Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.10.2009 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen und die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld über den 28.11.2004 hinaus.
Die am 00.00.1967 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin war zuletzt bis Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses am 13.01.2004 als Reinigungskraft in Vollzeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend stellte sie sich bei der Bundesagentur für Arbeit (BAA) für vollständige Tätigkeiten der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und bezog ab dem 14.01.2004 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 110,95 EUR mit einer voraussichtlichen Bezugsdauer bis 09.09.2004.
Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit (AU) der Klägerin, zuletzt ab 01.07.2004 leistete die BAA bis 11.08.2004 Lohnersatzfortzahlung und die Beklagte am Anschluss daran ab 12.08.2004 Krankengeld i.H.v. täglich 15,85 EUR bzw. ab 03.09.2004 i.H.v. 13,48 EUR. Zugrunde lag eine durch den Chirurgen U attestierte AU wegen einer Schleimbeutelentzündung des rechten Ellenbogens. Nach der am 23.07.2004 durchgeführten Bursektomie (operative Entfernung des Schleimbeutels) und am 01.10.2004 durchgeführten Rezidivoperation bestätigte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) unter dem 15.11.2004 eine weitere AU der Klägerin aufgrund anhaltende Gebrauchsminderung des rechten Armes und schmerzhafter Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogens und Schultergelenks. Das Ergebnis der von der Klägerin geplanten orthopädische Untersuchung solle ggf. für die Erstellung eines Leistungsbildes abgewartet werden. Als weitere Diagnose wurde erstmals eine depressive Episode (F32.9) mit medikamentöser Einstellung ("Psyche: orientiert, freundlich, Schwingungsfähigkeit nicht eingeschränkt") aufgeführt. Die Beklagte holte von dem MDK nach Eingang eines Arztbriefes des Facharztes für Orthopädie C vom 19.11.2004, der eine Haltungsinsuffizienz der Wirbelsäule wegen Adipositas per magna, ein Skalenussyndrom sowie HWS Blockaden diagnostiziert hatte, eine Stellungnahme nach Aktenlage ein. Der MDK führte daraufhin unter dem 26.11. 2004 aus, da keine neuen medizinischen Befunde vorlägen, die eine AU begründeten, sei davon auszugehen, dass die Klägerin ab 29.11.2004 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden täglich eine leichte körperliche Tätigkeit im selbstbestimmten Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne häufiges Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Heben und Tragen und Bewegen von Lasten und ohne besondere Belastung des rechten Armes ausüben könne. Unter Zugrundelegung dieser sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26.11.2004 die Krankengeldzahlung zum 28.11.2004 ein, gegen den die Klägerin am 01.12.2004 Widerspruch einlegte. Der zugleich verschriftlichten Bitte der Beklagten, sich zur Vermittlung einer entsprechenden Tätigkeit an die BAA zu wenden, kam die Klägerin nicht nach.
In der Zeit vom 30.11.2004 bis 11.01.2005 nahm sie an einer stationären Rehabilitations(Reha-)Maßnahme des Rentenversicherungsträgers (LVA Westfalen) in der Q- Klinik, Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen, in Bad X teil. Während dieser Zeit erhielt sie von der LVA ein Übergangsgeld i.H.v. 13,48 EUR/täglich.
Auf Nachfrage der Beklagten vom 12.01.2005 übersandte die Reha-Klinik an den MDK einen Kurzbericht vom 11.01.2005, aus dem hervorgeht, dass bei der Klägerin eine mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom, Posttraumatische Belastungsstörung, Migräne, Tinnitus und Carpaltunnelsyndrom, links festgestellt worden sei und sie arbeitsunfähig entlassen werde. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichts vom 25.01.2005, der bei der Beklagten am 26.01.2005 einging, wurden bei der Klägerin folgende Erkrankungen diagnostiziert: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom, Posttraumatische Belastungsstörung, Somatisierungsstörung, Gonarthrose und Migräne. Aufgrund der Testpsychologie wurde von einer außerordentlichen Schwere der Beeinträchtigung durch das psychische Krankheitsgeschehen ausgegangen. Im Rahmen eines orthopädischen Konsils am 05.01.2005 sei festgestellt worden, dass die Klägerin – dieses Fachgebiet betreffend – auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leistungsfähig für leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen von Lasten ohne technische Hilfsmittel sei. Die Klägerin wurde – so der ärztliche Bericht – in leicht gebessertem Befinden entlassen, wobei sie aufgrund einer deutlich eingeschränkten beruflichen Leistungs- und Belastungsfähigkeit aus psychotherapeutischer Sicht weiterhin arbeitsunfähig sei. Zur weiteren Stabilisierung und zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sei die Fortsetzung der Psychotherapie in ambulanter Form notwendig.
Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung zum 28.11.2004 verwies die Klägerin auf den Reha-Bericht. Nach ihrer Rückkehr habe sie am 13.01.2005 die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M aufgesucht, welche ihr mündlich mitgeteilt habe, weiterhin arbeitsunfähig zu sein. Eine AU-Bescheinigung auf dem Auszahlungsschein habe nicht erfolgen können, da dieser von der Beklagten am 28.11.2004 eingezogen worden sei. Ihr könne daher die mangelnde AU-Meldung nicht vorgeworfen werden. Ergänzend hat die Klägerin AU-Bescheinigungen des Chirurgen U, unterschrieben unter dem 04.02.2005 und 18.03.2005, für die Zeit bis 11.04.2005 vorgelegt. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2005 zurück. Mit dem auf Grundlage des MDK-Gutachtens festgestellten Ende der AU zum 28.11.2004 habe die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten geendet. Im letzten Beurteilungszeitpunkt des Medizinischen Dienstes (26.11.2004) habe laut Gutachten lediglich AU aufgrund der orthopädischen Diagnose bestanden. Der Reha-Entlassungsbericht bestätige jedoch keine AU aus orthopädischer Sicht. Die Rehabilitation sei aufgrund einer psychischen Diagnose durchgeführt worden. Aufgrund des Endes der Mitgliedschaft zum 28.11.2004 sei ab 30.11.2004 kein neuer Krankengeldanspruch entstanden.
Mit der am 06.06.2005 beim Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ihren Anspruch unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Widerspruchsbegründung weiter verfolgt. Sie sei für die Zeit ab 29.11.2004 durchgängig arbeitsunfähig gewesen. Die Klägerin hat ergänzend weitere AU-Bescheinigungen des Chirurgen U bis 20.05.2005 und vom 30.05.2005 bis 25.07.2005 vorgelegt, für die Zeit vom 26.07.2005 bis 16.09.2005 auf die zur Gerichtsakte S 11 B 156/05 KR ER (Sozialgericht (SG( Münster) gereichten AU-Bescheinigungen (U) verwiesen und für die anschließende Zeit Folgebescheinigungen von den Ärzten U, Dr. M und des Neurologen und Psychiater Dr. X vorgelegt.
Mit Bescheid der Stadt M vom 19.06.2005 wurden ab 01.06.2005 Leistungen nach dem SGB II für die Bedarfsgemeinschaft der Familie der Klägerin bewilligt. Wegen dieser Leistungen verneinte das SG das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und lehnte es ab, die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur vorläufigen Krankengeldzahlung zu verpflichten (Beschluss des SG Münster vom 28.07.2005 – S 11 KR 156/05 ER -). Auch der Antrag der Klägerin bei der LVA Westfalen auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 09.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05. 2004). Sie nahm die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T vom 07.08.2007 und eines Gutachtens Facharztes für Orthopädie Dr. F vom 12.06.2007 zurück (S 14 R 178/06 – SG Münster).
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 28.11.2004 hinaus Krankengeld nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Bei ihrer Anfrage an den MDK (und damit vor den Grundsatzurteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.12.2004 – B 1 KR 5/03 R – und 04.04.2006 – B 1 KR 21/05 R -) sei sie davon ausgegangen, dass für einen Arbeitslosen eine mindestens drei Stunden tägliche oder 15 Stunden wöchentliche Tätigkeit ausreichend sei, um vermittelbar für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu sein und damit Arbeitsfähigkeit anzunehmen. Soweit daher in dem Gutachten des MDK nur die Leistungsfähigkeit der Klägerin für 15 Wochenstunden geprüft worden sei, könne auch eine vollschichtige Leistungsfähigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht ausgeschlossen werden. Ergänzend hat die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 30.06.2006 vorgelegt, der die Auffassung vertrat, dass die Klägerin grundsätzlich für eine leichte körperliche Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen mehr als sechs Stunden pro Tag voraussichtlich einsetzbar gewesen sein dürfte. Bis zum Zeitpunkt der Arbeitsfähigkeit ab 29.11.2004 hätten die orthopädischen Beschwerden der Klägerin im Vordergrund gestanden und die AU ausgelöst. Erst im Rahmen der am 30.11.2004 begonnenen Kurmaßnahme, die wohl therapiebedingt psychische Reaktionen ausgelöst habe, sei eine AU wegen psychischer Störungen anerkannt worden. Ab diesen Zeitraum habe keine Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Für den Fall einer Anerkennung einer durchgehenden AU wäre die für einen fiktiven Krankengeldanspruch geltende Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen unter Anerkennung der Vorerkrankungszeit vom 27.04.2004 bis 31.05.2004 am 23.11.2005 einschließlich eingetreten. Ungeachtet dessen sehe sie weiter die AU der Klägerin am 28.11.2004 als beendet an.
Das SG hat zur Ermittlung des Sachverhaltes Befundberichte von dem Dipl. Psychologen L vom 27.03.2008, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M vom 07.04. 2008, dem Neurologen und Psychiater Dr. X vom 17.04.2008, dem Chefarzt des Klinikum P – Abteilung für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie – Dr. F1 vom 20.05.2008 und dem Chefarzt der I Klinik M – Abteilung für Chirurgie – Dr. X1 vom 20.05.2008 beigezogen sowie den Chirurgen U als Zeugen am 07.01. 2009 vernommen. Der die Klägerin ab 27.01.2005 behandelnde Arzt L hat mitgeteilt, keine konkreten Befunde erhoben zu haben. Aufgrund seines persönlichen Eindrucks, der inneren Stimmigkeit des Berichts der Klägerin und ihrer Beschwerden habe durchgehend während seiner Behandlung bis 23.11.2005 AU bestanden. Dr. M hat dargelegt, die Klägerin sei bei ihr am 02.11.2004 wegen einer Überweisung zum psychologischen Psychotherapeuten aufgrund einer schweren Depression vorstellig geworden. Sie hat u.v.a. einen Arztbrief der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses M vorgelegt, der auch die Angabe der Diagnose "somatisierte Depression" enthält. Dr. X hat berichtet, dass sich die Klägerin am 18.11.2004, 13.01.2005, 04.05.2005, 19.05.2005, 19.05.2005, 30.06.2005, 29.08.2005 und 14.11.2005 in seiner Praxis zu psychatrischen Untersuchungsterminen und Gesprächen befand. Nach seiner Beurteilung sei die Klägerin seit Ende der Reha-Maßnahme durchgängig arbeitsunfähig. Der Chirurg U hat ausgesagt, dass die Klägerin (nach Durchführung der Reha-Maßnahme zum ersten Mal) am 21.01.2005 ("Untersuchung, kein Befund dokumentiert") bei ihm gewesen sei. Bis zum Rehabeginn, zuletzt am 29.11.2004, wurden seiner Aussage gemäß im Wesentlichen Rotlicht-Bestrahlungen und Beratungen durchgeführt. Wegen der Einzelheiten seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Das SG hat die Leistungsakte des Arbeitsamtes S sowie die Gerichtssakten S 11 KR 156/05 ER und S 14 R 178/06 beigezogen und der Klage mit Urteil vom 29.10.2009 stattgegeben. Nach Auffassung der Kammer habe die Klägerin aufgrund ihres orthopädischen und psychischen Krankheitsbildes auch über den 28.11.2004 hinaus durchgehend vollschichtige Arbeiten bis zum Ende der Höchstbezugsdauer zum 23.11.2005 nicht erbringen können.
Die Klägerin hat gegen das Urteil, das ihr am 08.12.2009 zugestellt wurde, am 07.01.2010 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat gegen das Urteil, das ihr am 11.12.2009 zugestellt wurde, am 08.01.2010 ebenfalls Berufung eingelegt.
Die Klägerin beanstandet die Berechnung der Höchstbezugsdauer und meint, wegen der fehlenden Aussteuerungsmitteilung der Beklagten (Hinweis auf Ablauf der 78-Wochen-Frist mit Hinweis auf die Notwendigkeit, sich arbeitslos zu melden) sei die Frist nicht abgelaufen. "Hilfsweise (werde) die Rechtsauffassung vertreten", dass der 78-Wochen-Zeitraum nach seinem erstmaligen Ende am 23.11.2005 neu ablaufe. Die Q-Klinik, Bad X habe unter dem 11.01.2005 im ärztlichen Kurzbericht bescheinigt, dass die Klägerin als "weiterhin arbeitsunfähig" entlassen werde. Man habe ihr in der Reha-Klinik gesagt, dass sie am selben oder am nächsten Tag zum Arzt gehen müsse, damit dieser dann die AU bescheinige. Am 13.01.2005 habe sie Dr. M aufgesucht. Diese habe die Ausstellung einer AU-Bescheinigung abgelehnt, da aus dem Entlassungsbericht die AU hervorgehe und sie keinen Auszahlungsschein gehabt habe. Erst der Chirurg U sei bereit gewesen, ihr ab 04.02.2005 AU zu attestieren. Zum Nachweis hat die Klägerin ein Schreiben von Dr. M vom 11.05.2010 vorgelegt, die den Termin am 13.01.2005 bestätigte, indes nicht zu bestätigen vermochte, ob AU vom 11.01.2005 bis 04.02.2005 bestanden habe. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, sie habe am 28.11.2004 die Sachbearbeiterin der Beklagten, T I1, aufgesucht, die den Auszahlungsschein mit der Erklärung zurückgefordert habe, "Leistungen würden ohnehin nicht mehr gewährt". Diese habe pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt, dass gleichwohl für den Fall der Unrichtigkeit der Rechtsauffassung der Beklagten AU-Meldungen vorgelegt werden müssten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.10.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 28.11.2004 hinaus Krankengeld bis 23.11.2009, hilfsweise bis 16.05.2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.10.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf ihre bisherigen Ausführungen vor, sie bleibe bei ihrer Auffassung, die AU habe am 28.11.2004 geendet. Überdies habe das SG nicht beachtet, dass eine Lücke in den AU-Nachweisen am Tag nach der medizinischen Reha-Maßnahme (12.01.2005) vorliege. Die erste Feststellung der AU nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin sei erst am 04.02.2005 erfolgt. Die Klägerin sei überdies erst am zweiten Werktag nach der Klinikentlassung, am Dienstag, den 13.01.2005, bei Dr. M und bei Dr. X gewesen, die beide keine AU festgestellt hätten.
Im Berufungsverfahren ist eine dienstliche Erklärung von T X2 (geborene I) vom 04.11.2010 eingeholt worden, die mitteilte, sie habe am 26.11.2004 das Ende der AU zum 28.11.2004 mit der Klägerin besprochen und ihr einen schriftlichen Bescheid mitgegeben. An Einzelheiten könne sie sich nicht mehr erinnern. Grundsätzlich würden die Versicherten auf die Möglichkeit des Widerspruchs und der Feststellungsmöglichkeit auf einer AU-Bescheinigung hingewiesen. Der Auszahlungsschein sei erst am 01.12.2004 bei der AOK Ibbenbüren eingegangen. Die Mitarbeiterin der Beklagten X2 wurde zudem im Rahmen des Termins am 11.03.2011 vernommen. Sie bestätigte, dass eine ausführliche Belehrung über die Notwendigkeit weitere AU-Bescheinigungen (zur Aufrechterhaltung des Anspruchs) einzureichen, nicht erfolgt sei. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Gerichtsakten des SG Münster S 11 KR 156/05 ER und S 14 R 178/06, der Verwaltungsvorgänge der BAA und der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2005 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld über den 28.11.2004 hinaus und ist daher durch die Entscheidung der Beklagten nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, so dass ihre Klage und Berufung ohne Erfolg bleiben.
Die Klägerin war seit 27.11.2004 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert, da mit Ablauf des 26.11.2004 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten aus eigenem Recht verbunden mit dem grundsätzlichen Anspruch auf Krankengeld geendet hatte. Soweit die Beklagte bis 28.11.2004 gleichwohl Krankengeld gezahlt hat, bleibt dies ohne rechtliche Konsequenzen für die Dauer dieses Versicherungsverhältnisses, da die Pflicht-Mitgliedschaft aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur solange fortbestand als die Klägerin Anspruch auf Krankengeld hatte.
Der Anspruch auf Krankengeld scheitert indes daran, dass der Anspruch nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V immer erst ab dem Tag entsteht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung folgt (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 19/11 R -). Dieses Erfordernis gilt auch bei Folgebescheinigungen (BSG, Urteil vom 09.09.2004 – B 1 KR 8/07 -). Unter Zugrundelegung dieser Anforderung war die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum zuletzt wegen der AU-Folgebescheinigung des Chirurgen U auf dem am 11.10.2004 von der Beklagten ausgestellten Auszahlungsschein nur bis Freitag, den 26.11.2004 ("Nächster Arzttermin") aufgrund der Aufrechterhaltung ihres Versicherungsschutzes mit Anspruch auf Krankengeld versichert, so dass die nächste AU-Bescheinigung von Montag, den 29.11.2004 rechtlich bedeutungslos ist. Soweit nachgehend bestätigt wurde, dass durchgehend AU bestand, ist dies unerheblich, weil Arbeitsunfähigkeit, wie sich aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V eindeutig ergibt, nicht rückwirkend festgestellt werden kann. Es ist zwar die rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der AU ausnahmsweise und nach gewissenhafter Prüfung in der Regel für bis zu zwei Tagen zulässig (§ 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (AU-Richtlinien( hier anzuwenden in der Fassung vom 27.03.2004, BAnz Nr. 61, S. 6501). Gegenüber der grundsätzlichen Unzulässigkeit der rückwirkenden Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei der Erstfeststellung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 AU-Richtlinien) ist die Rückdatierung bei der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit also für bis zu zwei Tagen zulässig. Eine solche Rückdatierung wurde indes ersichtlich nicht vorgenommen.
Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, bei dem die Feststellung der AU für einen weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise – rückwirkend auf den letzten Tag des abgelaufenen Krankengeldbezuges (26.11.2004) – hätte nachgeholt werden können. Trotz der grundsätzlich strikten Anwendung hat die Rechtsprechung insofern in engen Grenzen Ausnahmen anerkannt, wenn Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten die ärztliche Feststellung bzw. Meldung der AU verhindert oder verzögert hat oder diese durch Umstände verhindert oder verzögert wurden, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind (vgl. BSG, Urteile vom 22.06.1966 – 3 RK 14/64 -, vom 28.10.1981 – 3 RK 59/80 -, vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R -, vom 08.11.2005 – B 1 KR 30/04 R -, vom 02.11.2007 – B 1 KR 38/06 R -; Vay in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, SGB V, § 49 Rdn. 37; Höfler, Kasseler Kommentar, SGB V, § 49 Rdn. 21a; Brinkhoff, jurisPK, SGB V, 2. Auflage 2012, § 49 Rdn. 59). Dafür liegen indes nicht ansatzweise Anhaltspunkte vor, zumal die Klägerin nach Angaben des ihre AU bescheinigenden Chirurgen U im Rahmen seiner Vernehmung am 07.01.2009 (auch) am 26.11.2004 zur Untersuchung und Behandlung bei ihm war, also offensichtlich keine Hinderungsgründe dafür vorlagen, an diesem Tag AU nicht zu attestieren bzw. sich attestieren zu lassen. Der Senat war nicht zur Ermittlung gehalten, wer für das Versäumnis die Verantwortung trägt (Arzt oder Patientin). Bei der Meldung der AU handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen (u.v.a. BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2012 – L 11 KR 384/10 -; Brinkhoff in jurisPK, § 49 SGB V Rdn. 58; Meyerhoff ebenda, § 46 SGB V Rdn. 25 m.w.N.), hier von der Klägerin.
Nach Beendigung des aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld begründeten Versicherungsverhältnisses unterfiel die Klägerin ab 27.11.2004 der Familienversicherung ihres Ehegatten nach § 10 SGB V, die keinen Anspruch auf Krankengeld beinhaltet (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Da das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf den 26.11.2004 geendet hatte, konnte die Mitgliedschaft auch nicht in der Zeit vom 30.11.2004 bis 11.01.2005 aufgrund der Teilnahme an einer Reha-Maßnahme der LVA und des Erhalts von sog. Übergangsgeld nach § 20 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) mit ruhenden Anspruch auf Krankengeld (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) erhalten bleiben (§ 192 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Keiner Entscheidung bedarf es daher, ob und ggf. wie lange nach der Reha-Maßnahme AU bestand und ob insofern rechtzeitig entsprechende Bescheinigungen vorgelegt wurden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 04.06.2013
Zuletzt verändert am: 04.06.2013