Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 05.09.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Antragstellerin (ASt) begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 14.02.2005 gegen den Bescheid des Antragsgegners (AG) vom 28.01.2005 bezüglich der Überleitung von Ansprüchen gemäß § 93 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – (SGB XII).
Die am 00.01.2005 verstorbene F G, die Mutter der ASt, befand sich vom 24.05.1999 bis zu ihrem Tode in einem Alten- und Pflegeheim und erhielt in der Zeit vom 01.05.2004 bis zumindest zum 31.12.2004 Sozialhilfe zur Pflege nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in Höhe von etwa 12.000 EUR.
Der ASt war von ihren Eltern im Jahre 1997 aus einem Wertpapierdepot eine Summe von 45.000 DM ausbezahlt worden.
Mit Bescheid vom 28.01.2005 leitete die AG sämtliche Ansprüche auf Herausgabe der Zuwendung, eventueller Surrogate und der gezogenen Nutzungen sowie auf Wertersatz, soweit sie sich aus § 528 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergeben, bis zur Höhe der entstehenden Sozialhilfeleistungen auf sich über.
Mit Widerspruch vom 14.02.2005 trug die AG vor, sie gehe davon aus, dass es sich bei der genannten Summe um Eigentum ihres Vaters, allenfalls aber hälftig um Eigentum ihrer Mutter gehandelt habe. Im Übrigen sei ein etwaiger Anspruch längst durch Zahlungen an das Altersheim erloschen.
Ihren am 26.08.2005 beim Sozialgericht Münster eingegangen Antrag auf "Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung" des Widerspruchs vom 14.02.2005 hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 05.09.2005 abgelehnt. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung auf die gesetzliche Wertung des § 93 Abs. 3 SGB XII und die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Vorgängernorm des § 90 BSHG (sog. Negativevidenz) verwiesen.
Zur Begründung ihrer hiergegen am 12.09.2005 beim Sozialgericht Münster eingelegten Beschwerde hat die ASt die Auffassung vertreten, § 93 SGB XII gestatte lediglich die Überleitung von Ansprüchen gegen andere, soweit Hilfe nach den Vorschriften des SGB XII geleistet werde oder worden sei. Eine gesetzliche Ermächtigung zur Überleitung von Ansprüchen wegen nach dem BSHG erbrachter Leistungen bestehe nach Wegfall des § 90 BSHG nicht mehr. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass § 93 SGB XII abweichend von § 90 BSHG auch die Überleitung von Ansprüchen des Lebenspartners des Leistungsberechtigten erlaube.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der der Entscheidung ebenfalls zu liegt.
II. Die zulässige Beschwerde der ASt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom12.09.2005) ist nicht begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in Fällen, in denen der Widerspruch (1. Alternative) keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung durch Beschluss (§ 86b Abs. 4 SGG) ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag kann schon vor Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNr. 8a) bzw. Klageerhebung gestellt werden (§ 86 b Abs. 3 SGG).
Der Widerspruch der ASt gegen den Bescheid der Ag. vom 24.05.2003 hat gemäß § 93 Abs. 3 SGB XII keine aufschiebende Wirkung.
§ 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) regelt die Voraussetzungen nicht, unter denen das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen kann. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. etwa Keller a.a.O. RdNr. 12ff.; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1. Auflage 2005, § 93 RdNr. 23). Der Gesetzgeber hat hierbei im Rahmen des § 93 SGB XII dem öffentlichen Interesse durch Abs. 3 der Vorschrift (vgl. bereits § 90 Abs. 3 BSHG) den Vorrang eingeräumt. Im Rahmen der Interessenabwägung sind gleichwohl auch die Erfolgsaussichten des (etwaigen) Hauptsacheverfahrens insoweit zu berücksichtigen, als bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolgt.
Das Ergebnis der hier vorzunehmenden Interessenabwägung rechtfertigt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der ASt nicht. Nach summarischer Prüfung erweist sich der Überleitungsbescheid der AG vom 28.01.2005 jedenfalls nicht als offensichtlich rechtswidrig.
§ 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erlaubt – in der hier zu beurteilenden Konstellation – auch die Überleitung von Ansprüchen gegen andere, soweit eine leistungsberechtigte Person Leistungen noch nach dem BSHG erhielt und bis zum 31.12.2004 keine Überleitungsanzeige erfolgte. Die Vorschrift entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 90 BSHG (vgl. etwa Wahrendorf, a.a.O., RdNr. 1 sowie die Gesetzesbegründung zu § 88 des Gesetzesentwurfs zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch – BT-Drucks. 15/1514). Soweit nunmehr auch Ansprüche eines Lebenspartners gegen Dritte berücksichtigt werden, enthält § 93 SGB XII zwar eine "echte Neuregelung", die einer auf die Vergangenheit bezogenen Anwendung entgegenstehen dürfte. Diese Rechtsfrage stellt sich hier aber nicht.
§ 93 SGB XII bezweckt nämlich – wie bereits § 90 BSHG – die Wiederherstellung des in § 2 SGB XII (zuvor § 2 BSHG) normierten Nachrangs der Sozialhilfe (vgl. etwa Münder in: LPK-SGB XII, 1. Auflage 2005, § 93 RdNr. 1). Insbesondere angesichts der weitgehenden Übernahme der Regelungen des BSHG in das SGB XII (vgl. Münder, a.a.O., Einleitung RdNr. 22) bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem 31.12.2004 eine Überleitung wegen bis zu diesem Zeitpunkt erfolgter (sozialhilferechtlicher) Leistungen ungeregelt lassen wollte. Der Gesetzgeber hat vielmehr, soweit er die bestehenden Regelungen ausdrücklich inhaltsgleich übernommen hat, seinem Willen Ausdruck verliehen, das bisherige System fortzuführen und für den Fall der Lebenspartnerschaft fortzuentwickeln.
Daher spricht wesentlich mehr dafür, unter leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB XII solche zu verstehen, die sozialhilferechtliche Leistungen nach dem SGB XII oder dem BSHG beziehen bzw. bezogen haben, zumal wenn sich diese – wie die Hilfe zur Pflege – im Wesentlichen nicht inhaltlich nicht, sondern nur ihrer Bezeichnung nach geändert haben.
Auch systematische Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. So sieht etwa § 102 Abs. 5 SGB XII unter Übernahme der Vorgängerregelung des § 92c BSHG (vgl. Conradis in: LPK-SGB XII, § 102 RdNr. 20 auch zur Problematik des Fehlens einer Übergangsvorschrift beim In-Kraft-Treten des § 92a BSHG) ersichtlich auch Kostenersatz durch Erben für Leistungen vor dem 01.01.2005 vor und dokumentiert so den Willen des Gesetzgebers auch in der Vergangenheit erfolgte Leistungen der Sozialhilfe wirtschaftlich auszugleichen.
Die durch die hier vertretene Auslegung des § 93 SGB III bedingte tatbestandliche Rückanknüpfung begegnet im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden (verfassungsrechtlichen) Bedenken. Vertrauensschutz ist schon mangels – im Vergleich zu § 90 BSGH – Änderung des materiellen Rechts nicht gegeben.
Auch die (übrigen) Voraussetzungen des § 93 SGB III sind erfüllt. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf verwiesen, dass der überzuleitende Anspruch nach der zu § 90 BSHG ergangenen Rechtsprechung des Bundersverwaltungsgerichts (BVerwGE 92, 281 m.w.N.) nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Anspruch offensichtlich nicht besteht (sog. Negativevidenz). Ebenso zutreffend sind die Darlegungen des AG zum Prinzip der Gleichzeitigkeit von Hilfegewährung und überzuleitendem Anspruch. Der von dem AG behauptete Anspruch nach § 528 BGB hat während des gesamten Hilfezeitraums bestanden. Soweit dem bisherigen Sachstand entnehmbar, war der Anspruch in der Vergangenheit auch nicht bereits erfüllt worden. Soweit die ASt vorgerichtlich vorgetragen hat, sie habe bereits Kosten für das Altenheim gezahlt, ist dieser Vortrag mangels Substantiierung nicht geeignet, die (teilweise) Erfüllung zu belegen. Im Übrigen bleibt die Frage des Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs der Überprüfung durch die Zivilgerichte vorbehalten.
Mangels offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige kann dahinstehen, ob die ASt ein hinreichendes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs dargetan hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Durchsetzung eines Anspruchs nach § 528 BGB ggf. zivilgerichtlich zu verfolgen ist und sich ggf. auch die Frage der Vorgreiflichkeit des sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahrens stellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.02.2007
Zuletzt verändert am: 05.02.2007