Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11. Oktober 2002 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente.
Die am 00.00.1966 geb. Klägerin erlitt als Maschinenarbeiterin am 23.04.1996 durch eine weggeschleuderte Kurbel eine Stirnhöhlenimpressionsfraktur rechts, eine Orbitaboden- und -dachfraktur rechts sowie eine Nasenbeinfraktur. Sie wurde in die Universitätskliniken L aufgenommen, wo am 29.04.1996 eine Plattenosteosynthese durchgeführt wurde. Am 29.10.1996 war sie wieder arbeitsfähig.
In seinem Gutachten vom 08.03.1997 bewertete Prof. Dr. I, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie und Psychiatrie der Universitätskliniken zu L, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen glaubhafter posttraumatischer Kopfschmerzen, vor allem im Narbenbereich rechts, mit 10 v.H. Augenärztlich diagnostizierte Oberarzt Dr. C von der Universitäts-Augenklinik L unter dem 24.04.1997 als Unfallfolgen am rechten Auge "großflächige Gesichtsfeldausfälle bei Zustand nach contusio bulbi, Pupillenfunktionsstörung, geringgradiger Enofthalmus, Hebungsdefizit" und schätzte die MdE mit 5 v.H. ein. Im kieferchirurgischen Hauptgutachten vom 07.04.1997 und 11.06.1997 stellte Professor Dr. Dr. Q, Direktor der Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund- und Kieferchirurgie der Universität zu L, auf seinem Gebiet keine MdE fest. Er schätzte unter Berücksichtigung der neurologischen und augenärztlichen Gutachten die Gesamt-MdE mit 15 v.H. ein. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.07.1997 und Widerspruchsbescheid vom 12.09.1997 die Gewährung von Rente ab.
Mit der am 06.10.1997 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre Augenverletzung sei zu niedrig bewertet.
Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte von Dr. P aus F, dem Erstbehandler nach Unfall, vom 22.04.1998 – derzeitige MdE auf augenärztlichem Gebiet 15 v.H., davon Herabsetzung der Sehschärfe 10 v.H. und Gesichtsfeldausfälle 5 v.H. – und Priv.-Doz. Dr. C1 von der Universitäts-Augenklinik C2 vom 01.10.1998 – Untersuchungen dort am 12. und 24.03.1998 – beigezogen.
Sodann hat das SG ein Gutachten von diesem Arzt eingeholt, das nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 17.05.1999 unter dem 11.06.1999 erstattet worden ist; darin hat Priv.-Doz. Dr. C1 eine volle Sehschärfe beidseits bei Ausfall der oberen Gesichtshälfte rechts beschrieben und die unfallbedingte MdE angesichts von Augapfeltiefstand, Gesichtsfeldausfall, Fusionsstörung, Kopfzwangshaltung, Sehschärfenminderung in der Nähe und Aderhautnarbe nach Aderhautruptur mit 10 v.H. bewertet.
Dem hat sich die Beklagte unter Vorlage einer augenärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. D aus P1 vom 26.08.1999 widersprochen, die gemeint hat, als Unfallfolgen seien nur der Gesichtsfeldausfall der gesamten oberen Hälfte unter Aussparung der Stelle des schärfsten Sehens am rechten Auge festzustellen; für die vom Sachverständigen beschriebene Kopfzwangshaltung und die herabgesetzte Sehschärfe für die Nähe fänden sich keine entsprechenden krankhaften Befunde, so dass die MdE 5 v.H. betrage.
Daraufhin hat das SG ein weiteres augenärztliches Gutachten von Prof. Dr. Q1 von der Augenklinik L eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 10.05.2000 unter dem 15.05.2000 ausgeführt hat, dass als Unfallfolgen die Aderhautruptur mit großflächigem Gesichtsfeldausfall nach oben bei voller Sehschärfe mit konsekutiver Pupillenfunktionsstörung sowie die beginnende Membranbildung vor der Netzhaut festzustellen seien und die MdE dafür 5 v.H. betrage.
Dagegen hat sich die Klägerin unter Vorlage einer Stellungnahme von Dr. P vom 14.06.2000 gewandt, der die MdE augenärztlicherseits unter Einschluss einer MdE von 10 v.H. für eine Herabsetzung der Sehschärfe rechts auf 0,63 auf 15 v.H. eingeschätzt hat. In der dazu abgegebenen Stellungnahme hat Prof. Dr. Q1 unter 02.07.2000 ausgeführt, es sei nach den Bewertungsgrundsätzen der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG) nicht nachvollziehbar, wenn bei einer Sehschärfe von 0.63 eine MdE von 10 v.H. angenommen werde; bei voller Sehschärfe auf dem anderen Auge ergebe sich dadurch keine MdE; bei der Klägerin betrage die Sehschärfe auf dem schwächerem rechten Auge jedoch unkorrigiert 0,8 und korrigiert 1,0, so dass daraus sicherlich keine MdE resultiere, weshalb sich die unfallbedingte MdE auf 5 v.H. belaufe.
Nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Gutachten von Prof. Dr. N, Chefarzt der Augenklinik des Bundesknappschaftskrankenhauses in T, vom 17.03.2001 (ambulante Untersuchung 02.02.2001) eingeholt: Während die Außenschiefstellung beidseits, die geringfügige Kurzsichtigkeit beidseits sowie die Stabsichtigkeit am rechten Auge veranlagungsbedingt seien, ständen die anderen festgestellten Veränderungen am rechten Auge der Klägerin im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall; aufgrund der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0.8, der vermehrten Blendungsempfindlichkeit und des Gesichtsfeldausfalles sowie der zeitweise bestehenden Doppelbilder setze er die unfallbedingte MdE mit 10 v.H. an.
Auf die Einwendungen der Beklagten hat das SG ergänzende Stellungnahmen von Prof. Dr. N vom 06.06. und 28.08.2001 eingeholt, in denen es heißt, die MdE-Einschätzung sei unter Zugrundelegung der Empfehlungen der DOG erfolgt.
Abschließend hat das SG Prof. Dr. Q1 gehört, der die unfallbedingte MdE auf augenärztlichem Gebiet weiter mit 5 v.H. eingeschätzt hat.
Mit Urteil vom 11.10.2002 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin vom Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren. Es ist dabei der augenärztlichen Einschätzung von Prof. Dr. N mit 10 v.H. gefolgt, hat die neurologische MdE mit 10 v.H. bewertet und daraus eine Gesamt-MdE von 20 v.H. gebildet.
Gegen das ihr am 20.02.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.02.2003 Berufung eingelegt. Unter Vorlage eines Gutachtens von dem Augenarzt Prof. Dr. H aus I1 vom 11.03.2003 trägt sie vor, dass die augenärztliche MdE 5 v.H. und die Gesamt-MdE 15 v.H. betrage.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Köln vom 11.10.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat nach § 106 SGG ein augenärztliches Gutachten von Prof. Dr. Dr. U von dem Universitätsklinikum N1 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 28.04.2004 unter dem 03.05.2004 erstattet hat; er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die MdE auf seinem Fachgebiet auf 5 v.H. belaufe.
Dem hat die Klägerin eine Bescheinigung von Dr. P vom 01.06.2004 entgegengehalten. Daraufhin hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. U vom 14.02.2005 eingeholt, der auch angesichts der Ausführungen der Klägerin keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung gesehen hat.
Sodann hat der Senat ein Gutachten von Dr. W, Chefarzt des Instituts für Neurologie/Psychiatrie der Kliniken St. B in W1, vom 04.05.2005 (ambulante Untersuchung am gleichen Tage) eingeholt, demzufolge die Unfallfolgen auf diesem Gebiet maximal 10 v.H. ausmachen und die Gesamt-MdE unter Berücksichtigung von 5 v.H. augenärztlicherseits 15 v.H. beträgt.
Nach § 109 SGG ist Prof. Dr. N gehört worden; er hat unter dem 31.01.2006 ausgeführt, dass die augenärztliche MdE mit 8 v.H. betrage und die Gesamt-MdE mit 18 v.H. zu bemessen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht ist sie vom SG zur Rentenzahlung verurteilt worden. Ihr Bescheid vom 02.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1997 ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Verletztenrente, weil die verbliebenen Unfallfolgen nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit und der damit verbundenen Zahlung von Verletztengeld keinen rentenberechtigenden Grad der MdE um mindestens 20 v.H. bewirken.
Nach dem hier nach § 212 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) noch anwendbaren § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wird Verletztenrente nur gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Den somit erforderlichen Grad von 20 v.H. erreicht die Klägerin unter Berücksichtigung des Ergebnisses der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme nicht.
Nach dem überzeugenden und von den Beteiligten auch nicht angegriffenen Gutachten des forensisch besonders erfahrenen Neurologen und Psychiaters Dr. W ist als höchster Einzel-Grad eine MdE auf nervenärztlichem Gebiet von maximal 10 v.H. festzustellen. Funktionell relevante Ausfallserscheinungen liegen auf diesem Gebiet nicht vor. Diese MdE beruht auf dem der Klägerin verbliebenen zeitweiligen – also inkonstanten – Kopfdruck im rechten Stirnbereich und lokalen Mißempfindungen infolge der an sich reizlosen Narbenbildung.
Ob bei der – nach Dr. W angesichts der inkonstanten Kopfschmerzen ohnehin großzügig bemessenen – MdE von 10 v.H. auf neurologischem Gebiet eine durch die Unfallfolgen auf dem rechten Auge bedingte MdE von 10 v.H. überhaupt zu einer Gesamt-MdE von 20 v.H. führen könnte, kann offen bleiben. Denn der Augenschaden ist mit einer MdE von unter 10 v.H. zu bewerten, was – jedenfalls für die Zeit seit der Begutachtung von Prof. Dr. Dr. U – auch Prof. Dr. N in seinem Gutachten vom 31.01.2006 einräumt. Dessen (frühere) Auffassung ist ebenso wie die Bewertung durch Priv.-Doz. Dr. C1 im Gutachten vom 11.06.1999 sowie die Beurteilung des behandelnden Augenarztes Dr. P durch die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. U widerlegt. Dieser hat wie zuvor Prof. Dr. Q1 (Gutachten vom 15.05.2000) und Oberarzt Dr. C (Gutachten vom 24.04.1997) die unfallbedingte MdE auf augenärztlichem Gebiet mit 5 v.H. eingeschätzt. Bei einer Sehschärfe (mit Korrektur) von beiderseits 1,0 bedingen der auf dem Boden der Hornhautnarbe bei Zustand nach Aderhautruptur entstandene großflächige, die obere Gesichtshälfte und den unteren nasalen Quadranten betreffende Gesichtsfeldausfall mit Glaskörpertrübungen sowie die (durch den Unfall dekompensierte) geringe latente Außenschielstellung des rechten Auges mit zeitweiligen Doppelbildern und Pupillenfunktionsstörungen unter Berücksichtigung der Richtlinien der DOG eine MdE von 5 v.H. Angesichts der nur gelegentlich auftretenden Doppelbilder und der Tatsache, dass eine Kopfzwangshaltung, wenn überhaupt, nur vorübergehend vorgelegen haben kann, lässt sich eine höhe MdE nicht rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.
Erstellt am: 22.09.2006
Zuletzt verändert am: 22.09.2006