Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 24.11.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die 1925 geborene Antragstellerin begehrt die Versorgung mit einer Gleitsichtbrille. Sie erhält seit dem 09.01.2003 laufende Hilfe zur Pflege im St. F-Haus in I. Die Antragstellerin ist bei der Barmer Ersatzkasse krankenversichert. Am 02.05.2005 beantragte sie unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der Optikerin C aus I vom 22.04.2005 über 238 EUR (Verordnung des Augenarztes Dr. G aus J vom 20.04.2005: Erstversorgung) bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für das begehrte Hilfsmittel. In dem Kostenvoranschlag wird zur Notwendigkeit von Gleitsichtgläsern auf eine schwere Gehbehinderung verwiesen.
Die Antragsgegnerin lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 02.06.2005 mit der Begründung ab, Sozialhilfeleistungen, die über den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen hinausgingen, seien nicht möglich. Es könne der Antragstellerin bei ausbleibenden Leistungen der Krankenkasse zugemutet werden, den Bedarf aus ihrem Barbetrag bzw. dem geschützten Vermögen zu decken.
Den Widerspruch der Antragstellerin, mit dem sie auf Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 02.09.2004 – Az:12 CE 04.979)) und des Verwaltungsgerichts Regensburg (Beschluss vom 07.05.2004 – Az: RO 8 E 04.1007) hinwies, wonach Sozialämter im Rahmen einmaliger Leistungen zum Lebensunterhalt die Kosten für Brillengläser übernehmen müssten, wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 als unbegründet zurück. §§ 35, 36 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sehe Festbeträge für die Beschaffung von Brillengläsern vor. Eine Eigenleistung der Versicherten sei nicht vorgesehen. Vorrangig sei die Krankenkasse leistungspflichtig. Das Nachrangprinzip des § 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) schließe im Ergebnis die begehrte Kostenübernahme aus.
Am 04.11.2005 hat die Antragstellerin Klage beim SG Münster erhoben (Az: S 16 SO 130/05).
Am 17.11.2005 hat sie darüber hinaus beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
ihr die Kosten für die von ihr beantragte Brille bzw. für eine erforderliche Brille aus Mitteln der Sozialhilfe zu finanzieren bzw. die ungedeckten Restkosten zu übernehmen.
hilfsweise,
den ihr zustehenden Barbetrag so angemessen zu erhöhen, dass daraus in absehbarer Zeit (3 Monate) die erforderliche Brille angeschafft werden kann.
Sie hat zur Begründung in Ergänzung ihrer Ausführungen in Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgetragen, dass ausweislich der einschlägigen Kommentarliteratur zumindest eine Darlehensgewährung nach § 37 SGB XII möglich sei. Im Übrigen bestünden grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die geltende Rechtslage. Angesichts der Höhe des ihr zur Verfügung stehenden Barbetrages wäre ihr bis zu ihrem Lebensende die Finanzierung einer Brille nicht möglich, müsste sie aus diesem Barbetrag auch noch die Brille finanzieren. § 35 Abs. 2 SGB XII enthalte im Übrigen keine abschließende Aufzählung.
Schließlich habe die Antragsgegnerin schon längst überprüfen müssen, ob der Barbetrag nicht hätte erhöht werden müssen.
Es sei ihr nicht zumutbar, auf den Erwerb der Brille bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu warten. Ohne die Brille könne sie nicht am täglichen Leben teilnehmen, und die von ihr geschätzte Zeitungslektüre müsse dauerhaft unterbleiben.
Die Antragsgegnerin hat u.a. darauf hingewiesen, dass der Antragstellerin neben dem Grundbarbetrag von 89,70 EUR ein Zusatzbetrag von 44,40 EUR zur Verfügung stehe, aus dem eine ratenfreie Abzahlung der gewünschten Brille erfolgen könne.
Das SG Münster hat den Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 24.11.2005 abgelehnt. Gemäß § 48 Satz 1 SGB XII finde eine Übernahme von Brillen als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V, deren Übernahme unter der Geltung des Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitswesens (GMG) gestrichen worden sei, nicht mehr statt. In Betracht käme allenfalls eine darlehensweise Gewährung nach § 37 Abs. 1 SGB XII, auf den die Antragstellerin hingewiesen habe, ohne einen solchen Antrag zu stellen.
Angesichts diverser Angebote der Privatwirtschaft (Gleitsichtbrillenversicherung für 50 EUR Jahresbetrag, Normalbrillenversicherung zu 10 EUR Jahresbetrag) zur Versorgung mit Gleitsichtbrillen sei schon zweifelhaft, ob es der Bewilligung eines Darlehens noch bedürfe.
Im Übrigen sei nicht dargetan, dass die Antragsgegnerin ein Darlehen abgelehnt habe. Schließlich sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin zumindest noch mit einer Weitsicht- oder Nahsichtbrille versorgt sei. Ein Anspruch auf Erhöhung des Regelsatzes sei weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht.
Gegen den ihr am 28.11.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 16.12.2005 Beschwerde eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass ihre Optikerin eine Brillenversicherung, wie sie das SG beschrieben habe, nicht anbiete und es ihr nicht möglich sei, in Nachbarstädten entsprechende Angebote wahrzunehmen, da sie schon die Fahrtkosten nicht aufbringen könne. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin die Gewährung eines Darlehens nicht angeboten. Ein neues Antragsverfahren sei ihr nicht zuzumuten. Ein Darlehen würde außerdem aufgrund der daraus folgenden Rückzahlungsverpflichtung zu einem abgesenkten "Taschengeld" führen. Das SG habe darauf hingewiesen, dass sie kein Darlehen beantragt habe. Daher möge das Gericht darlegen, inwieweit die darlehensweise Gewährung in Betracht komme.
Ergänzend hat die Antragstellerin eine Aufstellung der monatlichen Ausgaben erstellt, die sie aus dem Barbetrag finanziere (Blatt 37 Gerichtsakte). Aus dem monatlichen Grundbarbetrag von 134,10 EUR verbleibe danach ein Betrag von 8,65 EUR monatlich. Außerdem hat sie ein Schreiben der Optikerin C vom 06.12.2005 überreicht, wonach zum einen eine Brillenversicherung nicht angeboten werde, zum anderen aber kostenloser Service vor Ort.
Die Antragsgegnerin hat erwidernd und auf Nachfrage des Senats ausgeführt, eine Darlehensgewährung sei der Antragstellerin nicht angeboten worden, da dies auch nicht für sinnvoll erachtet werde. Denn die Antragstellerin müsse die Rückzahlung aus dem Barbetrag erbringen. Eine Darlehensvereinbarung mit der Optikerin dürfe möglich sein. Die Barmer Ersatzkasse habe mitgeteilt. Kosten für Gleitsichtbrillen würden grundsätzlich nicht mehr übernommen. Es gebe daher Optiker, die Fassungen kostenlos zur Verfügung stellten. Angesichts von Kosten für die Gläser von etwa 90 EUR sei nicht ersichtlich, warum zunächst eine Kostenübernahme erfolgen solle und anschließend die Rückzahlung aus dem Barbetrag. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die nicht pflegebedürftige Antragstellerin etwa nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach J zu einem anderen Optiker fahren könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten des SG Münster zum Hauptsacheverfahren sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, der der Entscheidung zu Grunde liegt.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin vom 30.11.2005, der das Sozialgericht (SG) Münster nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 16.12.2005), ist unbegründet.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Auflage, § 86b RdNr. 25 ff).
Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist dies nicht möglich, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, NJW 2005, 927). Um eine entsprechend folgenschwere Beeinträchtigung, wie sie etwa die vollständige Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darstellen kann, handelt es sich vorliegend ersichtlich nicht.
Vorliegend bestehen bereits erhebliche Zweifel am Bestehen eines Anordnungsanspruchs. Ein Anspruch auf Kostenübernahme für die vertragsärztlich verordnete Gleitsichtbrille folgt nicht aus § 48 S. 2 SGB XII. Vielmehr haben Sozialhilfeempfänger wie etwa bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten auch bei Sehhilfen, die nicht als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V nach der derzeit geltenden Rechtslage ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, die Kosten unter Einsatz der Mittel zu tragen, die sie mit den Regelsätzen erhalten (vgl. etwa Birk/Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 7. Auflage, § 48 SGB XII RdNr. 30; Wahrendorf in Gube/Wahrendorf, SGB XII, § 48 RdNr. 26). Dies gilt grundsätzlich auch für Heimbewohner.
Während insoweit in der Literatur etwa im Einzelfall bei atypisch hohem Bedarf und unvorhergesehenen Ausgaben die Gewährung eines Darlehens gemäß § 37 SGB XII in Erwägung gezogen wird (Wahrendorf, a.a.O.), wird auch die Verfassungsgemäßheit des geltenden Rechts – in Hinblick auf die Höhe der Regelsätze und eine Ungleichbehandlung der Personen, die mehr für die Gesundheit aufbringen müssen, als andere – in Frage gestellt (vgl. etwa Birk/Bieritz-Harder, a.a.O., RdNr. 34).
Jedenfalls spricht angesichts des geltenden Rechts derzeit mehr gegen als für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs. Hierbei ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der Versorgung mit einer Gleitsichbrille als auch der Angemessenheit der Höhe der im vorgelegten Kostenvoranschlag veranschlagten Kosten weitere Ermittlungen ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.
Die Antragstellerin hat aber insbesondere einen Anordnungsgrund, d.h. die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, nicht glaubhaft gemacht. Es ist nichts dazu vorgetragen worden, welche erheblichen Einschränkungen im Alltag die derzeit fehlende Versorgung mit einer Gleitsichtbrille mit sich bringt. Auch ist nicht näher auf die Ausführungen des SG Münster eingegangen worden, dass noch eine einfache Brille für die Nähe bzw. die Ferne angesichts der mitgeteilten Einschränkung des Visus vorhanden sein dürfte. Insoweit dürfte etwa das von der Antragstellerin hervorgehobene Lesen derzeit hinreichend sichergestellt sein; auch die Inanspruchnahme anderer Hilfsmittel wie etwa einer Leselupe kommt insoweit in Betracht. Nicht weiter hinnehmbare Nachteile durch das Abwarten des Hauptsacheverfahrens sind nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der Gewährung eines Darlehens fehlt es weiterhin an einem entsprechenden Antrag der Antragstellerin nach § 37 Abs. 1 SGB XII. Soweit um Überprüfung der Erfolgsaussichten eines solchen Antrags gebeten worden ist, hat die Antragsgegnerin insoweit aber aus Sicht des Senats zu Recht darauf hingewiesen, dass die Rückzahlung dann ggf. aus dem der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Barbetrag zu erfolgen hätte. Die Antragstellerin hat sich nicht dazu geäußert, ob und inwieweit sie sich etwa um eine Ratenzahlungsvereinbarung mit einem Augenoptiker bemüht hat. Hierbei ist angesichts des bereits im Mai 2005 gestellten Antrags davon auszugehen, dass die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben aus dem Barbetrag und einem ungefähren monatlichen Überschuss von 8 EUR durchaus in der Lage wäre einen nicht unerheblichen Betrag anzuzahlen. Der Senat lässt insoweit dahinstehen, ob nicht bei dringender Notwendigkeit aus dem Barbetrag weitere Rücklagen möglich wären (etwa durch zeitweiligen (teilweisen) Verzicht auf einzelne der in der Kostenaufstellung enthaltenen Positionen. Die Antragstellerin müsste im Übrigen dartun, dass ein nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf nur durch die Darlehensgewährung gedeckt werden kann. Im Übrigen spricht aus Sicht des Senats nichts gegen die Gewährung eines Darlehens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 27.01.2006
Zuletzt verändert am: 27.01.2006