NZB als unzulässig verworfen
Auf das Teil-Anerkenntnis der Beklagten wird diese verurteilt, wegen unangemessener Dauer der Verfahren S 16 KR 486/10 (SG Münster) unter Einbeziehung des Berufungsverfahrens L 1 KR 821/12 (LSG NRW) und der verbundenen Verfahren S 11 KR 103/07 sowie S 11 KR 170/07 (jeweils SG Münster) dem Kläger eine Entschädigung von 2.500,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Entschädigung aus Staatshaftungsrecht nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht die unangemessene Dauer der Gerichtsverfahren S 16 KR 486/10 Sozialgericht (SG) Münster und L 1 KR 821/12 (LSG Nordrhein-Westfalen) geltend.
In diesem Rechtsstreit hat der Kläger mit seiner am 27.04.2007 beim SG Münster erhobenen Klage zunächst Krankengeld für die Zeit vom 20.09.1996 bis 17.05.1997 begehrt (Az. S 11 KR 103/07). Nach Eingang der Klageerwiderung und Schriftwechsel erhob er am 27.07.2007 weitere Klage mit dem Ziel der Krankengeldzahlung für die Zeit vom 15.09.1995 bis 04.06.1996 (S 11 KR 170/07). Die beiden Verfahren wurden verbunden. Die Klageerwiderung wurde dem Kläger zur Kenntnis übersandt (Verfügung vom 10.08.2007). Danach bestimmte der Kammervorsitzende mehrere Wiedervorlagefristen bis zum 02.06.2008. Nachdem die Akten zum Arbeitslosengeldbezug beigezogen worden waren, verfügte der Kammervorsitzende am 12.06.2008 Wiedervorlage auf den 02.09.2008 und schrieb die Sache sodann zur Sitzung. Am 12.04.2010 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 27.05.2010. Diese wurde zwecks weiterer Ermittlungen vertagt. Nach weiterem Schriftwechsel erhob der Kläger am 31.08.2010 eine dritte Klage, mit der er Krankengeld für die Zeit vom 18.05.1997 bis 07.03.2005 begehrte (Az. S 17 KR 437/10). Nach Eingang der Klageerwiderung und weiterem Schriftwechsel wurden die Klagen mit Beschluss vom 06.10.2010 unter dem Az. S 11 KR 486/10 verbunden. Vom 22.11.2010 bis 09.12.2010 befanden sich die Streitakten zur Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft. Auf Anfrage vom 14.04.2011 erklärte der Kläger am 26.04.2011 sein Einverständnis zur Beiziehung der Akten der Arbeitsagentur. Letztere teilte am 10.05.2011 mit, dass die Akten betreffend die Jahre 1995 bis 2005 bereits vernichtet seien. Nach Ladung vom 26.06.2011 zum 31.08.2011 und Umladung vom 16.08.2011 auf den 31.08.2011 aus dienstlichen Gründen wurde die Streitsache wegen Erkrankung des Kammervorsitzenden am 24.10.2011 abgeladen. Am 17.11.2011 bestellte sich eine Rechtsanwältin für den Kläger als Prozessbevollmächtigte und beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) und Akteneinsicht. Beides wurde am nächsten Tag gewährt und ein Termin für den 26.01.2012 angekündigt. Am 09.12.2011 sandte die Bevollmächtigte die Akten zurück. Nach Ladung vom 06.01.2012 für den 26.01.2012 entzog der Kläger seiner Bevollmächtigten am 16.01.2012 die Vollmacht und teilte dem Gericht auf Nachfrage am 19.01.2012 mit, dass er keinen neuen Anwalt wolle und der Termin stattfinden könne. Die mündliche Verhandlung vom 26.01.2012 wurde vertagt, weil der Kläger nach Ansicht des Gerichts erstmals vortrug, eine Arbeitsunfähigkeit sei bereits am 04.11.1996 förmlich festgestellt worden. Dem Kläger wurde aufgegeben, eine lesbare Kopie der Bescheinigung aus T vom 04.11.1996, auf die er sich in der Verhandlung bezogen hatte, vorzulegen. Er übersandte am 30.01.2012 weitere Unterlagen und führte u.a. aus, er sei nicht mehr bereit hinzunehmen, dass sein Fall unendlich in die Länge gezogen werde und er auf ein Urteil auf unbestimmte Zeit warten müsse. Es folgte weiterer Schriftwechsel. Am 26.03.2012 rügte der Kläger mit "Beschwerde wegen Untätigkeit (Verfahrensverzögerung)" die Verfahrensdauer. Nach Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH, Gewähren von Akteneinsicht, Auskunft der deutschen Botschaft in Mazedonien und Einholen von Übersetzungen aus dem Mazedonischen fand zum 01.08.2012 geschäftsverteilungsplanmäßig ein Zuständigkeitswechsel statt. Am 03.08.2012 wurden die Beteiligten gefragt, ob einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt werde. Nachdem sich am 06.08.2012 ein weiterer Prozessbevollmächtigter für den Kläger gemeldet und Akteneinsicht genommen hatte, lagen am 05.10.2012 die Einverständniserklärungen vor. Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 13.11.2012 sprach das SG dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 20.09.1996 bis 20.02.1997 zu und wies die Klage im übrigen ab. Am 15.11.2012 wurde das Urteil den beiden Prozessbevollmächtigten zugestellt. Am 12.12.2012 legte der Kläger Berufung ein. Auf die Berufungsbegründung vom 16.01.2013, Antrag auf PKH und zwei weiteren Stellungnahmen erfolgte am 07.02.2013 die Berufungserwiderung. Nach einer neuerlichen Stellungnahme rügte der Kläger erstmals am 11.03.2013 mit ausdrücklich so benannter Verzögerungsrüge die Dauer des Berufungsverfahrens. Im April, Mai, Juni und Oktober 2013 erhob der Kläger weitere Verzögerungsrügen. Mit Schreiben vom 27.03.2013, eingegangen beim LSG am 02.04.2013, beantragte er einstweiligen Rechtsschutz, da ihm ein längeres Abwarten nicht mehr zumutbar sei.
Nachdem der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, wurde der Antrag am 22.04.2013 abgelehnt und dem Kläger für das Hauptsacheverfahren PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt N bewilligt. Nach weiteren vom Kläger selbst gefertigten Stellungnahmen bat Rechtsanwalt N am 10.05.2013 um Akteneinsicht, die am 17.05.2013 bis zum 08.06.2013 gewährt wurde. Vom 02.07.2013 bis 02.08.2013 befanden sich die Streitakten wegen einer vom Kläger eingereichten Petition bei der Gerichtsverwaltung. Nach gerichtlicher Erinnerung vom 02.07.2013 trug der Prozessbevollmächtigte erstmals am 04.07.2013 zur Sache vor. Allein im Juli 2013 übersandte der Kläger persönlich 11 Schriftsätze an das Gericht. Am 07.08.2013 entzog der Kläger seinem Prozessbevollmächtigten die Vollmacht. Am 03.09.2013 erfolgte – auch hinsichtlich des am 15.08.2013 erhobenen weiteren Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz – eine Ladung zu einem Erörterungstermin am 24.09.2013, in dem der Kläger einen Schnellhefter mit selbstverfassten Schreiben und Anlagen überreichte. Im Nachgang übersandte er weitere Schriftsätze und beantragte im November 2013 die Beiordnung eines neuen Bevollmächtigten, die am 19.11.2013 erfolgte. Am gleichen Tag wurde die Streitsache für die mündliche Verhandlung am 17.12.2013 geladen. Nach Akteneinsicht bis 05.12.2013 nahm der neue Prozessbevollmächtigte am 11.12.2013 Stellung. Auf die mündliche Verhandlung vom 17.12.2013 gab die Beklagte ein Teilanerkenntnis ab, das der Kläger annahm. Im Übrigen wurde die Berufung durch Urteil zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde vom Bundessozialgericht (BSG) am 10.04.2014 als unzulässig verworfen.
Am 04.06.2014 hat der Kläger das Land Nordrhein-Westfalen auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 16.300,00 EUR verklagt. Das SG habe seine Verzögerungsrügen nicht beachtet und das Verfahren ohne Grund in die Länge gezogen. Er habe daher menschenunwürdig leben müssen. Er beantrage eine Entschädigung in Höhe von 2.400 EUR jährlich für die Zeit vom 27.10.2007 bis 17.12.2013 zzgl. Zinsen und eine Entschädigung für materiellen Schaden wie Druckerpapier, Kopierkosten, Farbpatronen, Porto- und Schreibkosten in Höhe von 1.500,00 EUR. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er seine Forderung schließlich auf 1.043.200,00 EUR erhöht.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Entschädigung in Höhe von 1.043.200,00 EUR wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens S 16 KR 468/10 (SG Münster) unter Einbeziehung des Berufungsverfahrens L 1 KR 821/12 (LSG NRW) zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es sei zu berücksichtigen, dass es nicht um laufende Sozialleistungen sondern ausschließlich um einen Krankengeldanspruch für die Vergangenheit gegangen sei. Zudem falle es in den Verantwortungsbereich des Klägers, dass er eine Vielzahl z.T. sehr umfangreicher eigener Schriftsätze eingereicht habe, obwohl ihm im Rahmen der PKH ein Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin beigeordnet gewesen sei, dass die Verfahrensakten aufgrund des Entzugs der Prozessvollmacht an zwei Prozessbevollmächtigte zur Akteneinsicht übersandt wurden und die Stellungnahme des zweiten Bevollmächtigten erst über zwei Monaten nach Beiordnung beim SG eingegangen sei, sowie dass die Verfahrensakten aufgrund der Dienstaufsichtsbeschwerden und Petition sowie Übersendung an die Staatsanwaltschaft zeitweise der richterlichen Bearbeitung entzogen gewesen seien. Das Berufungsverfahren habe knapp 12 Monate gedauert und sei damit nicht überdurchschnittlich lang gewesen. Im gleichen Zeitraum sei auch über zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss entschieden worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Akten der Ausgangsverfahren S 11 KR 486/10 und L 1 KR 821/12 Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und im Übrigen zulässige Klage (nachfolgend I.) ist nur im Umfang des Teilanerkenntnisses begründet. Darüber hinaus hat der Kläger gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Verfahrens S 11 KR 486/10 (SG Münster) / L 1 KR 821/12 (LSG Nordrhein-Westfalen) (nachfolgend II.)
I.
Für eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind § 198 Abs. 1 GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I 2554), maßgebend.
Davon ausgehend gilt:
1. Nach Art. 23 Satz 1 ÜGG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die – wie vorliegend – bei Inkrafttreten am 03.12.2011 bereits anhängig waren.
2. Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zuständig. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.
Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; die streitgegenständlichen Verfahren S 11 KR 486/10 (SG Münster) und L 1 KR 821/12 (LSG Nordrhein-Westfalen) wurden im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geführt.
3. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -; Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2014 – L 10 SF 11/14 EK -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2014 – L 2 SF 3228/13 EK -).
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Das beklagte Land ist entsprechend dem vom Kläger in der in der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2015 nicht angenommenen Teilanerkenntnis zur Zahlung von 2.500,00 EUR verpflichtet; im Übrigen ist die Klage unbegründet. Das Ausgangsverfahren hat unangemessen lang gedauert (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Insgesamt beläuft sich die Phase der Unangemessenheit auf zwei Jahre und einen Monat.
1. Haftungsauslösend ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 SGG).
a) Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -). Auf die Frage, ob der zuständige Richter pflichtwidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Gleichermaßen unerheblich ist, ob sonstige Justizgewährungsgaranten wie Angehörige der Exekutive (Justizverwaltung, Gerichtsleitung, Landesregierung) oder der Landtag Nordrhein-Westfalen als zuständiges Legislativorgan es pflichtwidrig oder schuldhaft unterlassen haben, dem SG personelle Kapazitäten in einem Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht werdenden Umfang zuzuweisen.
b) Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§198 Abs. 2 Satz 1 GVG).
aa) Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Andernfalls werden diese Umstände von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Abs. 2 Satz 5 GVG).
Die Verzögerungsrüge hat eine Doppelnatur. Sie ist materielle Anspruchsvoraussetzung (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B -; LSG Thüringen, Urteil vom 26.11.2013 – L 3 SF 1135/12 EK -; LSG Bayern, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 SF 134/12 EK -), kombiniert mit Elementen einer Prozesshandlung (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Ohne wirksame Verzögerungsrüge entsteht der Entschädigungsanspruch nicht (Senat, Beschluss vom 17.12.2014 – L 11 SF 832/14 EK AS PKH -).
(1) Eine diesen Anforderungen genügende Verzögerungsrüge hat der Kläger am 30.01.2012 erhoben. § 198 Abs. 3 Sätze 1 und 3 GVG regeln die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Verzögerungsrüge. Diese Anforderungen sind niedrig gefasst und orientieren sich daran, dass die Rüge keinen eigenständigen Rechtsbehelf, sondern nur eine Obliegenheit als Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch darstellt. Es ist keine ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung erforderlich; sie muss mit ihrem Inhalt zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist (Ott, in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Auflage, 2013, § 198 GVG Rdn. 208 f.; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Indes kann auch nicht jegliche Bezugnahme auf die Verfahrensdauer oder jede Sachstandanfrage als Rüge i.S.d. § 193 Abs. 3 GVG angesehen werden (Senat, Urteil vom 09.07.2014 – L 11 SF 333/13 EK P -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.02.2015 – L 38 SF 66/14 EK AS -; LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 49/13 EK -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.11.2013 – L 11 SF 25/12 EK U; Ott, a.a.O.). Maßgebend für die Auslegung ist die auch im öffentlichen Recht (entsprechend) anwendbare Regelung des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Äußerung eines Verfahrensbeteiligten erreicht hiernach nur dann die Qualität einer Verzögerungsrüge, wenn sämtliche Voraussetzungen für eine Willenserklärung vorliegen (hierzu Arnold, in Erman, BGB, 14. Auflage, 2014, vor § 133 Rdn. 2 ff.). Das sind der Handlungswille, das Erklärungsbewusstsein (Rechtsbindungswille) und der Geschäftswille (Rechtsfolgewille).
Diese drei Elemente sind gegeben. Der Kläger hat mit seinem Schreiben vom 30.01.2012 zum Ausdruck gebracht, dass das Verfahren seines Erachtens ohne Grund in die Länge gezogen werde und er dies nicht länger hinnehmen wolle. Der Handlungswille ist unproblematisch. Der Rechtsbindungswille betrifft das Bewusstsein des Handelnden, dass sein Verhalten irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt (Arnold, in Erman, a.a.O., vor § 133 Rdn. 4). Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Kläger eine Rechtswirkung erzeugen wollte. Der Rechtsfolgewille bezeichnet den Willen, mit der Erklärung eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen (Arnold, in Erman, a.a.O., vor § 133 Rdn. 5). In verobjektivierter Auslegung kann die Erklärung vom 30.01.2012 unter Berücksichtigung des aktenkundigen Umfeldes dahin verstanden werden, dass der Kläger aus laienhafter Sicht mit Blick auf das am 03.12.2011 in Kraft getretene ÜGG eine bestimmte Rechtsfolge setzen, nämlich eine rechtserhebliche Beschleunigungsaktivität bewirken wollte. Die inhaltlichen Voraussetzungen einer Willenserklärung sind damit erfüllt. Das Schreiben vom 30.01.2012 ist eine Verzögerungsrüge.
(2) Nach Art. 23 ÜGG gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert waren, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Die Rüge erfolgte "unverzüglich". Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern" (Arnold, in Erman, a.a.O., § 121 Rdn. 3). Hierbei handelt es sich um eine Legaldefinition, die für das gesamte Privatrecht wie auch für das öffentliche Recht gilt (Arnold, in Erman, a.a.O., § 121 Rdn. 3). Die Gesetzesbegründung zum ÜGG legt es nahe, diese Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 31). Damit gehört zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. Demnach ist "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss (BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B – m.w.N.). Bei der Bemessung der angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes zu beachten, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird. Hinzu kommt, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGG).
Davon ausgehend ist der Begriff "unverzüglich" in Art. 23 Satz 2 ÜGG weit zu verstehen; eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -) und des BGH (Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist. Diese Frist hat der Kläger mit seiner am 30.01.2012 eingegangenen Eingabe eingehalten.
Angesichts dessen kommt es auf die Rechtzeitigkeit der ausdrücklich als solche bezeichneten Rüge vom 26.03.2012 nicht an.
bb) Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist angesichts der Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, beginnend mit dessen Einleitung und endend mit dessen rechtskräftigem Abschluss. In die Beurteilung einzubeziehen ist daher der Zeitraum von der Klageerhebung beim SG am 27.04.2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss durch den die Zulassung der Revision ablehnenden Beschluss des BSG vom 10.04.2014.
Gegenstand des jeweiligen Ausgangsverfahrens ist ein vom Kläger geltend gemachter prozessualer Anspruch. Über diesen wird im Fall der Einlegung von Rechtsmitteln nicht nur in einer Instanz geurteilt. Da 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das ggf. entschädigungsrelevante Gerichtsverfahren in zeitlicher Hinsicht von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss bestimmt, kann eine Entscheidung darüber, ob das Haftungssubjekt (Bund und/oder Land) gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen (Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG), typischerweise erst dann getroffen werden, wenn das Ausgangsverfahren abgeschlossen ist. Insofern ist es durchaus denkbar, dass die verzögerte Bearbeitung in der einen Instanz durch eine besonders zügige Bearbeitung in einer anderen Instanz ganz oder teilweise kompensiert wird (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2014 – L 1 SF 16/13 ESV -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 03.07.2014 – L 37 SF 34/14 EK AL – und 04.09.2013 – L 37 SF 66/12 EK VG -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 – L 10 SF 5/12 ÜG -).
Die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens war auch mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (1). Hierdurch hat der Kläger einen nicht auf andere Weise wiedergutzumachenden immateriellen Nachteil erlitten (2), wofür ihm eine Entschädigung in Höhe von 2.500,00 EUR zu zahlen ist (3).
(1) Die Dauer des Ausgangsverfahrens war bei der gebotenen Gesamtabwägung unter Einbeziehung der Gesamtverfahrensdauer im Umfang von 25 Monaten unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
(a) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Feste Zeitvorgaben sind mit § 198 GVG nicht vereinbar. Die Vorschrift verbietet es nachgerade, die Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Hilfe von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme, Erfahrungswerten oder auf statistisch basierten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; so auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; Urteil vom 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV; LSG Thüringen, Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1147/12 EK -). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach der sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet, folgt überdies aus der Gesetzesbegründung, wonach eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 18; insoweit unzutreffend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, wonach statistischen Daten eine Indizwirkung zukommen soll; abgrenzend hierzu BSG, Beschluss vom 16.12.2013 – B 10 ÜG 13/13 B -). Auch die als Auslegungshilfe mit Orientierungsfunktion heranzuziehende Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 -) lässt nicht ansatzweise den Schluss zu, der Gerichtshof habe feste Vorgaben entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Sachverhalt wird auf der Grundlage der immer wiederkehrenden Eingangsformel
"Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu beurteilen ist: Komplexität der Rechtssache, Verhalten des Beschwerdeführers sowie der zuständigen Behörden und Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer (siehe u.v.a. Frydlender./. Frankreich [GK], IndividualbeschwerdeNr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII)."
einer individuellen Betrachtung unterzogen (z.B. EGMR, Urteil vom 13.10.2011 – 37264/06 – (Mianowicz/Deutschland); Urteil vom 22.09.2011 – 28348/09 – (Otto/Deutschland); Urteil vom 21.07.2011 – 21965/09 – (Bellut/Deutschland); Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Es gibt weder eine feste zeitliche Grenze noch hat der EGMR eine allgemeine Höchstdauer für Verfahren einer bestimmten Art definiert (vgl. Mayer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage, 2011, Art 6. Rdn. 199; Meyer, in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 6 Rdn. 76). So hat der EGMR eine Verfahrensdauer von zwölf Jahren und sieben Monaten durch mehrere Instanzen einschließlich des Kosten- und Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage und des Verhaltens des Beschwerdeführers als angemessen bewertet (EGMR, Urteil vom 04.02.2010 – 13791/06 – (Gromzig/Deutschland)). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft ("insbesondere") solche Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drucks. 17/3802, S. 18), nämlich die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(b) Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsträger und Haftungssubjekt ist zwar verpflichtet, die Justiz so zu organisieren und mit Personal und sächlichen Mitteln auszustatten, dass die Gerichte in der Lage sind, Rechtsschutz in einer den Vorgaben von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK inhaltlich richtig und zeitnah zu gewähren. Versäumt das Land, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, haftet es nach den Maßgaben des § 198 GVG für dem jeweiligen Beteiligten entstandene materielle und/oder immaterielle Nachteile. Andererseits ist das Land nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -).
(c) Die Verfahrensdauer ist demnach unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -).
(aa) In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ergeben sich bei einer Verfahrensdauer von ca. 66 vor dem SG bzw. 81 Monaten bis zur Urteilszustellung durch das LSG als zunächst sog. "inaktive Zeiten"
– die Zeit vom 10.08.2007 bis 02.06.2008,
– die Zeit vom 12.06.2008 bis 27.05.2010,
– die Zeit vom 06.10.2010 bis 14.04.2011 und
– die Zeit vom 10.05.2011 bis 17.11.2011, mithin 44 Monate.
Das Berufungsverfahren ist zügig durchgeführt worden. Entschädigungserhebliche Inaktivitäten sind nicht feststellbar.
(bb) Die vorgenannten 44 Monate im erstinstanzlichen Verfahren sind jedoch nicht gleichzusetzen mit der Feststellung, dass die Verfahrensdauer um drei Jahre und acht Monate unangemessen lang war. Eine ggf. durch inaktive Zeiten bedingte statistische "Überlänge" hat keinen Bezug zur rechtserheblichen Fragestellung, ob das Ausgangsverfahren unangemessen gedauert hat. Es ist vielmehr im Rahmen einer Gesamtabwägung insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden. Maßgeblich ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -; Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -; BSG, Urteil vom 03.09. 2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Gerichte sind überdies wegen des Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) berechtigt, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG,Urteil vom 03.09. 2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.2015 – 4 EK 3/14 -). Inhaltliche Richtigkeit geht wegen Art. 20 Abs. 3 GG vor Schnelligkeit. (cc) Unerheblich ist, ob das SG das Verfahren aus Sicht ex-post (hierzu BT-Drucks.17/3802, S. 18) optimal gefördert hat. Es ist nicht die Aufgabe des Entschädigungsgerichts, jede richterliche Verfahrenshandlung darauf zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich ex-post als verfahrensfördernd oder -hemmend darstellt. Anspruchsauslösend sind vom Haftungssubjekt zu vertretenes Systemversagen und/oder strukturelle Defizite (zutreffend LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; hierzu auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2014 – L 12 SF 47/13 EK U WA – zu strukturellen Defiziten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern), nicht aber etwaige richterliche Pflichtwidrigkeiten (hierzu BT- Drucks. 17/3802, S. 19). Schon im Ansatz verfehlt sind daher Überlegungen danach, richterliche Verfahrensgestaltung auf "Vertretbarkeit" mit der Folge zu prüfen ist, dass eine nicht vertretbare Maßnahme entschädigungsrelevant ist. Abgesehen davon, dass sich insoweit eine Kollisionslage mit Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und § 26 Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben kann (hierzu mit Blick auf die Untätigkeitsbeschwerde Bäcker, EuGRZ 2011, 222, 224 und Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177, 196 f.; zum weiten richterlichen Gestaltungsspielraum siehe auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -), verkennen die eine schlichte Vertretbarkeitsprüfung präferierenden Entscheidungen (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2013 – 11 EK 4/13 (PKH) -; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 – 4 EntV 3/13 -, nachgehend BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) Sinn- und Zweck der §§ 198 ff. GVG. Im Gegensatz zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB knüpft der Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht an Handlungs- sondern an Erfolgs"unrecht" an. Damit verbietet sich jede Prüfung richterlicher Verfahrensgestaltung dahin, ob sie (noch) vertretbar ist. Im Übrigen werden die vom BGH entwickelten Vertretbarkeitsmaßstäbe verkannt. Mitnichten prüft der BGH richterliche Verfahrenshandlungen auf "schlichte" Vertretbarkeit. Die vom BGH verwendete Formel lautet vielmehr: "Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ( …). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13, juris Rn. 30)." Diese qualifizierte Vertretbarkeitskontrolle ("nicht mehr verständlich") ist ein offenkundiges aliud zur gelegentlich vorausgesetzten, Sinn und Zweck des Entschädigungssystem der §§ 198 ff. GVG allerdings verkennenden schlichten Vertretbarkeitsprüfung (Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -). Ein "nicht mehr verständliches Verhalten" des SG hat der Kläger nicht aufgezeigt (zur Substantiierung des Klagevorbringens siehe auch OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -); es liegt auch – offenkundig – nicht vor. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht daher ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 -) bzw. "nicht mehr verständlich" ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Das BSG hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten eingeräumt werden könne, sodass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -; LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2014 – L 1 SF 15/13 ESV -). Hiernach ist bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren angesichts des Auslandsbezugs und der großen Zahl von inhaltlich unübersichtlichen und mit diversen Anlagen versehenen klägerischen Schriftsätze, die mit für das Verfahren unerheblichem Sachvortrag durchmischt waren, umfangreich war. Außerdem standen keine besonders eilbedürftigen Ansprüche in Rede. Auch wenn der Kläger immer wieder auf seine schlechte finanzielle Situation hinwies, ging es im Ausgangsverfahren nicht um laufende Leistungen, sondern um eine Nachzahlung für die Vergangenheit, die allenfalls vorübergehend seine wirtschaftliche Situation verbessern konnte. Die behauptete wirtschaftliche Notlage hing nicht mit diesem, sondern mit einem anderen, hiervon unabhängigen Verfahren zusammen, das vor einer anderen Kammer des SG mit anderen Beteiligten geführt wurde. Daher kann im Ergebnis nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls eine Zeit des Stillstands von zwölf Monaten noch nicht zu der Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer führen.
Die sich danach errechnende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des erstinstanzlichen Verfahrens im Umfang von zwei Jahren und acht Monaten ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das zügige Berufungsverfahren um rund sieben Monate zu reduzieren. Denn das LSG hat den Rechtsstreit wesentlich früher erledigt, als es dies bei Berücksichtigung des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums hätte tun müssen, um das Verfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.
Über die am 12.12.2012 eingelegte Berufung hat das LSG bereits am 17.12.2013 entschieden. In der Zwischenzeit hat es zusätzlich über zwei, den gleichen Sachverhalt betreffende Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz des Klägers beschlossen. Dem beklagten Land nicht zuzurechnende Verfahrensverzögerungen entstanden dadurch, dass aufgrund der Vollmachterteilung durch den Kläger innerhalb eines Jahres zwei Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht zu gewähren war und die erste Stellungnahme des zunächst beigeordneten Rechtsanwalts erstmalig nach Erinnerung im Juni 2013 erfolgte. Bereits am 17.12.2013 fand die mündliche Verhandlung statt, obwohl der Kläger erst im November 2013 entgegen vorheriger Ankündigung die Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten beantragte und diesem Akteneinsicht bis zum 05.12.2013 gewährt wurde. Darüber hinaus hat das LSG während des Berufungsverfahrens neben dem im Erörterungstermin überreichten Hefter insgesamt mehr als 100 vom Kläger selbst verfasste, eng beschriebene Seiten nebst noch umfangreicherer Anlagen berücksichtigt und beantwortet. Angesichts dessen war dem LSG im konkreten Fall für seine Entscheidung mit Rücksicht auf den gerichtlichen Spielraum bei der Verfahrensgestaltung eine mehrere Monate umfassende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einzuräumen. Selbst wenn diese nicht die regelmäßig akzeptierte Zeitspanne von 12 Monaten umfasste, weil das LSG angesichts der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz zu einer schnelleren Bearbeitung gezwungen war, halbierte sich die Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht.
Nach alledem wäre die Verfahrensdauer vor dem LSG noch angemessen gewesen, wenn es die im Dezember 2012 eingegangene Sache im Spätsommer 2014 abgeschlossen hätte. Das LSG hat aber über die Berufung mit Urteil vom 17.12.2013 entschieden und das Berufungsverfahren somit sieben Monate vor Ablauf des hier anzunehmenden Gestaltungszeitraums zum Abschluss gebracht. Dieser Zeitraum ist auf die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens mindernd anzurechnen (vgl. zur Kompensation BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 D -).
Hingegen vermag die hohe Belastung des zuständigen Gerichts – wie hier – die lange Verfahrensdauer nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 1 BvR 331/10 -). Der Entschädigungsanspruch richtet sich gegen das Land Nordrhein-Westfalen als für die personelle Ausstattung der Justiz verantwortlichen Justizgewährungsträger. Dem Land obliegt es gegenüber dem Rechtsschutzsuchen, Gerichte sowohl qualitativ als auch quantitativ so auszustatten, dass es nicht zu überlangen Verfahren kommt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.02.2013 – L 12 SF 3/12 EK AL -). Es hat daher seine Justiz so zu organisieren und auszustatten, dass die Richter/innen die ihnen anvertraute Rechtsprechung (Art. 92 Halbs. 1 GG) in einer den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK genügenden Weise ausüben, nämlich wegen der durch Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Bindung des Richters an Gesetz und Recht zuvörderst inhaltlich richtig, aber auch zügig entscheiden können. Der aus diesen Normen hergeleitete Anspruch bindet Legislative und Exekutive und unterliegt insbesondere keinem Finanzierungsvorbehalt. Der Staat ist verpflichtet, sämtliche notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit Gerichtsverfahren zügig beendet werden können. Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber haben daher die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen, um einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 -; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009 – VfGBbg 30/09 – und Beschluss vom 13.04.2012 – VfGBbg 54/11 – zu Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung). Die infolge der hohen Belastung des SG eingetretenen Verfahrensverzögerungen sind daher dem Haftungssubjekt zuzurechnen.
c) Weitere Voraussetzung für den verfolgten Entschädigungsanspruch ist, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Wie das BSG bereits entschieden hat (Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Die Bedeutung des Verfahrens war objektiv durchschnittlich, aus Sicht des Klägers überdurchschnittlich.
d) Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet.
aa) Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Entschädigung kann nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Die Entschädigung beträgt 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Ist dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG).
Nachteil i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sind u.a. sämtliche immateriellen Folgen eines unangemessen dauernden Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere eine durch die lange Verfahrensdauer bedingte seelische Unbill (BT-Drucks 17/3802, S. 19). Ein zu entschädigender Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG (BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) zu widerlegen, sind nicht ersichtlich und auch nicht vom beklagten Land vorgetragen. Umgekehrt hat der Kläger keine Tatsachen benannt, die den Betrag gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG als unangemessen niedrig erscheinen lassen.
bb) Einen durch die Verfahrensverzögerung verursachten materiellen Schaden hat der Kläger nicht dargelegt. Die Kosten für die Korrespondenz mit dem Gericht (Papier, Drucker, Porto etc.) wären auch bei schnellerem Verfahrensgang entstanden.
Nach alledem konnte die Klage nur im tenorierten Umfang Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Sie berücksichtigt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat das Angebot des beklagten Landes nicht angenommen hat und statt dessen eine Entschädigung von 1.043.200,00 EUR begeht hat. Das Unterliegen des beklagten Landes ist bezogen hierauf rechnerisch bedeutungslos.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 15.12.2015
Zuletzt verändert am: 15.12.2015