Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11. September 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ab 01.04.1999.
Der am 07.11.1994 geborene Kläger ist seit Mai 1997 an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus erkrankt. Nach einem Wechsel des Klägers von der Barmer Ersatzkasse zur Beklagten bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 02.12.1997 – nach Auswertung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10.11.1997 – Pflegegeld nach Stufe I ab 06.12.1997. In dem betreffenden Gutachten hat Dr. H … die Einstufung damit begründet, der Kläger benötige bei mundgerechter Zubereitung und bei der Nahrungsaufnahme zu verschiedenen Tageszeiten mehrfach Hilfe, der hierfür erforderliche Zeitaufwand betrage 50 Minuten im Tagesdurchschnitt. Da innerhalb der nächsten 12 Monate mit Kindergartenbesuch gerechnet werden könne, müsse dann auch eine gewisse Eigenständigkeit in lebenspraktischen Dingen vorausgesetzt werden. Daraus ergebe sich, dass sich bald ein gewisses Krankheitsverständnis entwickeln könne, so dass eine Wiederholungsuntersuchung nach Ablauf von 12 Monaten empfohlen werde.
In seiner Begutachtung vom 17.11.1998 stellte Dr. H … des MDK fest, der vierjährige Kläger benötige einmal täglich Hilfe im Bereich der Ausscheidungsfunktionen und einmal täglich bei der Nahrungsaufnahme. Der hierfür erforderliche Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege betrage 15 Minuten im Tagesdurchschnitt. Bei deutlich feststellbarer Stabilisierung der Krankheitsbewältigung sei ein grundpflegerischer Mehrbedarf im Sinne der erheblichen Pflegebedürftigkeit jetzt nicht mehr ermittelbar. Die Beklagte hörte den Kläger hierzu mit Schreiben vom 11.12.1998 an und holte zur Stellungnahme des Klägers ein Gutachten des MDK ein. Dr. B … bestätigte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 21.01.1999 das Vorgutachten. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit Bescheid vom 03.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1999 mit, die Leistung der Pflegestufe I würde nicht über den 31.03.1999 hinaus weitergewährt. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X), da sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnis sen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei.
Hiergegen hat der Kläger am 07.12.1999 Klage erhoben und diese insbesondere mit dem hohen Zeitaufwand beim Blutzuckermessen, den Insulingaben, der Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme begründet. Nur durch eine intensive Überwachung und Beobachtung könnten die Eltern des Klägers gesundheitliche Schäden abwenden. Wegen der Zeitangaben im einzelnen wird auf das vorgelegte Pflegetagebuch verwiesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 03.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1999 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Begründung der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat zu den Fragen der Beweisanordnung vom 11.05.2000 ein Gutachten eingeholt. Der Internist Dr. R … kam in seinem Gutachten nach Untersuchung des Klägers am 09.06.2000 zu dem Ergebnis, seit Februar 2000 bestehe ein durchschnittlicher täglicher Hilfebedarf von 7 Minuten. Zuvor sei ab April 1999 ein höherer Hilfebedarf bei der Darm- und Blasenentleerung zu berücksichtigen gewesen. Der Kläger sei regelmässig nachts mit einer Windel versorgt worden, wofür ein zusätzlicher Zeitaufwand von 6 Minuten anzusetzen gewesen sei.
Mit Urteil vom 11.09.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zum 31.03.1999 sei in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 02.12.1997 vorgelegen hatten, eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Kläger erfülle ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Stufe I nicht mehr. Die Kammer stütze sich hinsichtlich dieser Feststellungen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R … Entgegen der Auffassung des Klägers gehörten das Berechnen, das Zusammenstellen und Abwiegen der einzunehmenden Nahrung nicht zur Grundpflege, sondern zur Verrichtung des Kochens und seien damit der hauswirtschaftlichen Versorgung zugeordnet. Die Blutzuckertests, das Spritzen des Insulins, die Überprüfung und die erforderlichenfalls durchzuführende Behandlung der Injektionsstellen seien dem Bereich der Behandlungspflege zuzuordnen. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass der Kläger aufgrund des Diabetes mellitus einer ständigen allgemeinen Aufsicht und Betreuung durch die Eltern bedürfe. Diese habe aber bei der Bemessung des Pflegebedarfs außer Ansatz zu bleiben. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 20.09.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.10.2000 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, sein Hilfebedarf sei erheblich höher und müsse im Umfang des tatsächlichen Zeitaufwands berücksichtigt werden. Insbesondere müsse der hohe Aufsichts- und Betreuungsaufwand des Klägers schon wegen der mit seiner Erkrankung verbundenen Risiken berücksichtigt werden. Die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betreffe nur Einzelfälle und berücksichtige nicht, das verfahrensrechtliche Aspekte bei der Auslegung von Normen beachtet werden müßten. Der Kläger hat hierzu ein sogenanntes Diabetes-Info mit einer ausführlichen Darstellung des Tagesablaufs und Tagesprotokolle vom 01. bis 18.07.1999 vorgelegt.
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten hat der Kläger ergänzend vorgebracht, der von den Eltern geleistete Zeitaufwand müsse schon deshalb honoriert werden, da der bestehende stabile Gesundheitszustand nur durch die intensive Arbeit der Eltern erreicht werde. Im übrigen sei die von der Rechtsprechung vorgenommene Zuordnung von Blutzuckermessen und Insulingaben zur Behandlungspflege korrekturbedürftig.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.09.2000 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen, da er sie für unbegründet und eine mündliche Verhandlung vor dem Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten nicht für erforderlich hält. Der Sachverhalt, über den zu entscheiden ist, ist unstreitig. Der Kläger hat, insbesondere im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 06.09.2001 und die eingeräumte Schriftsatzfrist, ausreichend Gelegenheit gehabt, zur Rechtslage Stellung zu nehmen. Die Entscheidung konnte im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin ergehen, § 155 Abs. 3, 4 SGG.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Nach Auffassung des Senats durfte die Beklagte die mit Bescheid vom 02.12.1997 ausgesprochene Bewilligung von Pflegegeld nach Leistungsstufe I gemäss § 48 SGB X durch den angefochtenen Bescheid vom 03.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1999 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.04.1999 aufheben. Die Beklagte hat die Frist des § 48 Abs. 4 S. 2 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X eingehalten. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Zur Überzeugung des Senats ist der Kläger aufgrund seiner Altersentwicklung und der damit verbundenen gewachsenen Einsichtsfähigkeit ab dem 01.04.1999 nicht mehr in einem Umfang hilfebedürftig, der mehr als 45 Minuten Grundpflege täglich beträgt.
Zu dieser Auffassung gelangt der Senat in Auswertung der Gutachten des Dr. H … vom MDK einerseits nach Untersuchung am 10.11.1997 und andererseits nach Untersuchung am 17.11.1998 und in Auswertung des vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des Dr. R … nach Untersuchung am 09.06.2000. Bei der erstgenannten Untersuchung im November 1997 war der Kläger drei Jahre alt, zum Zeitpunkt der Wiederholungsuntersuchung vier Jahre alt und bei Wirksamwerden der Entziehung vier Jahre und vier Monate alt. Während Dr. H … bei seiner Untersuchung des Klägers im November 1997 gegenüber einem gesunden Kind noch einen Mehrbedarf von täglich 50 Minuten bei der mundgerechten Zubereitung und der Nahrungsaufnahme für notwendige gehalten hatte, hat er in seinem Gutachten von November 1998 festgestellt, der vierjährige körperlich und geistig altersgerecht und aufgeweckt entwickelte Junge habe bei der Nahrungsaufnahme weitgehende Selbständigkeit erlangt. Lediglich das morgendliche Füttern sei aufgrund zeitlicher Gegebenheiten noch nachvollziehbar. Derselbe Sachverständige hat in seiner Wiederholungsbegutachtung im Bereich der Ernährung lediglich noch 10 Minuten täglichen Mehrbedarf berücksichtigt. Obwohl er bei dieser Untersuchung erstmals für den Windelwechsel einmal täglich fünf Minuten angesetzt hat, errechnet sich der tägliche Mehrbedarf in der Grundpflege insgesamt mit nur 15 Minuten. Diese Beurteilung wird durch das von dem Internisten Dr. R … nach Untersuchung am 09.06.2000 erstattete Gutachten im wesentlichen bestätigt. Denn auch dieser Gutachter kommt für die streitige Zeit bis Februar 2000 lediglich zu einem gegenüber einem gesunden Kind feststellbaren Mehrbedarf in der Grundpflege von insgesamt 13 Minuten und im Anschluss daran sogar nur von 7 Minuten täglich. Darin enthalten ist bis Februar 2000 das tägliche Anlegen einer Windel mit sechs Minuten, danach nur noch das zwei- bis dreimal monatlich auftretende nächtliche Einnässen mit umgerechnet zwei Minuten täglich. Der morgendliche Zeitaufwand für das zusätzliche Auffordern zur Nahrungsaufnahme wird mit maximal fünf Minuten beziffert.
Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundessozialgerichts hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil das erforderliche Zubereiten der Diätnahrung nicht der Grundpflege zugerechnet. Es handelt sich vielmehr um einen (behinderungsbedingt vermehrt anfallenden) Teil der hauswirtschaftlichen Versorgung. Urin- und Blutzuckerkontrollen sowie die Injektion von Insulin sind dem Bereich der Behandlungspflege zuzuordnen. Hieran ändert auch eine zeitliche und sachliche Verbindung mit der Nahrungsaufnahme, die zur Grundpflege zählt, nichts. Denn Nahrungsaufnahme und Insulininjektion sind nicht immer zeitlich und sachlich untrennbar verbunden, was sich auch aus dem vorgelegten Diabetes-Info mit genauer Beschreibung des Tagesablaufs ergibt.
Auch im Bereich der Mobilität ergibt sich kein anrechenbarer Pflegebedarf: Begleitung auf dem Schulweg, bei Schulveranstaltungen und dergleichen, um für den Fall einer Unterzuckerung gerüstet zu sein, ist kein Pflegebedarf im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI. Ein solcher ist nur bei Wegen oder Verrichtung zu bejahen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind (so schon BSG SozR 3-3300, § 14 Nrn. 5 und 6).
Die Berichterstatterin hat bereits im Termin zur Erörterung des Sachverhalts darauf hingewiesen, dass nicht alle zur Bewältigung einer Pflegebedürftigkeit erforderlichen Verrichtungen anspruchsbegründend im Sinne des Gesetzes sind. Nur die vom Gesetzgeber als besonders herausragend gewerteten und in den Katalog des § 14 SGB XI übernommenen Verrichtungen führen zur Begründung eines Anspruchs auf Pflegeleistungen nach den §§ 37 ff. SGB XI. Damit korrespondiert, dass der Gesetzgeber lediglich einen überschaubaren finanziellen Beitrag der Versicherungspflichtigen in Höhe von nur (anfangs) 1,0 bzw. (später) 1,7 % der beitragspflichtigen Einnahmen angesetzt hat. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu im einzelnen BSG SozR 3-3300 § 14 Nn. 2, 3, 8 und 12, § 15 Nr. 1; siehe auch: SGb 2000, S. 121). Der im wesentlichen durch die Eltern sichergestellte Aufsichts- und Überwachungsbedarf sowie das Maß der zusätzlichen hauswirtschaftlichen Versorgung werden außerhalb des Sozialhilferechts (jedenfalls derzeit) nur über die steuerlichen Pauschalregeln des § 33 b Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes abgegolten, eine Regelung, die hilfsweise von den Eltern des Klägers in Anspruch genommen werden kann (§ 33b Abs. 5 Einkommenssteuergesetz), sofern die entsprechenden Voraussetzungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes festgestellt sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil er weder von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abweicht noch die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 SGG. Die Frage, in welchem Umfange Pflegeleistungen bei Diabetikern zu berücksichtigen sind, hat das Bundessozialgericht wiederholt beantwortet. Zusätzlicher Klärungsbedarf besteht auch im Hinblick auf die Argumentation des Klägers nicht.
Erstellt am: 10.08.2003
Zuletzt verändert am: 10.08.2003