Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt den vollständigen Ausgleich der Minderung des Verdienstes oder der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile in Form einer Übergangsleistung nach der Berufskrankheitenverordnung (BKV) für die gesamten fünf Jahre nach Eintritt einer Hautberufskrankheit nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) in Verbindung mit der BKV.
Mit Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.06.2014 (Aktenzeichen S 17 U 856/11) wurde die Beklagte verurteilt, die Hauterkrankung der Klägerin als Berufskrankheit (BK) Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen. Mit Bescheid vom 05.03.2015 erkannte die Beklagte das Vorliegen der zuvor streitigen Berufskrankheit mit einem Tag des Versicherungsfalls am 23.11.2010 an. Zudem gewährte die Beklagte der Klägerin vom 24.11.2010 bis zum 30.09.2011 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Darüber hinaus lehnte sie einen Anspruch auf eine Verletztenrente ab.
Bereits mit Bescheid vom 17.02.2015 gewährte die Beklagte der Klägerin Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV für das erste Jahr nach Eintritt der BK in ungekürzter Höhe. Mit den Folgebescheiden vom 24.02.2015, 16.03.2015 und 21.01.2016 stellte die Beklagte eine Staffelung der Übergangsleistung im Rahmen von vier Fünfteln für das zweite Jahr, drei Fünfteln für das dritte Jahr, zwei Fünfteln für das vierte Jahr und einem Fünftel für das fünfte Jahr fest. Die Beklagte ging dabei im zweiten Jahr nach dem Leistungsfall von einem (der Höhe nach unstreitigen) Minderverdienst in Höhe von 10.298,22 EURO, im dritten Jahr i.H.v. 10.643,40 EURO, im vierten Jahr i.H.v. 10.957,14 EURO und im fünften Jahr vom 23.11.2014 bis zum 25.01.2015 i.H.v. insgesamt 1965,75 EURO sowie vom 26.01.2015 bis zum 22.11.2015 i.H.v. insgesamt 559,44 EURO aus.
Die dagegen eingelegten Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15.06.2015 und 20.06.2016).
Parallel zur Gewährung der Übergangsleistungen erfolgt eine berufliche Qualifizierung der Klägerin auf Kosten der Beklagten.
Am 15.07.2015 hat die Klage erhoben.
Sie ist der Auffassung, dass eine Staffelung der Übergangsleistungen unangemessen sei, da der Versicherungsfall erst lange nach seinem Eintritt gerichtlich festgestellt werden musste. Damit musste die Klägerin – wenn überhaupt – auch erst ab der gerichtlichen Feststellung von einem zu erwartenden dauerhaften Minderverdienst ausgehen. Denn erst ab diesem Zeitpunkt habe für die Klägerin festgestanden, dass sie sich beruflich neu orientieren müsse. Da es sich bei der Klägerin allerdings um eine junge, ansonsten uneingeschränkt erwerbsfähige Frau handele, sei ein dauerhafter Minderverdienst generell nicht zu erwarten gewesen, zumal die Beklagte der Klägerin auch eine Umschulung gewährt. Sie habe so auch zum 12.03.2018 eine neue Arbeitsstelle angetreten, die dokumentiere, dass es zu keinem dauerhaften Minderverdienst gekommen sei. Bei den Übergangsleistungen handele es sich auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um einen echten Schadensersatzanspruch. Eine Gewöhnung an ein späteres niedrigeres Einkommen sei nicht erforderlich. Auch bei anderen Sozialleistungen sei es nicht unüblich, dass die Betroffenen selbstständig vorbereitende Vermögensdispositionen treffen müssen, um einer Anpassung an die geänderten Einkommensverhältnisse durch die Leistungsträger nicht zu bedürfen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 24.02.2015, 15.03.2015 und 21.01.2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.06.2015 und 20.06.2016 zur verurteilen, ihr vom 23.11.2011 bis 22.11.2015 Übergangsleistungen für das erste Jahr dieses Zeitraums in Höhe von 10298,22 Euro, für das zweite Jahr 10643,40 Euro, für das dritte Jahr 10957,14 Euro und für das vierte Jahr vom 23.11.2014 bis zum 25.01.2015 einen Gesamtbetrag in Höhe von 1965,75 Euro und für den Zeitraum vom 26.01.2015 bis 22.11.2015 einen Gesamtbetrag in Höhe von 559,44 Euro unter Anrechnung etwaiger Erstattungsansprüche zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass sie weiterhin davon ausgehe, dass die Staffelung erforderlich gewesen sei, um die Klägerin auf die zu erwartenden finanziellen Abstriche vorzubereiten. Die Übergangsleistung sei auch kein Schadensersatz eines in der Vergangenheit entstandenen Schadens. Es gehe nur um einen Schaden, der durch einen Minderverdienst oder andere wirtschaftliche Nachteile entstehe. Hierbei gehe es auch nicht um die komplette Kompensierung, die frühere anderslautende Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht aufgegeben. Es liege auch keine Ermessensreduzierung auf Null vor, denn nicht nur die unreduzierte Gewährung führe zu ermessensgerechten Ergebnissen. Die Staffelung sei kein Einzelfall, sondern praxisnah. Für ein Abweichen vom Regelfall der Staffelung müssten besondere Umstände, wie z.B. unverschuldete beträchtliche Erhöhung des Mindereinkommens im Laufe der fünf Jahre eintreten, was aber hier nicht vorliege. Es entspreche Sinn und Zweck der Vorschrift, dass Einkommensabstriche hinzunehmen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage ist unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn die angefochtenen Bescheide vom 24.02.2015, 16.03.2015 und 21.01.2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.06.2015 und 20.06.2016 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere als von der Beklagten festgestellte Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV.
Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten zum Ausgleich der durch die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Diese Leistung wird als ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Monaten, gewährt (§ 3 Abs. 2 S. 2 BKV). Bei der Übergangsleistung handelt es sich um einen echten Schadensersatzanspruch, der jedoch nicht auf den Ersatz des dem beim Versicherten verbliebenen vollen Schadens im Sinne der so genannten Naturalrestitution abzielt (BSG, Urteil vom 04.12.2001, B2U6/01R). Auf die Gewährung der Übergangsleistung an sich besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Versicherten, wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistung steht allerdings lediglich im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (BSG, a.a.O.). Die Verpflichtung der Beklagten, einen bestimmten Verwaltungsakt (hier die Gewährung der ungestaffelten Leistung) zu erlassen, besteht aufgrund des eingeräumten Ermessens nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt vor, wenn das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer "SGG", 11. Auflage, § 54 Rdnr. 29).
Die allein streitige gestaffelte Gewährung der Übergangsleistungen ist nicht zu beanstanden. Sie verstößt nicht gegen Ermessensgrundsätze.
Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ersichtlich, dass es kein Ziel der Übergangsleistung ist, eine Naturalrestitution zu erreichen. Es ist also in der Regel nicht der gesamte Nachteil bei der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit auszugleichen. Hier ist auch zu beachten, dass der Gesetzgeber dies leicht hätte regeln können, wenn das sein Wille gewesen wäre (vgl. § 249 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –).
Es entspricht auch der obergerichtlichen Rechtsprechung, eine Staffelung des Nachteilsausgleichs vorzunehmen, um den Betroffenen an den wegen der Tätigkeitsaufgabe eingetretenen Minderverdienst zu gewöhnen. Dieses Ziel ist nicht systemwidrig. Ein Vergleich mit dem Erreichen der Altersrente bietet sich schon deshalb nicht an, weil der Eintritt dieses Ereignisses vorhersehbar und damit planbar ist. Die Betroffenen haben die Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten. Aber auch der Vergleich mit der Gewährung von anderen Sozialleistungen, z.B. der (vollen) Erwerbsminderungsrente, ist nicht angezeigt. Zwar ist auch hier die bisherige Tätigkeit im weiterem Rahmen aufzugeben, da nur noch eine Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden gegeben sein darf, doch ist es dem Gesetzgeber unbenommen, eine Leistung zu regeln, die bei Berufskrankheiten zu einer Besserstellung führen. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der sozialen Rechte einen weiten Gestaltungsspielraum. Das Sozialrecht kennt auch viele Sozialleistungen, die den Lebensstandard (kurzfristig) auf einem höheren Niveau halten sollen, bevor es später zu einer Absenkung bei der Gewährung einer als langfristig zu gewährenden Leistung kommt (zB. Verletztengeld vor Rente und Krankengeld vor Erwerbsminderungsrente).
Zudem ist hier zu beachten, dass die Übergangsleistung nicht nur eine Kompensations-, sondern auch eine Anreizfunktion hat. Mit ihr soll auch erreicht werden, dass Betroffene sich leichter dazu durchringen können, die gefährdende Tätigkeit aufzugeben trotz der zu erwartenden Nachteile (BSG, a.a.O.). Damit soll eine weitere Schädigung für den Betroffenen mit möglicherweise zusätzlichen Kosten für die Allgemeinheit vermieden werden.
Dabei ist es unbeachtlich, ob solch ein Minderverdienst bis zum Erreichen der Regelaltersrente oder zumindest für eine wesentliche Zeit zu erwarten ist. Der Gesetzgeber hat geregelt, dass die Leistung maximal für fünf Jahre gewährt werden kann und damit selbst die Wertung getroffen, dass es nicht grenzenlos auf die individuellen Umstände des Einzelfalls ankommt. Ein zu fordernder längerdauernder Minderverdienst wird nicht gefordert. Die Leistung kann auch bekommen, wer nur kurzfristig einen Minderverdienst, z.B. für nur ein oder zwei Jahre, hat. Wären langfristige Einbußen konstitutiv, würde dies zu einer nicht gewollten Leistungsbegrenzung führen.
Aber auch ein zu erwartender Wegfall der Verdienstminderung nach dem gesetzlichen Zeitraum von fünf Jahren führt nicht dazu, dass die Leistung in den fünf Jahren ungestaffelt gewährt werden muss und dass alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft sind. Zum einen ist beachtlich, dass regelmäßig keine sichere Vorhersage über den Wegfall des Minderverdienstes bis zum Ende des gesetzlichen Zeitraums gegeben sein wird. Die Verdienstmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind – auch unter Berücksichtigung von beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen – nur potenzielle Umstände, die eintreten können aber nicht müssen. Eine sichere Zusage ist damit in der Regel – wie auch bei der Klägerin – nicht verbunden. Und auch die Klägerin hat den neuen Arbeitsplatz erst im Jahr 2018 und damit mehr als 7 Jahre nach dem Versicherungsfall angetreten. Da war der Fünfjahreszeitraum schon lange abgelaufen.
Letztlich wäre aber auch bei dem relativ sicheren Wegfall des Minderverdienstes innerhalb der fünf Jahre oder direkt im Anschluss eine Staffelung nicht ermessensfehlerhaft, denn auch z.B. vertragliche Zusagen sind brüchig und es entspricht dann der Gleichbehandlung aller Betroffenen, wenn regelmäßig eine Staffelung für alle vorgenommen wird. Die Gleichbehandlung rechtfertigt es sogar, dass bei Personen, bei denen die gesamte Übergangsleistung im Nachhinein gewährt wird, und so eine stufenweise Gewöhnung innerhalb der fünf Jahre nicht mehr gewährleistet werden kann, die Gewährung in gestaffelter Höhe nicht ermessensfehlerhaft ist und nur eine ungestaffelte Leistung für die fünf Jahre ermessensfehlerfrei ist. Wie bei anderen Geldleistungen auch ist die Verzinsung die einzige Kompensation für die Leistungsfeststellung in die Vergangenheit.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 06.08.2018
Zuletzt verändert am: 06.08.2018