Unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2015 wird festgestellt, dass das Umknicken der Klägerin am 25.09.2014 mit Bruch des linken Sprunggelenkes ein Arbeitsunfall ist. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung des Ereignisses vom 25.09.2014 als Arbeitsunfall nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Die am 28.05.1970 geborene Klägerin ist bei der Fa. C GmbH & Co. KG als Industriekauffrau beschäftigt.
Vom 25.09.2014 bis zum 26.09.2014 fand eine außerbetriebliche Maßnahme des Arbeitgebers zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Abteilungen Vertrieb und Anwendungsberatung statt. Hierzu brachte der Arbeitgeber die Mitarbeiter der Abteilungen in dem Hotel B in C unter und beauftragte einen externen Berater mit der Durchführung von Workshops. Nach den Planungen sollten am 25.09.2014 nach der Anreise am Morgen und einem gegenseitigen Kennenlernen noch vormittags Gruppenarbeiten stattfinden. Nachmittags waren 6 Workshops geplant und abends sollte ein gemeinsamer Grillabend stattfinden. Am 26.09.2014 waren vormittags eine Präsentation der Workshopergebnisse und anschließend ein abschließendes Mittagessen auf der Tagesordnung.
Die Klägerin nahm mit ca. 50 weiteren Personen an der Veranstaltung teil. Dabei waren auch Vorgesetzte unterhalb der Geschäftsführerebene anwesend. Gegen Ende der Workshops (ca. eine halbe Stunde vor Ende der Workshops) erschien auch der Geschäftsführer Herr H. Nach Ende des begleiteten Seminars konnten sich die Teilnehmer des Lehrgangs frisch machen. Ab dem frühen Abend fand dann der Grillabend statt. Während die Teilnehmer in der zum Hotel gehörenden, ausgebauten Scheune ankamen, wurde für sie von Mitarbeitern des Hotels gegrillt. Zudem wurden Getränke ausgeschenkt. Die Kosten für diese Abendveranstaltung wurden vom Arbeitgeber getragen. Eine zeitliche oder mengenmäßige Limitierung von Speisen und Getränken gab es nicht. Es bestand auch – zumindest anfänglich – eine Anwesenheitspflicht der Teilnehmer bei der Abendveranstaltung. Konkrete dienstliche Inhalte oder Programmpunkte bestanden hingegen nicht. Der Abend sollte dazu dienen, die Zusammenarbeit der Abteilungen dadurch zu fördern, dass sich die Mitarbeiter persönlich besser kennenlernen und auch mal in einem informellen Rahmen Informationen austauschen.
Irgendwann zwischen 23:30 Uhr und 1:00 Uhr – zu dem Zeitpunkt waren noch ca. zwei Drittel der Teilnehmer und auch noch Vorgesetzte auf der Abendveranstaltung zugegen – begab sich die Klägerin im Beisein der Zeugin C (früher X) auf den Weg zur Toilette. Im Anschluss war eine Rückkehr in die Scheune geplant. Um zur Toilette zu gelangen, mussten sie die ausgebaute Scheune verlassen und das Haupthaus des Hotels aufsuchen. Hierzu begaben sie sich in Richtung des Seminarraums, da sie dort einen Durchgang zur Toilette vermuteten. Sie stiegen dazu die Stahltreppe zum Seminarraum hinauf, nur um oben festzustellen, dass die Außentür zum Raum verschlossen war. Sie beschlossen daher, die Treppe wieder hinab zu steigen und zum Haupteingang des Hotels zu gehen. Beim Herabsteigen der Treppe knickte die Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt halbhohe Stiefeletten mit Keilabsätzen trug, um. Aufgrund der sofort eintretenden Beschwerden konnte sie den Weg nicht fortsetzen.
Da die Klägerin zeitnah zum Seminar in den Urlaub fahren wollte, dauerte es eine Zeit (ca. eine halbe bis Dreiviertelstunde), bis sie einwilligte, dass ein Rettungswagen gerufen werden durfte. Nach den Angaben des Rettungsdienstes fand der Einsatz von 1:57 Uhr bis 3:16 Uhr statt. Der Rettungswagen brachte die Klägerin dann, in Begleitung von Frau C, in die Katholischen Kliniken in N. Dort wurde eine Fraktur des linken oberen Sprunggelenks festgestellt. Das Krankenhaus erstelle aber keinen Durchgangsarztbericht und wandte sich auch nicht an die Beklagte. Das Krankenhaus gab später gegenüber der Beklagten an, dass die Klägerin dort (alkoholbedingt) nur undeutliche Angaben zum Unfallhergang gemacht habe. Die Blutalkoholkonzentration (BAK) habe um 4:10 Uhr bei 1,99 Promille gelegen. Zur weiteren Behandlung wurde die Klägerin am nächsten Tag in das heimatnahe Allgemeine Krankenhaus I verlegt und dort auch operativ versorgt.
Das Allgemeine Krankenhaus erstatte daraufhin einen Durchgangsarztbericht. Diesen nahm die Beklagte zum Anlass, in Bezug auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu ermitteln. Mit Bescheid vom 17.11.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfalls ab, da sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht bei einer versicherten Tätigkeit befunden habe. Zudem brach die Beklagte zeitgleich das Heilverfahren gegenüber dem behandelnden Arzt, Dr. H, damals Chefarzt des Zentrums für Unfallchirurgie und Orthopädie im Allgemeinen Krankenhaus in I, ab.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, dass sie sich zum Unfallzeitpunkt bei versicherter Tätigkeit befunden habe. Es hätten sich noch ca. 80 Prozent der Teilnehmer auf der Veranstaltung befunden. Weder durch den anwesenden Geschäftsführer, noch durch die beiden organisierenden Vorgesetzten sei ein Ende der Veranstaltung mitgeteilt worden. Daher sei nicht erkennbar, warum es keinen betrieblichen Anlass mehr gegeben haben solle.
In einem Schreiben vom 28.11.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Unfallzeitpunkt um 23:30 Uhr, die Alkoholisierung und der Umstand, dass zum Unfallzeitpunkt nur noch ca. 80 Prozent der Teilnehmer auf der Veranstaltung waren, gegen einen Arbeitsunfall sprächen. Die seminarbezogene Pflichtveranstaltung sei beendet gewesen und der private Charakter habe zu dem Zeitpunkt überwogen.
Damit konnte sich die Klägerin unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des SG Heilbronn (Urteil vom 28.05.2014, AZ.: S 6 U 1404/13) nicht einverstanden erklären.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei nicht ersichtlich, dass zum Unfallzeitpunkt auf der Veranstaltung noch über dienstliche Aspekte gesprochen worden sei. Ein dienstlicher Austausch sei der Klägerin auch nicht mehr möglich gewesen, da diese im Krankenhaus alkoholbedingt nur undeutliche Angaben habe machen können. Einem betrieblichen Nutzen habe auch entgegengestanden, dass am nächsten Morgen wieder Workshops angesetzt gewesen seien. Das angesprochene Urteil sei nur eine Einzelfallentscheidung und habe keine Allgemeinverbindlichkeit.
Dagegen hat die Klägerin am 19.03.2015 Klage erhoben.
Sie ist weiter der Auffassung, dass sie sich zum Unfallzeitpunkt bei versicherter Tätigkeit befunden habe. Der Grillabend sei der Unternehmenskultur entsprechend nicht befristet gewesen. Das gesellige Beisammensein sei ein wesentlicher Bestandteil des gemeinsamen Kommunikationsworkshops gewesen. Das Konsumieren von Alkohol sei bei solchen Anlässen betriebsüblich.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2015 festzustellen, dass ihr Umknicken am 25.09.2014 mit Bruch des linken Sprunggelenks ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Begründungen in den angefochtenen Entscheidungen und führt zudem aus, dass der Schutz von Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen nicht grenzenlos sei. Es komme auf den Anteil der Teilnehmer nicht maßgeblich an. Es sei nicht jedes Gespräch über dienstliche Belange versichert (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.10.2016, AZ: L 13/3 U 186/13). Auch die Unterstützung der Fortführung des Beisammenseins durch den Arbeitgeber führe nicht zum Fortbestand des Unfallversicherungsschutzes (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.08.2011, AZ: L 3 U 145/09). Zudem habe der Weg im Hotel privaten Belangen gedient, da es sich um einen Toilettengang gehandelt habe.
Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin C sowie der Zeugen H, Q1, Q2 und T.
Die Zeugin C (ehemals X) hat ausgeführt, dass abends bei dem Beisammensein auch betriebliche Themen besprochen worden seien. Die Kosten für den Abend seien von der Firma getragen worden. Es seien nur Getränke getrunken worden, die von der Firma bezahlt worden seien. Sie sei von einer Anwesenheitspflicht ausgegangen, aber so ab 22 oder 23 Uhr habe man die Veranstaltung verlassen können. Anfangs habe man eher mit Personen gesprochen, die man schon vorher kannte, da hätten die persönlichen Themen überwogen. Im Laufe des Abends habe man dann mehr mit neuen Leuten gesprochen, da seien die Themen eher dienstlich gewesen. Zu keiner Zeit hätten die Teilnehmer selbst Getränke gezapft. Gegen 24 Uhr sei sie mit der Klägerin zur Toilette gegangen. Zu diesem Zeitpunkt seien noch zwei Drittel der Teilnehmer anwesend gewesen. Ihrer Meinung nach sei Herr H auch noch anwesend gewesen, da sie sich kurz vorher noch mit ihm unterhalten habe. Sie und die Klägerin hätten noch gut gehen können, wobei die Klägerin Keilabsätze getragen habe. Die Treppe sei zwar nicht extra beleuchtet gewesen aber auch nicht dunkel. Die Situation im Krankenhaus sei sehr emotional und die Klägerin sehr aufgeregt gewesen. Sie habe leicht unter Schock gestanden. Die Ärztin sei etwas genervt gewesen. Sie selbst sei zu den Umständen des Unfalls nicht befragt worden.
Der Zeuge H hat mitgeteilt, dass es kein definiertes Ende für die Abendveranstaltung gegeben habe. Die Firma habe die Kosten zeitlich unbeschränkt für Speisen und Getränke übernommen. Es habe seiner Meinung nach Anwesenheitspflicht bestanden. Ab ca. 23 Uhr habe man sich aber auch zurückziehen können. Er habe gegen Mitternacht sein Zimmer aufgesucht. Da seien noch mehr als die Hälfte der Teilnehmer anwesend gewesen. Bei seinem Verlassen habe er keine deutliche Zäsur (z.B. durch eine Mikrofondurchsage) gesetzt. Er sei davon ausgegangen, dass die Veranstaltung auch ohne seine Anwesenheit weiter gehen würde. Der Fortführung des Seminars habe eine längere Teilnahme an der Abendveranstaltung nicht entgegengestanden.
Der Zeuge Q1, einer der Vorgesetzten und Mitorganisator der Veranstaltung, hat ausgeführt, dass ein Hauptzweck des Seminars gewesen sei, die zwischenmenschlichen Beziehungen der Mitarbeiter untereinander zu verbessern. Die Kosten seien – auch für die Getränke am Abend – ohne zeitliche Begrenzung von der Firma übernommen worden. Wenn jemand vor 22 Uhr gegangen wäre, hätte dieser Mitarbeiter nicht verstanden, worum es gegangen sei. Er selbst habe die Veranstaltung gegen Mitternacht verlassen. Seiner Meinung nach seien da noch zwei Drittel der Teilnehmer anwesend gewesen. Es habe kein vorher festgelegtes Ende der Abendveranstaltung gegeben. Ein solches Ende sei auch an dem Abend selbst nicht z.B. durch Durchsagen bekannt gegeben worden.
Der Zeuge Q2, ebenfalls einer der Vorgesetzten und Mitorganisator der Veranstaltung, hat angegeben, dass durch das Seminar die Zusammenarbeit der Abteilungen verbessert werden sollte – sowohl auf der Prozess- als auch auf der persönlichen Ebene. Am Abend sollten die Mitarbeiter persönlich zusammen gebracht werden. Es habe kein – insbesondere zeitliches – Limit der Getränke gegeben. Die Abendveranstaltung sei integraler Bestandteil der Veranstaltung gewesen, sodass erwartet worden sei, dass die Teilnehmer auch abends erscheinen. Es seien die Arbeitszeitregelungen für Dienstreisen angewandt worden, wonach 10 Arbeitsstunden pro Tag angerechnet würden. Ab welcher Uhrzeit eine Verabschiedung in Ordnung gewesen wäre, könne er nicht beantworten. Es sei ohne ein definiertes Ende eingeladen worden. Ein Vernetzen der Teilnehmer sei Ziel der Veranstaltung gewesen. Gegen 1:15 Uhr oder 1:30 Uhr habe er die Klägerin auf der Treppe sitzend angetroffen. Die Klägerin habe berichtet, gestürzt zu sein. Er habe sich gut mit der Klägerin unterhalten können und sie habe adäquate Antworten gegeben. Er habe den Eindruck gehabt, dass sich die Klägerin trotz der Schmerzen gut gehalten habe. Die Treppe sei ausreichend beleuchtet gewesen. Da sich die Zeugin C kümmerte, sei er ins Bett gegangen.
Der Zeuge T hat ausgeführt, dass er für die Meldungen gegenüber der Beklagten zuständig sei. Die Eintragungen in der Unfallanzeige habe er nach den Angaben anderer, z.B. der Personalabteilung, gemacht. Von wem genau er welche Angaben erhalten habe, könne er heute nicht mehr sagen.
Im Übrigen wird hinsichtlich der Ergebnisse der Beweisaufnahme auf das Sitzungsprotokoll vom 27.04.2017 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist begründet.
Die Klägerin ist im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG beschwert, denn der angefochtene Bescheid vom 17.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das Ereignis der Klägerin am 25.09.2014 ist ein Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls muss daher der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Zudem muss die Verrichtung der versicherten Tätigkeit zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt haben (Unfallkausalität) und das Unfallereignis muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität) (Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 09.05.2006, AZ.: B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196, 198; Dr. Peter Becker in "Der Arbeitsunfall", SGb 12/2007, S. 721 mwN).
Die Klägerin war zur Zeit des Unfallereignisses Beschäftigte i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und hat am 25.09.2014 einen Unfall – Umknicken auf der Treppe – mit der Folge eines Gesundheitsschadens – Fraktur des linken oberen Sprunggelenks – erlitten.
Dieser Unfall geschah auch bei einer Verrichtung, die aufgrund des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs zur versicherten Tätigkeit gehört.
Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (§ 7 Abs. 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (§ 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zurzeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (BSG, Urteil vom 30.03.2017, AZ.: B 2 U 15/15 R; Bereiter-Hahn "Gesetzliche Unfallversicherung", § 8 Rdnr. 6.2).
Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auf einem (versicherten) Weg zur Toilette im Rahmen einer Betriebsgemeinschaftsveranstaltung.
Wege, die Beschäftigte während einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit zum Aufsuchen der Toilettenräume zurücklegen, sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich unfallversichert. Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während der Unterbrechung einer versicherten Tätigkeit zurückgelegte Weg zur Toilette in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist: Zum einen dient der Toilettenbesuch während der versicherten Tätigkeit der Aufrechterhaltung der im Unternehmerinteresse stehenden Tätigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich an der Arbeitsstätte anwesend zu sein, um dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg zur Toilette und der versicherten Tätigkeit angenommen worden (BSG, Urteil vom 5.7.2016, AZ.: B 2 U 5/15 R).
Im Rahmen des Handlungsziels kommt es folglich darauf an, dass die Verrichtung des Verletzten vor dem Losgehen zur Toilette der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und er nach dem Toilettenbesuch die versicherte Tätigkeit fortsetzen wollte (BSG, Urteil vom 30.03.2017 a.a.O.).
Allein, dass am Rande bei der Abendveranstaltung auch über Firmenthemen gesprochen und die Kosten für die Bewirtung sowie die Unterkunft vom Arbeitgeber getragen wurden, macht die Verrichtung nicht zur versicherten Tätigkeit (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.10.2016, AZ.: L 13/3 U 186/13). Ein solcher Sachverhalt liegt hier allerdings nicht vor. Die Klägerin befand auf einer im Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII liegenden (versicherten) Betriebsgemeinschaftsveranstaltung in deren Verlauf grundsätzlich auch die Wege zur Toilette versichert sein können (BSG, Urteil vom 30.03.2017 a.a.O.).
Die in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliederten Beschäftigten unterstützen durch ihre von der Unternehmensleitung gewünschte und ggf. sogar geforderte Teilnahme das von ihr dadurch zum Ausdruck gebrachte Unternehmensinteresse, die betriebliche Verbundenheit zu fördern. Der Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung rechtfertigt es, die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Bestandteil der geschuldeten versicherten Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zu betrachten. Aufgrund dieser Einordnung der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Teil der geschuldeten Tätigkeit reicht auch bei der konkreten Verrichtung eine auf die Teilnahme an der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung gerichtete Handlungstendenz des Versicherten aus (BSG, Urteil vom 05.07.2016, AZ.: B 2 U 19/14 R).
Eine Betriebsgemeinschaft liegt allerdings nur dann vor, wenn neben dem aufgezeigten Ziel auch weitere Voraussetzungen vorliegen: Die Veranstaltung muss allen Beschäftigten des Unternehmens oder – bei größeren Unternehmen – einer Abteilung offen stehen und von der Autorität der Unternehmensleitung getragen werden (Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", § 8 Rdnr. 7.20.2 ff.).
An der Veranstaltung nahmen die Mitarbeiter mehrerer Abteilungen des Arbeitgebers teil, um die Zusammenarbeit der Abteilungen – sowohl auf der Prozess- als auch auf der persönlichen Ebene – zu verbessern. Die Abendveranstaltung wurde (anders als in dem von der Beklagten zitierten Fall des LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 25.08.2011, AZ.: L 3 U 145/09) auch durch die Autorität der Unternehmensleitung getragen: So bestand Anwesenheitspflicht, wurden die Veranstaltung vom Arbeitgeber organisiert, alle Kosten vom Arbeitgeber getragen und waren Vertreter der Unternehmensleitung anwesend. Der Geschäftsführer Herr H war sogar eigens für die Abendveranstaltung angereist.
Die Betriebsgemeinschaftsveranstaltung war auch zum Unfallzeitpunkt noch nicht beendet.
Das Ende einer solchen Veranstaltung mit dem daraus folgenden Entfallen des Versicherungsschutzes liegt nach der von der Kommentierung akzeptierten langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung erst dann vor, wenn das programmgemäß vorbestimmte Ende gekommen ist oder wenn – bei fehlender Bestimmung eines Endzeitpunkts – die Betriebsleitung oder ihr Beauftragter sie ausdrücklich (durch entsprechende Ansage) oder auch konkludent (etwa durch den Wunsch nach einem guten Heimweg für alle Teilnehmer) für beendet erklärt und so erkennbar wird, dass die Veranstaltung fortan nicht mehr von der erforderlichen Autorität der Unternehmensleitung getragen wird (BSG, Urteil vom 26.06.1958, AZ.: 2 RU 281/55; BSG, Urteil vom 10.12.1975, AZ.: 8 RU 202/74; Wagner in Schlegel/Voelzke "juris-PK SGB VII", § 8 Rdnr. 96). Eine verbleibende Ungewissheit über das Ende der Veranstaltung geht zu Lasten des Dienstherrn (Bereiter-Hahn-Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 7.20). Allerdings führt allein die (finanzielle) Unterstützung des Arbeitgebers für eine Fortführung der Veranstaltung nach offizieller Beendigung nicht zu einem Fortbestand des UV-Schutzes (LSG Berlin-Brandenburg,a.a.O.).
Ein offizielles Ende der Veranstaltung war nach den übereinstimmenden Zeugenaussagen und dem beigezogenen Zeitplan der Veranstaltung weder im Vorhinein vorgesehen noch am Abend selbst seitens des Arbeitgebers bzw. eines Vertreters erklärt worden. Damit ist auch nicht zu diskutieren, ob eine (eigenmächtige) Fortführung vorliegt.
Ein Ende des Versicherungsschutzes lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass zum Unfallzeitpunkt keine Anwesenheitspflicht (mehr) bestand. Es ist Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen immanent, dass ein unmittelbares Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht bestehen muss. Zu den oben aufgeführten Voraussetzungen einer versicherten Gemeinschaftsveranstaltung gehört es eben nicht, dass die Anwesenheitszeit als Arbeitszeit gewertet wird. Es ist auch oft so, dass Firmenfeiern, die eindeutig versicherte Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen sind, außerhalb der Arbeitszeit und ohne Entlohnung der Teilnehmer stattfinden. Damit kann die Lösung vom Versicherungsschutz nicht an dem Ende der Anwesenheitspflicht festgemacht werden.
Ein Entfallen des Versicherungsschutzes liegt auch deshalb nicht vor, weil nicht mehr alle Teilnehmer des Seminars anwesend waren. Weder die Rechtsprechung noch die Kommentierung haben bisher eine Mindestanzahl an (noch) Anwesenden für die Annahme eines versicherten Zusammenseins definiert. Dies könnte auch im durchgreifenden Widerspruch zum Interesse des Arbeitgebers und der Beschäftigten stehen. Zwar ist es so, dass nicht allein vom individuellen Unternehmerwillen abhängen kann, wie weit der Versicherungsschutz im Einzelnen besteht. So kann der Versicherungsrahmen vom Arbeitgeber nicht nach Belieben reduziert werden, der Arbeitgeber kann ihn allerdings unter Umständen erweitern: So ist es anerkannt, dass Personen, die eine private Gefälligkeitsleistung für den Vorgesetzten erfüllen, versichert sind, wenn der Beschäftigte zu Recht glaubt, sich geübtem Brauch entsprechend aufgrund seiner Stellung nicht entziehen zu können (Bereiter-Hahn, a.a.O., § 8 Rdnr. 7.19; Wagner a.a.O. Rdnr. 40). Letztlich ist aber bei der Anwesenheit von noch zwei Dritteln der Teilnehmer des Seminars inklusive zumindest eines Teils der Vorgesetzten bei weitem kein Anlass gegeben, an dem Vorliegen eines Versicherungsschutzes zu zweifeln. Der Zeitpunkt des Unfalls und der Umstand, dass bereits einige Teilnehmer gegangen sind, legen nicht nahe, dass das Ziel der Abendveranstaltung bereits hinreichend erfüllt gewesen sei. Dies hat der Arbeitgeber einzuschätzen und nicht der Träger der Unfallversicherung.
Auch der Grad der Alkoholisierung steht dem Ziel der Veranstaltung nicht durchgreifend entgegen. Eine Lösung vom Versicherungsschutz ist nach der ständigen Rechtsprechung erst dann gegeben, wenn der Versicherte so betrunken ist, dass die Ausübung einer dem Unternehmen dienenden Verrichtung ausgeschlossen ist. Dabei wird nicht auf eine konkrete BAK abgestellt, sondern vielmehr auf den Leistungsabfall (Wagner, a.a.O., Rdnr. 61). Ein solcher Leitungsabfall lag nicht vor. Denn bei der konkreten Verrichtung reicht nach dem BSG (s.o.) eine auf die Teilnahme an der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung gerichtete Handlungstendenz des Versicherten aus. Mithin kommt es auf eine angemessene Teilnahme an dem geselligen Beisammensein an. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin hierzu nicht mehr in der Lage war, liegen trotz einer festgestellten BAK von 1,99 Promille oder der Angaben des erstbehandelnden Krankenhauses nicht vor. So bestätigen die Zeugin C und der vorgesetzte Zeuge Q2, dass die Klägerin keine bedeutsamen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufwies. Der Zeuge Q2 – dessen Aussage aufgrund seiner Stellung im Betrieb eine besondere Bedeutung zukommt – stellte dar, dass er sich gut mit der Klägerin habe unterhalten können. Sie habe adäquate Antworten gegeben. Er habe zudem den Eindruck gehabt, dass sich die Klägerin trotz der Schmerzen gut gehalten habe. Zu den Angaben in dem Bericht des erstbehandelnden Krankenhauses gab die Zeugin C nachvollziehbar an, dass diese wohl daraus resultierten, dass die Klägerin emotional und die Ärztin genervt gewesen sei. Eine solche Situation ist zwanglos vorstellbar, wenn zudem berücksichtigt wird, dass die Klägerin wegen der Unfallfolgen ihren zeitnah nach dem Seminar geplanten Urlaub nicht antreten konnte, weswegen sie ja auch die unmittelbare Alarmierung des Rettungsdienstes abgelehnt hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 15.02.2018
Zuletzt verändert am: 15.02.2018