Die Beitragsbescheide der Beklagten vom 26.04.2010 und 11.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2012 werden insoweit aufgehoben, als dort den Gefahrentarifstellen 23-25 Arbeitnehmertätigkeiten zugeordnet werden, die nach der physischen Erzeugung von Produkten einsetzen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Klägerin und die Beklagte haben die gerichtlichen Kosten des Verfahrens je ½ zu tragen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu ½ zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Veranlagung der Klägerin, von Beitragsbescheiden und hilfsweise um die Frage der Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen der Klägerin.
Die Klägerin stellt im Wesentlichen Strumpfwaren her und vertreibt diese Waren. Sie entrichtet langjährig Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung an die Beklagte. Im Dezember 2009 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und erklärte, Widerspruch gegen die Höhe der Beiträge für die Jahre 2004 bis 2008 einzulegen.
Die Beklagte erließ unter dem 26.04.2010 einen Beitragsbescheid für das Kalenderjahr 2009 und unter dem 11.02.2011 einen Beitragsänderungsbescheid für das Jahr 2008 sowie unter demselben letztgenannten Datum einen Veranlagungsbescheid für die Jahre 2008 bis 2011. Auch gegen diese Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein.
Unter dem 06.10.2011 erging dann ein Veranlagungsbescheid für die Zeit ab dem 01.01.2012, gegen welchen die Klägerin ebenfalls Widerspruch einlegte. Ebenfalls mit einem Widerspruch angefochten wurde ein vom 12.03.2012 datierender Bescheid der Beklagten, mit welchem diese es ablehnte, die Klägerin zuständigkeitshalber an eine andere Berufsgenossenschaft zu überweisen.
Unter dem 18.07.2012 erließ die Beklagte einen Widerspruchsbescheid, mit welchem sie die Widersprüche gegen die Bescheide vom 26.04.2010, 11.02.2011, 06.10.2011 und 12.03.2012 als unbegründet zurückwies. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass ihre Mitarbeiter sich vor Ort davon hätten überzeugen können, dass der Unternehmensgegenstand weiterhin die Bekleidungsherstellung sei. Insoweit habe man auch entsprechend einen Herstellungsbetrieb vorgefunden. Der Umstand, dass die entworfenen Produkte mittlerweile zu Teilen in sog. Billiglohnländern vervielfältigt würden, ändere an dieser Betrachtung nichts.
Die Klägerin trägt vor, sie nehme in der Unternehmensgruppe G u.a. die Funktion einer Verwaltungsgesellschaft wahr. Im Übrigen sei sie ein Handelsunternehmen, welches den Vertrieb von Waren an den Einzelhandel und an den Großhandel betreibe. Nur noch in geringem Umfang würden von ihr Waren auch produziert. Die Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen der Beklagten, welche sie weiterhin als Produktionsunternehmen ansehe, zeige sich in der Tatsache, dass sie räumlich getrennt ein großes Logistikzentrum innehabe. Ihr Unternehmensschwerpunkt habe sich zu einem Handelsunternehmen verschoben. Insofern sei ihrer Auffassung nach auch nicht mehr die Beklagte für sie zuständig, sondern die Berufsgenossenschaft für I.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich wörtlich
1. die Beklagte zu verpflichten, sie ab dem 01.01.2004 insgesamt zu den Gefahrtarifstellen Strickerei (7), Veredlung (9), Herstellung von Bekleidung (10), Großhandel mit Textilien und Bekleidung (9854), Einzelhandel mit Textilien und Bekleidung (9903), kaufmännisch und verwaltender Teil (1) sowie ab dem 01.01.2012 insgesamt zu den Gefahrtarifstellen Herstellung und Bekleidung von Wäsche (1201), Handel mit Textilien (2012), kaufmännisch und verwaltender Teil (1900) zu veranlagen bzw. den bereits vorhandenen Gefahrtarifstellen antragsgemäß die Lohnsummen zuzuordnen,
2. hilfsweise, sie ab dem 01.01.2004 – äußerst hilfsweise ab einem späteren Zeitpunkt – an die Berufsgenossenschaft I zu überweisen,
3. die Beitragsbescheide ab dem Jahr 2004 abzuändern und die sich aus dem Antrag zu 1, – hilfsweise zu 2 – ergebenden Beitragsrückerstattungen zzgl. Zinsen zu leisten.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig und trägt ergänzend vor, wegen der Globalisierung könnten althergebrachte Definitionen nicht mehr ohne eine zeitgemäße und realitätsbezogene Auslegung verwendet werden. Art und Gegenstand eines Herstellungsbetriebes reduzierten sich nicht auf die physische Erzeugung der Produkte. Maßgebend seien vielmehr auch die geistige Schaffung und Entwicklung der Produkte, deren Serienreifmachung, die Überwachung und Steuerung der Herstellungsvorgänge, die Qualitätskontrolle und nicht zuletzt der obligatorische Vertrieb.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig, soweit mit ihr die Abänderung von Beiträgen außerhalb der Jahre 2008 und 2009 begehrt wird.
Gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Zu Beiträgen in Zeiträumen außerhalb der Jahre 2008 und 2009 ist indes vor Erhebung der hiesigen Klage am 20.08.2012 ein abgeschlossenes Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden. Bereits aus dem Betreff des Widerspruchsbescheides ergibt sich, dies im Einklang mit dem sodann niedergelegten Regelungsinhalt, dass an Beitragsbescheiden nur derjenige vom 26.04.2010 für das Kalenderjahr 2009 und derjenige vom 11.02.2011 für das Kalenderjahr 2008 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen sind. Der Verweis der Klägerin auf die Benennung des Bescheides vom 12.03.2012 in dem Widerspruchsbescheid vom 18.07.2012 geht ins Leere, denn der Regelungsgehalt dieses Bescheides betrifft unmissverständlich die Frage der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen der Klägerin und nicht die Höhe von Beiträgen.
Die Klage ist ferner unzulässig, soweit mit ihr die Veranlagungsbescheide vom 11.02.2011 und 06.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2012 angefochten werden.
Gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGG ist eine Klage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes beschwert zu sein. Eine solche Beschwer betreffend die genannten Veranlagungsbescheide kann die Klägerin substantiiert nicht geltend machen. Aus den Veranlagungsbescheiden ergibt sich nur, welche Gefahrtarifstellen die Beklagte der Beitragsberechnung zugrundlegen wird, nicht aber wie viele Arbeitnehmer welcher Tarifstelle zugeordnet werden. Allein letzteres indes hat Einfluss auf die Höhe der von der Klägerin zu entrichtenden Beiträge. Die Richtigkeit der zugrundegelegten Tarifstellen als solche wird von der Klägerin auch nicht bestritten, sondern allein die Verteilung der Arbeitnehmertätigkeiten auf diese Tarifstellen.
Betreffend die Anfechtung des Beitragsbescheides vom 26.04.2010 und des Beitragsänderungsbescheides vom 11.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2012 ist die Klage zulässig und auch begründet. Die Kammer hat dabei in Anwendung von § 123 SGG über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche entschieden, ohne an die Fassung ihrer – nicht vollständig sachdienlichen – Anträge gebunden zu sein
Die Bescheide der Beklagten vom 26.04.2010 und 11.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2012 sind insoweit rechtswidrig, als dort den Gefahrtarifstellen 23-25 Arbeitnehmertätigkeiten zugeordnet werden, die nach der physischen Erzeugung von Produkten einsetzen.
Die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung entspricht den Vorschriften der §§ 150, 157 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), sie entspricht indes nicht der Satzung der Beklagten. Nach der Gefahrtarifsatzung der Beklagten, die für die Veranlagung ab dem 01.01.2008 gültig geworden ist, ist der Gefahrtarifstelle 23 der Bereich der Strickerei und Wirkerei ohne Veredlung zuzuordnen, der Tarifstelle 24 der Bereich der Veredlung von Textilstoffen, Textilersatzstoffen und Textilerzeugnissen sowie von technischen Textilien und von Rauchwaren und der Gefahrtarifstelle 25 der Bereich der Herstellung von Bekleidung und Wäsche, Konfektion von Textilprodukten, Näherei und dergleichen und der textile Service. Zur Überzeugung der Kammer sind die Arbeitnehmer, die noch im eigentlichen Produktionsprozess im Unternehmen der Klägerin beschäftigt sind, damit die deutliche Minderzahl der Arbeitnehmer, diesen Tarifstellen je nach konkreter Ausrichtung zuzuordnen, nicht aber die deutliche Mehrzahl der Arbeitnehmer, die nur noch dafür zuständig sind, die zumeist im Ausland produzierten Waren vertriebsfertig zu machen. Jene Arbeitnehmer sind vielmehr den Tarifstellen 99 und 1012 zuzuordnen. Die Kammer ist der Überzeugung, dass bei der Subsumtion bestimmter Tätigkeiten unter die Gefahrtarifstellen dem Sinn und Zweck der Gefahrentarifsatzung Rechnung getragen werden muss, die verschiedenen Arbeitnehmertätigkeiten ihrem Gefahrenpotential entsprechend auch unterschiedlich einzustufen. § 157 Abs. 2 SGB VII bestimmt, dass der Gefahrtarif nach Tarifstellen gegliedert wird, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Wenn der Tatbestand einer Gefahrtarifstelle es erlaubt, eine weniger gefahrenträchtige Arbeit hierunter zu subsumieren, so ist es zur Überzeugung der Kammer abseits von traditionellen, den Charakter eines Unternehmens insgesamt in den Blick nehmenden Überlegungen nicht nur zulässig, sondern auch geboten, dem Rechnung zu tragen und die betreffende Tätigkeit ihrem geringeren Gefahrenpotential entsprechend zuzuordnen. Mit den Gefahrtarifstellen 99 und 1012 hält die Satzung der Beklagten zur Überzeugung der Kammer Stellen vor, die diese Einstufung unschwer ermöglichen. Nach den von der Klägerin beschriebenen, von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben zu der Art der Tätigkeit der deutlichen Mehrzahl der Arbeitnehmer der Klägerin, welche zudem weit überwiegend in einem getrennten Logistikzentrum vonstattengeht, setzt deren Arbeit zu einem Zeitpunkt ein, da der physische Erzeugungsprozess der Waren bereits seinen Abschluss gefunden hat und es nur noch darum geht, durch Kommissionierung der Produkte, deren sog. Belabelung und sonstige Maßnahmen die Produkte vertriebsfertig zu machen. Diese Arbeiten weisen zur Überzeugung der Kammer eine deutlich engere Verbindung zu dem sodann einsetzenden Handel mit diesen Produkten auf als zu deren – zuvor erfolgter – Herstellung. Für die Kammer ist dabei nach oben Gesagtem wichtig, dass auch bzgl. der Gefahrenträchtigkeit der Arbeiten eine erheblich größere Nähe zu dem Bereich der eigentlichen Handelsaktivität besteht als zu dem Produktionsbereich.
Die Betrachtung des Sachverhaltes durch die Beklagte erscheint der Kammer in Teilen durchaus nachvollziehbar. Die Beklagte weist dem Grunde nach zutreffend darauf hin, dass die Tätigkeit eines Herstellungsbetriebes sich nicht auf die physische Erzeugung von Produkten reduziert. Fehlerhaft erscheint der Kammer allerdings die Schlussfolgerung, dass man aufgrund dieses Umstandes Arbeitnehmer der Herstellung zuzuordnen habe, obwohl Tarifstellen bereitstehen, die eine sachgerechtere Zuordnung erlauben. Die Beklagte würdigt bei ihrer Argumentation zur Überzeugung der Kammer nur unzureichend den Umstand, dass nicht ein ganzes Unternehmen einer Gefahrentarifstelle zugeordnet wird, sondern die in diesem Unternehmen verrichtete Arbeiten. Dass diese Arbeiten unterschiedlicher Natur sein können, hat die Beklagte bei den Zuordnungen in der Vergangenheit dem Grunde nach auch selbst konzediert, indem sie Arbeitnehmer der Klägerin außerhalb der Tarifstellen für die Produktion eingeordnet hat. Wenn die Beklagte im Übrigen vorträgt, dass wegen der Globalisierung althergebrachte Definitionen nicht mehr ohne eine zeitgemäße und realitätsbezogene Auslegung verwendet werden könnten, so trifft auch dies dem Grunde nach zu. Gerade diese Form der Auslegung ergibt indes zur Überzeugung der Kammer die Notwendigkeit, noch genauer die Aufgabenfelder der beschäftigten Arbeitnehmer in den Blick zu nehmen, die gerade wegen der Globalisierung einhergehend mit dem Verschieben von Produktionsprozessen in sog. Billiglohnländer in den vergangenen Jahren großen Veränderungen unterworfen waren.
Der Klage war daher teilweise stattzugeben, wobei sich die Kostenentscheidungen aus § 193 und § 197a Abs. 1 S. 1 SGG und § 155 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergeben.
Erstellt am: 18.07.2017
Zuletzt verändert am: 18.07.2017