderheit festgestellt werden, obwohl die vorgegebene Überschreitung von mindestens 30 % nicht vorliegt.
6. Zur Berechnung des Zuschlags zum RLV-Fallwert wird die anerkannte Fallwertüberschreitung in Euro in Bezug gesetzt zum durchschnittlichen Fallwert der RLV-relevanten Leistungen der Arztgruppe nach Nr. 1. Der hieraus resultierende Prozentsatz wird angewendet auf den RLV-Fallwert des Arztes aus dem bisher zugewiesenen RLV und somit der für ihn geltende Zuschlag ermittelt.
Eine anerkannte Praxisbesonderheit wird widerruflich in Form eines Zuschlags zum RLV durch die KVWL – auch mit Wirkung für die Folgequartale – berücksichtigt. Der Arzt erhält über die Anerkennung der Praxisbesonderheit einen Bescheid. Das Vorliegen der Praxisbesonderheit wird jährlich überprüft."
Soweit dieser Vorstandsbeschluss, der (wovon die Beklagte ausweislich ihres Schriftsatzes vom 02.04.2014 auch selbst ausgeht) bereits ab dem Quartal I/2009 Geltung beansprucht, unter Nr. 5 Abs. 2 im Einzelfall aus Sicherstellungsgründen eine Anerkennung von Praxisbesonderheiten auch ohne die sonst erforderliche Fallwertüberschreitung von mindestens 30 % ermöglicht, findet er seine Rechtfertigung unmittelbar in dem Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 15.01.2009, der erst nach Inkrafttreten der RLV-V in ihrer Ausgangsfassung erging und dem die RLV-V dann zum 01.04.2009 angepasst wurde.
Danach erweist sich der angefochtene Beschluss für alle vier Quartale des Jahres 2009 jedenfalls wegen eines Ermessensdefizits als rechtswidrig. Denn die Beklagte hat eine Anerkennung allein wegen einer zu geringen (bzw. fehlenden) Fallwertüberschreitung abgelehnt, ohne der Möglichkeit nachzugehen, ob nicht im Einzelfall eine Praxisbesonderheit aus Sicherstellungsgründen zu bejahen gewesen wäre, für deren Anerkennung gemäß Nr. 5 Abs. 2 des Vorstandsbeschlusses die sonst vorgegebene Überschreitungsgrenze nicht gilt. Einer solchen Einzelfallprüfung hätte es vorliegend aber aus folgenden Erwägungen bedurft:
Eine anerkannte Fallwertüberschreitung führt zu einem Zuschlag zum RLV. Damit erhöht sich das RLV des Arztes, das sich gemäß Nr. 4.3.1 RLV-V aus der Multiplikation des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen arztgruppenspezifischen Fallwertes mit der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal und dem Morbiditätsfaktor im Sinne der Nr. 4.3.2 RLV-V ergibt.
Durch die Festlegung solcher arzt-und praxisbezogenen RLV soll gemäß § 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis verhindert werden. Satz 2 dieser Vorschrift definiert ein RLV als die von einem Arzt oder der Arztpraxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung enthaltenen und für den Arzt oder die Arztpraxis geltenden Preisen zu vergüten ist. Die das RLV überschreitende Leistungsmenge ist gemäß Satz 3 mit abgestaffelten Preisen zu vergüten; hiervon kann nur bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten kann abgewichen werden. Neben den in Satz 6 aufgeführten antragspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen, die außerhalb der RLV zu vergüten sind, ist eine Vergütung weiterer vertragsärztlicher Leistungen außerhalb der RLV zulässig, wenn diese Leistungen besonders gefördert werden sollen oder soweit dies medizinisch oder auf Grund von Besonderheiten bei Veranlassung und Ausführung der Leistungserbringung erforderlich ist. Dieser gesetzgeberischen Konzeption entsprechend sind die vertragsärztlichen Leistungsanforderungen nur ausnahmsweise nicht dem RLV zugeordnet.
Sowohl für den hausärztlichen als auch für den fachärztlichen Versorgungsbereich sieht Nr. 5 RLV-V bestimmte, in ihrer Anlage 2 definierte Leistungsbereiche vor, für die der Arzt ein weiteres Honorarvolumen erhält, das ihm für die Abrechnung der genannten Leistungen zusätzlich zur Verfügung steht, wenn er mindestens eine Leistung des entsprechenden Leistungsbereichs im aktuellen Quartal abrechnet und über die entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen verfügt (sog. Qualitätszuschlag). Dieses Honorarvolumen ergibt sich aus der Multiplikation seiner RLV-relevanten Fallzahl des entsprechenden Vorjahresquartals mit dem hinter dem Leistungsbereich ausgewiesenen Betrag. Zu den Leistungsbereichen, für die ein Hausarzt unter den genannten Voraussetzungen einen solchen qualitätsgebundenen Fallwertzuschlag erhält, gehören u.a. Kleinchirurgie, Langzeit-EKG, Langzeit-Blutdruckmessung, Spirometrie, Ergometrie und Sonographie. Insoweit hat die Klägerin auch jeweils das entsprechende weitere Honorarvolumen erhalten. Was den Leistungsbereich Sonographie angeht, umfasst dieser allerdings nicht die vorliegend als Praxisbesonderheit geltend gemachten Leistungen nach GOP 33022. Denn er beinhaltet ausschließlich diejenigen sonographischen Leistungen, deren GOP bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen von den in der Präambel 3.1 zum Kapitel "Hausärztlicher Versorgungsbereich" genannten Vertragsärzten gemäß Ziffer 5 der Präambel zulässiger Weise abgerechnet werden können, erfasst diese GOP dann aber ausnahmslos.
Im fachärztlichen Versorgungsbereich führt die RLV-V in Anlage 1 Nr. 2 ab II/2009 bei der Differenzierung der Arztgruppen nach Qualifikationsmerkmalen bei der Gruppe "Übrige fachärztlich tätige Internisten" auch das Qualifikationsmerkmal "Sonographie" auf, und zwar u.a. mit der GOP 33022.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nun darin, dass die Klägerin aus Sicherstellungsgründen eine dem fachärztlichen Versorgungsbereich zugeordnete Leistung erbringen darf, als hausärztliche Internistin dafür aber nicht von der für die "übrigen" fachärztlichen Internisten insoweit vorgesehenen Differenzierung dieser Arztgruppe profitieren kann. Dies stellt sich umso weniger als in sich schlüssig dar, als der Zuschlag, den Hausärzte erhalten, ausnahmslos alle sonographischen Leistungen erfasst, die sie nach den Zuordnungen des EBM abrechnen dürfen und das RLV der Klägerin mit Leistungsanforderungen nach GOP 33022 aufgefüllt wird, die für ihre Arztgruppe untypisch sind. Mit dieser Besonderheit des Einzelfalles hätte sich der Vorstand zumindest auseinandersetzen müssen, um danach zu entscheiden, ob und ggf. wie er ihr Rechnung tragen will. Da es hieran in dem angefochten Beschluss fehlt, ist dieser mit der Folge einer Verpflichtung zur Neubescheidung aufzuheben.
Darüber hinaus erachtet es die Kammer aber auch für fehlerhaft und den Vorstandsbeschluss insoweit für rechtswidrig und nichtig, als danach bei der Prüfung der Überschreitungshöhe auf das Jahr 2008 abzustellen ist. Ganz abgesehen davon, dass dies für solche Praxen nicht passt, die erst im Jahr 2009 eröffnet worden sind, wird diese Vorgehensweise dem Sinn der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten nicht gerecht. Während die Vorabzuweisung von RLV hinsichtlich Fallzahl und Morbiditätsfaktor auf der gewachsenen Situation der jeweiligen Praxis im Vorjahresquartal aufbaut und unter Multiplikation mit dem arztgruppenspezifischen Fallwert diese Situation prognostisch fortschreibt (dass dies zulässig ist, steht mit Blick auf das Urteil des BSG vom 17.07.2013, Az.: B 6 KA 44/12 R, außer Frage), beruhen die insoweit notwendigen Ausnahmeregelungen auf der Erkenntnis, dass im Einzelfall die tatsächliche Entwicklung im aktuellen Abrechnungsquartal von dieser Prognose in einem Ausmaß abweichen kann, bei dem es unzumutbar erschiene, an dem vorher zugewiesenen RLV festzuhalten. Dementsprechend müssen diese Ausnahmeregelungen immer einen Bezug zum aktuellen Abrechnungsquartal aufweisen. So beurteilt sich die Frage nach einem Zuschlag auf das RLV durch Erhöhung der Fallzahl gemäß Nr. 4.4.1 RLV-V nach einem Vergleich der Fallzahlen des Vorjahresquartals mit denen des aktuellen Quartals. Auch die Frage nach Stützmaßnahmen für überproportionale Honorarverluste lässt sich nicht beantworten, ohne die Entwicklung im aktuellen Quartal in den Blick zu nehmen. Im Übrigen hängt auch die Gewährung von Qualitätszuschlägen gemäß Nr. 5 RLV-V, davon ab, ob mindestens eine Leistung des entsprechenden Leistungsbereichs im aktuellen Quartal erbracht worden ist. Nach alledem kann es nicht angehen, dass das Leistungsverhalten des Arztes im aktuellen Quartal für die Frage, ob er für dieses Quartal wegen Praxisbesonderheiten einen Zuschlag auf den durchschnittlichen Fallwert seiner Arztgruppe erhält, irrelevant ist. Dass sich für die Klägerin deutlich günstigere Überschreitenswerte ergeben hätten, wenn die Beklagte bei dem Vergleich der Fallwerte auf das Jahr 2009 abgestellt hätte, erscheint allerdings eher zweifelhaft, kann aber letztlich dahinstehen, weil der angefochtene Bescheid jedenfalls aus den oben dargestellten Gründen wegen eines Ermessensdefizits aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Erstellt am: 28.06.2017
Zuletzt verändert am: 28.06.2017