Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 21.10.2005 wird zurückgewiesen.
Kosten werden auch nicht im Beschwerdeverfahren erstattet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller zu 1. ist ein 1957 in Bocholt geborener deutscher Staatsangehöriger, der seinen ständigen Wohnsitz in Managua (Nicaragua) hat.
Am 24.8.2005 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach § 24 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe – (SGB XII). Eine Rückkehr nach Deutschland sei nicht möglich, weil er sich um seinen 1993 geborenen Sohn, der die nicaragunische Staatsangehörigkeit besitzt, kümmern müsse. Er habe am 19.08.2005 vor den nicaraguanischen Behörden die Vaterschaft anerkannt. Die Mutter seines Sohnes, mit der er nicht verheiratet sei, lebe von ihm getrennt. Sie würden noch bis Januar 2006 gemeinsam eine Wohnung nutzen. Sie stimme jedoch der Ausreise seines Sohnes, des Antragstellers zu 2., nicht zu. Hierzu legte der Antragsteller zu 1. eine von einem nicaraguanischen Notar ausgefertigte Urkunde vor. In dieser Urkunde hieß es nach der deutschen Übersetzung, sie (die Mutter) fordere von der Ausländerbehörde eine Ausreiseverhinderung des Herrn M. (im Original "senor M."). Der Antragsteller zu. 1. machte geltend, dass es sich um einen Schreibfehler handele und es besser heißen müsse "minderjährigen M.". Die deutsche Botschaft in Managua, bei der der Antragsteller zu 1. den Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen gestellt hatte, äußerte Zweifel, dass es sich um einen Tippfehler handele. Die Mutter des Kindes habe notariell erklärt, gegen den Antragsteller zu 1. eine Ausreisesperre verhängen zu lassen. Dies sei in Nicaragua ein durchaus übliches Mittel, um die Fluchtgefahr eines potenziellen Verfahrensgegners einzudämmen.
Mit Bescheid vom 29.11.2005 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23.09.2005 den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab.
Gegen den am 06.10.2005 zugestellten Bescheid legte der Antragsteller zu 1. mit Schreiben vom 15.10.2005 Widerspruch ein. Es gebe keinen Streit um das Sorgerecht. Die Eltern seien sich einig, dass der Antragsteller zu 2. bei ihm, dem Antragsteller zu 1., wohne, solange jener Mutter und Großeltern zu Geburtstagen und sonstigen Feiertagen besuchen könne. Die Mutter seines Sohnes wolle dessen Ausreise verhindern. Die Übersetzung mache deutlich, dass es sich um einen Tippfehler handele. Der Notar habe statt "menor" "senor" geschrieben. Eine Ausreiseverhinderung gegen ihn sei unmöglich. Er befinde sich in einer außergewöhnlichen Notlage. Seine Mutter, die über ein bescheidenes Einkommen verfüge, könne ihn nicht weiter unterstützen. Er habe keine medizinische Versorgung, müsse wegen Depressionen die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehmen und könne die notwendigen Medikamente nicht bezahlen. Eine mögliche Mageninfektion sei festgestellt worden. Zur Kontrolle des Diabetes Mellitus II benötige er einen Glukosemesser. Er beantrage auch den vollen Regelsatz für seinen Sohn, Anmeldegebühren für den Schulbesuch sowie eine Mietkaution in Höhe von 175,- EUR.
Die Antragsteller haben am 11.10.2005 bei dem Sozialgericht Münster um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Bisher habe er praktisch durch die finanzielle Unterstützung seiner Mutter überlebt. Diese sei nicht mehr in der Lage, ihm eine Hilfe bis zu 250,- EUR monatlich zukommen zu lassen. Augenblicklich sei die Mutter seines Kindes noch bereit, ihn und seinen Sohn vorläufig in ihrer Wohnung unterzubringen. Sie sei aber nicht in der Lage, sie zu versorgen. Die Situation sei sehr konfliktiv und belastend. Er beantrage den Regelsatz für den Antragsteller auf nicht weniger als in Höhe von 80% festzusetzen, eine Mietpauschale von 175,- EUR monatlich zu gewähren, eine Mietkaution von 175,- EUR als Darlehen zu gewähren, die tatsächlichen Kosten für Strom und Wasser zu übernehmen, den Mehrbedarf für Alleinerziehende bei 30 % des Regelsatzes festzulegen, für den Antragsteller zu 2. den vollen Regelsatz zu bewilligen, Anmeldegebühren für die Schule in Höhe von 150,- EUR als Darlehen zu gewähren, bei evtl. Obdachlosigkeit einen Tagessatz von 16,- EUR für ihn und seinen Sohn festzusetzen, evtl. Behandlungskosten zu übernehmen.
Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung auf den angefochten Bescheid vom 23.09.2005 verwiesen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21.10.2005 den Antrag abgelehnt.
Gegen den am 22.10.2005 dem Zustellungsbevollmächtigten zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 16.11.2005 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, dass das Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Er befinde sich in einer außergewöhnlichen Notlage. Die Mutter seines Sohnes habe zu dessen Ausreise keine Erlaubnis gegeben. Sein Sohn sei durch seine Vaterschaftsanerkennung Deutscher von Geburt an. Diese Anerkennung sei rechtswirksam, weil die Mutter zugestimmt habe. Der Vorschlag, dass Kind könne bei seiner Mutter wohnen und der Vater könne nach Deutschland zurückkehren, sei eine Zerstörung der Vater-Sohn-Beziehung.
Die Antragsteller beantragen,
für den Antragsteller aufgrund der etwas geringeren Lebenshaltungskosten und des Abschlags für das Eilverfahren vorläufig 70% des allgemeinen Regelsatzes zu bewilligen, für den Antragsteller zu 2. vorläufig 80% und die Anmeldegebühren für die Schule in Höhe von 150,- EUR als Darlehen zu gewähren, die Kosten für eine medizinische Versorgung nach Rechnungserhalt sofort zu übernehmen sowie in Notfällen die Übernahme der Behandlungskosten mit dem Krankenhaus Bautista in Managua zu garantieren.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 16.11.2005 nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (Sicherungsanordnung, Abs. 2 Satz 1), nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b RdNr. 25 ff.). Anordnungsanspruch und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Dabei sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist dies nicht möglich, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NJW 2005, 927). Die Antragsteller haben nach summarischer Prüfung einen Anordnungsanspruch derzeit nicht glaubhaft gemacht. Dem Hauptsacheverfahren wird vorbehalten bleiben, festzustellen, ob der Anspruch auf Hilfeleistung besteht.
Der Antragsteller zu 1. hat bisher nicht glaubhaft machen können, dass er sich in einer außergewöhnlichen Notlage befindet, in der die begehrte Hilfe unabweisbar ist. Als Ausdruck des Territorialitätsgrundsatzes bekräftigt § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII,dass Deutsche, die wie der Antragsteller zu 1. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen erhalten. Hiervon kann nach § 24 Abs. 1 Satz 2 im Einzelfall nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass aus weiteren im Gesetz aufgeführten Gründen eine Rückkehr in das Inland nicht möglich ist.
Bei der Leistungsvoraussetzung "außergewöhnliche Notlage" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für dessen Auslegung zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber bewusst die Leistungsvoraussetzungen eingeengt hat, in dem er von dem bisher in § 119 BSHG a.F. verwendeten Begriff des besonderen Notfalls abgewichen ist (vgl. zur Entstehungsgeschichte: BT-Drucksache 15/1761, Seite 6). Auch schon unter der Geltung des § 119 BSHG ist allerdings das Erfordernis des besonderen Notfalls restriktiv von der Rechtsprechung ausgelegt worden. Es durfte sich nicht nur um eine allgemeine Notlage handeln, sondern um besondere Umstände, die sich ihrer Art nach von der Situation, die üblicher Weise im Ausland einen Bedarf hervorruft, deutlich abheben musste (siehe BVerwG, Urteil vom 05.06.1997, 5 C 17/96, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte 48, 98; VG Hamburg, Beschluss vom 25.08.2004, 13 E 4047/04). Entstehungsgeschichte und Wortlaut der Vorschrift beschränken deshalb den Leistungsanspruch darauf, dass das Leben des im Ausland befindlichen Deutschen in Gefahr ist oder dem in Not geratenen eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter droht.
Dem Antragsteller zu 1. ist es bisher nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er sich in der so beschriebenen existenziellen Notlage befindet. Er war bisher in der Lage, auch durch seine Tätigkeit als Englischlehrer ca. 100,- EUR monatlich zu verdienen, was offenbar für einen bescheidenen Lebensunterhalt ausreichend ist. Denn nach seinen eigenen Angaben verfügt seine Lebensgefährtin ebenfalls über die gleiche Summe zum Leben. Dass der Antragsteller zu 1. nicht mehr in der Lage ist, überhaupt Einkünfte zu erzielen, hat er bisher nicht dargetan bzw. nicht einmal behauptet.
Die Gefahr, obdachlos zu werden, besteht nach seinem eigenen Vorbringen nicht, da er, wenn auch unter Inkaufnahme persönlicher Schwierigkeiten, bei seiner Lebensgefährtin wohnen kann. Im Hinblick auf die für eine Leistungsgewährung erforderliche außergewöhnliche Notlage ist dem Antragsteller zuzumuten, auch unter Inkaufnahme von persönlichen Schwierigkeiten weiterhin bei seiner Lebensgefährtin zu wohnen. Ob Kosten der Unterkunft und eine Mietkaution überhaupt zu übernehmen sind, wird davon abhängen, dass der Antragsteller konkret nachweist, ob ihm Obdachlosigkeit droht. Unter diesen Voraussetzungen wird auch zu prüfen sein, ob die Kosten einer anderweitigen Unterbringung als die bei seiner Lebensgefährtin erforderlich sind, um das existenziell Notwendige zu sichern. Hierbei werden in besonderer Weise die Verhältnisse des Aufenthaltsortes Managua zu berücksichtigen sein.
Hinsichtlich der vom Antragsteller zu 1. geltend gemachten Ansprüche auf medizinische Versorgung ist festzustellen, dass sich die von ihm vorgelegten Nachweise auf die Vergangenheit beziehen, so dass es einer Sicherung im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht bedarf. Für eine künftige ärztliche Versorgung, für die zunächst auch ein Anspruch nach § 5 Abs. 6 Konsulargesetz geprüft werden müsste, gilt, dass eine generelle, auf die Zukunft bezogene Zusage wegen der Unbestimmtheit nicht im voraus durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden kann, es sei denn, es wird ein besonderes Rechtsschutzinteresse geltend gemacht, was hier nicht ersichtlich ist.
Die weitere Voraussetzung für die ausnahmsweise, in das Ermessen gestellte Gewährung von Sozialhilfe an Deutsche im Ausland ist, dass zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland unter anderem aus Gründen der Pflege und Erziehung eines Kindes, dass aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, nicht möglich ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII).
Die im Gesetz vorgesehene Nachweispflicht ist eine spezialgesetzliche Ausnahme vom ansonsten im Sozialhilferecht geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. hierzu Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, 2005, § 24 RdNr. 27). Von dem Hilfenachfragenden sind deshalb besondere Anstrengungen zu erwarten, den eine Rückkehr nach Deutschland entgegenstehenden Grund nachzuweisen. Der Senat teilt die von den Verwaltungsbehörden geäußerten Bedenken, ob der Antragsteller zu 1. gegenüber seinem Sohn, dem Antragsteller zu 2., seinem Erziehungsauftrag tatsächlich nachkommt. Die Bedenken werden dadurch hervorgerufen, dass der Antragsteller zu 1. im nahen zeitlichen Zusammenhang mit seinem Antrag auf Hilfegewährung erst im August 2005 die Vaterschaft seines inzwischen 12 Jahre alten Sohnes vor einem nicaraguanischen Notar anerkannt hat. Über das bisherige Zusammenleben zwischen Vater und Sohn und die Intensität, wie der Antragsteller zu 1. Erziehungspflichten wahrnimmt, liegen bisher keinerlei Angaben vor.
Dass der Antragsteller zu 1) überhaupt gehindert sein könnte, Nicaragua zu verlassen, trägt er selbst nicht vor. Die in der notariellen Urkunde von seiner Lebenspartnerin beantragte Ausreisesperre hindert den Antragsteller zu 1. nach eigenen Angaben nicht, das Land zu verlassen.
Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers zu 2. besteht nicht, weil dieser bisher nicht nachgewiesen hat, dass er deutscher Staatsangehöriger ist. Grundsätzlich wird ein derartiger Nachweis durch Vorlage eines deutschen Passes erbracht (vgl. Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 24 RdNr. 13). Durch die in Nicaragua ausgesprochene Anerkennung der Vaterschaft durch den Antragsteller zu 1. hat der Antragsteller zu 2. die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben. In dem Fall, in dem bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger ist, bedarf es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 14.03.2005 (Bundesgesetzblatt I, Seite 721) einer nach deutschem Gesetz wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft. Bisher ist eine derartige Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft nicht erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 23.05.2006
Zuletzt verändert am: 23.05.2006