NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.10.2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird: Der Bescheid vom 15.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 wird insoweit aufgehoben, als ein über 4.462,56 Euro hinausgehender Betrag vom Kläger gefordert wird. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Der am 00.00.1966 geborene Kläger wendet sich gegen die Rückforderung einer Überzahlung in Höhe von 53.254,30 EUR.
Er erlitt am 09.03.1999 einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen ihm mit Bescheid vom 21.11.2000 Rente als vorläufige Entschädigung beginnend ab dem 19.04.1999 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH iHv seinerzeit 713,70 DM monatlich bewilligt wurde. Die technische Abwicklung der Auszahlung der Rente erfolgte durch den Postrentendienst.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten teilte als zuständiger Versicherungsträger dem Kläger mit per Postzustellurkunde (PZU) zugestellten Schreiben vom 30.04.2001 mit, die Folgen des Arbeitsunfalls bedingten nur noch eine MdE von 10 vH. Es sei daher beabsichtigt, die Rente zu entziehen. Mit weiterem Schreiben vom 17.05.2001 wies sie darauf hin, dass die Unfallrente mit Ablauf des Monats Mai 2001 wegfalle. Durch ein technisches Problem bei der Rentenrechnungsstelle der Post sei die Rente nicht eingestellt worden. Daher werde irrtümlich noch die Rente für Juni 2001 überwiesen. Dieser Rentenbetrag sei umgehend zu erstatten.
Mit am 16.06.2001 per PZU zugestellten, Bescheid vom 12.06.2001 stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten fest, dass ein Anspruch auf Rente für unbestimmte Zeit anstelle der bisher bezogenen vorläufigen Entschädigung nicht bestehe und entzog die bisherige Rente zum Ablauf des Monats Juni 2001. Zudem teilte sie mit Schreiben vom 05.07.2001 noch mit, der Rentenentziehungsbescheid sei dem Kläger erst im Laufe des Monats Juni 2001 zugestellt worden. Die Unfallrente stehe ihm somit doch bis Ende Juni 2001 zu. Eine Erstattung des Zahlbetrages für den Monat Juni 2001 sei daher nicht nötig und das Schreiben vom 17.05.2001 als gegenstandslos zu betrachten.
In der Folgezeit wurden gleichwohl Beträge in Höhe der bisherigen Unfallrente über den Postrentendienst an den Kläger weitergezahlt. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, nach dem Entzug der Rente mit Bescheid vom 12.06.2001 sei der damalige Zahlauftrag mit Wegfall Monat Mai 2001 eingestellt worden. Durch technische Fehler bei der Bundespost sei dieser Wegfallauftrag bei dem Postrentendienst zunächst nicht ausgeführt worden. Der Postrentendienst habe aber mitgeteilt gehabt, dass alle Wegfallaufträge automatisch für den Folgemonat erfasst würden, so dass ein erneuter Auftrag nicht erforderlich sei. Entgegen dieser Mitteilung habe der Postrentendienst den Wegfallauftrag nicht ausgeführt. Er habe auch keine weitergehende Prüfung in den Folgejahren vorgenommen. Für die BG sei der Fehler nicht erkennbar gewesen, da der Postrentendienst irrtümlicherweise von einer erfolgten Zahlungseinstellung berichtet habe. Erst durch einen "EDV-Batchlauf" im Oktober 2012 sei der Fehler offenbar geworden.
Nachdem sie die Weiterzahlung der entzogenen vorläufigen Rente im Oktober 2012 bemerkt hatte, teilte die Beklagte als nunmehr zuständiger Versicherungsträger dem Kläger mit Schreiben vom 21.12.2012 mit, im Zuge einer internen Prüfung sei aufgefallen, dass die Einstellung des Zahlungsauftrages seinerzeit unterblieben und die monatliche Zahlung weiterhin erfolgt sei. Nunmehr sei die Zahlung der Rente mit Ablauf November 2012 eingestellt worden. Es sei für die Zeit vom 01.07.2001 bis 30.11.2012 zu einer Überzahlung gekommen. Obwohl der Kläger mit Schreiben vom 09.01.2013 mitgeteilt hatte, er benötige für eine Stellungnahme Akteneinsicht und bitte um Verlängerung der gesetzten Frist, forderte die Beklagte mit Bescheid vom 15.01.2013 den insgesamt überzahlten Betrag iHv 53.254,30 EUR zurück. Zur Begründung führte sie ua aus, dem Kläger hätte auffallen müssen, dass er trotz des Entziehungsbescheides vom 12.06.2001 weiterhin monatliche Zahlungen in gleicher Höhe wie zuvor erhalten habe. Eine entsprechende Mitteilung über diesen Umstand sei von ihm jedoch unterblieben. Er habe die Leistungen ohne Rechtsgrund erhalten.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, die Beklagte habe die Jahresfrist des § 45 Abs 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) iVm der Vorschrift des § 50 Abs 2 SGB X nicht eingehalten. Sie habe Kenntnis von der Erbringung der rechtsgrundlosen Leistungen nach Maßgabe des Bescheides vom 12.06.2001 mit der jeweils monatlichen Auszahlung der Rente ohne Rechtsgrund gehabt. Darüber hinaus sei der Entziehungsbescheid vom 12.06.2001 rechtswidrig. Die aufgrund der Arbeitsunfallfolgen vorliegende MdE habe weiterhin 20 vH, nicht nur 10 vH betragen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 08.08.2013 zurück und führte darin aus, ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers sei bereits im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass er die Rechtswidrigkeit der Weiterzahlung der Rente gekannt habe. Bei der von ihr vorzunehmenden Ermessungsabwägung seien zu berücksichtigen gewesen "der Schutz der Beitragszahler in die Rechtmäßigkeit der erbrachten Leistungen", der Umstand, dass die zu Unrecht geleisteten Rentenzahlungen in den Risikobereich der BG gefallen seien sowie auch, dass der Kläger durch den Bescheid vom 12.06.2001 darüber informiert gewesen sei, dass ihm die Rente mit Ablauf des Monats Juni 2001 entzogen worden war. Angesichts der sich darstellenden Sachlage seien im Rahmen des Ermessens überwiegend keine billigenswerten Interessen anzuerkennen, das schuldhaft zu Unrecht Erlangte ganz oder teilweise zu behalten.
Der Kläger hat am 30.08.2013 Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben. Das Verfahren wurde zunächst zum Ruhen gebracht, weil der Kläger die Rücknahme des Rentenentziehungsbescheides vom 12.06.2001 nach § 44 SGB X beantragt und die Beklagte dies mit Bescheid vom 01.10.2013/30.01.2014 abgelehnt hatte. Gegen diese Entscheidung richtete sich das Klageverfahren SG Dortmund S 17 U 126/14 , welches der Kläger im Hinblick auf ein Gutachten des Chirurgen Dr. T vom 19.01.2015, der zu dem Ergebnis gekommen war, die MdE wegen der Arbeitsunfallfolgen sei ab dem 01.07.2001 mit 10 vH zu bemessen, am 11.02.2015 zurücknahm.
Nach Fortführung des vorliegenden Rechtsstreits hat der Kläger zur Begründung erneut vorgetragen, die 1-Jahresfrist sei nicht eingehalten. Zudem habe er seit dem 01.07.2001 regelmäßige Rentenanpassungsmitteilungen zur Höhe seines Leistungsanspruchs erhalten, die ihn als Berechtigten auswiesen. Die regelmäßige Bestätigung des Anspruchs dem Grunde und der Höhe nach stelle ein widersprüchliches Verhalten dar, das durch ein grobes Verschulden der Behörde sein Vertrauen in die Rechtsmäßigkeit der Leistung gestärkt habe. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der Fortsetzung der Leistung über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren. Die ständige Wiederholung einer nicht zustehenden Leistung sei darüber hinaus bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. In den angefochtenen Bescheiden fänden sich jedoch keinerlei dahingehende Ermessenserwägungen. Der Kläger hat eine Mitteilung zur Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung von der Deutschen Post AG, Niederlassung Rentenservice, über eine Anpassung zum 01.07.2012 vorgelegt.
Mit Urteil vom 04.10.2016 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 insoweit aufgehoben, als vom Kläger ein Betrag gefordert wird, der über den Betrag hinausgeht, den der Kläger vor Erhalt der ersten Rentenanpassungsmitteilung empfangen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte könne die Überzahlung vom Kläger nur dann zurückfordern, wenn dieser das Geld durch eigene in mindestens grob fahrlässiger Hinsicht unterbreitete Angaben erhalten habe oder gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst habe, dass ihm die Gelder nicht zustehen – §§ 50 Abs. 2, 45 Abs. 4 SGB X -. Zumindest grob fahrlässige falsche Angaben habe der Kläger nicht gemacht. Ihm sei jedoch bis zum Erhalt der ersten Rentenanpassungsmitteilung grobe Fahrlässigkeit beim Empfang der Gelder entgegen zu halten, weil es sich ihm habe aufdrängen müssen, dass ihm die Rente durch einen Irrtum weiter ausgezahlt werde. Die Beklagte habe den Kläger zum Wegfall der Rente angehört und ihm durch Bescheid vom 12.06.2001 den Wegfall auch mitgeteilt. Die Wirkungskraft des Bescheides vom 12.06.2001 auf den subjektiven Horizont des Klägers sei jedoch entscheidend erschüttert worden in dem Augenblick, als er die erste Rentenanpassungsmitteilung erhalten habe. Von diesem Zeitpunkt an habe sich bei dem Kläger Verunsicherung einstellen müssen, mit dem Ergebnis, dass das Maß von grober Fahrlässigkeit nicht mehr erreicht worden sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 14.10.2016 zugestellte Urteil am 07.11.2016 Berufung eingelegt. Sie führt aus, die an den Kläger gerichteten Rentenanpassungsmitteilungen des Postrentendienstes hätten in einem ganz offensichtlichen Widerspruch zu dem erteilten Bescheid vom 12.06.2001 gestanden; auch die weiteren Schreiben vom 17.05. und 05.07.2001 hätten dem Kläger die Rechtswidrigkeit der erfolgten Zahlungen aufdrängen müssen. Für die BG sei der Fehler hingegen nicht erkennbar gewesen, da der Postrentendienst irrtümlicherweise von einer erfolgten Zahlungseinstellung berichtet habe. In der Folgezeit habe es keine Bearbeitungsschritte in der Akte gegeben, die die irrtümliche Weiterzahlung durch die Sachbearbeitung hätte aufdecken können. Erst durch den EDV-Batchlauf im Oktober 2012 sei der Fehler offenbart worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.10.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Auffassung, eine Meldung des Postrentendienstes an die Beklagte in einem Rundscheiben vom 14.05.2001 habe Kenntnis dafür begründet, dass für den Monat Juni 2001 irrtümlich der Rentenanspruch nochmals ausgezahlt wurde. Diese Kenntnis hätte den zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten dazu drängen müssen, bereits seinerzeit die tatsächliche Zahlungseinstellung nochmals zu überprüfen, was grob fahrlässig unterlassen worden sei.
Die Beklagte hat auf Aufforderung durch den Senat mitgeteilt, die Möglichkeit für die Sachbearbeitung, sog. Buchungsjahre einzusehen und zu prüfen, ob eine laufende Zahlung tatsächlich eingestellt worden sei, bestehe erst seit Einführung eines neuen Anwendungssystems im Jahr 2007. Diese zusätzliche Kontrolle sei seinerzeit aber "ex nunc" etabliert und es seien keine Altfälle nachträglich kontrolliert worden. In der Zeit von 2001 bis 2012 seien keinerlei übergreifende Prüfungen zwischen den tatsächlich erbrachten und den zu erbringenden Rentenzahlung durchgeführt worden. Vielmehr sei die Prüfung immer mit der sog. Abrechnung erfolgt, die der Postrentendienst zu jedem Arbeitsmonat übermittelt habe. Insoweit seien laufender Bestand, Zu- und Abgänge sowie Zahlungsänderungen abgeglichen worden. Hieraus habe sich vorliegend ein korrekter Bestand ergeben, weil der Vorgang wegen des fehlenden Wegfalls noch mit dem Aktenzeichen zur laufenden Zahlung gemeldet gewesen sei und insoweit eine Übereinstimmung mit der laufenden Abrechnung der Post bestanden habe. Im neuen, heutigen, Anwendungssystem werde nach Einstellung einer laufenden Zahlung kontrolliert, ob für den auf den Soll-Wegfallmonat folgenden Monat richtigerweise keine Buchung der laufenden Zahlung mehr erfolgt ist. Eine solche Kontrollmöglichkeit habe im Anwendungssystem 2001 noch nicht bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Der Kläger ist nicht verpflichtet, von der entstandenen Überzahlung in Höhe von 53.254,30 Euro einen über 4.462,56 Euro hinausgehenden Betrag zurückzuzahlen. Die Voraussetzungen für eine Rückforderung nach der allein als Rechtsgrundlage hierfür in Betracht kommenden Vorschrift des § 50 Abs. 2 SGB X sind nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend.
Die von der Beklagten zurückgeforderten Leistungen sind ohne Verwaltungsakt erbracht worden. Eine Leistung ist dann zu Unrecht erbracht, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung, noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Typische Fälle zu Unrecht erbrachter Leistungen im Sozialleistungsrecht sind solche, die von einem damit in Zusammenhang stehenden Verwaltungsakt nicht gedeckt sind, etwa weil dieser aufgehoben worden war (vgl. Baumeister in jurisPK-SGB X, Stand 08.02.2017, § 50 Rn 94 mwN).
Die seit dem 01.07.2001 weiterhin erfolgten Zahlungen beruhten formell nicht mehr auf einer ausgesprochenen Bewilligung. Grundlage für die Rentenzahlungen, die der Kläger seit April 1999 erhalten hatte, war der Bewilligungsbescheid vom 21.11.2000. Durch den Bescheid vom 12.06.2001, mit welchem die bis dahin gezahlte Rente entzogen wurde, fiel der Rechtsgrund für weitere Rentenzahlungen zum 30.06.2001 weg. Der Bescheid vom 12.06.2001 ist auch nicht nach § 44 SGB X aufgehoben worden. Die Beklagte hatte dies mit den Bescheiden vom 01.10.2013/30.01.2014 abgelehnt. Diese Bescheide sind mit der Klagerücknahme vom 11.02.2015 im Verfahren S 17 U 126/14, SG Dortmund, bestandskräftig geworden. Damit hat auch der Bescheid vom 12.06.2001 weiter Bestand.
Die Zahlungen sind auch materiell ohne gesetzlichen Anspruch erbracht worden. Aus dem im Verfahren S 17 U 126/14, SG Dortmund, eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. T ergibt sich, dass die MdE wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.03.1999 seit dem 01.07.2001 nur noch mit einer MdE von 10 vH zu bemessen sind und einen Verletztenrentenanspruch nach § 56 SGB VII seit Juli 2001 nicht mehr begründen.
Die Beklagte kann die Rückforderung der Überzahlung gleichwohl nicht verlangen, weil die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 45 SGB X nicht erfüllt sind.
Ob der Kläger sich auf Vertrauensschutz (§ 45 Abs. 2 und 3 SGB X) berufen kann, wie das SG meint, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Allerdings kann nicht angenommen werden, dass die Rentenanpassungsmitteilungen, die der Kläger erhielt, geeignet waren, bei ihm schutzwürdiges Vertrauen zu begründen, jedenfalls nicht innerhalb einer so kurzen Zeit, wie das SG annimmt. Der Kläger hatte immerhin aufgrund des Aufhebungsbescheides vom 12.06.2001 und auch der Schreiben vom 17.05.2001 und 05.07.2001 positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der weiteren Zahlungen und die Rentenanpassungsmitteilungen stammten auch nicht von der Beklagten.
Die Rückforderung der erbrachten Leistungen ist aber jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte das ihr obliegende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
Beim Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB X ist wegen des Verweises auf die Vorschriften der §§ 45, 48 SGB X ungeachtet dessen Wortlauts (" sind sie zu erstatten.") eine Ermessensentscheidung zu treffen (hM, vgl ua Baumeister, aaO, Rn 98 mwN).
Die notwendige Ermessensausübung ist gerichtlich auf Ermessensfehler zu prüfen. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Beklagte alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Abwägungsbelange ermittelt, in die Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden Gewicht bewertet und einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat (vgl. hierzu ua Urteil des BSG vom 30.10.2013 – B 12 R 14/11 R – in juris Rn 30 mwN). Die Beklagte hat im Bescheid vom 15.01.2013 gar keine und im Widerspruchsbescheid vom 08.08.2013 nur eine fehlerhafte Abwägung vorgenommen. Sie hat einen für die vorzunehmende Ermessensabwägung maßgeblichen Gesichtspunkt, der nicht unbeachtet bleiben durfte, gar nicht beachtet. Sie hat ein eigenes gravierendes Verschulden an der Entstehung vor allem der erheblichen Höhe der Überzahlung in die Abwägung für und gegen eine Bescheidkorrektur nicht eingestellt.
Zwar ist ein Versicherungsträger im Rahmen seiner Ermessensabwägung nicht verpflichtet, eigene Fehler in das Ermessen zu Gunsten des Betroffenen einzustellen (vgl. hierzu insbesondere Urteil des BSG vom 30.10.2013, aaO, Rn 32). Diese Rechtsprechung beansprucht Geltung jedoch nur für schlichte, einfache Verwaltungsfehler, insbesondere solche, die überhaupt erst dazu geführt haben, dass eine Überzahlung hat überhaupt entstehen können. Hingegen können grobe Fehler abwägungsrelevant sein (vgl. BSG aaO Rn 33 ff).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist der Grund dafür, dass vorliegend die eingestellte Rente überhaupt weiter gezahlt wurde, nämlich ein technischer Fehler bei dem von der Beklagten für die Zahlung eingeschalteten Postrentendienst, den sich die Beklagte zurechnen lassen muss, irrelevant. Der technische Fehler der Nichteinstellung der laufenden Überweisungen stellt nur einen einfachen, normalen Verwaltungsfehler dar. Dieser war in die Ermessensabwägung nicht einzubeziehen.
Der Senat sieht ein aber ein abwägungsrelevantes Verschulden der Beklagten zunächst darin, dass im Juli/August 2001 die Sachbearbeitung nicht in eine besonders genaue Kontrolle im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt bereits aufgetretenen Fehler eingetreten ist. Der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten wusste, dass durch ein technisches Problem bei der Rentenrechnungsstelle der Post die vorgesehene Einstellung der Rentenzahlung bereits im Mai 2001 nicht ausgeführt worden war. Der Postrentendienst hatte in einem allgemeinen Schreiben mitgeteilt, dass technische Fehler aufgetreten und deshalb Wegfallaufträge zunächst nicht ausgeführt worden waren. Zwar hatte er mitgeteilt, dass automatisch die Wegfallaufträge im nächsten Monat umgesetzt würden. Im Hinblick auf die offensichtlich im Bereich der Post bestehenden technischen Probleme hätte sich die Sachbearbeitung der Beklagten nicht mit der seinerzeit üblichen Kontrolle (das im Schriftsatz vom 24.02.2017 genannte "4-Augen-Prinzip") begnügen dürfen, sondern hätte durch Wiedervorlage der Akte die tatsächliche Durchführung des Wegfalls des Zahlauftrags überprüfen müssen; ggf. auch durch Rückfrage beim Postrentendienst oder beim Kläger.
Ein besonders gravierendes Verschulden der Beklagten sieht der Senat zudem im Fehlen eines institutionalisierten Kontrollmechanismus zur Überprüfung des Postrentendienstes in der Zeit bis 2007. Wie die Beklagte selbst einräumt, wurden jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei übergreifende Prüfungen zwischen den tatsächlich erbrachten und den zu erbringenden Rentenzahlungen durchgeführt. Die Beklagte nahm die Mitteilung des Postrentendienstes über die Ausführung eines Wegfallauftrages ungeprüft hin und verließ sich ausschließlich auf zufällige Kontrollanlässe wie etwa einen Bearbeitungsschritt in der Akte aus anderem Grund. Diese fehlende institutionelle Sicherung führte dazu, dass die Sachbearbeitung nach Juli/August 2001 nicht mehr mit dem Versicherungsfall des Klägers befasst war und die fehlerhafte Weiterzahlung der Rente erkennen konnte, wodurch auch die erhebliche Höhe der Überzahlung entstand, die den Kläger im Falle einer vollständigen Rückzahlungsverpflichtung ggf. in existenzielle Probleme bringen würde. Es ist für den Senat unverständlich, weshalb man bei der Beklagten bis 2007 keine Möglichkeit geschaffen hatte, die Rentenzahlungen durch den Postrentendienst grundsätzlich prüfen zu können und sich mit im Zusammenhang mit anderen Bearbeitungsanlässen stehende letztlich zufällige Kontrollen begnügt hat. Der Umstand, dass ab 2007 eine solche institutionalisierte Kontrollmöglichkeit geschaffen wurde, zeigt, dass man offenbar auch bei der Beklagten erkannt hatte, dass das bisherige System so nicht weitergeführt werden konnte.
Beide Gesichtspunkte eines eigenen gravierenden Verschuldens musste die Beklagte in die von ihr anzustellende Abwägung einbeziehen.
Sowohl die fehlende gesteigerte Kontrolle ihrer Sachbearbeitung und besonders das aufgezeigte Organisationsverschulden der Beklagten gehen über einfache Fehler hinaus. Diese beiden Fehler führten jedenfalls zu der erheblichen Höhe der Überzahlung. Sie stellen grobe Fehler dar, die mit zunehmender Dauer der Überzahlung umso gravierender zu werten sind. Wäre die Beklagte ihrer Verpflichtung nachgekommen, diese groben Fehler in die Ermessensausübung einzubeziehen, hätte sich ihr aufdrängen müssen, dass es womöglich angemessen gewesen wäre, wenn auch nicht auf den vollständigen, so aber doch auf einen Teil des überzahlten Betrages zu verzichten. Zugleich ist das auf Seiten des Klägers vorliegende Verschulden mit zunehmendem Zeitablauf als immer geringfügiger einzustufen, was ebenfalls rechtfertigen konnte, nicht den Gesamtbetrag der Überzahlung zurückzufordern.
Der Ermessensfehlgebrauch der Beklagten führt zur Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheides vom 15.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013. Der Senat ist nicht berechtigt, die fehlerhafte Ermessensausübung der Beklagten selbst nachzuholen, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Beklagten zu setzen und den Rückforderungsbescheid nur zum Teil aufzuheben, zumal der Beklagten ein nicht zu enger Spielraum bezüglich der Höhe ihres Verzichts auf einen Teil des überzahlten Betrages offen gestanden hätte.
Die Zahlungsverpflichtung des Klägers in Höhe von 4.462,56 Euro ergibt sich aus dem insoweit rechtskräftig gewordenen Urteil des SG Dortmund, welches der Kläger nicht mit der Berufung angegriffen hat.
Der Tenor des Urteils des SG war zur Klarstellung zu berichtigen. Der Betrag von 4.462,56 Euro ergibt sich aus dem Zeitpunkt des Erhalts der ersten Rentenanpassungsmitteilung und den bis dahin geleisteten Rentenzahlungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, denn die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; vielmehr war im Einzelfall zu prüfen, ob ein (Mit)Verschulden der Beklagten an der Überzahlung vorlag, die im Rahmen der Ermessensbetätigung berücksichtigt werden musste. Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung des BSG ab wie sie insbesondere im Urteil vom 30.10.2013 (aaO) zum Ausdruck kommt (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 02.01.2018
Zuletzt verändert am: 02.01.2018