Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10. Januar 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe der Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1961 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Maurers und übte diese Tätigkeit bis Oktober 1992 aus. Wegen bandscheibenbedingter Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) gab er diese Tätigkeit auf. Seit Januar 1996 ist er als Gebietshausmeister bei einer Wohnungsbaugesellschaft tätig.
Seinen im März 1993 gestellten Antrag auf Anerkennung und Entschädigung einer bandscheibenbedingten Berufskrankheit im Bereich der LWS lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.05.1994/Widerspruchsbescheid vom 18.11.1994). Sie begründete dies damit, dass nach dem beigezogenen chirurgischen Gutachten von Prof. Dr. F vom 23.02.1994 die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben sei. Im anschließenden Klageverfahren S 17 U 334/94 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erstattete die Orthopädin Dr. H am 26.10.1995 ein Gutachten, in dem sie zu einer gegensätzlichen Beurteilung der Zusammenhangsfrage kam, die bandscheibenbedingten Veränderungen in den unteren Segmenten der LWS als Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers ansah und die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 30 v.H. einschätzte. Nach Beiziehung eines radiologischen Gutachtens von Dr. I vom 03.06.1996 sowie einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. I1 vom 01.08.1996, in der dieser sich der Zusammenhangsbeurteilung durch die Gerichtssachverständige anschloss, die MdE vorläufig mit 20 v.H. bewertete, aber die Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens für erforderlich hielt, erkannte die Beklagte vergleichsweise das Vorliegen der streitigen BK an und sagte zu, diese zu entschädigen, sofern der Nachweis geführt sei, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit endgültig aufgegeben habe. Zugleich verpflichtete sich die Beklagte, ein neurologisches Gutachten einzuholen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot am 10.02.1996 an und erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt.
Die Beklagte holte sodann ein nervenärztliches Gutachten von Dr. T vom 26.04.1997 ein, in dem dieser wegen des Zustandes nach Entfernung eines Bandscheibenvorfalls in Höhe LWK 5/S 1 im Juni 1993, der mehretagigen Bandscheibendegeneration mit Osteochondrose und Unkovertebralarthrose sowie der glaubhaften starken Schmerzsymptomatik die MdE mit 20 v.H. bewertete. Dr. I1 schätzte unter dem 04.07.1997 die Gesamt-MdE mit 30 v.H. ein. In Ausführung des Vergleiches erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 07.04.1998 als Folgen der BK an: Bandscheibenbedingte Veränderungen im Bereich der LWS mit Osteochondrose der Bewegungssegmente L 4/L 5 und L 5/S 1, Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke L 3 – S 1, Wurzelreizsymptomatik der Bereiche L 3, L 5 und S 1, Einschränkung der Fähigkeit zu längerem Stehen, Sitzen oder Laufen, Beschwerden nach Bandscheibenoperation des Bewegungssegmentes L 5/S 1 sowie wirtschaftliche und soziale Nachteile infolge der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Maurer. Sie gewährte ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 07.07.1995 Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. Den gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, die MdE sei mit mindestens 40 v.H. zu bewerten, wies die Beklagte unter dem 08.09.1998 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 21.09.1998 Klage beim SG Dortmund erhoben und sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten. Dr. C ist im Gutachten vom 06.10.1999 zu dem Ergebnis gelangt, die MdE sei mit 20 v.H. ausreichend bewertet, weil in den vorliegenden Unterlagen über die medizinische Heilbehandlung immer wieder von einer Beschwerdebesserung gesprochen worden sei, während der Kläger bei den gutachterlichen Untersuchungen stärkere Beschwerden behauptet habe.
Nachdem der Kläger sich am 21.01.2000 einer erneuten Bandscheibenoperation unterziehen musste, hat die Beklagte einen Behandlungs- und Befundbericht von Prof. Dr. L vom 31.01.2000 sowie eine Stellungnahme von Dr. I1 vom 27.03.2000 beigezogen und – der Empfehlung des letztgenannten Arztes entsprechend – ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. L eingeholt. Darin ist dieser am 18.08.2000 zu dem Ergebnis gelangt, eine wesentliche Änderung der Folgen der BK sei nicht eingetreten. Es bestehe weiterhin ein Postdiskotomiesyndrom II. Grades. Die dadurch bedingte MdE sei weiterhin mit 30 v.H. zu bewerten.
Auf Antrag des Klägers hat das SG gemäß § 109 SGG ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. T1 vom 18.05.2001 eingeholt. Darin ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, die BK-bedingte MdE sei seit 1996 mit 40 v.H. zu bewerten. Begründet hat er diese Einschätzung mit einer erheblichen belastungsinduzierten Schmerzsymptomatik. Das SG hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme von Dr. C vom 17.08.2001 eingeholt, in der dieser ausgeführt hat, aufgrund der seinerzeit von ihm erhobenen Befunde sei die MdE mit 20 v.H. zutreffend bewertet worden. Die nachfolgend erfolgte Neubewertung durch Prof. Dr. L mit 30 v.H. sei aufgrund der erneuten Narbenbildung im Operationsgebiet erfolgt. Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. T1, wonach die MdE retrospektiv seit Januar 1996 bei 40 v.H. liegen solle, sei nicht nachvollziehbar.
Mit Urteil vom 10.01.2002 hat das SG daraufhin die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 11.02.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.02.2002 Berufung eingelegt. Unter Vorlage einer Bescheinigung des behandelnden Orthopäden Dr. X vom 14.02.2002 ist er der Ansicht, die MdE sei zumindest mit 40 v.H. zu bewerten. Dies habe der Sachverständige Dr. T1 zutreffend dargelegt. Wenn das SG Zweifel an seiner MdE-Einschätzung gehabt habe, hätte es den Sachverständigen ergänzend hören müssen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.01.2002 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 07.04.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen der BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 40 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und hat ein Nachuntersuchungsgutachten von Prof. Dr. L vom 26.03.2002 vorgelegt, in dem dieser eine Verschlechterung in den BK-Folgen seit seinem früheren Gutachten verneint und die MdE weiter mit 30 v.H. bewertet hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Akten der Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der Beratung.
II. Die Berufsrichter sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die zulässige Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Sie haben sie daher – nachdem die Beteiligten unter dem 13.05. und 05.06.2002 auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden sind – durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückgewiesen.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Verletztenrente, denn die von der Beklagten mit 30 v.H. angenommene MdE wird dem Ausmaß der durch die BK-Folgen bedingten Einbußen des Erwerbsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gerecht. Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wird dem Verletzten als Verletztenrente der Teil der Vollrente (§ 581 Abs. 1 Nr. 1 RVO) gewährt, der dem Grad der MdE entspricht, solange seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls – bzw. hier der BK – um wenigstens ein Fünftel (20 v.H.) gemindert ist. Die Bemessung des Grades der MdE, also die aufgrund des § 581 Abs. 1 RVO durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl. jetzt § 56 Abs. 2 Satz 1 des Siebten Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Unfallversicherung – [SGB VII]) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht nach seiner frei aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; SozR 3-2200 § 581 Nr. 7; Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R -). Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkung bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten, wobei es auf die Gesamtumstände des Einzelfalls ankommt (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 02.05.2001). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Einschätzung der MdE sind auch die von Rechtsprechung sowie vom versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23, 27; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 56 SGB VII Rdnr. 10.3). Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, wodurch gewährleistet wird, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 5; BSG, Urteil vom 19.12.2000 – B 2 U 49/99 R -).
Hiervon ausgehend ist aber festzustellen, dass die Bewertung der Folgen der BK 2108 durch die Beklagte aufgrund des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. H sowie der – urkundsbeweislich zu verwertenden – Gutachten und Stellungnahmen von Dr. I1 und Dr. T mit 30 v.H. angesichts der von diesen Ärzten erhobenen Befunde sachgerecht ist und mit den MdE-Erfahrungswerten in Einklang stehen. Da – wie dargelegt – für den Grad der MdE die festgestellte Funktionsbehinderung wesentlich ist, ist diesbezüglich auf das Bewegungsausmaß, vor allem der isoliert gemessenen LWS-Beugewinkel, Instabilität, Wurzelreizsyndrome und neurologische Ausfälle abzustellen (vgl. Mehrtens/ Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung [Kommentar] M 2108 Rdnr. 10 S. 32b). Danach werden funktionell nicht bedeutsame neurologische Ausfälle mit einer MdE um 10 v.H., starke Funktionseinschränkungen der LWS mit einer von 20 v.H. bewertet. Funktionseinschränkungen mit funktionell bedeutsamen motorischen Ausfällen und/oder ausgeprägten funktionell schwerwiegenden chronischen Wurzelreizsyndromen ziehen danach eine MdE um 30 v.H. nach sich (so auch Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage S. 540). An diesen Anhaltspunkten haben sich die vorgenannten medizinischen Gutachter und Sachverständigen orientiert, wobei Dr. I1 zutreffend darauf hingewiesen hat, dass im Hinblick auf die vergleichsweise geringen neurologischen Ausfälle die Einschätzung der MdE mit 30 v.H. sich im oberen Bereich der Bewertungsskala bewegt. Dementsprechend hat auch der Sachverständige Dr. C angesichts der von ihm erhobenen Befunde die Bewertung der BK-Folgen mit einer MdE von nur 20 v.H. als ausreichend angesehen. Die Einschätzung der MdE durch Prof. Dr. L in den von der Beklagten eingeholten Gutachten zur Rentenüberprüfung, die ebenfalls urkundsbeweislich zu werten sind, entspricht der der im Vorprozess gehörten Sachverständigen Dr. H. Ihr kommt hier auch deshalb ein besonderer Beweiswert zu, weil Prof. Dr. L ein besonderer Sachkenner der Bewertung berufsbedingter Erkrankungen der LWS ist und zudem in seiner Klinik im Januar 2000 der erneute operative Eingriff im unteren LWS-Segment vorgenommen worden ist. Aus seinen Gutachten vom 18.08.2000 und 26.03.2002 ergibt sich zudem, dass eine wesentliche Änderung in den Folgen der BK nicht eingetreten ist.
Soweit demgegenüber allein Dr. T1 als Sachverständiger des Vertrauens des Klägers die MdE mit 40 v.H. eingeschätzt hat, hat er sich offenkundig nicht an den MdE-Erfahrungswerten orientiert und seine Einschätzung nicht überzeugend begründet. Jedenfalls sind seine Darlegungen angesichts der gegenteiligen Bewertung durch Dr. H, Dr. I1, Dr. T, Dr. C und Prof. Dr. L zum Nachweis einer tatsächlichen Einbuße des Erwerbsvermögens von 40 v.H. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ungeeignet.
Da nach alledem der angefochtene Verwaltungsakt auch hinsichtlich der MdE-Bewertung der Sach- und Rechtslage entspricht, aufgrund der vorliegenden Gutachten eine hinreichend sichere Beurteilungsgrundlage gegeben ist und das Berufungsvorbringen des Klägers keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen gab, musste die Berufung des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass.
Erstellt am: 12.03.2004
Zuletzt verändert am: 12.03.2004