Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.07.2014 wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Versicherte H I für die Zeit vom 01.04.2010 bis 28.02.2011 weitere Leistungen nach der Pflegestufe II in Höhe von 451 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 41 Euro seit dem 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011 und 01.03.2011 zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Pflegeversicherungsleistungen nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010 bis 28.02.2011.
Die am 00.00.2007 geborene Tochter des Klägers (T) leidet unter partieller Trisomie mit Entwicklungsverzögerung. Bis zum 30.09.2009 war sie über ihre Mutter in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei der DAK familienversichert und bezog seit dem 01.09.2009 Pflegeversicherungsleistungen der Pflegestufe I. Dem lag ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) vom 31.03.2009 zugrunde, wonach im Vergleich zu einem gesunden Kind ein erhöhter Hilfebedarf in der Grundpflege von 103 Minuten täglich (Körperpflege 25 Minuten, Ernährung 40 Minuten, Mobilität 38 Minuten) bestand. Prognostisch wurde ausgeführt, dass kurz- bis mittelfristig keine Änderung des gegenwärtig ermittelten grundpflegerischen Hilfebedarfs zu erwarten sei. Langfristig könne keine sichere Prognose abgegeben werden, da die weitere Entwicklung stark von der Selbständigkeitsentwicklung in den lebenspraktischen Bereichen abhängig sei. Hier seien sowohl eine Zu- als auch eine Abnahme des Hilfebedarfs möglich. Eine Wiederholungsbegutachtung wurde nach Ablauf von zwei Jahren vorgeschlagen.
Seit dem 01.10.2009 ist T über ihren Vater, den Kläger, bei der Beklagten nach dem Tarif PVB für Beihilfeberechtigte pflegeversichert. Dem liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegeversicherung – Bedingungsteil MB/PPV 2008 – zugrunde. Unter Bezugnahme auf die Feststellungen in dem MDK-Gutachten vom 31.03.2009 zahlte die Beklagte seit dem 01.10.2009 Pflegegeld der Stufe I. In der Leistungszusage vom 29.01.2010 befristete sie die Zahlungen entsprechend der in dem MDK Gutachten angeregten Wiederholungsbegutachtung bis zum 31.03.2011.
Mit Schreiben vom 15.01.2010 beantragte der Kläger Leistungen der Verhinderungspflege sowie zusätzliche Betreuungsleistungen. Seit der letzten Begutachtung im März 2009 habe sich die Alltagskompetenz von T verschlechtert. Der Entwicklungsabstand zu gleichaltrigen Kindern sei deutlich größer geworden. Auch sei eine schwere Augenerkrankung hinzugekommen. Nach Einholung von Gutachten der Firma N vom 19.03.2010 und 13.07.2010 sagte die Beklagte mit Schreiben vom 09.08.2010 zusätzliche Betreuungsleistungen ab 01.03.2010 zu.
Auf Veranlassung der Beklagten im Rahmen der Überprüfung des Leistungsfalls erstellte die Firma N am 03.03.2011 ein Pflegegutachten, aus dem sich ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 219 Minuten (Körperpflege 42 Minuten, Ernährung 122 Minuten, Mobilität 55 Minuten) ergab. Die Pflegestufe II bestehe seit dem 30.04.2010, dem dritten Geburtstag des Kindes, da der natürliche Pflegebedarf mit diesem Zeitpunkt geringer angesetzt werde. Mit Leistungszusage vom 14.04.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab 01.03.2011 Leistungen nach der Pflegestufe II für T gezahlt würden. Die Leistungszusage sei bis zum 31.03.2013 befristet, da nach Ablauf von 24 Monaten eine erneute Begutachtung durchzuführen sei.
Mit Schreiben vom 26.04.2011 machte der Kläger Leistungen nach der Pflegestufe II auch für die Zeit von April 2010 bis 28.02.2011 geltend. Die gesetzliche Krankenkasse seiner Frau habe bestätigt, dass sie Leistungen in vergleichbaren Fällen immer rückwirkend auszahle. Dies ergebe sich aus der in § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) getroffenen Regelung. Mit Schreiben vom 19.05. und 31.08.2011 lehnte die Beklagte die Zahlung höherer Leistungen vor dem 01.03.2011 ab. Pflegegeld sei nach § 6 Abs 1 AVB erst ab Antragstellung zu zahlen. Über dieses Procedere sei der Kläger während einer Pflegeberatung im Dezember 2009 aufgeklärt worden. Entsprechend habe er sich mit Schreiben vom 15.01.2010 hinsichtlich der Betreuungsleistungen an die Beklagte gewandt. Weder diesem Schreiben noch dem nachfolgenden Schriftverkehr sei zu entnehmen, dass eine grundsätzlich geänderte Pflegesituation vorgelegen habe. Erst eigene Ermittlungen in Form des N-Gutachtens vom 03.03.2011 hätten zur Feststellung der Pflegestufe II geführt.
Am 28.09.2011 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Detmold (SG) erhoben. Er habe bereits bei Eintritt in die private Krankenversicherung einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt. Die Beklagte habe den Versicherungsfall anerkannt und dementsprechend Leistungen, zunächst der Pflegestufe I, erbracht. Ein weiterer Antrag sei nicht erforderlich gewesen. Das Antragserfordernis gemäß § 6 Abs 1 S 2 der MB/PBV 2010 solle in erster Linie dafür Sorge tragen, dass keine Leistungen für Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger mangels Antragstellung vom Versicherungsfall noch keine Kenntnis hatte. Entsprechend dem Grundsatz, dass Leistungen der Pflegeversicherung Dauerleistungen sind, sähen deshalb folgerichtig weder die Regelung der allgemeinen Versicherungsbedingungen noch die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) eine Pflicht zur wiederholenden Antragstellung, zum Beispiel für bestimmte Bewilligungsabschnitte, vor. Dies ergebe sich auch aus § 6 Abs 2 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach in angemessenen Abständen ärztliche Feststellungen einzuholen sind, um Änderungen in der Pflegebedürftigkeit feststellen zu können. Diese Regelung sei überflüssig, wenn der Versicherungsnehmer verpflichtet wäre, jegliche Änderungen selbst zu ermitteln und entsprechende Anträge zu stellen. Zu berücksichtigen sei auch, dass es sich bei der Verringerung des natürlichen Pflegebedarfs von T mit dem dritten Geburtstag um einen gutachterlichen "Automatismus" handele. Dies habe der Beklagten bekannt sein müssen, so dass sie von sich aus die Leistungen ab April 2010 hätte erhöhen müssen. Zu berücksichtigen seien auch die in § 23 Abs 1, 3 und 4 SGB XI getroffenen Regelungen, wonach vertraglich vereinbarter Versicherungsschutz in der privaten Pflegeversicherung dem der sozialen Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig sein müsse. Die gesetzliche Pflegeversicherung sei gemäß § 48 SGB X zur rückwirkenden Leistungserbringung bei Änderungen des Hilfebedarfs ohne erneute Antragstellung verpflichtet. Aufgrund des Gleichwertigkeitsgebots müsse dies auch für die private Pflegeversicherung gelten.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung könnten nur auf Antrag gewährt werden. Dies entspreche der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs 1 SGB XI. Ein entsprechender Antrag sei unstreitig nicht gestellt worden. Der geltend gemachte Anspruch bestehe deshalb nicht. Zwar habe die Beklagte im Rahmen ihrer Leistungszusage vom 29.01.2010 konkludent auf eine erneute Antragstellung zum Ablauf der bis zum 31.03.2011 befristeten Leistungszusage verzichtet. Dies bedeute jedoch nicht, dass für andere oder höhere Leistungen zu einem früheren Zeitpunkt eine Antragstellung entbehrlich wäre. Es habe sich bei der Begutachtung im März 2011 auch nicht um eine "turnusmäßige" Begutachtung gehandelt. Diese sei vielmehr aufgrund der Befristung der Leistungszusage erfolgt. Zweck des Antragserfordernisses sei es nicht alleine, dem Versicherer Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls zu verschaffen, sondern darüber hinaus zeitnah die Feststellung des tatsächlichen Pflegebedarfs zu ermöglichen, da dies rückwirkend regelmäßig problematisch sei. Gerade bei einem Kind könne die Entwicklung zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen. Schon deshalb könne es keine "automatische" Veränderung einer Pflegestufe bei Erreichen eines bestimmten Alters geben. Es gebe keine Erfahrungssätze, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt "automatisch" eine Erhöhung des Pflegebedarfs bei einem Kind eintrete. Vielmehr könne eine Änderung des Pflegebedarfs im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind jederzeit eintreten. Dies sei im Einzelfall durch eine zeitnahe ärztliche Begutachtung festzustellen. Die Regelung des § 48 SGB X sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf die Beklagte als privatrechtliches Unternehmen nicht anwendbar. Dem widerspreche auch die in § 23 SGB XI getroffene Regelung nicht, da diese nicht verlange, dass privat pflegeversicherte Personen im Ergebnis gesetzlich Krankenversicherten gleichzustellen sind. Es werde lediglich eine Gleichwertigkeit der Versicherungsleistungen vorgeschrieben. Vorliegend gehe es aber nicht um die Gleichwertigkeit von Vertragsleistungen, sondern um eine Vereinbarung zum Vertragsablauf. Dieser könne von der Beklagten frei geregelt werden und müsse sich nicht an den Vorschriften der sozialen Pflegeversicherung orientieren.
Mit Urteil vom 02.07.2014 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von Versicherungsleistungen der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 28.02.2011 nebst Zinsen verurteilt. T erreiche nach dem Gutachten der Firma N seit dem 01.04.2010 den erforderlichen zeitlichen Mindestaufwand für die Pflegestufe II. Die Beklagte sei verpflichtet, entsprechende Leistungen ab diesem Zeitpunkt zu zahlen. Einer erneuten Antragstellung bedürfe es insofern nicht. Das Antragserfordernis solle in erster Linie Sorge dafür tragen, dass keine Leistungen für solche Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger mangels Antragstellung von dem Versicherungsfall noch keine Kenntnis hatte. Folgeanträge seien nach erstmaliger Antragstellung nicht mehr von Nöten. Insbesondere ergebe sich aus § 6 Abs 2 der MB-PPV 2010, dass in angemessenen Abständen ärztliche Feststellungen einzuholen seien, um Änderungen in der Pflegebedürftigkeit festzustellen. Der Kläger habe im Jahr 2010 den Antrag auf Gewährung von Pflegeversicherungsleistungen für seine Tochter gestellt. Die Beklagte habe insofern Kenntnis von dem Versicherungsfall gehabt. Der Antrag gelte in der Zukunft fort. Sofern die Beklagte Kenntnis davon erlange, dass sich die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegestufe geändert haben, obliege ihr die Verpflichtung, diese Kenntnis auch gegen sich gelten zu lassen. Aufgrund des Gutachtens der Firma N vom 03.03.2011 habe sie Kenntnis davon gehabt, dass sich der Pflegebedarf der T ab dem 01.04.2010 erhöht hatte. Hieraus ergebe sich die Verpflichtung zur Zahlung von Pflegeversicherungsleistungen ab diesem Zeitpunkt. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass den Pflegeversicherern allgemein bekannt sein dürfe, dass bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr häufig eine höhere Einstufung in Betracht komme, weil bei gesunden Kindern der Hilfebedarf im Alter von drei Jahren abnehme.
Gegen das am 05.08.2014 versandte Urteil hat die Beklagte am 29.08.2014 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Frage der Notwendigkeit der Antragstellung auf Erhöhung von Leistungen habe grundsätzliche Bedeutung. Auch liege eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG vor, wonach eine Wiederholungsbegutachtung nur dann als angemessen anzusehen sei, wenn Gründe für die Annahme bestünden, der Umfang der Pflegebedürftigkeit könnte sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben. Eine Nachuntersuchung sei bei gesetzeskonformer Auslegung des § 6 Abs 2 AVB nur dann angemessen, wenn Gründe für die Annahme einer entsprechenden Änderung bestünden. Solche Gründe ergäben sich nicht in ausreichend angemessener Weise, nur weil ein Kind älter werde. Es gebe keine allgemein bekannte Erkenntnis, wonach bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr häufig eine höhere Einstufung in Betracht komme.
Mit Beschluss vom 24.11.2014 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Die Beklage bezieht sich zur Begründung der Berufung auf ihre Beschwerdeschrift.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.07.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Zahlung von Versicherungsleistungen der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010 bis 28.02.2011 nebst Zinsen verurteilt. Die durch den Kläger als Versicherungsnehmer erhobene isolierte Leistungsklage war die richtige Klageart (§ 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). In der privaten Pflegeversicherung erfolgt die Entscheidung des Versicherungsträgers nicht durch Verwaltungsakt, so dass der Klage ein Vorverfahren nicht vorgeschaltet ist. Rechtsschutz gegen die Ablehnung der beantragten Leistung kann dem Kläger nur durch Beschreitung des Klagewegs gewährt werden (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2004, B 3 P 7/0 R, in Juris Rn 14).
Anspruchsgrundlage für die mit der Klage geltend gemachte Leistung ist § 190 Abs 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag über eine private Pflegeversicherung und den diesen Vertrag zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB und MB/PPV). Der nach § 1 Abs 2 MB/PPV 2008 erforderliche Pflegefall ist eingetreten. Der Kläger unterhält für die T bei der Beklagten eine Pflegeversicherung nach Tarif PVB für Beihilfeberechtigte. Als Versicherungsnehmer ist der Kläger gemäß § 194 Abs 3 S 2 VVG aktiv legitimiert. Aufgrund der bei der T vorliegenden Behinderungen liegen die Voraussetzung der Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II gemäß § 1 Abs 6b und Abs 8b, § 4 Abs 2 MB/PPV 2008 sowie Nr 2.1b des Tarif PV vor. Danach sind Pflegebedürftige der Pflegestufe II Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der erforderliche Zeitaufwand muss in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Gemäß § 1 Abs 7 MB/PPV 2008 ist bei Kindern für die Zuordnung zu einer Pflegestufe der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Den für die Pflegestufe II erforderlichen zeitlichen Mindestaufwand im Bereich der Grundpflege von mehr als 120 Minuten erreicht die T jedenfalls seit dem 01.04.2010. Der Senat schließt sich den zutreffenden Feststellungen in dem Gutachten der N vom 03.03.2011 an. Der Grundpflegemehraufwand gegenüber einem gesunden Kind betrug zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 03.03.2011 nach den maßgeblichen Vorgaben in den Beurteilungsrichtlinien bereits 219 Minuten. Daraus hat der Sachverständige der N zu Recht rückgerechnet, dass der Grundpflegemehraufwand der T gegenüber einem gesunden Kind bereits ab deren dritten Geburtstag die Annahme der Pflegestufe II gerechtfertigt hat. Die Feststellungen in dem Gutachten vom 03.03.2011 sind zutreffend und nachvollziehbar und zwischen den Beteiligten iÜ unstreitig. Der Pflegeaufwand eines gesunden Kindes zwischen anderthalb und zwei Jahren ist ausweislich der Begutachtungsrichtlinien mit 208 bis 169 Minuten zu bewerten. Da die T zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den MDK am 31.03.2009 einen Monat vor der Vollendung des zweiten Lebensjahres stand, errechnet sich bei einem gleichaltrigen gesunden Kind ein Hilfebedarf von 176 Minuten (die Bewertungsvorgaben auf Monate heruntergebochen). Demgegenüber wird der Pflegeaufwand für ein gesundes Kind im dritten und vierten Lebensjahr pauschal zwischen 138 und 88 Minuten geschätzt. Ausgehend vom Höchstwert von 138 Minuten zu Beginn des dritten Lebensjahres beträgt die Differenz zum Hilfebedarf eines gleichalterigen gesunden Kindes gegenüber dem Zeitpunkt der Erstbegutachtung 38 Minuten. Rechnet man diese 38 Minuten zu dem am 31.03.2009 ermittelten Mehrbedarf in der Grundpflege von 103 Minuten hinzu, so betrug der Mehrbedarf am dritten Geburtstag rechnerisch bereits 141 Minuten. Dafür, dass sich der tatsächliche Grundpflegemehrbedarf in der streitigen Zeit anders dargestellt haben könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor. Prognostisch war in dem Gutachten vom 31.03.2009 festgestellt worden, dass kurz- und mittelfristig keine Änderung zu erwarten seien. Tatsächlich dürfte auch keine Besserung, sondern eine zunehmende Verschlechterung eingetreten sein. Denn im Rahmen der Begutachtung am 03.03.2011 war ein erhöhter Hilfebedarf gegenüber einem gesunden Kind von bereits 219 Minuten festgestellt worden. Auch die Tatsache, dass die T bei dieser Begutachtung fast vier Jahre alt war, verdeutlicht den überproportionalen Anstieg des Hilfebedarfs. Den vermehrten Hilfebedarf hatte der Kläger bereits in seinem Schreiben vom 15.01.2010 angesprochen, mit dem er zusätzliche Betreuungsleistung beantragt hatte. Schließlich spricht auch die weitere Entwicklung dafür, dass spätestens im Mai 2010 die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorgelegen haben dürften. So ist in dem Gutachten der N vom 26.06.2012 ein Mehrbedarf in der Grundpflege von bereits 265 Minuten festgestellt worden und der Kläger erhält für seine Tochter entsprechend Pflegegeld nach Stufe III.
Der Einwand der Beklagten, dass die Leistungen der Pflegeversicherung gemäß § 6 Abs 1 S 2 MB/PPV 2008 ab Antragstellung zu erbringen seien, der Kläger aber erst mit Schreiben vom 26.04.2011 ausdrücklich Leistungen nach der Pflegestufe II für den streitbefangenen Zeitraum geltend gemacht hat, greift nicht.
Ob bereits in dem Schreiben des Klägers vom 15.01.2010 ein Antrag auf Höherstufung zu sehen ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Grundsätzlich ist unter Berücksichtigung des objektiven Erklärungswertes und der recht verstandenen Interessenlage des Leistungsberechtigten davon auszugehen, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R, in Juris Rn 16 zum Meistbegünstigungsprinzip). Der Senat geht davon aus, dass das für den Bereich gesetzlicher Sozialleistungen entwickelte Meistbegünstigungsprinzip zur Vermeidung der Ungleichbehandlung Privatversicherter unter Berücksichtigung der vertraglichen Fürsorgepflichten auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung Anwendung findet. Der Kläger hat mit Schreiben vom 15.01.2010 zwar nicht ausdrücklich die Höherstufung der T beantragt. Er hat jedoch vorgetragen, die Alltagskompetenz von T habe sich deutlich verschlechtert. Der Entwicklungsabstand zu gleichaltrigen Kindern sei deutlich größer geworden. Insofern liegt es nahe, bereits das Schreiben vom 15.01.2010 als Höherstufungsantrag zu werten.
Soweit das SG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, eines ausdrücklichen Antrags habe es im laufenden Leistungsfall nicht bedurft, teilt der Senat diese weitgehend vertretene Ansicht nicht. Für diese Ansicht, nach der § 33 Abs 1 S 2 und 3 SGB XI keine Anwendung finde, weil der ursprüngliche Leistungsantrag insofern fortwirke, sprechen sich die Spitzenverbände der Pflegekassen aus (vgl. Gemeinsames Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des PflegeVG vom 17.04.2013, § 33 SGB XI, Seite 5). Dem folgt der überwiegende Teil der Literatur (vgl. Trésoret in Juris PK – SGB XI, § 33 Rn 43; Höfer in LPK – SGB XI, § 33 Rn 6; Dalichau – Grüner – Müller – Alten, SGB XI, § 33 Ziff 2.2) und das SG Stade (vgl Urteil vom 14.02.1995, S 12 P 40/95). Schließlich hat auch das BSG in einem Urteil zu höheren Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 61 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ausgeführt, weil der Bewilligungszeitraum in die Zukunft reiche, begründe der Verwaltungsakt ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis. Höhere Leistungen seien daher unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab Änderung der Verhältnisse zu gewähren (Urteil vom 02.02.2012, B 8 SO 5/10 R, Juris Rn 12 f). Die Bewilligung höherer Leistungen vor der entsprechenden Antragstellung wird im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei dem ursprünglichen Leistungsbescheid um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handele, in dessen Rahmen § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X mit der Konsequenz anzuwenden sei, dass ausschließlich der Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse als maßgeblich anzusehen sei. § 33 Abs 1 S 2 und 3 SGB XI finde keine Anwendung. Vielmehr wirke der ursprüngliche Leistungsantrag fort. Der Senat neigt demgegenüber -unabhängig von der Frage, ob diese für den Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung vertretene Auffassung ohne weiteres auf die private Pflegeversicherung übertragen werden kann- jedenfalls dazu, dem Höherstufungsantrag materiell-rechtlich Bedeutung beizumessen, weil der früher gestellte Antrag, der zur Gewährung der niedrigeren Pflegestufe geführt hat, mit Eintritt der Bestandskraft des Bewilligungsbescheides verbraucht ist (vgl. hierzu Kolmetz in Jahn, SGB XI, § 33 Rn 9; Udsching, SGB XI, 3. Auflage München 2010, § 33 Rn 3). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum der Erstantragsteller schlechter gestellt werden soll, als derjenige, der eine höhere Pflegestufe beantragt. Gerade der Leistungsberechtigte wird regelmäßig am besten wissen, wann sich der Hilfebedarf erhöht hat. Wenn er in dieser Kenntnis den Leistungsantrag nicht zeitnah stellt, muss dies grundsätzlich zu seinen Lasten gehen. Für die Notwendigkeit einer erneuten Antragstellung spricht auch der Beschluss des BSG vom 21.03.2013 (B 3 P 15/12 B, in Juris Rn 11 ff), in welchem dieses offensichtlich davon ausgeht, dass höhere Leistungen von einem Höherstufungsantrag abhängen. Ob das BSG bei dieser Entscheidung die vorliegende Fallkonstellation im Auge hatte, lässt sich dem Urteil allerdings nicht entnehmen.
Ob die Zahlung des höheren Pflegegeldes an den Kläger nach § 6 MB/PPV 2008 bzw. § 33 SGB XI eines Höherstufungsantrags bedarf, kann aber vorliegend dahinstehen. Der Beklagten ist es angesichts der konkreten Fallgestaltung unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie des auch im Rahmen des vorlegenden privatrechtlichen Vertragsverhältnisses zumindest entsprechend anwendbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verwehrt, sich auf fehlende bzw. verspätete Antragstellung zu berufen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetztes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft, verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 29/10 R, in Juris Rn 12 mwN). Der Senat verkennt nicht, dass das Institut des Herstellungsanspruchs ganz wesentlich auf die (gesetzlichen) Nebenpflichten im Sozialrechtsverhältnis abstellt und insofern keine unmittelbare Anwendung auf das vorliegende private Versicherungsverhältnis finden kann. Gleichwohl obliegen der Beklagten auch im Rahmen des privatrechtlichen Vertragsverhältnisses Fürsorge- und Beratungspflichten, deren Verletzung und die hieraus resultierenden Nachteile entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch Herstellung des Zustandes, der bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung des Versicherungsträgers bestünde, zu kompensieren sind. Dies ergibt sich für den Bereich des Zivilrechts auch aus dem in § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verankerten Prinzip von Treu und Glauben. Dieses Prinzip bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2005, IV ZR 18/04, in Juris Rn 25 mwN). Grundsätzlich kann sich das Berufen des Versicherers auf den Ablauf einer Frist bzw. auf die Verspätung einer Antragstellung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erweisen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2005, IV ZR 154/04, in Juris Rn 8). Nach Auffassung des Senats ist ein verspäteter Antrag zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies ist der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006, L 8 AL 2899/04, in Juris Rn 23).
Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Beklagten zur Beratung im Sinne des Hinweises auf die Notwendigkeit eines Höherstufungsantrags auch ohne Nachfrage seitens des Klägers (Pflicht zur Spontanberatung). Bereits zum Zeitpunkt der Leistungszusage am 29.01.2010 war für die Beklagte bei sachgerechter Bearbeitung des Pflegefalls absehbar, dass sich voraussichtlich eine wesentliche Änderung des Hilfebedarfs der T vor dem Zeitpunkt der geplanten Wiederholungsbegutachtung im Jahr 2011 ergeben würde. Aus dem Gutachten des MDK vom 31.03.2009, auf das die Beklagte bei der Leistungszusage vom 29.01.2010 Bezug genommen hat, war ohne weiteres erkennbar, dass die T bei gleichbleibendem Hilfebedarf in die Pflegestufe II hereinwachsen würde. Änderungen im Gesundheitszustand der T waren nach den gutachterlichen Feststellungen weder kurz- noch mittelfristig zu erwarten. Sicherlich kann nicht ohne weiteres von einem "Automatismus" der Höherstufung mit Eintritt eines bestimmten Lebensjahres ausgegangen werden, weil sich der Hilfebedarf in der Folgezeit tatsächlich auch verringern kann. Allerdings besteht ein gewisser Automatismus in der Beurteilung des abzuziehenden Hilfebedarfs eines gesunden Kindes. Zudem gab es für die Beklagte nach dem Antrag des Klägers vom 15.01.2010 erkennbar konkrete Hinweise dafür, dass der Hilfebedarf von T angestiegen war. Die Beklagte konnte daher ohne weiteres erkennen, dass sich der Grundmehrbedarf auch nach den Vorgaben in den Beurteilungsrichtlinien erheblich erhöht haben dürfte. Es hätte sich ihr aufgrund des Lebensalters der T, aber erst recht nach dem Antrag des Klägers vom 15.01.2010 aufdrängen müssen, beratend auf eine Antragstellung hinzuwirken, so dass sie dem Kläger unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben das Erfordernis der Antragstellung nicht mehr entgegenhalten kann.
Hinsichtlich der Höhe der zugesprochenen Leistungen nimmt der Senat auf die zutreffende Berechnung der Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 31.05.2012 vollinhaltlich Bezug. Im Hinblick auf den konkreten Leitungsantrag besteht für den Senat auch keine Veranlassung zu entscheiden, ob die Schnittstelle zur Pflegestufe II mit 120 Minuten bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem 01.04.2010 erreicht war. Dies ist nicht streitig.
Der Zinsanspruch besteht in der geltend gemachten Höhe für die geltend gemachten Zeiträume nach § 288 Abs 1 iVm § 286 Abs 2 Nr 1 BGB. Der Senat hat das angefochtene Urteil im Tenor entsprechend dem Klageantrag neu gefasst und konkretisiert, weil die Nachzahlung ausgehend von der Fälligkeit des jeweiligen Leistungsmonats zu verzinsen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 GG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Erstellt am: 01.03.2016
Zuletzt verändert am: 01.03.2016