NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.08.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten, die ihr für zwei Liposuktionsbehandlungen entstanden sind.
Sie ist Mitglied der Beklagten und leidet an einem Lipödem. Am 26.06.2016 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten stationärer Liposuktionen an Gesäß und Beinen. Dem Antrag war ein Bericht der D Klinik Q GmbH, I, vom 08.06.2016 beigefügt, dem zufolge bei der Klägerin bei einem Körpergewicht von 81 kg und einer Körpergröße von 173 cm ein Lipödem beider Beine im Stadium I-II bestehe. Es werde eine Kostenübernahme für eine Liposuktionsbehandlung beidseits "im Bereich der Ober- und Unterschenkel" empfohlen. Im Kostenvoranschlag waren sowohl ein Zuschlag für die ambulante Durchführung als auch Übernachtungskosten vorgesehen. Weiterhin waren den Eingriff befürwortende Schreiben des Kardiologen Dr. L vom 20.05.2016 und der Phlebologin/Lymphologin Dr. T vom 19.05.2016 beigelegt.
Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein und unterrichtete die Klägerin hierüber mit Schreiben vom 28.06.2016.
Der MDK gelangte in seinem Gutachten vom 30.06.2016 zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Leistung einer Liposuktion nicht erfüllt seien. Die Liposuktion bei Lipödem stelle eine neue Methode im Sinne von § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dar, zu der der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ein Beratungsverfahren (stationär und ambulant) eingeleitet habe. Kontrollierte Studien, die eine Überlegenheit dieser Methode zu den herkömmlichen Therapien beweise, fehlten.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.07.2016 die Kostenübernahme für die "beantragte Behandlung" ab. Die ambulante Durchführung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nicht möglich, weil die Wirksamkeit vom GBA bisher nicht abschließend geprüft und positiv bewertet worden sei. Die Notwendigkeit zur Liposuktion im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung ergebe sich nicht alleine dadurch, dass die Behandlungsmethode ambulant nicht abrechenbar sei.
Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 12.07.2016. Zur Begründung führte sie an, dass sie konservative Behandlungsmethoden bereits erfolglos durchgeführt habe, sodass von einem Systemversagen auszugehen sei. Eine Empfehlung durch den GBA sei lediglich für die ambulante Behandlung erforderlich. Insbesondere aufgrund ihrer kardiologischen Erkrankung solle eine Verschlimmerung des Lipödems verhindert werden.
Die Klägerin ließ am 14.09.2016 und 09.11.2016 an den Beinen (Ober- und Unterschenkel) Liposuktionsbehandlungen in der D Klinik Q, I, durchführen.
Der erneut von der Beklagten eingeschaltete MDK bestätigte am 02.11.2016 das Erstgutachten. Auch eine Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktionsbehandlung komme nicht in Betracht. Eine stationäre Krankenhausbehandlung erscheine nicht erforderlich. Die Anforderungen an die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung seien mangels abgeschlossener valider Studien nicht erfüllt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme könne weder für eine ambulante noch für eine stationäre Liposuktionsbehandlung erfolgen. Die Methode entspreche nicht den Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit. Die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung sei nicht ersichtlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 08.02.2017 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend angeführt, dass sie erfolglos Kompressionsstrümpfe getragen habe und auch wöchentliche Lymphdrainagen bei einer befreundeten Physiotherapeutin keine Besserung herbeigeführt hätten. Eine stationäre Liposuktion sei erforderlich gewesen, da aufgrund der Resektionsmenge, einer vorbestehenden Mitralklappeninsuffizienz und eines ausgeprägten Schmerzsyndroms eine Liposuktion unter ambulanten Bedingungen nicht verantwortbar gewesen sei. Sie sei in der D Klinik Q über mehrere Tage beobachtet worden. Sie hat die Rechnungen für die Liposuktionsbehandlungen am 14.09.2016 und 09.11.2016 über 4.634,24 EUR bzw. 4.357,70 EUR sowie für Laborkosten und Mieder vorgelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 11.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2017 ihr die für die Liposuktion von Oberschenkeln, Unterschenkeln und Gesäß aufgewandten Kosten in Höhe von 9.255,37 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und in den Gutachten des MDK Bezug genommen.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage durch Urteil vom 25.08.2017 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 13 Abs. 3 SGB V. Denn die selbst beschaffte Behandlung gehöre nicht zu den Leistungen, welche die Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hätten (wird ausgeführt). Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V, weil die Beklagte innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 und 2 SGB V die Leistung sowohl einer stationären als auch einer ambulanten Liposuktion abgelehnt habe.
Gegen das am 01.09.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.09.2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Liposuktionen seien im Rahmen von stationären Behandlungen erfolgt. Das verdeutliche die Rechnungsposition "2x Übernachtung im Einbettzimmer". Der GBA habe in seinem Beschluss von Juli 2017 festgestellt, dass die Liposuktion "Potential" als erfolgreiche Behandlungsmethode habe. Daher seien die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen nach § 137c SGB V in der seit 23.07.2015 gültigen Fassung zu übernehmen. Jedenfalls bestehe ein Anspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V, da sie eine stationäre Behandlung beantragt, die Beklagte aber im Bescheid vom 11.07.2016 eine ambulante Leistung abgelehnt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.08.2017 abzuändern und die Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2017 zu verurteilen, an sie 9.255,37 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Für die Liposuktion habe bisher kein Nachweis über einen (Langzeit-)Erfolg geführt werden können. Sie biete damit nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative i.S.v. § 137c Abs. 3 SGB V. Auch nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R und B 1 KR 13/16 R -) bestehe kein Anspruch auf eine stationäre Liposuktion. Für § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V komme es auf den formalen Inhalt des ablehnenden Bescheids an. Da alle beantragten Leistungen abgelehnt worden seien, bestehe kein Raum für eine partielle Nichtbescheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 11.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des SG Duisburg, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG). Aus dem Berufungsvorbringen der Klägerin ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
1. Die auf Kostenerstattung gerichtete Klage wegen Systemversagens ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig. Auch die allgemeine Leistungsklage wegen Eintritts einer Genehmigungsfiktion (§ 54 Abs. 5 SGG) ist zulässig mit einer Anfechtungsklage gegen die Leistungsablehnung kombiniert.
2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der durch die selbstbeschafften Liposuktionen entstandenen Kosten wegen Eintritts einer Genehmigungsfiktion. Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung des Antrags der Klägerin sind nicht erfüllt. Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Kann die Krankenkasse Fristen u.a. nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Die Regelung erfasst zwar die von der Klägerin am 26.06.2016 beantragte Leistung der stationären Krankenbehandlung sowohl zeitlich als auch ihrer Art nach (vgl. BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R -). Die Beklagte beschied den Antrag jedoch mit Bescheid vom 11.07.2016 innerhalb der am 27.06.2016 beginnenden und am 01.08.2016 endenden Fünf-Wochen-Frist. Sie hat ausdrücklich sowohl eine ambulante auch eine stationäre Leistungserbringung abgelehnt und damit den Antrag vom 26.06.2016 (mehr als) vollständig beschieden. Ob die Begründung inhaltlich trägt, ist im Rahmen von 13 Abs. 3a SGB V nicht zu prüfen. Zweck des § 13 Abs. 3a SGB V ist es, die Bewilligungsverfahren bei den Krankenkassen zu beschleunigen und damit eine schnelle Klärung der Leistungsansprüche herbeizuführen (BSG, Urteile vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R und B 1 KR 24/17 R -). Dieser Zweck ist mit der Entscheidung der Krankenkasse über den Leistungsantrag innerhalb der ab Antragstellung laufenden Frist erreicht (BSG, Urteil vom 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R -). Gegebenenfalls bestehende Begründungsmängel führen nicht zur Genehmigungsfiktion sondern sind allenfalls im Rahmen der Prüfung des materiellen Anspruchs zu berücksichtigen.
3. Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung wegen Systemversagens (§ 13 Abs. 3 SGB V) sind nicht erfüllt. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st.Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 30/16 R -). Die Klägerin hatte weder zur Zeit der Ablehnung noch im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (vgl. zur Maßgeblichkeit z.B. BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95 -) einen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion als Naturalleistung, weil diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) entspricht und die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (i.S. von § 2 Abs. 1a SGB V) nicht erfüllt sind. Letzteres kommt nicht in Betracht, denn das Lipödem ist weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Es ist ohne Belang, dass der GBA nach den Selbstbeschaffungen beschlossen hat, das Verfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem auszusetzen und eine entsprechende Erprobungsrichtlinie nach § 137e SGB V zu erlassen (20.07.2017; vgl. www.g-ba.de/informationen/beschluesse/3013). Der Anspruch Versicherter auf stationäre Krankenhausbehandlung aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative ergibt sich nicht aus § 137c Abs. 3 SGB V. Nach Wortlaut und Regelungssystem ändert auch diese an den Anforderungen des Anspruchs Versicherter auf Krankenhausbehandlung nichts. Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach Abs. 1 getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag beim GBA gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. § 137 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V). Die Regelung trifft bereits nach ihrem Wortlaut ("dürfen … angewendet werden") keine Aussage zu Leistungsansprüchen der Versicherten; sie setzt diese vielmehr voraus (BSG, Urteil vom 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R -). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit einer unter stationären Bedingungen durchzuführenden Liposuktion bei Lipödem. Die begehrte Maßnahme entsprach nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots. Die Anforderungen des Qualitätsgebots werden gewahrt, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Die bei der Klägerin durchgeführten stationären Liposuktionen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. "Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom 20.7.2017"; BSG, Urteil vom 24.04.2018 – B 1 KR 10/17 R -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 03.06.2019
Zuletzt verändert am: 03.06.2019