Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.03.2012 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die 1992 in Bulgarien geborene Antragstellerin reiste im April 2011 nach Deutschland ein. Sie verfügt über keine Freizügigkeitsbescheinigung, auch wurde ihr nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde der Stadt T, wo sie sich zunächst anmeldete, kein sonstiger Aufenthaltstitel erteilt. In T arbeitete sie zunächst als Prostituierte auf dem Straßenstrich. Nachdem die Antragstellerin in der Stadt T am 22.08.2012 von Amts wegen abgemeldet wurde, zog sie nach I. In I, wo sie nach ihren eigenen Angaben überhaupt nicht gemeldet war, arbeitete sie als Sexarbeiterin in einem Eros-Center und zahlte pauschal Steuern. Im Winter 2011 reiste sie nach L, wo sie wiederum als Prostituierte auf dem Straßenstrich tätig war. Auch in L war die Antragstellerin nicht gemeldet und verfügte auch nicht über einen festen Wohnsitz. Aufgrund einer Risikoschwangerschaft mit errechnetem Entbindungstermin am 01.04.2012 war sie aufgrund einer Bescheinigung des Gesundheitsamtes der Stadt L spätestens seit Januar 2012 arbeitsunfähig erkrankt.
Am 14.02.2012 beantragte sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Antragsgegner. Nach ihren eigenen Angaben lebte sie bislang von ihren Einkünften, die jedoch zwischenzeitlich verbraucht seien. Seitdem habe sie nach ihren Angaben von der agisra (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e.V.) sowie von Kolleginnen Notunterstützung erhalten. Die Beigeladene vermittelte ihr eine Unterkunft im Hotel U für Obdachlose. Die Kosten hierfür betragen 21,00 EUR täglich.
Am 23.02.2012 stellte sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln. Aufgrund der Schwangerschaft und der bestehenden Arbeitsunfähigkeit könne sie ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen.
Das Sozialgericht Köln hat die Stadt L – Amt für Soziales und Senioren – beigeladen und sodann den Antragsgegner mit Beschluss vom 19.03.2012 verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis 31.05.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Der Antragstellerin seien unter Berücksichtigung ihrer grundrechtlichen Belange nach einer Folgenabwägung die begehren Leistungen vorläufig zu bewilligen. Im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vermöge das Gericht nicht abschließend zu klären, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Die Antragstellerin gehöre zwar zum bezugsberechtigten Personenkreis der Leistungen des SGB II, sie sei erwerbsfähig – die Schwangerschaft und die dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit stünden dem nicht entgegen – und auch hilfebedürftig (§ 7 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Sozialgesetzbuch (SGB) II). Problematisch sei jedoch die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Mit Urteil vom 16.05.2007 habe das BSG entschieden, dass Ausländer nur dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der genannten Vorschrift in Deutschland hätten, wenn sie über einen Aufenthaltstitel verfügten, der den persönlichen Aufenthalt zulasse (Urteil vom 16.05.2007 – B 11 b AS 37/06 – ).
Ein Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin ergeben sich nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU), weil sie über keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz oder sonstige ausreichende Existenzmittel verfüge. Ebenso wenig ergebe sich das Aufenthaltsrecht aus § 4 a FreizügG/EU, weil die Antragstellerin sich seit einem Jahr in Deutschland aufhalte.
Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts der Antragstellerin aus einer Arbeitnehmereigenschaft bzw. einer selbständigen Tätigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU) lasse sich im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend klären. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 14.02.2012 habe die Antragstellerin weder eine selbständige Tätigkeit ausgeübt noch habe ein Beschäftigungsverhältnis bestanden. Die Antragstellerin habe glaubhaft gemacht, dass sie aufgrund der Risikoschwangerschaft arbeitsunfähig erkrankt sei. Eine durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) erteilte Arbeitsgenehmigung nach § 284 SGB III habe die Antragstellerin nicht vorgelegt. Glaubhaft gemacht habe sie hingegen, dass sie seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik im April 2011 durchgängig bis zum 5. Monat ihrer Schwangerschaft als Prostituierte tätig gewesen sei. Ferner habe sie glaubhaft gemacht, in I in einem Eros-Center gearbeitet und pauschal Steuern entrichtet zu haben. Ob es sich bei den ausgeübten Tätigkeiten als Prostituierte in T, I und L um eine selbständige Tätigkeit gehandelt habe, die sie infolge Krankheit vorübergehend nicht habe ausüben können, woraus sich dann ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs.2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 FreizügG/EU ergeben würde, sei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht aufklärbar. Hierzu seien Maßnahmen erforderlich, die im Eilverfahren nicht geleistet werden könnten. Die Antragstellerin dürfte jedoch freizügigkeitsberechtigt sein zum Zwecke der Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift sei ein arbeitsuchender EU-Bürger so lange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg unter Berücksichtigung eines angemessenen Zeitraums Arbeit suche (LSG NRW, Beschluss vom 30.05.2011 – L 19 AS 388/11 B ER -). Von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zur Arbeitssuche sei solange auszugehen, bis die Ausländerbehörde von ihrem Recht Gebrauch mache, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. LSG NRW Beschluss vom 30.05. 2011 – L 19 AS 388/11 B ER -). Die Antragstellerin habe glaubhaft gemacht, zum Zwecke der Arbeitssuche in die Bundesrepublik eingereist zu sein und trotz ihrer Tätigkeiten als Prostituierte mit der Antragstellung beim Antragsgegner im Februar 2012 zum Ausdruck gebracht zu haben, eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland aufnehmen zu wollen. Ob die Antragstellerin vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XII erfasst werde, lasse sich im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ebenfalls nicht klären. Die Rechtmäßigkeit für diese Vorschrift sei umstritten, auch die Kammer habe erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union. Der Leistungsausschluss sei insbesondere nicht nur für alte EU-Bürger streitig, sondern auch für Mitglieder der neuen EU-Mitgliedstaaten (LSG NRW, Beschluss vom 30.05.2011 – L 19 AS 388/11 B – und vom 07.10.2011 – L 19 AS 1560/11 B -). Hier werde von einem Leistungsausschluss nicht vollständig freizügigkeitsberechtigter EU-Bürger ausgegangen (a. a. Hessisches LSG, Beschluss vom 14.07.2011 – L 17 AS 107/11 B ER -). Lasse sich in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Sach- und Rechtslage nicht abschließend beurteilen, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lichte des Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zu entscheiden. Es seien die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde und den Nachteilen gegenüber zu stellen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -). Die so vorzunehmende Folgenabwägung falle zugunsten der Antragstellerin aus, da ihr existenzielle Nachteile drohten, im Übrigen sei sie aufgrund der bestehenden Risikoschwangerschaft und der bevorstehenden Entbindung auf einen Krankenversicherungsschutz angewiesen. Für die Gewährung der Leistungen liege auch ein Anordnungsgrund vor, da ihr ein Abwarten in der Hauptsache nicht zumutbar sei. Ohne die Gewährung der Leistungen würde der Antragstellerin die Lebensgrundlage entzogen. Ihr seien daher ab Eingang des Antrags bei Gericht Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen gewesen. Die Gewährung der Leistungen sei bis zur Beendigung des Mutterschutzes, also 8 Wochen nach dem errechneten Geburtstermin am 01.04.2012 und damit bis 31.05.2012 zu beschränken. Der Höhe nach seien der Antragstellerin die Regelleistung zu gewähren sowie ein pauschalierter Mehrbedarf für Schwangere und die Kosten der Unterkunft in Höhe von 21,00 EUR täglich.
Gegen den ihm am 21.03.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 21.03.2012. Die Antragstellerin habe entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts die von ihr gemachten Angaben nicht glaubhaft gemacht. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche, weil die weiteren in § 2 FreizügG/EU normierten Alternativen nicht eingreifen würden. Sie habe insbesondere nicht glaubhaft gemacht, in der Bundesrepublik beschäftigt gewesen oder einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen zu sein. Für die Glaubhaftmachung sei zumindest erforderlich, eine schlüssige Geschichte der persönlichen Umstände vorzutragen. Dies sei jedoch unterblieben, denn im Termin zur Erörterung des Sachverhalts habe sich die Antragstellerin, sofern sie sich überhaupt geäußert habe, auch vielfach widersprochen. Damit sei der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht widerlegt worden. Im Übrigen ergebe sich auch ein Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 SGB II, weil eine Nähe zum Arbeitsmarkt nicht gegeben sei, denn die Antragstellerin habe überhaupt keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Damit sei auch die Wahrscheinlichkeit der Erteilung einer Arbeitserlaubnis nicht gegeben.
Die Antragstellerin hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist darüber hinaus der Ansicht, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei nicht europarechtskonform.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der dem Senat vorliegenden Unterlagen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II zu erbringen, denn die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch, der Voraussetzung für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist, nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragstellerin mangelt es am gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als Anspruchsvoraussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II für den Leistungsbezug.
Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dieser Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird nach der Rechtsprechung des BSG nicht einheitlich für sämtliche Bücher des SGB ausgelegt, sondern ist jeweils nach der konkreten rechtlichen Bedeutung und dem Sinn und Zweck der Norm, die den Begriff verwendet, auszulegen (Einfärbungslehre). Entscheidungen und Begriffsbestimmungen zum gewöhnlichen Aufenthalt, die aus anderen Gesetzen stammen oder sich auf anders geartete Materien beziehen, können nur mit Zurückhaltung auf weitere Sachgebiete übertragen werden. Die Frage, wann ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, wird für den Bereich verschiedener Sozialgesetze unterschiedlich beantwortet. Für den hier maßgeblichen Bereich der Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II hat das BSG, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, entschieden, dass Ausländer nur dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Deutschland haben, wenn sie über einen Aufenthaltstitel verfügen, der den persönlichen Aufenthalt zulässt (BSG, Urteil vom 17.05.2007 – B 11 b AS 37/06 -).
Eine wie auch immer geartete Aufenthaltserlaubnis wurde der Antragstellerin nach Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt T nie erteilt.
Nach dem FreizügigG/EU nach der gültigen Fassung vom 12.04.2011 (Bundesgesetzblatt BGBl. I 610) ist die Antragstellerin – zumindest für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht am 03.04. 2012 – nicht freizügigkeitsberechtigt.
Nach § 2 Abs. 1 FreizügigG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes, wobei sich die Voraussetzungen im Einzelnen aus § 2 Abs. 2 und 3 FreizügG/EU ergeben (a). Darüber hinaus unterfällt die Antragstellerin dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (b).
a) Das Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin ergibt sich nicht aus § 2 Satz 2 Nr. 1 FreizügigG/EU, denn Voraussetzung hierfür ist, dass sich ein Unionsbürger als Arbeitnehmer, zur Arbeitsuche oder zur Berufsausbildung im fremden Staat aufhalten will. Die 3. Alternative der Berufsausbildung kommt augenscheinlich nicht in Betracht. Ebenso wenig kommt die Eigenschaft der Antragstellerin als Arbeitnehmerin in Betracht. Zwar ist sie nach ihren eigenen Angaben nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik hier als Prostituierte tätig gewesen, jedoch ist hierzu nichts vorgetragen worden und ergibt sich auch sonst nicht aus den Akten, dass dies in einem Beschäftigungsverhältnis erfolgt ist. Das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ist hingegen Voraussetzung für die Arbeitnehmereigenschaft. Ein Beschäftigungsverhältnis setzt u.a. ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und die Vereinbarung einer Entgeltzahlung voraus. Die Ausübung der Straßenprostitution durch die Antragstellerin erfüllt diese Merkmale nicht. Ungeachtet der Voraussetzungen im Einzelfall ist es auch nicht naheliegend, dass die von der Antragstellerin ausgeübte Tätigkeit der Prostitution in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird (vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21.10.2011 – 16 L 874/11 -). An der weiteren Voraussetzung der genannten Vorschrift "Aufenthalt zur Arbeitssuche" hat der Senat Zweifel, da die Antragstellerin der deutschen Sprache nicht mächtig ist und sich aus dem gesamten Akteninhalt kein Hinweis darauf ergibt, dass sie in dem Zeitpunkt der Antragstellung bereits 10 Monate dauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eine Arbeit gesucht hat. Sie ist in diesem Zeitraum immer der Prostitution nachgegangen und war während dieser Zeit nach ihren eigenen Angaben nach dem Wegzug aus T weder in I noch in L gemeldet. Selbst wenn man aber zugunsten der Antragstellerin eine Arbeitsuche als Aufenthaltsgrund in der Bundesrepublik annehmen würde, würde die Antragstellerin vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst (vgl. dazu, wie bereits erwähnt, unter b).
Ebenso wenig ergibt sich das Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin aus der Nr. 2 des § 2 Abs. 2 FreizügigG/EU. Voraussetzung hierfür wäre die Berechtigung zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine Tätigkeit als Selbständiger im Aufnahmestaat tatsächlich ausgeübt wird, wobei zwar nicht erforderlich ist, dass der Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt, Voraussetzung ist aber nach Artikel 43 EGV, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einen anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – Juris-Ausdruck Rdz 19 m. w. N.). Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Diese lassen sich für den Senat auch nicht daraus ableiten, dass die Antragstellerin nach ihrer eigenen Behauptung in I in einem Eros-Center gearbeitet hat. Zwar würde insofern das Erfordernis einer festen Einrichtung gegeben sein, jedoch fehlt es in dem Zusammenhang an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass die Antragstellerin zu dieser Zeit mit einer gewerblich ausgeübten Tätigkeit gemeldet war. Nach ihren eigenen Angaben war sie noch nicht einmal in I melderechtlich erfasst, so dass auch nicht davon auszugehen ist, dass sie die entsprechenden Anzeigen etwa beim Gesundheits- oder Ordnungsamt gemacht hat. Der Umstand, dass die Antragstellerin hierfür Steuern entrichtet haben will, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern, denn es drängt sich die Frage auf, wie jemand, der überhaupt nicht melderechtlich in Erscheinung tritt, Steuern entrichten will, da in diesem Fall nicht nachvollziehbar ist, für wen diese Steuern dann als gezahlt verbucht werden. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin ihrer Tätigkeit illegal nachgegangen ist. Auch wenn die Prostitution in Deutschland nicht verboten ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 06.05.2009 – B 11 AL 11/08 R -), ergibt sich nicht schon allein aus deren Ausübung die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Aus einem derart illegalen Zustand kann die Antragstellerin auch kein Bleiberecht ableiten.
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 FreizügigG/EU. In Betracht käme hier allenfalls Nr. 2 – die Voraussetzungen der Nr. 1 sind nicht gegeben, da die Antragstellerin nicht vorübergehend erwerbsgemindert war durch Krankheit oder Unfall, ebenso wenig liegen die Voraussetzungen der Nr. 3 vor, denn die Antragstellerin hat keine Berufsausbildung aufgenommen – jedoch sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben. Nr. 2 setzt voraus, dass die Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen erfolgt, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte und die Tätigkeit mehr als ein Jahr ausgeübt wurde. Rechtsfolge der Vorschrift ist, dass ein Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bleibt. Ungeachtet der Problematik, ob diese Vorschrift im Zusammenhang mit dem Begriff der selbständigen Tätigkeit auch solche selbständig Erwerbstätigen erfasst, die keine Niederlassung an einem festen Ort haben oder nur solche, die mit einer Niederlassung in fester Einrichtung tätig sind und die Vorschrift dann europarechtskonform auszulegen wäre (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 02.07.2012 – L 19 AS 1071/12 B ER – ), greift diese Vorschrift deshalb nicht statuserhaltend für die Antragstellerin ein, weil das zeitliche Moment nicht gegeben ist, nach dem die Tätigkeit mehr als ein Jahr ausgeübt werden muss. Die Antragstellerin ist im April 2011 in die Bundesrepublik eingereist und war nach den vorgelegten Bescheinigungen des Gesundheitsamtes der Stadt L spätestens seit Januar 2012 arbeitsunfähig erkrankt.
Die weiteren Tatbestände des § 2 Abs. 2 FreizügkeitsG/EU sind nicht gegeben. Die Antragstellerin ist keine Empfängerin von Dienstleistungen (Nr. 4), sie verfügt über keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und keine ausreichenden Existenzmittel (Nr. 5 i. V. m. § 4 FreizügigG/EU), sie ist keine Familienangehörige eines bereits sich in Deutschland aufhaltenden Unionsbürgers (Nr. 6) und sie besitzt auch kein Daueraufenthaltsrechts (Nr. 7).
b) Nach alledem kann mangels entgegenstehender Anhaltspunkte allenfalls bei wohlwollender Betrachtung zugunsten der Antragstellerin von einem Aufenthaltszweck der Arbeitssuche ausgegangen werden. Dies hat jedoch zur Folge, dass sodann die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfüllt sind. Die Vorschrift stellt geltendes Recht im Rahmen eines förmlichen Gesetzes dar und ist aus diesem Grunde auch anzuwenden. Das gilt umso mehr, als dass es vorliegend um Gewährung von Rechtsschutz im Rahmen des § 86 b Abs. 2 SGG gilt, in dem formelle Gesetze nicht als unwirksam behandelt werden können (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 – Juris-Ausdruck Rdz 27). Ungeachtet dessen ist dem Senat auch nicht bekannt, dass ein Gericht ein Hauptsacheverfahren in der seit nunmehr 01.04.2006 geltenden Regelung wegen verfassungs- oder europarechtlicher Bedenken ausgesetzt hat. Angesichts dessen hält der Senat eine abschließende Prüfung dieser Rechtsfrage entgegen der Ansicht des Sozialgerichts auch in einem Eilverfahren für möglich, so dass für eine Folgenabwägung kein Raum ist.
Die genannte Vorschrift ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht schon wegen des Gleichbehandlungsgebots des Artikel 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) unanwendbar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 14/10 R -), denn die Antragstellerin ist vom Schutzbereich des EFA nicht erfasst, weil Bulgarien den Vertrag dieses Abkommens nicht ratifiziert hat. Darüber hinaus geht der Senat auch davon aus, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Artikel 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004 aus 38 EG – Unionsbürgerrichtlinie – gedeckt ist, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden. Nach Artikel 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004 aus 38 EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder selbständigen Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten 3 Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Abs. 4 Buchst. b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Der Senat hat bereits entschieden, dass die von der Antragstellerin vorliegend erstrittenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Artikel 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen sind. Das ergibt sich bereits aus der Systematik des Gesetzes, welches in seinem 3. Kapitel die Leistungsarten aufführt und in Abschnitt 1 die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erwähnt, während es die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (insbesondere Regelleistungen und KdU) in seinem zweiten Abschnitt abhandelt. Ferner sieht der Senat sich in der Richtigkeit seiner Auffassung bestärkt durch die Ausführungen des BSG in seiner Entscheidung vom 19.10.2010, in der die Regelleistung nach dem SGB II als Fürsorgeleistung entsprechend den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII angesehen werden (B 14 AS 23/10 R). Der Senat sieht keine Veranlassung, von seiner Auffassung abzuweichen (vgl. hierzu bereits Beschluss vom 04.11.2010 – L 12 AS 1669/10 B ER – ). Gegen die Auffassung, die hier streitigen Leistungen nach dem SGB II seien Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, spricht auch die Regelung des § 19 Abs. 1 SGB II. Nach Satz 2 der Vorschrift erhalten nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII haben. Satz 3 der Vorschrift bezeichnet die Leistungen als den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Daraus wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um Leistungen der Eingliederung in den Arbeitsmarkt handelt, da die Bezieher von Sozialgeld nicht erwerbsfähig sind, so dass bei ihnen auch kein Bedarf besteht, sie in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Darüber hinaus fühlt der Senat sich bestätigt durch die Ansicht des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 29.02.2012 (a.a.O.), nach der grundlegendes Merkmal der von der Antragstellerin begehrten Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts deren "Passivität" ist, also deren Existenz sichernde Funktion, demgegenüber seien die Leistungen der Eingliederung in Arbeit als "Aktivleistungen" zu bezeichnen (Juris-Ausdruck Rdz 29 und im Ergebnis zustimmend, wenn auch mit anderer Begründung LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.04.2012 – L 5 AS 2157/11 B ER und L 5 AS 2177/11 B PKH – ).
Da die Antragstellerin somit nicht uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigt ist, hat der Senat keine Veranlassung, den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegend europarechtlich in Frage zu stellen oder von seiner Anwendung abzusehen. Dies gilt umso mehr, als dass keine eindeutigen Hinweise auf die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw. des EUGH zu finden sind (vgl. hierzu auch Beschlüsse des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.12.2012 – L 20 AS 2247/11 B ER – und vom 05.03.2012 – L 29 AS 414/12 B ER -).
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich für den Senat insbesondere ferner nicht aus der Annahme, auch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unterfielen dem Gleichbehandlungsanspruch (LSG NRW, Beschluss vom 17.05.2011 – L 6 AS 356/11 B ER – und Beschluss vom 16.07.2012 – L 7 AS 1047/12 B ER – ). Ausgehend davon sieht der Senat in dieser Annahme einen dann auftretenden Wertungswiderspruch mit der Möglichkeit eines Leistungsausschlusses nach Artikel 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2034/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.04.2004), weil nicht anzunehmen ist, dass das Europäische Parlament und der Rat am selben Tag sich widersprechende Regelungswerke in Kraft setzen wollten (so auch LSG NRW, Beschluss vom 22.06.2012 – L 19 AS 845/12 B ER und L 19 AS 846/12 B – m. w. N.). Nach den unterschiedlichen Zielrichtungen beider Rechtsquellen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch in der vorherigen Verordnung (Artikel 10 a Anlage II A der Verordnung (EWG), Nr. 1408/71) Grundsicherungsleistungen als besondere beitragsunabhängige Leistungen erfasst waren, liegt die Annahme nahe, dass ein Spezialitätsverhältnis vorliegt, in dessen Rahmen Artikel 4 der VO (EG) 883/2004 die allgemeine koordinationsrechtliche Regelung, Artikel 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG hingegen die mit der Einschränkung nach Abs. 2 geltende und insbesondere auch aufgrund Sicherungsleistungen nach dem SGB II anwendbare speziellere Regelung enthält (vgl. hierzu auch LSG NRW, Beschluss vom 22.06.2012, a.a.O., m. w. N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 21.08.2012
Zuletzt verändert am: 21.08.2012