NZB d.Kl. als unzulässig verworfen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 17.01.1996 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1936 geborene Kläger begehrt die Nachteilsausgleiche "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) und "1.Kl." (Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die 2. Klasse) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Er erlitt 1968 einen Verkehrsunfall. Wegen dessen Folgen stellte der Beklagte mit Bescheiden vom 11.10.1977 und 20.08.1981 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE; nunmehr Grad der Behinderung = GdB) von 100 fest; die Behinderungen bezeichnete er mit " Geringe neurologische Abweichungen und Wesensveränderungen nach Hirnbeschädigung. Ohne wesentliche Funktionsstörungen verheilter Unterschenkelbruch links". Gleichzeitig wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "H", "G" und "B" (Hilflosigkeit, erhebliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Straßenverkehr sowie Notwendigkeit ständiger Begleitung) festgestellt.
Im Juni 1994 beantragte der Kläger die Nachteilsausgleiche "RF" und "1.Kl.". Nach Einholung eines Befundberichts der praktischen Ärztin Dr. H. gab der Sozialmediziners Dr. D. in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 05.8.1994 die Bewertung ab:
Geringe neurologische Abweichungen und Wesensveränderungen nach Hirnbeschädigung= GdB 100
Koronare Herzkrankheit, Narbe nach Herzinfarkt= GdB 30
Magenschleimhautentzündung mit rezidivierendem Zwölfingerdarmgeschwür= GdB 20
Beinvenenleiden= GdB 20
Zuckerkrankheit= GdB 20
Ohne wesentliche Funktionsstörungen verheilter Unterschenkelbruch links= GdB 0.
Diese Bezeichnung der Behinderungen übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 15.08.1994; er stellte weiterhin einen GdB von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "H", "G" und "B" fest. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "RF" und "1. Klasse" sah er hingegen als nicht erfüllt.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, bei ihm lägen schwere neurologische Abweichungen vor, die eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verhinderten. Einer Einladung zu einer Untersuchung leistete er Folge, die Untersuchung lehnte er jedoch ab. Der Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.1995 mit der Begründung zurück, zum einen seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" nicht gegeben, zum anderen gehöre der Kläger nicht zu dem Personenkreis, der die 1. Wagenklasse mit einem Fahrausweis der 2. Klasse benutzen könne; er sei weder Kriegsbeschädigter im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) noch Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG).
Mit seiner am 02.05.1995 erhobenen Klage hat der Kläger im wesentlichen vorgetragen, wegen seiner Gesundheitsstörungen, insbesondere seiner Gehirnschädigung, könne er an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat ein Gutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr. N. eingeholt. Dieser hat unter dem 07.09.1995 ausgeführt, der Kläger leide an leichten neurologischen Ausfällen und einem mittelgradigen psychoorganischem Syndrom; er sei intellektuell und von den kognitiven Leistungen her zu einem geordneten Gespräch fähig und nur ganz gering beeinträchtigt durch Defizite im mnestischen Funktionskreis. An öffentlichen Veranstaltungen könne er teilnehmen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.01.1996 mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "1.Kl." seien ebenfalls nicht gegeben, da der Kläger weder Kriegsbeschädigter noch NS-Verfolgter mit einer MdE von wenigstens 70 v.H. i.S.d. BVG bzw. des BEG sei (Nr. 12 Buchst. d des Deutschen Eisenbahn-, Personen-, Gepäck- und Expressguttarifes vom 01.12.1978).
Mit seiner gegen den am 31.01.1996 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegten Berufung vom 28.02.1996 hat der Kläger sinngemäß vorgetragen, bei einer Behinderung von 100% sei er von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Im übrigen leide er unter Schmerzen im Bein, im Darmbereich, im Kopf, der Muskulatur, der Augen, der Harnröhre, des Afters, der Bandscheiben sowie an Kreislaufstörungen nach Herzinfarkt. Das Merkzeichen "1.Kl." sei ebenfalls festzustellen. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 1 der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbAwV); danach sei im Ausweis unter dem Wort "Schwerbehindertenausweis" "Kriegsbeschädigter" einzutragen.
Zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24.06.1997 ist für den Kläger niemand erschienen. Der Kläger ist ausweislich der Postzustellungsurkunde am 03.06.1997 zu dem Termin mit dem Hinweis geladen worden, daß trotz Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Der Beklagte beantragt,
Der Senat hat einen Befundbericht von Dr. H. eingeholt, die u.a. Oberbauchbeschwerden, Kopfschmerzen und Schwindelgefühle beschrieb. Eine Harn- oder Stuhlinkontinenz hat sie ebenso wie eine darauf beruhende Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verneint.
Auf Antrag des Klägers wurde ein Gutachten nach § 109 SGG von dem Neurologen und Psychiater Dr. B. eingeholt. Dieser hat unter dem 08.04.1997 ein mittelschweres hirnorganisches Psychosyndrom mit insbesondere Störungen von Affekt, Antrieb und Gedächtnis sowie vor allem der Realitätsprüfung beschreiben. Ein sicheres Indiz dafür, daß der Kläger nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehme könne, hat er nicht finden können.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Akten des SG Köln, S 17 V 231/81, Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers entscheiden, weil dieser von dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit entsprechendem Hinweis benachrichtigt worden ist.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 15.08.1994 und 13.04.1995 nicht beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "1. Kl.".
Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "RF" einzutragen, wenn der Schwerbehinderte die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt (§ 3 Abs. 1 Ziff. 4 SchwbAwV). Die landesrechtlich maßgeblichen – mit dem Recht der übrigen Bundesländer übereinstimmenden – Bestimmungen ergeben sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 30.11.1993 (GVBl. NRW 1993, S. 970.).
Der Kläger gehört zunächst nicht zum Kreis der Sonderfürgesorgeberechtigten im Sinne des § 27 e BVG (Schwerstbeschädigte), der blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Personen sowie Hörgeschädigten (Nr. 1 und 2 a und b).
Ebensowenig ist er nach Nr. 3 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Die Nr. 3 setzt voraus, daß der Behinderte, der nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist, wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann.
Bei dem Kläger liegt zwar, wie auch von dem Beklagten mit seinem Bescheid vom 15.08.1994 festgestellt wurde, eine Vielzahl von Gesundheitsstörungen vor; es besteht aber mit den Sachverständigen Dr. N. und Dr. B. kein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger dadurch gehindert sein könnte, an öffentlichen Veranstaltungen – ggf. mit Hilfe technischer Hilfsmittel wie z.B. eines Rollstuhls und bzw. oder einer Begleitperson (Urteil des BSG vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85) – teilzunehmen.
Ein Herzkreislaufleiden, bei dem nach dem Bericht der Dr. H. vom 12.07.1994 erst nach einer sechsminütigen Belastung bei 100 Watt ventrikuläre Extrasystolen auftreten, ein Zwölffingerdarmgeschwür, ein Diabetes mellitus oder eine Stammvarikosis der Vena saphena magna (Bericht des Dr. C. vom 22.02.1994) hindern den Kläger nicht an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Gleiches gilt hinsichtlich der angegebenen Wirbelsäulenbeschwerden sowie der Harnblasen- und der Darmbeschwerden. Dr. N. konnte nämlich bei der Untersuchung des Klägers keinen pathologischen Befund im Bereich des Rumpfes erheben; Dr. B. vermochte keine bedeutsamen neurologischen Ausfälle festzustellen. Nach den Angaben der Dr. H. vom 16.05.1997 liegt bei dem Kläger auch keine Harn- oder Stuhlinkontinenz, insbesondere mit unwillkürlichem Abgang, vor, die im übrigen allenfalls in Ausnahmefällen eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht rechtfertigen könnte (Urteile des BSG vom 09.08.1995 – 9 RVs 3/95 – und vom 12.02.1997 – 9 RVs 2/96).
Die Angaben des Klägers, daß öffentliche Veranstaltungen zu Angstzuständen führten, vermochte Dr. B. nicht zu bestätigen. Unabhängig davon, daß der Kläger regelmäßig selbst in vollbesetzten Straßenbahnen fährt und sich somit in größeren Menschenansammlungen aufhalten kann, konnte Dr. B. nicht einmal auch nur eine ängstliche Unruhe des Klägers feststellen; diese wäre jedoch bei tatsächlich auftretenden Angstzuständen aufgrund Menschenansammlungen zu erwarten gewesen. Das Elektroencephalogramm war unauffällig; Zeichen für eine erhöhte Anfallsbereitschaft fanden sich auch bei Hyperventilationsbedingungen nicht. Im übrigen rechtfertigen selbst – nach den Gutachten des Dr. N. und des Dr. B. hier nicht vorliegende – geistige und seelische Beeinträchtigungen, aufgrund derer die Aufnahmefähigkeit des Behinderten so beeinträchtigt ist, daß er öffentliche Veranstaltungen nicht bis zum Ende verfolgen kann, die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" nicht, wenn der Behinderte, wie hier der Kläger, an den Veranstaltungen körperlich teilnehmen kann (Urteil des BSG vom 11.09.1991, 9/9a RVs 15/89, SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 2).
Auch aus der Höhe des von dem Beklagten festgestellten GdB ergibt sich keineswegs ein Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF". Entscheidend ist, ob die genannten weiteren gesundheitlichen Voraussetzungen vorliegen.
Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis, der die 1. Wagenklasse mit Fahrausweis der 2. Wagenklasse benutzen kann. Dieser Nachteilsausgleich kommt nur für Schwerkriegsbeschädigte i.S.d. BVG und Verfolgte i.S.d. BEG mit einer MdE um mindestens 70 v.H. in Betracht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger angeführten § 2 Abs.1 SchwbAwV; denn nach dessen 2. Halbsatz ist Voraussetzung, daß der Schwerbehinderte einen Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlaß.
Erstellt am: 09.09.2009
Zuletzt verändert am: 09.09.2009