Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.01.2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Disziplinarmaßnahme.
Der Kläger nimmt seit dem Quartal II/1984 als in E niedergelassener praktischer Arzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er betreibt eine diabetologische Schwerpunktpraxis nach dem Diabetes-Strukturvertrag.
Nach Anhörung des Klägers beschloss der Vorstand der Beklagten am 09.05.2001 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn, weil er seine vertragsärztlichen Pflichten wegen nicht ordnungsgemäßer Abrechnung, insbesondere wegen Verstoßes gegen Abschn. A I. Teil A Ziff. 1 Satz 1 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) verletzt habe. Dem Antrag waren beigefügt eine Frequenztabelle mit Zeitprofil für das Quartal II/1997, Protokolle eines Beratungsgesprächs mit dem Kläger vom 26.03.2000 sowie eines Plausibilitätsgesprächs mit ihm vom 11.04.2000, eine von ihm gefertigte Wochenübersicht über Sprechstunden und Hausbesuche sowie eine ebenfalls von ihm stammende Übersicht über seinen Arbeitsablauf am 27.04.1998 und schließlich Berechnungen des durch Falschabrechnungen des Klägers angeblich entstandenen Schadens.
Der Disziplinarausschuss der Beklagten ordnete das Ruhen der Zulassung des Klägers für die Dauer von zwei Jahren an (Beschluss vom 01.08.2001, Bescheid vom 17.08.2001).
In tatsächlicher Hinsicht traf er dabei folgende Feststellungen: Der Kläger habe im Quartal II/1997 2.687 Fälle gegenüber einem Durchschnitt von 1.226 Fällen der Arztgruppe abgerechnet. Bei insgesamt 61 Arbeitstagen im Quartal II/1997 habe er 14.150 persönliche Patientenkontakte gemäß Nrn. 1 und 2 EBM-Ä abgerechnet (durchschnittlich 232 pro Tag), davon 2.695 Hausbesuche (durchschnittlich 44 pro Tag). Die Abrechnung für dieses Quartal umfasse 1.681 Ansätze der Nr. 10 EBM-Ä, 298 Ansätze der Nr. 11 EBM-Ä und 21 Ansätze der Nr. 17 EBM-Ä mit einem vorgeschriebenen Mindestzeitaufwand von jeweils 10 Minuten sowie 125 Ansätze der Nr. 18 EBM-Ä mit einem vorgeschriebenen Mindestzeitaufwand von 30 Minuten. Allein hierfür errechne sich ein Arbeitspensum von mindestens 393 Stunden, d.h. 6,5 Stunden je Tag. Hinzu kämen 251 sonografische Untersuchungen nach Nr. 378 EBM-Ä, deren durchschnittliche Dauer der Kläger selbst auf 8 bis 10 Minuten veranschlage. Da er die durchschnittliche Arbeitszeit in der Praxis selbst mit 8 Stunden 15 Minuten angegeben habe, entfielen auf die restlichen 155 Arzt-Patient-Kontakte nur noch 1 Stunde 15 Minuten, d.h. weniger als eine halbe Minute pro Patient. Den durchschnittlichen Zeitaufwand pro Hausbesuch habe der Kläger mit 9 Minuten angegeben. Besonders auffällig sei eine Aufstellung, die er selbst für den 27.04.1998 erstellt habe. Danach wolle er in der Zeit von 12:45 Uhr bis 15:45 Uhr und von 19:45 Uhr bis 23:25 Uhr insgesamt 71 Hausbesuche nach Nrn. 25 und 32 EBM-Ä durchgeführt haben. Die Besuchsdauer pro Patient könne demnach durchschnittlich nur 5,6 Minuten betragen haben, und zwar unter Einschluss der in dieser Zeit zurückgelegten ca. 45 Wegekilometer. Schließlich habe der Kläger im Fall der Patientin J N in der Zeit von III/1999 bis II/2000 insgesamt 62 Schulungen nach Nrn. 9307, 9308 Diabetes-Strukturvertrag angesetzt, wobei er inzwischen eingeräumt habe, dass er die entsprechenden Ziffern wohl mit Ziffern für Infusionen verwechselt habe.
Der Disziplinarausschuss sah die Einlassung des Klägers, er habe arbeitstäglich regelmäßig fast 15 Stunden ohne Pause vertragsärztlich gearbeitet, als jeglicher Erfahrung widersprechend und allein deshalb nicht nachvollziehbar an. Es sei nach den Erfahrungen seiner Mitglieder und denkgesetzlich ausgeschlossen, die zeitgebundenen Leistungen, Sonografien und sonstigen arztbezogenen Leistungen innerhalb von 8 Stunden 15 Minuten unter genauer Beachtung der Gebührenordnung zu erbringen. Dasselbe gelte für die abgerechneten Hausbesuche. Andernfalls müssten diese als großenteils völlig überflüssig und deshalb unwirtschaftlich angesehen werden.
Unter Berücksichtigung des Akteninhalts und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung gelangte der Disziplinarausschuss zu dem Ergebnis, dass der Kläger – gemessen am Beispiel des Quartals II/1997 und der von ihm selbst gefertigten Aufstellung für das Quartal II/1997 – die abgerechneten Leistungen der Quartale I/1996 bis III/2000 nicht vollständig erbracht habe. Auch in den anderen Quartalen sei er durch hohe Fallzahlen und Leistungsbedarf aufgefallen. Es liege die Vermutung nahe, dass bei den zeitgebundenen Leistungen die vorgeschriebene Gesprächsdauer vielfach erheblich unterschritten worden sei. So habe der Kläger im Gespräch mit der "Projektgruppe Plausibilität" am 29.11.2000 eingeräumt, dass er die zeitlichen Vorgaben der Leistungslegenden möglicherweise nicht genau beachtet und "natürlich … bei den Gesprächen keine Eieruhr" gestellt habe. Damit habe er gegen Abschn. A I. Teil A Ziff. 1 Satz 1 EBM-Ä verstoßen. Ebenso zeige die Abrechnung im Fall der Patientin J N einen leichtfertigen Umgang mit dem Abrechnungssystem.
Angesichts des besonderen Gewichts der Pflichtverletzungen und der Höhe des angerichteten Schadens seien weder eine verbale Disziplinarmaßnahme noch eine Geldbuße zur Ahndung ausreichend. Das daher angeordnete Ruhen der Zulassung für die Dauer von zwei Jahren sei vor allem deshalb geboten gewesen, weil das beanstandete Verhalten des Klägers auch durchaus die Entziehung der Zulassung gerechtfertigt hätte.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, der Disziplinarausschuss sei von einem unvollständig bzw. unzutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen: Er habe im Quartal II/1997 nicht an 61, sondern an 90 Tagen vertragsärztliche Leistungen erbracht. Dabei habe er an Wochenenden und Feiertagen nicht nur Besuche, sondern auch Leistungen nach Nrn. 60, 160, 603, 290, 2022 EBM-Ä erbracht. Für eine Sonografie nach Nr. 378 EBM-Ä benötige er routinemäßig maximal vier bis fünf Minuten. 155 Rezeptausgaben nach Nr. 2 EBM-Ä seien innerhalb einer Stunde ohne weiteres möglich. Seine Hausbesuche seien erforderlich, würden optimal organisiert und vollständig erbracht.
Der Kläger hat beantragt,
den auf dem Beschluss des Disziplinarausschusses vom 01.08.2001 beruhenden Bescheid der Beklagten vom 17.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat den angefochtenen Beschluss verteidigt und unter anderem ergänzend darauf hingewiesen, dass nach der Liste der Zeitprofile der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) für eine Leistung nach Nr. 378 EBM-Ä mindestens fünf und durchschnittlich 13 Minuten zu veranschlagen seien sowie für einen Hausbesuch nach Nr. 25 EBM-Ä mindestens 13 und durchschnittlich 20 Minuten.
Das SG hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 17 KA 356/01 ER SG Düsseldorf die beim Kläger beschäftigte Arzthelferin N U als Zeugin vernommen und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Disziplinarausschusses hergestellt (Beschluss vom 12.12.2001). Es hat sodann der Klage stattgegeben (Urteil vom 29.01.2003). Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Disziplinarausschuss habe den Sachverhalt nicht zutreffend festgestellt. Es sei nicht zulässig, von den Verhältnissen im Quartal II/1997 auf alle Quartale I/1996 bis III/2000 zu schließen, ohne in allen Quartalen die erbrachten Leistungen zu betrachten oder zumindest an einem Tag pro Quartal ein Tagesprofil zu erstellen. Von überdurchschnittlichen Abrechnungswerten (Fallzahl und Leistungsbedarf) allein könne nicht auf eine fehlerhafte Abrechnung geschlossen werden. Auch die Wertung des Disziplinarausschusses für das Quartal II/1997 sei falsch. Der Disziplinarausschuss habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger auch an Wochenenden und Feiertagen Leistungen erbracht habe. Er habe weiter berücksichtigen müssen, dass der Kläger seine Besuchsleistungen außerordentlich straff organisiere und im Rahmen seiner diabetologischen Schwerpunktpraxis zahlreiche Leistungen erbringe, die nur wenig Zeit in Anspruch nähmen. Als einzige Pflichtverletzung sei daher der Leistungsansatz im Fall J N zu werten, der allein jedoch nicht ausreiche, um das Ruhen der Zulassung für einen Zeitraum von zwei Jahren zu rechtfertigen.
Mit der Berufung trägt die Beklagte vor: Der Disziplinarausschuss habe für die Quartale II/97 und II/98 die nicht ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen anhand der Abrechnungswerte bzw. der vom Kläger selbst vorgelegten Aufstellung über Hausbesuche festgestellt. Für die übrigen Quartale gelte die vom Kläger im Plausibilitätsgespräch vom 29.11.2000 wörtlich abgegebene Erklärung, er habe bei den Gesprächen keine Eieruhr gestellt und sich nicht an den im EBM-Ä vorgegebenen Zeiten der Gesprächsleistung, sondern vielmehr am Gesprächsziel orientiert. Aus den von ihr nunmehr beigefügten Tagesprofilen für die Quartale I/99 bis III/00 werde überdies deutlich, dass die Leistungen unverändert falsch abgerechnet würden. Der Disziplinarausschuss habe hinsichtlich der Hausbesuche mit Recht festgestellt, dass die Zahl der vom Kläger angegebenen Besuche nicht durchgeführt worden sein könne. Die sich aus der Aufstellung vom 27.04.1998 ergebende durchschnittliche Besuchszeit von 5,4 Minuten einschließlich Anfahrt und Parkplatzsuche könne undenkbar eingehalten worden sein. Entgegen dem Urteil des SG habe der Disziplinarausschuss bei den zeitgebundenen Leistungen die Erbringung am Wochenende und an Feiertagen berücksichtigt. Er habe den Mittwoch als vollen Arbeitstag und den Samstag mit eingerechnet. Überdies seien die zusätzlich behandelten Privatpatienten außer Ansatz geblieben. Im Zusammenhang mit Hausbesuchen dürften jedenfalls für zeitgebundene Leistungen wie Nrn. 10, 11 EBM-Ä keine Unterschreitungen stattfinden, sodass bei den übrigen Hausbesuchen der Schnitt von 5,4 Minuten noch weit unterboten worden sein müsste. Im Übrigen könnten nach ständiger Rechtsprechung selbst geringste Verstöße gegen die Pflicht zu peinlich genauen Abrechnung empfindliche Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen. Im vorliegenden Fall seien jedoch keineswegs nur vereinzelte Abrechnungsverstöße festgestellt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.01.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger weist darauf hin, dass er zu keinem Zeitpunkt eingeräumt habe, Gesprächsleistungen regelmäßig nicht vollständig zu erbringen. Die von der Beklagten nunmehr überreichten Tagesprofile belegten nicht den Vorwurf überhöhter Abrechnungen bzw. nicht erbrachter Leistungen. Er verbleibe im Übrigen bei seinem Vortrag, die akribisch geplanten Hausbesuche ordnungsgemäß abgerechnet zu haben.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakte S 17 KA 356/01 ER SG Düsseldorf Bezug genommen, die beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, ist der Beschluss des Beklagten vom 01.08.2001 rechtswidrig und beschwert den Kläger daher (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Rechtswidrigkeit ergibt sich daraus, dass der Disziplinarausschuss der Beklagten sein Ermessen nicht sachgerecht gebraucht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Entscheidungen der Disziplinarausschüsse auf der Grundlage von § 81 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sind Ermessensentscheidungen, die die Gerichte nur eingeschränkt überprüfen können (BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 6; BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 9). Die Gerichte müssen und dürfen nur feststellen, ob der Disziplinarausschuss von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Ermessenserwägungen hat leiten lassen. Dabei sind sie auf die im Beschluss des Disziplinarausschusses mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt (BSG SozR 2200 § 368m Nr 3; BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 9).
Der Disziplinarausschuss der Beklagten hat sich ausweislich der im angefochtenen Beschluss vom 01.08.2001 mitgeteilten Gründe bei seiner Entscheidung, das Ruhen der Zulassung des Klägers für die Dauer von zwei Jahren anzuordnen, von drei Gesichtspunkten leiten lassen: dem besonderen Gewicht der Pflichtverletzungen, der Höhe des vom Kläger verursachten Schadens und schließlich dem Umstand, dass das Abrechnungsverhalten des Klägers auch Anlass hätte geben können, ihn im Wege der Entziehung der Zulassung vollständig von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen.
Diese für sich genommen nicht zu beanstandenden Ermessenserwägungen werden von den tatsächlichen Feststellungen des Disziplinarausschusses nicht gedeckt. Sein Beschluss beruht insoweit auf einem nicht vollständig ermittelten Sachverhalt.
Der Disziplinarausschuss hat nicht mitgeteilt, worin er das besondere Gewicht der dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen sieht. Auch hat er zur Höhe des vom Kläger verursachten Schadens selbst keinerlei Feststellungen getroffen. Da er sich zur Begründung seines Beschlusses auf den Inhalt der Disziplinarakte bezogen hat, kann nur vermutet werden, dass er sich hinsichtlich der Schadenshöhe und jedenfalls des quantitativen Gewichts der Pflichtverletzungen die in dieser Akte befindlichen Aufstellungen der Beklagten zur Schadensberechnung zu Eigen gemacht hat. Für dieses Verständnis des Beschlusses spricht auch seine Feststellung, der Kläger habe in der Zeit vom Quartal I/1996 bis mindestens zum Quartal III/2000 abgerechnete Leistungen nicht vollständig erbracht. Denn die Schadensberechnung der Beklagten umfasst genau diesen Zeitraum.
Die betreffenden Aufstellungen der Beklagten sind indessen weder geeignet, die Höhe des vom Kläger verursachten Schadens zu belegen, noch den sonstigen Umfang der ihm vorgeworfenen Verstöße gegen die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung, insbesondere die Verpflichtung, nur vollständig erbrachte Leistungen abzurechnen (Abschn. A I. Teil A Ziff. 1 Satz 1 EBM-Ä):
Die Beklagte hat ausgeführt, der Kläger habe einen "virtuellen Schaden" von 939.435,93 DM in den Quartalen I/1996 bis II/1999 bzw. von 1.214.448,3 Punkten in den Quartalen III/1999 bis III/2000 verursacht. Außerdem sei ein tatsächlicher wirtschaftlicher Schaden von 232.292,66 DM für die Quartale I/1996 bis II/1997, also bis zur Einführung der Praxisbudgets, entstanden. Auf welchen Abrechnungswerten der "virtuelle Schaden" beruht, ist nicht erkennbar, sodass er außer Betracht zu bleiben hat. Der angebliche tatsächliche Schaden errechnet sich demgegenüber offensichtlich aus dem klägerischen Honorar für alle Ansätze der Nrn. 10, 11, 17, 18, 25, 25 N, 26, 26 N und 32 EBM-Ä in den Quartalen I/1996 bis II/1997. Das stellt aber keine taugliche Methode zur Schadensberechnung dar. Denn die Beklagte hat den Nachweis, dass der Kläger sämtliche Beratungs- und Besuchsleistungen zu Unrecht abgerechnet hat, nicht geführt.
Ein entsprechender Nachweis ergibt sich nicht aus dem für das Quartal II/1997 aufgestellte Tagesprofil. Zwar kann mit Hilfe von Zeitprofilen, insbesondere Tagesprofilen, der Nachweis einer unrichtigen Abrechnung geführt werden (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 4; BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1; Senat, Urt. v. 11.02.2004 – L 11 KA 72/03 – zur Veröffentlichung in www.sozialgerichtsbarkeit.de vorgesehen). Auch wenn sich eine Abrechnung danach in ihrer Gesamtheit als implausibel erweist, so rechtfertigt dies jedoch nur den Schluss, dass sie zumindest hinsichtlich einzelner Abrechnungsposten falsch ist, nicht hingegen, dass sämtliche abgerechneten Leistungen nicht erbracht worden sind. Dementsprechend "erschöpft" sich im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung die Wirkung einer aufgrund von Zeitprofilen nachgewiesenen und grob fahrlässigen Falschabrechnung darin, dass die Abrechnungs-Sammelerklärung die Vermutung ihrer Richtigkeit verliert und die Kassenärztliche Vereinigung das Honorar im Wege eines weiten Ermessensspielraums schätzen darf (vgl. Senat a.a.O.). Auf demselben Wege lässt sich der Schaden schätzen, der durch eine auf diese Weise nachgewiesene Falschabrechnung entstanden ist. Das kann z.B. ausgehend von einer bestimmten Nettohöchstarbeitszeit geschehen, keinesfalls jedoch, indem ganze Leistungssparten vollständig als nicht erbracht angesehen werden.
Ebenso wenig ist der Nachweis einer vollständigen Falschabrechnung zeitabhängiger Leistungen als aufgrund eines entsprechenden Eingeständnisses des Klägers erbracht anzusehen. Obwohl dieser im Plausibilitätsgespräch vom 29.11.2000 eingeräumt hat, er habe "bei den Gesprächen keine Eieruhr gestellt" und "die Zeiten der Gesprächsleistungen nicht berücksichtigt sondern vielmehr das Gesprächsziel in den Vordergrund gestellt", hat er im weiteren Verlauf des Gesprächs der Vorstellung widersprochen, es seien sämtliche Ansätze der Nrn. 10, 11, 17, 18 EBM-Ä zu berichtigen. Vielmehr habe er "sicherlich auch einige Gesprächsleistungen entsprechenden den Zeitvorgaben erbracht". Erst recht ist er dem Vorwurf entgegengetreten, Besuchsleistungen nicht vollständig erbracht zu haben. Beides geht aus dem Protokoll des Gesprächs unzweideutig hervor. Diese Einlassung des Klägers ist nicht durch Feststellungen des Disziplinarausschusses widerlegt.
Der Disziplinarausschuss hat auch keine ausreichenden Feststellungen zu seinem Vorwurf getroffen, die beanstandete Abrechnungspraxis des Klägers habe sich über die Quartale I/1996 bis mindestens III/2000 erstreckt. Ein Zeitprofil haben zum Zeitpunkt der Entscheidung des Ausschusses nur für das Quartal II/1997 vorgelegen. Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob es erforderlich gewesen wäre, für sämtliche betroffenen Quartale Quartalsprofile und – zu deren Untermauerung – zumindest für einzelne repräsentativ ausgewählte Quartale beispielhafte Tagesprofile zu erstellen (vgl. zur entsprechenden Praxis einer anderen KÄV Senat a.a.O.). Denn jedenfalls kann von einem beispielhaft für ein Quartal erstellten Zeitprofil nur dann auf die Abrechnungsverhältnisse in anderen Quartalen geschlossen werden, wenn aus diesen Quartalen vergleichbare Abrechnungswerte vorliegen, sich also m.a.W. das beispielhaft ausgewählte Quartal als repräsentativ für das Abrechnungsverhalten des Arztes erweist. Diese Voraussetzung hat der Disziplinarausschuss hier jedoch nicht dargetan, und sie lässt sich auch sonst aus den Werten, die die Beklagte vorgelegt hat, nicht ablesen. Einmal enthalten die von der Beklagten überreichten Aufstellungen nur die angeforderten Punkte nach und nicht – wie erforderlich – vor sachlich-rechnerischer Berichtigung. Vor allem aber zeigt der angeforderte Leistungsbedarf im Gesamtzeitraum keineswegs ein gleichmäßiges Bild. So hat der Kläger z.B. im Bereich der Nr. 10 EBM-Ä in den einzelnen Quartalen zwischen 78.300 (III/2000) und 524.100 (I/1997) Punkte angefordert, wobei die Tendenz fallend gewesen ist. Bei der Besuchsziffer Nr. 25 EBM-Ä reicht die Spanne von 809.600 Punkten (III/1997) bis zu 141.600 Punkten (II/1999) mit ebenfalls insgesamt fallender Tendenz. Das von der Beklagten herausgegriffene Quartal II/1997 liegt dabei mit 504.300 Punkten bei Nr. 10 EBM-Ä bzw. 796.800 Punkten (bei Nr. 25 EBM-Ä) jeweils deutlich im Spitzenbereich. Die von der Beklagten nunmehr überreichten Tagesprofile belegen ebenfalls kein einheitliches Leistungsbild, erstrecken sie sich doch von errechneten 354 Minuten am 03.07.2000 auf bis zu 746 Minuten am 13.04.1999.
Die fehlenden Feststellungen kann der Senat nicht nachholen. Eigene Feststellungen sind den Gerichten nämlich verwehrt, soweit sie in Entscheidungsspielräume des Disziplinarausschusses eingreifen würden (BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 8). So verhält es sich hier schon im Hinblick darauf, dass der vom Kläger verursachte Schaden – den Nachweis einer Pflichtverletzung vorausgesetzt – aller Voraussicht nach nur aufgrund einer Schätzung ermittelt werden kann. Darüberhinaus hat der Disziplinarausschuss im Anschluss an die noch zu treffenden tatsächlichen Feststellungen gegebenenfalls erneut eine Ermessensentscheidung über Auswahl und Höhe der Disziplinarmaßnahme zu treffen. Diejenigen Vorwürfe, hinsichtlich derer noch Feststellungen ausstehen, sind auch nicht so geringfügig, dass eine Änderung des Disziplinarmaßes ausgeschlossen oder ganz unwahrscheinlich erscheint (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 368m Nr. 3). Im Gegenteil handelt es sich um diejenigen Vorwürfe, die dem angefochtenen Beschluss zufolge nicht nur dem Grunde nach, sondern vor allem wegen ihrer Nachhaltigkeit und des durch sie verursachten Schadens ausschlaggebend für die gewählte Disziplinarmaßnahme gewesen sind. Dementsprechend hat das SG zutreffend ausgeführt, es sei nicht davon auszugehen, dass allein die inzwischen unstreitigen Falschabrechnung im Fall J N zur Anordnung des Ruhens der Zulassung geführt hätte.
Bei den noch nachzuholenden Feststellungen zum Umfang der dem Kläger vorzuwerfenden Falschabrechnungen wird der Disziplinarausschuss der Beklagten von der Rechtsprechung des Senates ausgehen dürfen, wonach Zeitprofile auch im Rahmen eines Disziplinarverfahrens zum Nachweis einer unrichtigen Abrechnung herangezogen werden können (Urteil vom 11.02.2004 – L 11 KA 30/03 – zur Veröffentlichung in www.sozialgerichtsbarkeit.de vorgesehen). Dies kann sowohl in Form von Tagesprofilen geschehen, wie bereits mit Schriftsatz der Beklagten vom 07.05.2003 beispielhaft überreicht, aber auch durch Quartalsprofile. Voraussetzung ist, dass nur solche Leistungen in die Zeitprofile eingestellt werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen. Vor allem wenn in den fraglichen Quartalen keine eigenen Zeitvorgaben der Beklagten existiert haben, bestehen keine Bedenken, die seit dem 01.01.2003 maßgeblichen Vorgaben der KÄBV für die Erstellung von Zeitprofilen heranzuzuziehen, zumal diese in der gebotenen Weise zwischen Leistungen unterscheiden, die für die Bildung von Tagesprofilen geeignet sind, und solchen, die nur in Quartalsprofile eingestellt werden können. Sollte sich dabei für das Quartal II/1997 (oder für andere Quartale) die überschlägige Schätzung bestätigen, dass nur für pauschalierte Leistungen, Besuche, Beratungs- und Betreuungsleistungen, Verweilgebühren und Sonderleistungen Mindestzeiten von über 75.000 Minuten zusammenkommen, so entspräche dies einer Nettoarbeitszeit von 70 Stunden pro Woche. In Anbetracht des Umstandes, dass der Kläger selbst nur eine Bruttoarbeitszeit in derselben Höhe für sich in Anspruch nimmt, stünde damit eine Falschabrechnung für dieses Quartal fest. Im Übrigen ist es dem Disziplinarausschuss unbenommen, z.B. durch Erstellung exemplarischer Tagesprofile für Wochenend- oder Feiertage festzustellen, wie hoch der Anteil des angeforderten Leistungsbedarfs an diesen Tagen ist und dies angemessen bei der Berechnung der durchschnittlichen Tagesleistung pro Quartal zu berücksichtigen.
Bei der ggf. erforderlichen Neufestlegung des Disziplinarmaßes darf der Disziplinarausschuss seine bisherigen Ermessenserwägungen unbedenklich weiter anwenden, soweit sie durch entsprechende Feststellungen untermauert sind. Indessen wird die Anordnung des Ruhens der Zulassung auch dann in Betracht kommen, wenn sich der Nachweis der unrichtigen Abrechnung nicht für alle Quartale des Zeitraums I/1996 bis III/2000 führen lässt. Vielmehr kann auch eine Falschabrechnung über einen wesentlich kürzeren Zeitraum ausreichen, eine solche Anordnung zu rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), da die wesentlichen Fragen bereits höchstrichterlich geklärt sind.
Erstellt am: 22.11.2004
Zuletzt verändert am: 22.11.2004