I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Ereignis vom 18.04.2017 als Versicherungsfall anzuerkennen ist.
Nach der Schilderung des Durchgangsarztberichtes vom 18.04.2017 war die im Jahr 1962 geborene Klägerin während eines Vorstellungsgesprächs bei der Firma H. GmbH & Co. KG (nachfolgend Fa. H.) mit dem Fuß an einer Kante hängen geblieben und zu Boden gestürzt. Die Klägerin zog sich dabei eine Trümmerfraktur am Oberarmknochen rechts zu.
Bei einem Telefongespräch am 26.04.2017 teilte die Klägerin einer Sachbearbeiterin der Beklagten mit, dass sie arbeitssuchend sei und sich für die fragliche Stelle bei der Fa. H. selbst beworben habe. Sie habe zwar auch Informationen zu Stellenangeboten von der Agentur für Arbeit bekommen. Dieses Stellenangebot habe sie aber selbst gesucht und sich dort auf eigene Initiative beworben. Das Vorstellungsgespräch sei für den ganzen Tag angesetzt gewesen, wobei sich der Unfall am Nachmittag ereignet habe.
In der von der Fa. H. ausgestellten Unfallanzeige vom 20.04.2017 wurde angegeben, dass es sich um ein unentgeltliches Kennenlernpraktikum gehandelt habe, bei dem die Klägerin bei der Besichtigung des Logistikzentrums des Unternehmens in B. gestolpert und auf den Ellenbogen gefallen sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27.04.2017die Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung wies die Beklagte darauf hin, dass zur Fa. H. als Mitgliedsbetrieb der Beklagten ein Beschäftigungsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht bestanden habe. Für die Klägerin bestehe auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII, da keine ausdrückliche Aufforderung der Agentur für Arbeit vorgelegen habe. Private Bemühungen zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses ohne die explizite Veranlassung der Agentur für Arbeit würden im eigenwirtschaftlichen Bereich liegen und seien nicht versichert. Dies sei selbst dann der Fall, wenn es zum Abschluss eines Arbeitsvertrages kommen sollte.
Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 14.05.2017 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Unfall nicht während eines Vorstellungsgesprächs sondern während eines Praktikums bei der Fa. H. eignet habe. Die Klägerin verwies auf § 52 Abs. 1 lit. b) und lit. f) der Satzung der Beklagten, wonach nicht im Unternehmen beschäftigte Personen versichert seien, wenn sie dieses unter anderem wegen eines Praktikums oder der Teilnahme an einer Besichtigung aufsuchen würden. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin erfüllt. Gleichzeitig legte die Klägerin eine auf den 18.04.2017 datierte Vereinbarung zwischen ihr und der Fa. H. vor, die mit "Kennenlern-"/Praktikums-Vereinbarung überschrieben war. Darin wurde unter anderem geregelt, dass die Klägerin am 18.04.2017 die Möglichkeit erhalte, den zu besetzenden Arbeitsplatz in der IT bei der Fa. H. kennenzulernen. Hierbei werde sie unter Anleitung von Herrn O. und den Kollegen einzelne Verrichtungen übernehmen. Die Vertragsparteien seien sich darüber im Klaren dass eine Arbeitspflicht nicht bestehe und die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung habe.
Die Beklagte lehnte den Widerspruch mit Bescheid vom 05.07.2017 ab. Versicherungsschutz bestehe auch nicht auf Grundlage des § 52 Ab. 1 lit. b) und lit. f) der Satzung der Beklagten. Für die Beurteilung des Versicherungsschutzes sei in erster Linie entscheidend, aus welcher Veranlassung eine getroffene Maßnahme in Anspruch genommen wurde. Es handle sich bei dem vorliegenden Kennenlern-Praktikum nicht um ein klassisches Praktikum. Die Klägerin habe an diesem Tag die Möglichkeit erhalten, den zu besetzenden Arbeitsplatz der IT-Administration kennenzulernen. Dabei habe das Eigeninteresse als Stellenbewerberin im Vordergrund gestanden.
Die Klägerin hat daraufhin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass nach § 52 der Satzung der Beklagten nicht darauf abgestellt werde, welche Interessen während des Aufenthalts im versicherten Betrieb im Vordergrund standen. Die Fa. H. habe seit längerer Zeit über Jobportale bzw. die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit einen Mitarbeiter für die IT-Abteilung gesucht. Die Klägerin sei mit ihrer Bewerbung den von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nachgekommen. Nach der schriftlichen Bewerbung seien einige Telefongespräche mit der Fa. H. erfolgt. Es habe unter anderem ein ausführliches telefonisches Vorstellungsgespräch mit dem Personalchef und einem der Geschäftsführer des Unternehmens gegeben. Da die Fa. H. sehr an ihrer Mitarbeit interessiert gewesen sei, habe man ihr vorgeschlagen, dem Betrieb einen Besuch abzustatten und um sie zur Annahme der Stelle zu bewegen. Insofern habe keineswegs ein Eigeninteresse vorgelegen. Vielmehr habe eindeutig das Firmeninteresse überwogen. Auch die Agentur für Arbeit dürfte ein Interesse daran gehabt haben, die Klägerin so schnell als möglich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15.02.2018 hat die Klägerin auf weitere Befragung der Vorsitzenden mitgeteilt, dass die Fa. H. immer kurz vor Abschluss eines Arbeitsvertrages ein solches Praktikum mit potentiellen Bewerbern durchführe. Zunächst sei eine Führung über das Betriebsgelände erfolgt, wobei ihr auch die IT-Abteilung bzw. der ausgeschriebene Arbeitsplatz vorgestellt wurde. Anschließend habe die Klägerin in der IT-Abteilung ein 2-stündiges Gespräch gehabt. Dabei habe man der Klägerin verschiedene Fallkonstellationen vorgestellt. Die Klägerin habe anschließend mögliche Lösungsvorschläge darstellen sollen. Im Anschluss habe man der Klägerin mitgeteilt, dass eine Besichtigung des neuen Lagergeländes in B. erfolge. Die Klägerin sei mit Herrn O. dorthin gefahren. Während der Besichtigung des noch im Bau befindlichen Hochregallagers sei es dann zu dem Sturzereignis gekommen. Auf weitere Nachfrage erklärt die Klägerin, dass sie während des gesamten Tages selbstständig keine Tätigkeiten übernommen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27.04.2017 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 05.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 18.04.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Klage wurde gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen SG A-Stadt (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 3, 57 SGG) erhoben.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Unfall der Klägerin am 18.04.2017 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen. Die Verrichtung des Versicherten im Zeitpunkt des Unfalls muss der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang) und zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Unfallereignis, führen.
Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt keine den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit nach § 2 oder § 3 SGB VII verrichtet hat.
Im Unfallzeitpunkt war es noch nicht zum Abschluss des Arbeitsverhältnisses gekommen, so dass für die Klägerin kein Versicherungsschutz als Beschäftigte der Fa. H. gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bestand.
Es bestand für die Klägerin auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII. Danach sind in der Unfallversicherung kraft Gesetzes Personen versichert, die nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen. Die Aufforderung muss im Zusammenhang mit den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit stehen und es muss sich um eine konkrete Willensäußerung handeln, die erkennen lässt, dass die Arbeitsverwaltung ein bestimmtes Verhalten – die persönliche Vorsprache/Meldung – vom Arbeitslosen erwartet (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 24.06.2003, B 2 U 45/02 R). Ausreichend für eine Aufforderung ist eine mit einer Bitte oder Empfehlung umschriebene Äußerung der Agentur für Arbeit, sofern der Eindruck vermittelt wird, dass das Erscheinen notwendig sei und erwartet werde.
Da die Klägerin bezüglich der fraglichen Stelle bei der Fa. H. keine Aufforderung durch die Agentur für Arbeit erhielt, konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Arbeitsverwaltung für diese konkrete Stelle eine Bewerbung von ihr erwarte. Vielmehr erfolgte die Bewerbung und letztlich auch die persönliche Vorstellung bei der Fa. H. auf eigene Initiative und im eigenen Interesse der Klägerin. Soweit die Klägerin vorträgt, dass eine erfolgreiche Stellensuche auch im Interesse der Agentur für Arbeit sei, so entspricht dies sicherlich den Tatsachen. Ein Versicherungsschutz über die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII kann daraus aber dennoch nicht hergeleitet werden. Nachdem jede erfolgreiche Stellensuche im Interesse der Agentur für Arbeit ist, könnte der Versicherungsschutz auf diese Weise unbegrenzt ausgeweitet werden. Der nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 versicherte Personenkreis wird im Speziellen dem Versicherungsschutz unterstellt, da diese Personen in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis stehen, aus dem sich konkrete Verpflichtungen ergeben (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 2 SGB VII, Rz. 205). Soweit die Klägerin sich auf eigene Initiative bei der Fa. H. beworben und den Termin für das Vorstellungsgespräch wahrgenommen hat, erfolgte dies nicht auf Grundlage einer ihr konkret auferlegten Verpflichtung durch die Agentur für Arbeit und damit nicht im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses.
Ein Versicherungsschutz kann für die Klägerin auch nicht über § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII i.V.m. § 52 der Satzung der Beklagten begründet werden. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII kann die Satzung bestimmen, dass und unter welchen Bedingungen Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber die Stätte des Unternehmens besuchen oder auf ihr verkehren, gegen Arbeitsunfälle versichert sind, soweit sie dies nicht schon nach anderen Vorschriften sind.
Von dieser Ermächtigungsnorm hat die Beklagte Gebrauch gemacht und in § 52 Abs. 1 lit. b der Satzung den Versicherungsschutz auf "Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens" erstreckt. Dabei ist auf den Hauptzweck des Aufenthalts der Person im Unternehmen abzustellen. Unter einer Betriebsbesichtigung ist in der Regel eine vom Unternehmen organisierte Führung einer Gruppe von Interessierten zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.1994 – Az. 2 RU 32/93). Dementsprechend hätte der Hauptzweck des Aufenthalts der Klägerin auf dem Betriebsgelände der Fa. H. wesentlich auf die Besichtigung des Unternehmens bzw. der Lagerhalle in B. gerichtet sein müssen. Vorliegend verfolgte die Klägerin bei ihrem Aufenthalt auf dem Firmengelände aber andere Ziele. Soweit die Klägerin in einem zweistündigen Gespräch Fallkonstellationen vorgestellt bekam, zu denen sie eigene Lösungsvorschläge erörtern sollte, ist die Kammer zur Einschätzung gelangt, dass hierbei nochmals die Fähigkeiten und Kenntnisse der Klägerin abgefragt und durch den potentiellen Arbeitgeber getestet werden sollten. Dementsprechend befand sich die Klägerin in erster Linie in der Situation eines Vorstellungsgespräches. Damit verfolgte die Klägerin bei ihrem Besuch auf dem Betriebsgelände der Fa. H. eigene Interessen – vorrangig den Abschluss eines Arbeitsvertrages – wobei die Klägerin weitere Informationen zu den Konditionen des Arbeitsvertrages und zu den konkreten Arbeitsplatzbedingungen vor Ort einholen wollte. Die Besichtigung des Firmengeländes und auch des neuen Hochregallagers waren dagegen nach Auffassung des Gerichts nicht der Hauptzweck des Besuchs, sondern stellten nur einen Teil der dem Abschluss des Arbeitsverhältnisses dienenden Verhandlungen dar und hat damit keine eigenständige rechtliche Bedeutung.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass der Aufenthalt bei der Fa. H. vorrangig auf Veranlassung des potentiellen Arbeitgebers stattgefunden hat und dieser starkes Interesse an einer Mitarbeit der Klägerin hatte, so ist dieser Aspekt für die Begründung eines Versicherungsschutzes nicht relevant. Letztlich konnte die Klägerin frei entscheiden, ob sie dieses Angebot in Anspruch nimmt. Soweit die Klägerin selbst kein Interesse an der Stelle gehabt hätte, hätte sie den Termin nach Auffassung des Gerichts gar nicht wahrgenommen.
Die Beklagte hat den Versicherungsschutz gemäß § 52 Abs.1 lit. f) ihrer Satzung weiter auf Praktikanten ausgeweitet. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin kein Praktikum bei der Fa. H. absolviert. Zwar wurde eine auf den 18.04.2017 datierte "Kennenlern-"Praktikums-Vereinbarung vorgelegt. Allein aufgrund der Bezeichnung als "Praktikum" kann aber kein Versicherungsschutz begründet werden. Vielmehr ist auf die tatsächlichen Verhältnisse am Unfalltag abzustellen. Die Klägerin hat im Rahmen der Erstangaben beim Durchgangsarzt am Unfalltag sowie bei einem Telefonat wenige Tage später gegenüber der Beklagten als Anlass des Besuches auf ein "Vorstellungsgespräch" abgestellt. Von einem Praktikum war nicht die Rede. Ein Praktikum soll grundsätzlich eine Gelegenheit bieten, für eine begrenzte Zeit in einer Firma zu arbeiten, um Berufserfahrung zu sammeln oder diese zu ergänzen. Damit ist grundsätzlich eine Voraussetzung, dass der Praktikant tatsächlich im Unternehmen mitarbeitet und selbst Tätigkeiten übertragen bekommt, die er eigenständig oder unter Aufsicht erledigt. Nach der vorgelegten Vereinbarung bestand für die Klägerin gerade keine Arbeitspflicht im Unternehmen der Fa. H … Auch hat die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sie am Unfalltag keine Tätigkeiten übernommen habe. Die typischen Merkmale eines Praktikums sind damit nicht erfüllt.
Eine den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 SGB VII begründende Tätigkeit lag nicht vor. Damit konnte die Klage keinen Erfolg haben.
II. Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 183 Abs.1, 193 SGG.
Erstellt am: 09.12.2020
Zuletzt verändert am: 09.12.2020