Der Bescheid vom 16.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 wird aufgehoben und die Streitsache zur erneuten Entscheidung an die Beklagte zurück verwiesen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 04.04.2013 als Arbeitsunfall sowie um daraus folgende Leistungsansprüche nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Der am 24.09.1974 geborene Kläger arbeitete zum Zeitpunkt des fraglichen Vorfalls als Schlosser bei der XXX an deren Standort in Hagen. Am 04.04.2013 wurde ein Arbeitskollege des Klägers auf dieser Betriebsstätte von einem ca. 1,4 Tonnen schweren Schwenkdach eines Güterwaggons eingeklemmt, als dieses aufgrund eines Defektes an der Feststell-Sicherung plötzlich herunterschwenkte. Der Arbeitskollege erlitt daraufhin schwere Verletzungen und wurde ohnmächtig. Der Kläger versuchte gemeinsam mit zwei Arbeitskollegen das Schwenkdach, das auf den Brustkorb des Ohnmächtigen drückte, von unten gegen die Kante des Daches drückend anzuheben. Nachdem dies nicht gelang, zog er stehend mit nach unten gestreckten Armen. Beide Herangehensweisen blieben erfolglos. Als die Kraft in den Armen nachließ, hockte sich der Kläger schließlich direkt unter das Dach und drückte unter Zuhilfenahme der rechten Schulter gegen die Unterkante des Daches. Auch dies führte zu keinem Erfolg. Erst als rund 15 weitere Arbeiter zur Hilfe kamen, konnte das Dach schließlich hochgedrückt werden.
Am 15.10.2013 ließ sich der Kläger vom Allgemeinmediziner XXX sowie von dem Radiologen XXX aus Hagen wegen Schulter- und Halswirbelsäulenschmerzen untersuchen. XXX stellte folgende Befunde fest: Zustand nach Trauma beim Anheben eines Gewichtes mit Verletzung der Halswirbelsäule und Schulter. Bei der Halswirbelsäule bestünde eine unauffällige Knochenstruktur, keine ossäre Verletzung, keine degenerativen Veränderungen, eine regelrechte Stellung und ein insgesamt altersentsprechender Befund. Bezüglich der rechten Schulter sei ein andeutungsweise breiter Schultereckgelenkspalt durch eine Schultereckgelenkssprengung TOSSY I zu erkennen, ansonsten sei der Subakromialraum nicht verengt. Es gebe keinen knöchernen Abriss, keine Weichteilverkalkung und keine degenerativen Veränderungen.
XXX führte am 11.11.2013 eine MRT-Untersuchung der Halswirbelsäule durch, die folgendem Befund ergab: Es bestünden ein unauffälliges MRT der Halswirbelsäule, insbesondere ohne Hinweis auf das Vorliegen einer Diskushernie, sowie andeutungsweise eine rechtskonvexe Skoliose der Halswirbelsäule. Einen Tag später, am 12.11.2013, erfolgte, ebenfalls durch XXX, eine MRT-Untersuchung der rechten Schulter. Nach Auswertung durch den Radiologen existiere eine traumabedingte Verletzung des distalen Anteils der Clavicula, eine aktivierte Schultereckgelenkarthrose, eine Bursitis unterhalb des Schultereckgelenks, eine ältere Teilruptur im Bereich der Supraspinatussehne und eine massive Kalkablagerung am Ansatz der Supraspinatussehne
Daraufhin ließ sich der Kläger am 14.11.2013 von dem Chirurgen und Durchgangsarzt XXX aus Hagen wegen Schmerzen in der Schulter untersuchen. Dieser stellte eine Teilruptur der Supraspinatussehne, eine massive Verkalkung, eine aktivierte Schultereckgelenkarthrose und eine Bursitis subacromialis fest, von denen bis auf die Teilruptur der Supraspinatussehne alle unfallunabhängig seien. Hergang und Befund würden nicht gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls sprechen.
Zwischen dem 02.12. und dem 06.12.2013 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im berufsgenossenschaftlichen XXX in Bochum. Dort wurden am 03.12.2013 laut Zwischenbericht vom 06.12.2013 eine Arthroskopie der rechten Schulter, eine subacromiale Dekompression, eine arthroskopische Schultereckgelenksresektion und eine Tenodese der langen Bizepssehne durchgeführt. Es wurde eine Arbeitsunfähigkeit für sechs Wochen festgestellt.
Der für den Kläger zuständige Schichtleiter bestätigte mit Schriftsatz vom 03.12.2013 gegenüber der Beklagten, dass der Kläger mit ihm zusammen am 04.04.2013 an der Rettung des Arbeitskollegen beteiligt war. Ein Arbeitsunfall sei nicht angezeigt worden. Erst im November 2013 habe er aber im Rahmen der Erkrankung des Klägers von diesem selbst erfahren, dass er die Schmerzen in der Schulter auf die Bergung des Arbeitskollegen am 04.04.2013 zurückführe, da er schon seit längerem an diesen Beschwerden leide.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16.12.2013 einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Dies begründete sie damit, dass ein Gesundheitserstschaden nicht zeitnah nach dem geltend gemachten Ereignis nachgewiesen worden sei, da sich der Kläger erst am 15.10.2013, und damit über ein halbes Jahr nach dem streitigen Ereignis, in ärztliche Behandlung begeben habe. Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls seien daher nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 14.01.2014 Widerspruch ein. Diesen begründete der Kläger damit, dass seine rechte Schulter unmittelbar am 04.04.2013 und für weitere drei Wochen Blutergüsse, Striemen und Schürfungen aufgewiesen habe. Zum Beweis wurden vier Arbeitskollegen als Zeugen benannt. Für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Rettungsaktion vom 04.04.2013 und den späteren Schulterschäden und -beschwerden spreche der gesamte Geschehensablauf. Außerdem hätten der behandelnde Hausarzt XXX sowie der Schichtleiter Herr XXX übereinstimmend bescheinigt, dass der Kläger ab April 2013 Schmerzen und Beschwerden in der rechten Schulter hatte. Auch für den Umstand, dass der Kläger von April bis Oktober regelmäßig über Schmerzen in der rechten Schulter geklagt habe, benannte er einen Arbeitskollegen als Zeugen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Selbst wenn es zutreffend sei, dass sich der Kläger anlässlich des Unfallereignisses vom 04.04.2014 Blutergüsse, Striemen und Schürfungen im Bereich der rechten Schulter zugezogen habe, fehle es in Bezug auf die seit 15.10.2013 bestehenden Beschwerden und ärztlicherseits diagnostizierten Verletzungen im Bereich der rechten Schulter an einem im Vollbeweis gesicherten Gesundheitserstschaden, welcher über die direkt nach dem Unfall behaupteten, äußerlich sichtbaren Verletzungen hinausgehe und an welchen sich die nun festgestellten Verletzungen anknüpfen ließen. Weil sich der Kläger erst am 15.10.2013 in ärztliche Behandlung begeben habe, fehle es zudem an einem unfallnahen Befund, welcher Rückschluss auf eine gerade durch das Unfallereignis herbeigeführte Schultereckgelenkarthrose und eine Teilruptur der Supraspinatussehne als Gesundheitsschaden zulasse. Auf die Frage, ob die beim Kläger diagnostizierten Beschwerden im Bereich der Schulter rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sei, komme es nicht mehr an, so dass man keine weiteren medizinischen Ermittlungen mehr habe vornehmen müssen.
Am 04.04.2014 hat der Kläger Klage erhoben.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter. Dabei wiederholt er im Wesentlichen die bereits im Widerspruch genannten Gründe und regt an, die von ihm benannten Zeugen anzuhören.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheides vom 16.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 festzustellen, dass das Ereignis vom 04.04.2013 ein Arbeitsunfall ist, und ihm wegen der Unfallfolgen Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, eine Vernehmung von Zeugen bezüglich des Unfallhergangs bzw. des Nachweises von Blutergüssen, Striemen und Schürfungen sei nicht erforderlich oder könnten vom Gericht bzw. ihr im Klageverfahren nachgeholt werden. Im Übrigen nimmt sie Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.
Mit Schreiben vom 22.05.2014 hat das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich einer Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die am 22.05.2014 bei Gericht einging, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung durfte, nach Anhörung, gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Wege des Gerichtsbescheides ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Denn die Frage der Klärung des Sachverhaltes richtet sich hier nicht nach dem Begehren des Klägers in der Hauptsache, sondern ausschließlich danach, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG vorliegen (vgl. auch Humpert in: Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 4. Aufl. 2011, Rn. 46).
Trotz fehlender Spruchreife zur Entscheidung über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bzw. der zustehenden Leistungen ist der Entscheidungsweg des Gerichtsbescheides offen.
Der Begriff der Spruchreife wird in Fällen des § 131 Abs. 5 SGG dahin modifiziert, dass das Gericht, wenn es weitere Sachaufklärungen für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, die angegriffenen Bescheide aufheben kann, soweit nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. In einer in einem solch erweiterten Sinn "spruchreife" Sache, ist der Entscheidungsweg des Gerichtsbescheides für das Gericht offen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.01.2006, AZ.: L 6 SB 197/05; SG Dortmund, Gerichtsbescheid vom 16.11.2012, AZ.: S 15 R 1346/12).
Der Auffassung, dass ein Gerichtsbescheid in den Fällen des § 131 Abs. 5 SGG nicht tunlich sei (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 131 Rdnr. 19b; aA. Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 131 Rdnr. 22), wird nicht gefolgt. Diese Darstellung geht davon aus, dass das Mittel des Gerichtsbescheides verschlossen sei, weil die Entscheidung immer besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Art aufweise. Damit wird allerdings verkannt, dass das Gericht im Fall des § 131 Abs. 5 SGG gerade nicht abschließend die tatsächlichen Umstände konkret ermitteln und umfassend (abschließend) bewerten muss. Im Fall des § 131 Abs. 5 SGG hat das Gericht lediglich zu erkennen, dass die Umstände von der Behörde nicht umfassend ermittelt und beurteilt wurde. Diese Einschätzung weist regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher Art auf. Zudem entspricht der Erlass eines Gerichtsbescheides dem Bedarf an einer schnellen gerichtlichen Entscheidung, damit das erforderliche, umfangreiche Verwaltungsverfahren zeitnah wieder eingeleitet wird.
Die zulässige Klage ist im Sinne der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an die Beklagte begründet, § 131 Abs. 5 Satz 2 SGG.
Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG kann das Gericht, wenn es in Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und des Abs. 4 eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Eine solche Entscheidung kann gemäß § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
§ 131 Abs. 5 SGG ist auch auf die hier vorliegende Anfechtungs- und Feststellungs- sowie (unechte) Leistungsklage anzuwenden. Für die Anfechtungsklage ist das nie angezweifelt worden (BSG, Urteil vom 17.04.2007, AZ.: B 5 RJ 30/05). Diese Regelung ist aber auch auf andere als nur eine (isolierte) Anfechtungsklage anzuwenden (für die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 04.01.2006, AZ.: L 6 U 150/05). Sie ist aber auch für Feststellungsklagen zulässig. Der Wortlaut der Vorschrift schließt keine Klageart aus. § 131 Abs. 5 SGG spricht nur von weiteren Ermittlungen, die erforderlich sind, und davon, dass die Bescheide aufgehoben werden, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Auch die Historie der aktuellen Vorschrift schließt eine Anwendung der Norm auf Feststellungklagen nicht aus. Das BSG hatte für die Vorgängervorschrift festgestellt, dass sie nur für Anfechtungsklagen gelten solle (BSG a.a.O.). Dieser Auffassung ist der Gesetzgeber mit dem Änderungsgesetz vom 26.03.2008 (BGBl. I, 444) entgegen getreten. Hierdurch sollte klargestellt werden sollte, dass die Vorschrift auch für andere als reine Anfechtungsklagen gelten solle (Keller a.a.O. § 131 Rdnr. 1). Sinn und Zweck war damit eine Erweiterung und nicht eine Einengung des Anwendungsbereiches dieser zur Entlastung der Gerichte eingeführten Vorschrift (SG Dortmund, a.a.O.). Auch die Systematik des Gesetzes spricht nicht gegen die vorgenommene Auslegung. So ist in § 131 Abs. 1 SGG nicht nur die isolierte Anfechtungsklage sondern auch die Fortsetzungsfeststellungklage geregelt. Damit ist erkennbar, dass Feststellungsklagen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen. Zudem regelt § 131 Abs. 5 Satz 2 SGG in der aktuellen Fassung, dass die Zurückverweisung auch bei Erlass eines Verwaltungsaktes gelten soll – neben den Fällen des § 54 Abs. 4 SGG. Da auch bei Feststellungen ein Verwaltungsakt zu erlassen ist, spricht die Systematik für eine Anwendung auf Feststellungsklagen. Letztlich spricht auch Sinn und Zweck der Vorschrift für eine Erstreckung auch auf Feststellungklagen. Immerhin bestehen keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung. Insbesondere ist die Schutzbedürftigkeit des Klägers regelmäßig nicht anders zu bewerten.
Es ist hier eine weitere Sachaufklärung in wesentlichem Umfang zu betreiben.
Die Beklagte hatte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht aus §§ 20, 21 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zu prüfen, ob es sich bei dem Ereignis vom 04.04.2013 um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII handelte.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden (versicherten) Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Dabei muss der Gesundheitsschaden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts rechtlich-wesentlich durch das äußere Ereignis verursacht worden sein, sog. haftungsbegründende Kausalität oder Unfallkausalität (BSG, Urteil vom 12.04.2005. AZ.: B 2 U 11/04 R = BSGE 94, 262)
An das Ausmaß eines solchen Gesundheitsschadens werden jedoch unzweifelhaft keine besonderen Anforderungen gestellt – auch kurzfristige, vorübergehende regelwidrige Zustände reichen aus (Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Auflage 2014, § 8 Rdnr. 185). Die behaupteten Hautabschürfungen, Striemen und insbesondere Blutergüsse legen offensichtlich das Vorliegen eines regelwidrigen Zustandes gerade nahe.
Die Beklagte geht nach Auffassung des Gerichts von einer zu engen Auslegung des Begriffs Gesundheitsschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII aus. Sie ist offensichtlich der Auffassung, dass die von dem Kläger angeführten Blutergüsse, Striemen und Schürfungen als Gesundheitserstschaden schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil es sich dabei möglicherweise um lediglich oberflächliche Hautverletzungen handelt. Dies ist aber unzutreffend. Zudem beschreibt der Kläger auch dauerhafte Beschwerden in der Schulter als Folgen des Unfalls. Auch hierin können – u.U. auch ohne äußerlich sichtbare Körperschäden – Unfallfolgen liegen.
Die Gesundheitsstörung muss voll bewiesen sein (BSGE 61, 127, 130; 63, 270, 271). Vollbeweis bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen muss, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist (Wagner in: jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 8 Rdnr. 26).
Die Beklagte ist – anders als das Gericht, welches lediglich den in § 106 Abs. 3 SGG genannten Kanon an Beweismitteln berücksichtigen kann – nach § 21 SGB X nicht an bestimmte, näher bezeichnete Beweismittel gebunden (von Wulffen in von Wulffen "SGB X", 7. Auflage Rdnr. 5). Dabei hat sich die Beklagte der Beweismittel zu bedienen, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich hält.
Die Beklagte ist ihrer Pflicht zur Ermittlung eines Gesundheits(erst)schadens ermessensfehlerhaft gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 nicht nachgekommen. Sie hat nicht berücksichtigt, dass der Kläger mehrere Zeugen benannt hat, die möglicherweise über durch das Ereignis vom 04.04.2013 erlittene Verletzungen Auskunft geben können. Die Beklagte hat ihre Entscheidung lediglich auf das Fehlen eines unfallnahen ärztlichen Attests gestützt. § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X sieht aber ausdrücklich auch die Vernehmung von Zeugen als Beweismittel vor. Es besteht auch kein Rechtssatz, wonach das Vorliegen eines unfallnahen ärztlichen Attests unabdingbare Voraussetzung für die Feststellung eines Gesundheitserstschadens ist. Wesentliche Ermittlungen in Bezug auf das Vorliegen eines Gesundheitsschadens aufgrund einer versicherten Tätigkeit stehen damit aus. Die Beklagte ist mittlerweile ersichtlich auch der Auffassung, dass noch weitere Ermittlungen in Form der Befragung der genannten Zeugen (und ggf. einer medizinischen Auswertung der Aussagen und beigezogenen medizinischen Berichte) angezeigt sind.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass ggf. nach Auswertung der Zeugenaussagen auch noch die Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen (ärztliche Berichte, Vorerkrankungsverzeichnis etc.) erforderlich sein wird. Denn die Beklagte hat als Folgefehler keine weiteren Ermittlungen zu der Frage angestellt, ob die im Oktober 2013 festgestellten Schäden an der rechten Schulter als Folge einer innerhalb des Körpers stattgefundenen Schädigung oder mittelbarer Schaden eines etwaigen Arbeitsunfalls anzusehen sind. Dies wäre jedoch gerade wegen des wahrscheinlich eher geringen Ausmaßes des oberflächlichen Gesundheitserstschadens als Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VII für den Kläger von eigenständiger Bedeutung, so z.B. auf Verletztengeld gemäß § 45 ff. SGB VII oder Verletztenrente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Es ist hier auch nicht von einer Zurückverweisung abzusehen, weil die Rechtsprechung und die Literatur einen engen Anwendungsbereich vorsehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer "SGG", § 131 Rdnr. 17 ff.). Hiernach soll eine Zurückverweisung nicht stattfinden, wenn die Ermittlungen nicht erheblich sind. Eine erhebliche Ermittlung soll nicht vorliegen, wenn übliche Sachverständigengutachten oder auch Zeugenbefragungen durchzuführen sind. Denn das Einholen üblicher Sachverständigengutachten stelle für das Gericht keine besondere Belastung dar und das erstmalige Befragen von Zeugen durch das Gericht habe auch Vorteile, weil hier erstmals Zeugen auch mit Zwang einbestellt und befragt werden können.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte bisher kaum Ermittlungen durchgeführt hat und damit sowohl Zeugenbefragungen als auch weitere medizinische Ermittlungen durchgeführt werden müssen. Die Beklagte hat im vorliegenden Fall also nicht nur einen kleinen Teilbereich der erforderlichen Ermittlungen nicht, sondern umgekehrt nur einen kleinen Teil der erforderlichen Ermittlungen vorgenommen. Damit sind umfangreiche Aufklärungsarbeiten, die aufeinander aufbauen, nachzuholen. Die §§ 20, 21 SGB X würden leerlaufen, wenn die Behörden die Möglichkeit hätten, ihre Amtsermittlungspflicht willkürlich auf die Gerichte zu verlagern. Eine solche sachwidrige Verlagerung von eigentlich der Behörde obliegenden zeit- und kostenintensiven Sachverhaltsaufklärungen zu vermeiden, ist Sinn und Zweck des § 131 Abs. 5 SGG (vgl. BT-Drucksache 15/1508, S. 29).
Letztlich ist zu beachten, dass die falsche Ermittlungstätigkeit hier auf einer offensichtlich falschen Auslegung des Begriffs des Gesundheits(erst)schadens beruht. Da die Beklagte nunmehr von einer umfassenderen Bedeutung des Begriffs ausgeht, ist zu erwarten, dass umfassende und abschließende Ermittlungen betrieben werden. Die erstmalige Durchführung der offensichtlich erforderlichen Ermittlungen ist nicht Aufgabe der Gerichte. Die Gerichte sind nur damit beauftragt, die konkreten Entscheidungen der Verwaltung zu überprüfen und nicht eigene Erstentscheidungen an die Stelle der Verwaltung zu setzen. Wenn die Beklagte erkennbar kaum Ermittlungen betrieben hat, bleibt für eine gerichtliche Überprüfung kein Raum. Solange die Gerichte von der Möglichkeit zur Zurückverweisung nur zurückhaltend Gebrauch machen und nur bei krassen Fällen von unterlassenen Ermittlungen die Streitsachen an die Verwaltung zurückgeben, ist von einer für die Betroffenen zermürbenden hin und her Verschiebung unter Vermeidung der Aufgabenerledigung nicht auszugehen.
Zudem wären die Gerichte mit einer solchen (Erst-)Ermittlungstätigkeit auch regelmäßig überfordert, da sie weder personell noch sachlich für eine ständige umfassende Nachermittlung entsprechend ausgestattet sind. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, die Tätigkeiten der Behörde zu übernehmen.
Überwiegende Belange der Beteiligten stehen der Entscheidung im Wege des § 131 Abs. 5 SGG nicht entgegen. Dies gilt zunächst für den Kläger. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Gericht keine hinreichenden personellen Ressourcen hat, um eine umfangreiche Ermittlungen in angemessener Zeit zu erledigen. Auf die hohe Belastung der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit wird ausdrücklich hingewiesen. Die Beklagte verfügt hingegen über einen entsprechend ausgestatteten Behördenapparat, der aufgrund der Regelung in § 88 SGG auch innerhalb angemessener Fristen zu einer Entscheidung kommen muss. Solche Fristen bestehen für die Gerichte nicht. Sie sind auch nicht in dem neu eingeführten Vorschiften zu überlangen Verfahren zu sehen.
Zudem ist beachtlich, dass die Beklagte als sachlich und örtlich näherer Teil der Behördenstruktur bessere Zugriffsmöglichkeiten in Bezug auf die an der Ermittlung zu beteiligenden Stellen – insbesondere den Arbeitgeber des Klägers – hat. Letztlich kann die Beklagte, anders als das Gericht, z. B. auch informell auf Beratungsärzte zugreifen, die immer wieder punktuell an der Ermittlungstätigkeit beteiligt werden können. So kann eine flexible Gestaltung der Ermittlung betrieben werden in einem wechselseitigen Austausch zwischen Sachbearbeitern und Medizinern, die das Verfahren individuell gestalten können. Hierin besteht letztlich der Sinn und Zweck für die offeneren Regelungen zu den Beweismitteln im Rahmen der behördlichen Ermittlungen (vgl. oben).
Außerdem steht die Zurückverweisung auch im Interesse der Beklagten. Die Kosten, die das Gericht für seine Ermittlungen aufwenden müsste, wären in diesem Fall der Beklagten nach § 192 Abs. 2 SGG aufzuerlegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht nach § 106 Abs. 3 SGG an einen starren Kanon von Beweismittel gebunden ist. Diese Ermittlungsmöglichkeiten sind mit entsprechenden Kosten verbunden, die die Aufwendungen der Beklagten in ihrem eigenen Verfahren bei weitem überschreiten können.
Sofern davon ausgegangen wird, dass dem Gericht ein Ermessen zusteht (so Hauck in Hennig "SGG", § 131 Rdnr. 191; aA. Keller in Meyer-Ladewig u.a. a.a.O. Rdnr. 18 b), ist Folgendes zu berücksichtigen: Bei der Ermessensentscheidung hat sich das Gericht von der Überlegung leiten lassen, dass die Gefahr eines verzögerten Verfahrens bei nicht existenzsichernden Leistungen durch die Möglichkeiten einer flexibleren Ermittlungsmöglichkeit sowie einer fristgebundenen Entscheidungsverpflichtung der Beklagten ausgeglichen werden. Zudem können die ausstehenden Ermittlungshandlungen – wie in anderen Verfahren auch – vom Gericht ggf. nachgeholt werden, falls die Beklagte die notwendigen Ermittlungen abermals nicht umfassend betreibt.
Die Entscheidung ist gemäß § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG binnen sechs Monaten nach Eingang der Akten bei Gericht am 28.04.2014 ergangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 183, 193 SGG.
Das Gericht entscheidet über die Kosten nach sachgemäßem richterlichen Ermessen, wobei in erster Linie die Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt ihrer Erledigung zu berücksichtigen sind – wobei es in der Regel billig ist, wenn der voraussichtlich Unterlegene die Kosten trägt (BSGE 17, 124, 128; SozR, § 193, Nr. 4; LSG NRW, Urteil vom 15.09.1999, AZ.: L 6 B 24/99; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 193 Rdnr. 12 f.). Das Gericht muss jedoch zudem alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Insbesondere ist darauf abzustellen, welche Umstände zur Erhebung oder zur Erledigung führten (LSG NRW, Beschluss vom 30.11.2004, AZ.: L 16 B 99/04 KR ER; LSG NRW, Beschluss vom 30.11.2004, AZ.: L 16 B 152/04 KR ER; LSG NRW, Beschluss vom 16.10.2006, AZ.: L 19 B 35/06 AL; LSG NSB, Beschluss vom 11.03.2003, AZ.: L 13 B 34/02 SB; Groß in Lüdtke, Hk-SGG, 2. Auflage, § 193, Rdnr. 22 ff.; Krasney/Udsching, a.a.O., S. 509; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193, Rdnr. 12b).
Hier ist im Wesentlichen zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch ihr Unterlassen der erforderlichen Ermittlungen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, so dass es dem Gericht billig erscheint, der Beklagten die Kosten vollständig aufzuerlegen.
Erstellt am: 31.07.2014
Zuletzt verändert am: 31.07.2014