Rev. d.Kl. zurückgewiesen
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2016 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rücknahme- und Erstattung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Juni 2006 bis Oktober 2013 iHv insgesamt 31.233,72 EUR. Grund für die Forderung des Beklagten ist vom Kläger bei Erstantragstellung nicht angegebenes Vermögen in Form eines Sparbuchs.
Der am 00.00.1967 geborene, ledige und kinderlose Kläger bezog seit 01.06.2006 (teilweise aufstockende) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch den Beklagten. Bei Erstantragstellung im Mai 2006 bestätigte er, nicht über Vermögen zu verfügen, das den Wert von 4.850 Euro je Person übersteigt. Als Vermögen, über das er verfügen könne, gab er Girokonten, Bargeld und Sparbücher an, ohne jedoch dazu genauere Angaben zu machen. Er legte Kontoauszüge über Termingeld bei der Volksbank E (Kto.-Nr. 000) mit einem Guthaben iHv 2.613,08 EUR (Stand: 31.03.2006) sowie eines Sparkontos mit der Nr. 111 mit einem Guthaben iHv 12,88 EUR (Stand: 30.12.2005) vor. Auf seinem Girokonto bei der Sparkasse E mit der Kto.-Nr. 222 befand sich am 22.05.2006 ein Guthaben von 50,00 EUR. Zusätzlich besaß er ein Kraftfahrzeug, Modell Mazda 323, Baujahr 1993, mit einem selbst geschätzten Restwert von 1.000,00 EUR. Mit seiner Unterschrift bestätigte der Kläger, das Merkblatt "SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.
Tatsächlich verfügte der Kläger zusätzlich über ein Sparbuch bei der Sparkasse E (333), das im Mai 2006 ein Guthaben iHv 10.061,88 EUR und im Oktober 2013 ein Guthaben iHv 10.344,81 EUR aufwies. Insgesamt verfügte der Kläger durchgehend über folgendes Vermögen:
ab Mai 2006: 12.693 EUR
ab August 2006: 13.241 EUR
ab November 2006: 13.259 EUR
ab Februar 2007: 13.735 EUR
ab Mai 2007: 14.145 EUR
ab August 2007: 14.404 EUR
ab November 2007: 14.505 EUR
ab Januar 2008: 14.858 EUR
ab Februar 2008: 14.886 EUR
ab Mai 2008: 15.184 EUR
ab August 2008: 14.718 EUR
ab November 2008: 14.794 EUR
ab Februar 2009: 15.528 EUR
ab Mai 2009: 16.009 EUR
ab August 2009: 15.610 EUR
ab November 2009: 16.563 EUR
ab Februar 2010: 16.196 EUR
ab Mai 2010: 17.120 EUR
ab August 2010: 16.906 EUR
ab November 2010: 17.072 EUR
ab Februar 2011: 17.449 EUR
ab Mai 2011: 18.045 EUR
ab August 2011: 18.604 EUR
ab November 2011: 18.845 EUR
ab Februar 2012: 16.894 EUR
ab Mai 2012: 16.942 EUR
ab August 2012: 17.458 EUR
ab November 2012: 17.619 EUR
ab Februar 2013: 18.893 EUR
ab Mai 2013: 17.706 EUR
ab August 2013 bis Oktober 2013: 18.491 EUR
Während des Leistungsbezugs stand der Kläger in der Zeit vom 04.10.2006 bis zum 02.10.2008 und vom 01.05.2009 bis zum 30.08.2013 in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Nach Ende dieser Beschäftigungsverhältnisse bezog er jeweils Arbeitslosengeld. Alle Einkünfte waren jedoch so gering, dass – mit vereinzelten Unterbrechungen – der Kläger aufstockende Leistungen nach dem SGB II erhielt.
Der Beklagte bewilligte erstmals mit Bescheid vom 30.05.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In der Folgezeit wurden die Bewilligungen auf Grund des schwankenden Einkommens geändert. Wegen der Daten der einzelnen Bescheide für den streitbefangenen Zeitraum wird auf die Übersicht im Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 Bezug genommen.
Durch einen Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern nach § 52 SGB II wurde dem Beklagten am 28.08.2013 bekannt, dass der Kläger im Jahr 2012 bei der Sparkasse E Kapitalerträge iHv 28,00 EUR erzielt hatte. Auf die Aufforderung des Beklagten, das vorhandene Vermögen offenzulegen, erklärte der Kläger, bei dem Vermögen handele es sich um ein Sparbuch. Er habe das Geld gespart, um fällige Kredite tilgen zu können. Er habe davon am 28.10.2013 eine Verbindlichkeit bei der KfW Bankengruppe iHv 7.387,06 EUR getilgt sowie Rückstände bei der Deutschen Rentenversicherung, die während einer früheren selbstständigen Tätigkeit aufgelaufen seien, iHv 338,20 EUR bezahlt. Diese Überweisungen wies er durch Vorlage eines Kontoauszuges nach. Weitere 1000,00 EUR habe er sich bar auszahlen lassen, um davon die fällige Kfz-Steuer und die Hauptuntersuchung seines Pkw, die im November anstehe, bezahlen zu können. Den Restbetrag von 1.619,55 EUR benötige er als Reserve für anfallende Ersatzbeschaffungen von Haushaltsgeräten und Kfz-Reparaturen. Seinem Schreiben fügte der Kläger eine Kopie des Sparbuchs der Sparkasse E mit der Nr. 333 bei.
Mit Schreiben vom 20.11.2013 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Rücknahme sämtlicher Leistungsbewilligungen im Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 31.10.2013 und Erstattung iHv 31.233,72 EUR an. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus den gezahlten Regelbedarfen, den Kosten für Unterkunft und Heizung, den Mehrbedarfen bei dezentraler Warmwassererzeugung sowie den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Zeiten, in denen der Kläger keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war. In seiner Äußerung zur Anhörung vom 04.12.2013 führte der Kläger aus, seine Verbindlichkeiten seien mit dem vorhandenen Sparguthaben zu verrechnen, so dass sein Vermögen unter der Freibetragsgrenze gelegen habe. Er habe sein Vermögen aus Existenzängsten verschwiegen. Er habe in den letzten Jahren neben seinen Arbeitsverhältnissen immer aufstockend Leistungen nach dem SGB II beziehen müssen. In einer solchen Situation leihe ihm niemand Geld für ein neues Auto, das aber für seine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt unabdingbare Voraussetzung sei. Zudem benötige er einen Pkw, um sich um seine an Demenz erkrankten Eltern kümmern zu können. Der Erstattungsbetrag sei viel zu hoch, er halte ihn für unverhältnismäßig. Ihm bleibe durch die beabsichtigte Aufrechnung und nach Abzug der Stromabschläge nur noch ein geringer Betrag zum Leben. Angesichts der Höhe der Gesamtforderung benötige er 23 Jahre, um den Erstattungsbetrag durch Aufrechnung zu begleichen.
Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16.12.2013 nahm der Beklagte die Bewilligungsbescheide hinsichtlich der Leistungen für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 31.10.2013 vollständig zurück und verlangte eine Erstattung iHv 31.233,72 EUR. Das Vermögen habe seit Antragstellung bis einschließlich Oktober 2013 über der Vermögensfreigrenze gelegen, der Kläger sei daher nicht hilfebedürftig gewesen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil der Kläger zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Der Kläger habe sogar vorsätzlich die Existenz von Vermögen verschwiegen. Auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien zu erstatten, weil der Kläger wesentliche Angaben nicht oder verspätet mitgeteilt habe. Die Erstattungsforderung werde in Höhe von 117,30 EUR gegen die dem Kläger zustehenden laufenden Leistungen aufgerechnet.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein (Schreiben vom 13.01.2014). Im Mai 2006 habe zwischen vorhandenem Vermögen und Freibetrag eine Differenz von 3.461,88 EUR bestanden. Die Rückforderungssumme sei zu hoch. Das über der Freibetragsgrenze liegende Vermögen wäre bei Berücksichtigung der gezahlten Leistungen innerhalb von 4,37 Monaten aufgebraucht gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Im Verfügungssatz des Bescheides stellte er klar, dass "sämtliche Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen" im Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 31.10.2013 ganz aufgehoben würden. Dies betreffe nicht nur die im Bescheid vom 16.12.2013 genannten Bescheide, sondern auch die Bescheide vom 10.04.2007, 31.03.2010, 22.07.2011, 30.04.2013 und 31.07.2013. Der Kläger sei im gesamten streitbefangenen Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Das vorhandene Vermögen stehe Monat für Monat einem Leistungsanspruch entgegen. Hilfebedürftigkeit bestehe erst dann, wenn das den Freibetrag übersteigende Vermögen aufgebraucht sei. Eine Saldierung zwischen Vermögen und Verbindlichkeiten könne nicht erfolgen. Bei Antragstellung im Mai 2006 habe der Freibetrag des Antragstellers bei 8.550,00 EUR gelegen. Auf Grund einer gesetzlichen Änderung sei dieser Betrag ab August 2006 auf 6.600,00 EUR gesunken. Wegen der gesetzlich vorgesehenen Erhöhung pro vollendetem Lebensjahr um 150,00 EUR habe er ab September 2013 bei 7.650,00 EUR gelegen. Angesichts der Differenz zu dem auf dem Sparbuch befindlichen Guthaben könne offen bleiben, ob im streitbefangenen Zeitraum noch weitere Vermögenswerte vorhanden gewesen seien, weil der Freibetrag ständig überschritten gewesen sei. Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Auch die verfügte Aufrechnung sei nicht zu beanstanden.
Hiergegen hat der Kläger am 08.04.2014 Klage erhoben. Die Höhe des Erstattungsanspruchs sei unzutreffend. Hätte er bei Erstantragstellung sein Vermögen zutreffend angegeben, so wäre sein Leistungsanspruch abgelehnt worden und er wäre gezwungen gewesen, sein Vermögen aufzubrauchen. In diesem Fall wäre das Vermögen bereits im Laufe des Oktober 2006 so weit abgeschmolzen gewesen, dass Hilfebedürftigkeit hätte bejaht werden müssen. Spätestens ab November 2006 hätten daher Leistungen bewilligt werden müssen. Es könnten daher allenfalls die Leistungen für Juni 2006 bis Oktober 2006 zurückverlangt werden. Schließlich habe er das Vermögen nur einmal einsetzen können. Soweit das BSG einen fiktiven Vermögensverbrauch in seinem Beschluss vom 30.07.2008 – B 14 AS 14/08 B ausschließe, sei der dort entschiedene Fall nicht mit dem vorliegenden vergleichbar.
Der Kläger hat beantragt,
den Rücknahme- und Erstattungsbescheid des beklagten Jobcenters vom 16.12.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2014 aufzuheben, soweit er einen Betrag von 3.461,88 EUR übersteigt.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, für den vom Kläger angeführten fiktiven Vermögensverbrauch bestehe angesichts der Rechtsprechung des BSG und mehrerer Landessozialgerichte kein Raum. Nach geltendem Recht sei die wiederholte Berücksichtigung eines vorhandenen Vermögensgegenstandes nicht ausgeschlossen. Eine andere Rechtslage habe lediglich im Recht der Arbeitslosenhilfe bis zum 31.12.2001 bestanden. Die entsprechende Regelung sei aber bereits zum 01.01.2002 aus der damaligen Arbeitslosenhilfe-Verordnung gestrichen worden und weder das SGB II noch die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung enthielten eine entsprechende Regelung.
Auf Aufforderung des Sozialgerichts hat der Kläger eine Aufstellung seiner Vermögenswerte im gesamten streitbefangenen Zeitraum vorgelegt.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 11.01.2016 den Bescheid vom 16.12.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2014 aufgehoben, soweit die Forderung den Betrag übersteigt, der sich ergibt aus dem Betrag von 10.061,88 EUR abzüglich des für den Kläger im streitigen Zeitraum geltenden Freibetrags. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegenen Vermögens sei rückschauend zu prüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten. Der Grundsatz der Subsidiarität von Leistungen nach dem SGB II werde überstrapaziert, wenn jemand in die Ver- oder gar Überschuldung getrieben würde, nur weil er grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Es sei der Normalfall der ordnungsgemäßen Verwertung zu Grunde zu legen, nicht aber der atypische Fall einer verweigerten Verwertung. Die Regelung des § 45 SGB X habe keinen Sanktionscharakter. Dem Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens sei durch Strafnormen Rechnung zu tragen.
Gegen das am 29.01.2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26.02.2016 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, ein fiktiver Vermögensverbrauch scheide aus, weil eine Rechtsgrundlage hierfür nicht existiere. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Ausbildungsförderung könne auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, da es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gebundene Entscheidung (§ 40 Abs. 2 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III) handele. Ergänzend weist der Beklagte darauf hin, dass das Sozialgericht bei Bemessung des Erstattungsbetrages nicht das gesamte zur Verfügung stehende Vermögen berücksichtigt habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend, gesteht aber zu, dass bei der Berechnung der Erstattungsforderung das tatsächlich vorhandene Vermögen zu berücksichtigen sei.
In der mündlichen Verhandlung am 29.06.2017 hat der Kläger erklärt, seine Klage wende sich ausschließlich gegen die Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen und die Erstattung der gezahlten Leistungen, nicht aber gegen die Aufrechnung der Erstattungsforderung gegen laufende Leistungsansprüche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht entschieden, dass der zurückzufordernde Betrag auf den Betrag zu begrenzen ist, der die Vermögensfreigrenze des Klägers übersteigt.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2014, mit dem der Beklagte sämtliche Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 31.10.2013 vollständig aufgehoben und einen Betrag von 31.233,72 EUR erstattet verlangt hat. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist nach der ausdrücklichen Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2017 die Aufrechnung der Erstattungsforderung mit laufenden Leistungen nach dem SGB II. Gegen diesen streitgegenständlichen Bescheid richtet sich der Kläger zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG).
Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB X (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II) iVm § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, sofern das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsaktes nicht schutzwürdig ist, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat bzw. weil er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Formelle Bedenken hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung des Beklagten bestehen nicht. Insbesondere wurde der Kläger im Laufe des Widerspruchsverfahrens zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört.
Auch materiell ist der streitbefangene Bescheid rechtmäßig:
Der angefochtene Bescheid ist hinreichend bestimmt iSd § 33 Abs. 1 SGB X. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten (BSG Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R mwN). Maßstab für die Bestimmtheitsprüfung ist der Empfängerhorizont, für die Beteiligten muss sich aus dem Verfügungssatz vollständig, klar und unzweideutig ergeben, was die Behörde will. Unschädlich ist es dabei, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. auch BSG Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R). Diese Auslegungsmöglichkeiten finden ihre Grenze dort, wo es dem Adressaten überlassen bleibt, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen, weil der in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Leistungsträger verpflichtet ist, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (so BSG vom 30.3.2004 – B 4 RA 36/02 R). Der angefochtene Bescheid genügt diesen Anforderungen. Für den Kläger gehen Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung unzweideutig hervor.
Bei den Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 31.10.2013 handelte es sich um von Anfang an rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakte iSd § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Kläger erfüllte bereits bei Erstantragstellung im Mai 2006 und auch bei jedem Weiterbewilligungsantrag bis Oktober 2013 nicht alle Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II, weil er nicht hilfebedürftig iSd §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II war. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Der Kläger verfügte bei Erstantragstellung und über den gesamten streitbefangenen Zeitraum hinweg über verwertbares Vermögen iSd § 12 SGB II, das oberhalb der für ihn geltenden Vermögensfreigrenzen lag und ausreichte, um seinen monatlichen Bedarf iSd SGB II zu decken.
Bei Erstantragstellung im Mai 2006 verfügte der Kläger über ein Vermögen von 12.693,00 EUR, das bis Oktober 2013 vorhanden blieb und zeitweise bis auf einen Betrag von 18.893,00 EUR im Februar 2013 anwuchs, bevor es erst am 28.10.2013 durch Begleichung von offenen Forderungen iHv 7.387,06 EUR bzw. 338,20 EUR entscheidend vermindert wurde. Dies ergibt sich aus den Angaben des Klägers, die durch die vorgelegten Unterlagen belegt und zwischen den Beteiligten unstreitig sind. Bedenken gegen die Richtigkeit der Vermögensaufstellung des Klägers hat der Senat nicht.
Während des Rückforderungszeitraums stellten sich die individuellen Vermögensfreigrenzen des Klägers nach § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 4 SGB II in der jeweils geltenden Fassung abhängig vom Lebensalter des Klägers (vgl. BSG Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 66/06 R, Rn. 11) wie folgt dar:
Zeitraum – Grundfreibetrag – Freibetrag für Anschaffungen – Gesamt
01.06.2006 – 31.07.2006 – 7.800,00 EUR – 750,00 EUR – 8.550,00 EUR 01.08.2006 – 05.03.2007 – 5.850,00 EUR – 750,00 EUR – 6.600,00 EUR 06.03.2007 – 05.03.2008 – 6.000,00 EUR – 750,00 EUR – 6.750,00 EUR 06.03.2008 – 05.03.2009 – 6.150,00 EUR – 750,00 EUR – 6.900,00 EUR 06.03.2009 – 05.03.2010 – 6.300,00 EUR – 750,00 EUR – 7.050,00 EUR 06.03.2010 – 05.03.2011 – 6.450,00 EUR – 750,00 EUR – 7.200,00 EUR 06.03.2011 – 05.03.2012 – 6.600,00 EUR – 750,00 EUR – 7.350,00 EUR 06.03.2012 – 05.03.2013 – 6.750,00 EUR – 750,00 EUR – 7.500,00 EUR 06.03.2013 – 31.10.2013 – 6.900,00 EUR – 750,00 EUR – 7.650,00 EUR
Danach überstieg das Vermögen des Klägers im gesamten streitbefangenen Zeitraum die Vermögensfreigrenzen. Vorhandene Schulden sind für die Berücksichtigung des Vermögens unbeachtlich. Denn im Rahmen einer Bedürftigkeitsprüfung nach dem SGB II erfolgt wegen der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge grundsätzlich keine Saldierung der Aktiva und Passiva (vgl. BSG Urteil vom 15.04.2008 – B 14 AS 27/07 R, Rn. 44). Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Verbindlichkeit unmittelbar auf dem Vermögensgegenstand lastet (etwa eine auf ein Grundstück eingetragene Hypothek). Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte, auch der Kläger hat derartiges nicht vorgetragen.
Dem Kläger stand daher während des gesamten streitigen Zeitraums Vermögen zur Verfügung, das vorrangig für seinen Lebensunterhalt einzusetzen war und seiner Hilfebedürftigkeit entgegenstand. Tatsächliche oder rechtliche Verwertungshindernisse bestanden nicht.
Entgegen der Auffassung des Klägers und der Entscheidung des Sozialgerichts ist das vorhandene Vermögen nicht nur so lange zu berücksichtigen, wie mit dem anrechenbaren Vermögen der Bedarf hätte gedeckt werden können. Für diese Annahme fehlt eine Rechtsgrundlage.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende können nicht bewilligt werden, solange bei dem Antragsteller zu verwertendes und vorrangig einzusetzendes Vermögen iSd § 12 SGB II tatsächlich noch vorhanden ist. Verbraucht der Antragsteller sein Vermögen nicht, so steht es unabhängig von seinem Bedarf einer Leistungsbewilligung entgegen (BSG Beschluss vom 30.07.2008 – B 14 AS 14/08 R; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 03.04.2014 – L 7 AS 827/12; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19.01.2012 – L 6 AS 299/11.; Mecke in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 12 Rn. 49; Olthaus, jurisPR-SozR 15/2014, Anm. 3 ; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12, Rn. 311). Dies folgt aus der historischen Entwicklung des § 12 SGB II, weil die dort verankerte Berücksichtigung von Einkommen dem früheren Recht der Arbeitslosenhilfe folgt (vgl. ausdrücklich Begründung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 53). Die frühere Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV 1974 – BGBl I 1929) hatte zunächst in § 9 vorgesehen, dass Bedürftigkeit nicht für die Zeit voller Wochen bestehe, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergebe, nach dem sich die Arbeitslosenhilfe richte. Das BSG folgerte daraus, dass der Arbeitslose im Rahmen der Arbeitslosenhilfe nur einmal auf das gleiche Vermögen verwiesen werden könne (BSG Urteile vom 08.06.1989 – 7 RAr 34/88, vom 06.04.2000 – B 11 AL 31/99 R und vom 09.08.2011 – B 11 AL 11/01 R). Die Vorschrift des § 9 AlhiV entfiel jedoch mit der Verabschiedung der AlhiV 2002 (BGBl I 3734) zum 01.01.2002 ersatzlos. Eine Rechtsgrundlage für die Zurechnung des Vermögens auf einen fiktiven Verbrauchszeitraum existierte damit bereits im Recht der Arbeitslosenhilfe nicht mehr, Bedürftigkeit war vielmehr solange ausgeschlossen, wie Vermögen vorhanden war. An diese Rechtslage hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum 01.01.2005 angeknüpft. Weder in das SGB II noch in die Alg II-V hat daher eine dem § 9 AlhiV entsprechende Regelung Eingang gefunden. Der in § 3 Abs. 1 und 3 sowie § 9 Abs. 1 SGB II verankerte Subsidiaritätsgrundsatz spricht vielmehr für eine Berücksichtigung vorhandenen und zu verwertenden Vermögens bis zu seinem tatsächlichen Verbrauch.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung für das damalige Recht der Sozialhilfe nach dem BSHG entschieden, dass derjenige, der sich weigert, einzusetzendes oder verwertbares Vermögen zur Beseitigung einer sozialhilferechtlichen Notlage einzusetzen, insoweit auf eigenes Risiko handele, als er sich, wenn seine Weigerung sich als ungerechtfertigt erweisen sollte, jederzeit auf das Vorhandensein des Vermögensgegenstandes zur Deckung des Bedarfs verweisen lassen müsse (BVerwG Urteil vom 19.12.1997 – 5 C 7/96).
Steht damit vorhandenes, zu verwertendes Vermögen bis zu seinem tatsächlichen Verbrauch einer Leistungsbewilligung entgegen, so kann nichts anderes für den Fall der Rücknahme und Erstattung von zu Unrecht bewilligten Leistungen gelten. Auch in einem solchen Fall ist – wie vorliegend – nicht rückschauend zu prüfen, wie lange das einzusetzende Vermögen zur Deckung des Lebensunterhalts ausgereicht hätte (in diesem Sinne auch Sächsisches LSG Urteil vom 13.03.2008 – L 2 AS 143/07; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 12.03.2010 – L 5 AS 2340/08; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.07.2011 – L 12 AS 4994/10; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 03.04.2014 – L 7 AS 827/12).
Der Senat folgt der Gegenauffassung (LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 25.07.2012 – L 5 AS 55/10; SG Karlsruhe Urteil vom 30.06.2011 – S 13 AS 1217/09 für das Recht der Ausbildungsförderung BVerwG Beschluss vom 18.07.1986 – 5 B 10/85) hinsichtlich der Einschränkung des Erstattungsbetrags aus Billigkeitsgründen nicht. In Ermangelung einer anderweitigen Rechtsgrundlage wären derartige Überlegungen allenfalls im Rahmen einer Ermessenbetätigung zulässig. Im Recht des SGB II bleibt jedoch durch den Verweis in § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II auf § 330 Abs. 2 SGB III für solche Erwägungen kein Raum, weil es sich bei der Rücknahme der Bewilligung um eine gebundene Entscheidung handelt. Damit fehlt es an einer Rechtsgrundlage für allgemeine Ermessenserwägungen aus Billigkeitsgründen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles.
Soweit das LSG Sachsen-Anhalt darauf hinweist, die Regelung des § 45 SGB X habe über die Herstellung des materiell zutreffenden Rechtslage hinaus keinen Sanktionscharakter (Urteil vom 25.07.2012 – L 5 AS 55/10), ist dem zwar zuzustimmen. Allein diese Feststellung rechtfertigt es aber ohne Rechtsgrundlage nicht, ein rechtlich zwingendes Ergebnis abzuändern. Gründe der Gleichbehandlung gebieten es vielmehr, die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen so lange fortbestehen zu lassen, wie verwertbares Vermögen tatsächlich vorhanden war. Denn anderenfalls würde der redliche Antragsteller, der sein Vermögen ordnungsgemäß angibt, sich aber einer Verwertung verweigert und deshalb dauerhaft keine Grundsicherungsleistungen erhält, schlechter gestellt als derjenige, der sein Vermögen vorsätzlich verschweigt, Leistungen erhält und dessen Erstattungsbetrag später auf den die Freibeträge übersteigenden Vermögensanteil beschränkt wird.
Auch soweit in der Literatur (vgl. Berlit, info also 2011, 225, 226) versucht wird, eine Korrektur des als unbillig empfundenen Ergebnisses über die Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II vorzunehmen, überzeugt dieser Ansatz nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht vorliegen. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II betrifft den Fall, dass Vermögen nicht zu berücksichtigen und damit nicht einzusetzen ist, weil die Verwertung für den Betroffenen eine besondere Härte darstellen würde. Um die Frage, ob das Vermögen zum Bestreiten des Lebensunterhalts einzusetzen ist, geht es aber in Fallkonstellationen wie der vorliegenden gerade nicht. Der die Freibeträge übersteigenden Betrag soll vielmehr auch nach dieser Auffassung einmalig angerechnet und damit faktisch zur Sicherung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden, bis die Freigrenzen erreicht sind. Streitig ist damit allein die Rückerstattung überzahlter Leistungen, die das verwertbare Vermögen übersteigen, und damit schon denklogisch nicht aus diesem zu erbringen sind.
Demnach waren sämtliche Bewilligungsentscheidungen für den streitbefangenen Zeitraum von Anfang an rechtswidrig.
Der Kläger kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf den Bestand der Verwaltungsakte berufen, weil der Ausschlussgrund des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X vorliegt. Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Die aufgehobenen Leistungsbewilligungen sind nur erfolgt, weil der Kläger das Vorhandensein des Sparbuchs bei der Sparkasse E verschwieg. Die Angabe war für die Leistungsbewilligung wesentlich, weil nur bei Hinzurechnung des verschwiegenen Vermögens die Vermögensfreigrenze überschritten und die Leistungsbewilligung damit rechtswidrig wurde. Das Verschweigen erfolgte vorsätzlich. Der Kläger trägt selbst vor, aus Existenzängsten das Sparbuch nicht angegeben zu haben.
Der Kläger erfüllt zudem auch den Ausschlussgrund des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, weil er die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung kannte oder zumindest grob fahrlässig nicht kannte. Der Kläger wurde bei Erstantragstellung im Mai 2006 ausdrücklich im Antragsformular zum Vorhandensein von Vermögen, das den Wert von 4.850,00 EUR je Person übersteigt, befragt. Dabei wurde er darauf hingewiesen, dass unter anderem auch Bank- und Sparguthaben zu berücksichtigen sind. Gleichwohl hat der Kläger die Frage verneint und auch das Zusatzblatt 3 zur Angabe von vorhandenem Vermögen nicht vollständig ausgefüllt, indem er lediglich seinen Pkw angab, aber alle anderen Vermögenswerte nicht auflistete.
Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide sind erfüllt, insbesondere wurde die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Der Beklagte erlangte im August 2013 erstmals Kenntnis von dem Vorhandensein weiteren Vermögens durch die Angabe des Bundeszentralsamtes für Steuern über erzielte Zinseinkünfte. Erst durch die schriftliche Stellungnahme des Klägers vom 07.11.2013 wurde der Beklagte in die Lage versetzt, den Sachverhalt umfassend zu würdigen. Der streitgegenständliche Rücknahme- und Erstattungsbescheid wurde am 16.12.2013 innerhalb der Jahresfrist erlassen.
Auch die Erstattungsverfügung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung hinsichtlich Regelbedarf, Kosten für Unterkunft und Heizung und Mehrbedarf ist § 50 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG. Bedenken hinsichtlich der tatsächlich erfolgten Rücknahme aller zu Grunde liegenden Bewilligungsbescheide hat der Senat nicht. Soweit der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2014 nicht alle Bewilligungs- bzw. Änderungsentscheidungen ausdrücklich mit Datum aufgeführt haben sollte, werden etwaige fehlende Bescheide jedenfalls von der Formulierung im Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides, wonach sämtliche Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum ganz aufgehoben werden, erfasst. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich von demjenigen, über den das BSG mit Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R zu befinden hatte, weil dort nur die aufzuhebenden Bescheide konkret aufgelistet worden waren.
Die Rechtmäßigkeit der Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen für diejenigen Bezugszeiten, in denen der Kläger nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, folgt aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II iVm § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III, weil die Leistungsbewilligungen für den streitbefangenen Zeitraum rückwirkend aufgehoben und die Leistungen zurückgefordert wurden.
Der Senat verkennt nicht, dass der zu erstattende Betrag das beim Kläger im streitbefangenen Zeitraum vorhandene, zu verwertende Vermögen um ein Vielfaches übersteigt. Den damit verbundenen Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, ist jedoch nicht auf der Primär-, sondern auf der Sekundärebene bei der Geltendmachung der Forderung durch den Beklagten Rechnung zu tragen. § 44 SGB II sieht insofern die Möglichkeit eines Erlasses von Ansprüchen durch den Leistungsträger vor, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbilligkeit ist zu bejahen, wenn der Schuldner sich in einer Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führt bzw. wenn der Sachverhalt zwar den Tatbestand einer Anspruchsnorm erfüllt, die Forderungseinziehung gleichwohl den Wertungen des Gesetzes zuwider liefe (vgl. Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 44 Rn. 10 und 12). Der Beklagte wird daher – im Falle eines entsprechenden Antrags des Klägers – gehalten sein, die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Er hat die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie Art und Höhe des Anspruchs zu berücksichtigen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Klägers werden sodann abzuwägen sein mit dem grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger. Dieses könnte im Hinblick darauf, dass der Erstattungsbetrag den Betrag des anzurechnenden Vermögens deutlich übersteigt, reduziert sein. Von einer Unbilligkeit der Einziehung der Forderung ist zudem in der Regel auszugehen, wenn die Einziehung für den Schuldner existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde (vgl. Beschluss des Senats vom 24.10.2016 – L 7 AS 882/16 B, Rn. 16).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zugelassen.
Erstellt am: 30.08.2018
Zuletzt verändert am: 30.08.2018