Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Oktober 2006 geändert: Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren zur Hälfte. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob die Beklagte der Klägerin die außergerichtlichen Kosten einer Untätigkeitsklage erstatten muss.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2006 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin Hinterbliebenenrente und Sterbegeld aus Anlass des Todes ihres Ehemanns I Q (Versicherter) zu gewähren. Dagegen erhob sie am 06. März 2006 Widerspruch, forderte die Beklagte auf, ihren Bevollmächtigten "die vorliegenden Krankenunterlagen" zu übersenden und kündigte eine "weitere Begründung" an. Auf telefonische Rückfrage vom 10. März 2006 teilten die Klägerbevollmächtigten mit, dass eine Übersendung der siebenbändigen Verwaltungsakte entbehrlich sei. Mit Schreiben vom 27. März 2006 baten die Klägerbevollmächtigten, ihnen sämtliche ärztlichen Unterlagen zu übersenden, die mit dem Ableben des Versicherten zu tun hätten. Daraufhin übersandte ihnen die Beklagte am 05. April 2006 die Verwaltungsakten zur Einsicht. Am 24. April 2006 begründete die Klägerin ihren Widerspruch. Die Beklagte zog daraufhin den Behandlungsbericht des St.-K-Hospitals in E bei, wo der Versicherte am 15. Januar 2006 verstorben war. Am 10. Mai 2006 entschied die Beklagte, dass sie dem Widerspruch nicht abhelfe, und legte die Akten der Widerspruchsstelle vor. Diese teilte den Klägerbevollmächtigten unter dem 19. Mai 2006 mit, dass der Widerspruchsausschuss "baldmöglichst entscheiden" werde. "Aufgrund der hohen Zahl der anhängigen Verfahren", bat die Widerspruchsstelle "jedoch um Verständnis, dass mit einer kurzfristigen Entscheidung nicht gerechnet werden" könne. Man bitte "insoweit noch um etwas Geduld."
Am 23. August 2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Untätigkeitsklage erhoben, weil sich seit der Zwischennachricht vom 19. Mai 2006 "nichts getan" habe. Nachdem die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2006 zurückgewiesen hatte, erklärte die Klägerin die Untätigkeitsklage für erledigt. Gleichzeitig beantragte sie, der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden seien. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die "hohe Zahl der anhängigen Verfahren" befreie die Beklagte nicht davon, die dreimonatige Bescheidungsfrist einzuhalten. Soweit die Beklagte personell zu knapp ausgestattet sei, müsse sie sich dies als "Organisationsverschulden zurechnen lassen".
Mit Beschluss vom 18. Oktober 2006 verneinte das SG eine Kostenpflicht der Beklagten: Aufgrund der Zwischennachricht habe die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht mit einer Bescheidung ihres Widerspruchs rechnen dürfen. Es verstoße gegen "Treu und Glauben", wenn sie trotz Zwischennachricht ohne Vorwarnung oder Fristsetzung Untätigkeitsklage erhebe.
Nach Zustellung am 23. Oktober 2006 hat die Klägerin gegen diese Entscheidung am Folgetag Beschwerde eingelegt, der das SG mit Beschluss vom 25. Oktober 2003 nicht abgeholfen hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es sei nicht ihre Aufgabe, die Gründe für die Nichtbescheidung bei der Beklagten zu erfragen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin keine Kosten zu erstatten hat.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 102 Satz 3, 2. Halbsatz des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Denn die Klägerin hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Diese Erklärung ist prozessrechtlich als Klagerücknahme auszulegen (§ 102 Satz 2 SGG).
Über die Frage, ob die Beklagte der Klägerin außergerichtliche Kosten erstatten muss, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich sind (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NW], Beschlüsse vom 20. Dezember 2002, Az.: L 3 B 19/02 P, vom 09. Mai 2003, Az.: L 3 B 7/02 RJ sowie vom 19. September 2003, Az: L 3 B 4/03 RJ und L 3 B 1/03 RA; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl. 2005, § 193 Rn. 13). Dabei sind die Rechtsgedanken zu beachten, die sich aus § 202 SGG i.V.m. §§ 91 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) und des § 161 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergeben: War die Untätigkeitsklage zulässig und begründet, muss die Beklagte die außergerichtlichen Kosten grundsätzlich tragen. Allerdings orientiert sich die Kostenentscheidung nicht ausschließlich an der materiellen Rechtslage. Innerhalb seines weiten Ermessensspielraums kann das Gericht auch Billigkeitsgesichtspunkte wie den (allgemeinen) Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) berücksichtigen (vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 29. April 2003, Az.: VI R 140/90, NJW 2003, 2631; LSG NW, Beschluss vom 19. März 2003, Az.: L 3 B 4/03 RJ). Eine Kostenerstattung scheidet daher in der Regel aus, wenn die Beklagte aus zureichenden Gründen nicht entschieden hatte und der Widerspruchsführer diese Gründe kannte oder kennen musste und deshalb nicht mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke aus § 161 Abs. 3 VwGO; LSG NW, Beschlüsse vom 20. Dezember 2002, Az.: L 3 B 19/02 P und vom 09. Mai 2003, Az.: L 3 B 7/02 RJ; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 88 Rn. 11 und § 193 Rn. 13c; Zeihe, SGG, § 193 Rn. 7j, 10 b).
Die Untätigkeitsklage war zulässig, weil die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 06. März 2006 nicht innerhalb der dreimonatigen Sperrfrist bis zum 06. Juni 2006 beschieden hatte (vgl. § 88 Abs. 2 SGG). Sie war auch begründet. Denn die Beklagte hatte vor Erhebung der Untätigkeitsklage am 23. August 2006 über den Widerspruch ohne zureichenden Grund noch nicht entschieden. Die Widerspruchssache war nämlich entscheidungsreif, nachdem der Behandlungsbericht des St.-K-Hospitals in E am 03. Mai 2006 eingegangen und die Verwaltung am 10. Mai 2006 beschlossen hatte, dem Widerspruch nicht abzuhelfen (§ 85 Abs. 2 SGG). Danach hatte der Widerspruchsausschuss der Beklagten bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage immerhin mehr als drei Monate Zeit, über den Widerspruch zu beraten und zu entscheiden. Eine "hohe Zahl" anhängiger Widerspruchsverfahren ist allein noch kein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs. Denn Personalmangel oder eine unzureichende Ausstattung mit sachlichen Haushaltsmitteln entschuldigen das Fristversäumnis grundsätzlich nicht (Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 88 Rn. 7b). Zwar ist anerkannt, dass vorübergehende besondere Belastungssituationen (z.B. eine Welle von Widersprüchen aufgrund einer Gesetzesänderung, vgl. BSG, Urteil vom 08. Dezember 1993, Az.: 14a RKa 1/93, SozR 3-1500 § 88 Nr. 1; LSG Berlin, Beschluss vom 02. November 1992, L 7 Ka-S 36/92, NZS 1993, 184) längere Bearbeitungszeiten rechtfertigen können (vgl. Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 88 Rn. 7a). Um sich in diesen Fällen zu exkulpieren, muss die Beklagte dem Widerspruchsführer aber die Verzögerungsgründe substantiiert darlegen, Beschleunigungsmaßnahmen ergreifen und ihm aufzeigen, wann er mit der Bescheidung des Widerspruchs voraussichtlich rechnen kann. Der Hinweis, es werde keinesfalls "kurzfristig", sondern "baldmöglichst" entschieden, reicht hierfür nicht aus.
War die Untätigkeitsklage somit zulässig und begründet, darf der Widerspruchsführer in aller Regel eine Bescheidung vor Klageerhebung erwarten (Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 161 Rn. 42; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 161 Rn. 36; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 193 Rn. 13c). Allerdings hatte die Beklagte der Klägerin am 19. Mai 2006 in ihrer Zwischennachricht mitgeteilt, dass "mit einer kurzfristigen Entscheidung nicht gerechnet werden" könne.
Dies kann bei der Kostenentscheidung nicht unberücksichtigt bleiben. Denn auch im Prozessrecht gilt der Grundsatz von Treu und Glauben (Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., vor § 60 Rn. 14), aus dem sich das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme ableiten lässt (vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 62. Aufl. 2003, § 242 Rn. 3). Mit ihrer Zwischennachricht vom 19 Mai 2006 hat die Beklagte die Klägerin von sich aus darüber informiert, dass sich die Widerspruchsentscheidung verzögern werde und gleichzeitig um "etwas" Geduld gebeten. Aufgrund dieser Kontaktaufnahme durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass die Klägerin jedenfalls nicht ohne außergerichtliche "Mahnung" bzw. Vorwarnung "aus heiterem Himmel" Untätigkeitsklage erheben werde.
Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die zulässige Untätigkeitsklage begründet und die Sperrfrist bereits geraume Zeit überschritten war, die Beklagte dennoch keine Beschleunigungsmaßnahmen ergriffen hat und der Klägerin keinen konkreten Entscheidungstermin in Aussicht gestellt, geschweige denn verbindlich zugesagt hatte. Die Klägerin hatte als Hinterbliebene aber ein verstärktes Interesse an einer möglichst zügigen Bescheidung ihres Widerspruchs. Denn die Beklagte hatte die Verletztenrente des Versicherten, der gegenüber der Klägerin unterhaltspflichtig war, zum 31. Januar 2006 eingestellt. In dieser Situation benötigte die damals 61jährige Witwe zeitnah Klarheit, ob und ggf. in welcher Höhe sich die Beklagte zukünftig an der Sicherung ihres Lebensunterhalts beteiligen würde. Insofern hat auch die Beklagte auf die berechtigten Belange der Klägerin nicht in ausreichendem Maße Rücksicht genommen.
Da beide Beteiligten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und deshalb etwa in gleicher Weise zum Entstehen des Klageverfahrens beigetragen haben, erscheint dem Senat eine hälftige Kostenteilung gerechtfertigt und angemessen, zumal sich die Rechtsanwaltsvergütung im unteren Bereich des Gebührenrahmens bewegen wird.
Diese Entscheidung ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.
Erstellt am: 30.03.2007
Zuletzt verändert am: 30.03.2007