Unter Aufhebung des Bescheides vom 24.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 16.06.2016 wird festgestellt, dass das Urothel-Karzinom des Klägers eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV ist. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstat-ten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – Schleimhautveränderungen, Krebs oder an-dere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine – (BK 1301) i.V.m. dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Der Kläger absolvierte von 1972 bis 1975 bei der Firma Q AG (früher E und Co. KG) die Ausbildung zum Werkzeugmacher, leistete dann einen verkürzten Bundeswehrdienst und war von 1975 bis 1979 bei der Firma D T in M als Werkzeugmacher tätig. Im Jahr 1979 arbeitete der Kläger für einige Monate als physikalischer Qualitätsprüfer bei der Firma K. In der Zeit von 1979 bis 1986 war der Kläger dann bei der Firma M als Werk-zeugmacher tätig. Parallel zu dieser Beschäftigung besuchte er die Abendschule und bildete sich zum Techniker weiter, so dass er später im Büro als Konstrukteur, Spartenlei-ter, Gruppenleiter sowie Entwicklungsleiter angestellt war. Ab der Zeit von 1986 bis zur Berentung führte er in der Regel Leitungsaufgaben durch und hatte nur noch sehr sel-ten mit verschmutzten Werkzeugteilen Kontakt.
Nach eigenen Angaben rauchte der Kläger von ca. 1990 an bis zumindest 2015 zwi-schen 10 und 20 Zigaretten pro Tag. Bis 2013 konsumierte er daher maximal 23 und mi-nimal 11,5 pack years mit einem Mittel von 17 pack years.
Ab November 2013 traten beim Kläger rezidivierende Makrohämaturien auf. Doch erst im August 2014 wurde im Rahmen einer Routineuntersuchung ein abklärungsbedürftiger Befund am Harnblasenboden festgestellt der letztlich im September 2014 zu einer (Teil-) Resektion der Harnblase führte. Bei dem entnommenen Gewebe handelt es sich – histo-logisch gesichert – um ein hoch- bis mittelgradig differenziertes Urotelkarzinom.
Im Oktober 2014 erfolgten eine Urethozystoskopie, ein retrogrades Ureteropyelogramm rechts und eine Nachresektion mit histologischer Aufarbeitung, wobei kein Tumorrezidiv festgestellt werden konnte. Erst im Oktober 2015 konnte ein Rezidiv histologisch gesi-chert werden. Nach eigenen Angaben des Klägers habe auch 2018 eine Rezidiverkran-kung bestanden.
Am 02.12.2014 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um die Anerkennung seines Leidens als Berufskrankheit sowie die Gewährung von entsprechenden Leistun-gen, insbesondere einer Rente.
Die Beklagte beteiligte sowohl ihren eigenen Präventionsdienst als auch den der Be-rufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM). Die Präventi-onsdienste gingen nach Befragung des Klägers davon aus, dass eine Exposition im Sinne der BK 1301 erfahrungsgemäß vorgelegen habe. Der Kläger sei bei seiner Tätig-keit in dem Unternehmen D T in M gegenüber 4,4-Diaminodiphenylmethan sowie 2-Naphtylamin und bei der Firma M und Sohn insbesondere bei Met-L-Check-Verfahren (Rot-Weiß-Verfahren) und bei Kontakt zu Stanzölen wahrscheinlich gegenüber Azofarb-stoffen, aus denen aus reduktiver Spaltung krebserzeugende aromatische Amine freige-setzt würden, exponiert gewesen. Letzter Tag der Exposition sei der 30.06.1986.
Zur Abklärung ihrer Leistungspflicht ließ die Beklagte den Kläger von Prof. Dr. C, Direktor des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversi-cherung am C C, untersuchen und begutachten. Der Mediziner beurteilte, dass zwar so-wohl eine Erkrankung als auch eine Einwirkung im Sinne der BK 1301 vorlägen, die von dem Kläger aufgenommene Menge an o-Toluidin – nach einer orientierenden worst-case-Berechnung – mit einem Zwanzigstel des Orientierungswertes von 30g und nur einer unbeachtlichen Menge an 2-Naphtylamin – nicht ausreichte, um die erforderliche Wahrscheinlichkeit einer Verursachung zu begründen, zumal der Kläger über das Rau-chen von mehr als 15 pack years allein einen Wert von 30g o-Toluidin aufgenommen habe.
Mit Bescheid vom 24.11.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Berufskrankheit unter Verweis auf den Inhalt des eingeholten Gutachtens ab. Zudem versagte sie einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen.
Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Expositio-nen im Rahmen der BK 1301 nicht hinreichend quantifiziert worden seien. Die Einwir-kung mit 4,4-Diaminodiphenylmethan sei ebenso ignoriert worden, wie die Begünstigung der Stoffaufnahme über die rissige Haut an Händen und Unterarmen. Letztlich seien weitere Einwirkungen von krebserregenden Stoffen im Rahmen einer BK 1302 nicht be-rücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2016 wies die Beklagte den Widerspruch unter Vertiefung der bisherigen Begründung zurück. Zudem führte die Beklagte aus, dass der Stoff 4,4-Diaminodiphenylmethan zwar als krebserregend gelte, aber nicht im Verdacht stehe, beim Menschen Harnblasenkarzinome zu verursachen. Letztliche komme es auf eine Einwirkung im Rahmen der BK 1302 nicht an, da alle Berufskrankheiten isoliert zu betrachten seien.
Hiergegen hat der Kläger am 12.07.2016 Klage erhoben.
Er verfolgt sein Begehren mit dem Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren weiter. Zudem verweist er auf darauf, dass in der Rechtsprechung anerkannt sei, dass das 4,4-Diaminodiphenylmethan die Entstehung eines Harnblasenkarzinoms verursachen kön-ne (Landessozialgericht Baden-Württemberg [LSG BW], Urteil vom 24.10.2014, L 8 U 4478/13).
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 24.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 16.06.2016 festzustellen, dass das Urothel-Karzinom eine Berufs-krankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Darstellungen in dem angefochtenen Bescheid und die Auffassungen der von ihr beteiligten Mediziner, insbesondere des im gerichtlichen Ver-fahren hinzugezogenen Arbeitsmediziners Dr. Q, D
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von medizinischen Sachverstän-digengutachten und teilweise ergänzenden Stellungnahmen von Amts wegen von dem Arbeitsmediziner Dr. rer. nat. Dr. med. S, niedergelassen in L, und der Arbeitsmedizinerin Fr. Prof. Dr. C-H, ehem. Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Heinrich-Heine-Universität E und Gewerbemedizinaldirektorin des Landes NRW a.D., F.
Dr. S hat eine berufliche Exposition gegenüber o-Toluidin in den 7,2 relevanten Jahren von insgesamt zwischen 3g und 24g angenommen, wobei eine Belastung von 3g 200.614 mal über der Einwirkungsmenge der Normalbevölkerung liege. Der nur im Spu-renbereich liegende Kontakt zu 4,4-Diaminodiphenylmethan sei nicht beachtlich, da die-ser Stoff auch nur schlecht hautgängig sei. Auch die Berührung mit Kühlschmierstoffen habe keinen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Einwirkung von 0,033mg 2-Naphthylamin sei letztendlich ebenfalls unbedeutend. Die Einwirkung von o-Toluidin sei auch unter Berücksichtigung des Rauchens zumindest teilwesentlich für das Entstehen des Krebsleidens gewesen. Der von dem Gutachter der Beklagten als erforderlich ange-sehene Orientierungswert von 30g sei nicht überzeugend – weder als Abschneidekriteri-um noch als Orientierungswert.
Fr. Prof. Dr. C-H hat sich der Sichtweise von Dr. S angeschlossen. Eine Exposition in Höhe von 24g mit o-Toluidin sei nach ihrer Auffassung nicht zu hoch gegriffen. Der von Teilen der Literatur vorgeschlagene Orientierungswert von 30g überzeuge nicht. Mangels eines Orientierungswertes habe die Kausalitätsabschätzung anhand der Abwägung all-gemein bedeutsamer Umstände zu erfolgen. Bei dem Kläger habe eine grundsätzliche Exposition gegenüber o-Toluidion und noch weiteren nicht weiter ermittelten Stoffen be-standen. Für eine Kausalität spreche, dass der Kläger das Krebsleiden mit 59 Jahren er-litten habe. Bei einer Zunahme des Harnblasenkrebsrisikos ab dem 40. Lebensjahr und einem mittleren Erkrankungsalter von 71 Jahren bestehe eine maßgebliche Vorverle-gung. Eine Expositionsdauer von 10,4 Jahren bei einer aktuellen mittleren Expositions-dauer von 20 (früher 14) Jahren spreche nicht gegen eine Verursachung. Die Latenzzeit von 38 Jahren beim Kläger stehe bei einer mittleren Latenzzeit von 37 Jahren einer An-erkennung der BK 1301 nicht entgegen. Bei einer beruflichen Einwirkung von 24g o-Toluidin komme auch dem Rauchen mit einer Belastung von 30g keine so überragende Bedeutung zu, dass eine Anerkennung ausscheide. Selbst eine Belastung mit nur 3g o-Toluidin sei keine unwesentliche Einwirkung, hier komme dem Rauchen aber eine kon-kurrierend überlegene Qualität zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist begründet.
Der Kläger ist im Sinne der §§ 54, 55 SGG beschwert, denn der angefochtene Bescheid vom 24.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Fest-stellung der BK 1301.
Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die ein Ver-sicherter bei einer der in den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Die hier streitige BK 1301 erfasst Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neu-bildungen der Harnwege durch aromatische Amine.
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Art, Dauer und Stärke der tätigkeitsbezogenen schädigenden Einwirkung und das Vorliegen der (Listen-)Erkrankung voll beweisen sein – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Für die Kausalität zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung reicht die Wahrscheinlichkeit (Bereiter-Hahn/Mehrtens in "Gesetzliche Unfallversicherung", § 9 Rdnr. 3.2). Für eine wahrschein-liche Kausalität sind insbesondere eine hinreichende Exposition sowie ein Zurücktreten von außerberuflichen Einflussfaktoren nachzuweisen.
Für eine Entschädigungspflicht der Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der allgemein aner-kannten Literatur eine doppelte Kausalitätsprüfung vorzunehmen. In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob die berufliche Einwirkung nach den Regeln der Naturwissenschaft grundsätzlich eine allgemeine Ursache sein kann. Auf die Regeln der Äquivalenztheorie (z.B. in Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand Mai 2020, § 8 Rdnr. 8.1.1; Schönberger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 9. Auf-lage, S. 22) wird verwiesen. In einem zweiten Schritt ist dann zu beurteilen, ob die Beein-trächtigungen der Exposition auch rechtlich zuzurechnen sind. Dabei ist auf die Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung abzustellen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 8, Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Dabei sind die Bedingungen rechtlich wesentlich, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in eine be-sonders enge Beziehung treten und so zu einem Entstehen wesentlich beigetragen ha-ben. Allein das zeitliche Zusammenfallen oder sogar das Verursachen im naturwissen-schaftlichen Sinn begründet nicht den notwendigen Zusammenhang in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Mit den Ermittlungen der Beklagten geht das Gericht davon aus, dass bei dem Kläger ei-ne Erkrankung im Sinne der begehrten Berufskrankheit in Form eines Harnblasenkarzi-noms vorliegt.
Zudem ist auch unstreitig und von der Kammer ebenfalls so berücksichtigt, dass der Klä-ger gegenüber aromatischen Terminen beruflich exponiert war.
Die konkrete berufliche Exposition des Klägers reicht auch aus, um die begehrte Berufs-krankheit allgemein verursachen zu können. Die Kammer lehnt unter Berufung auf obergerichtliche Rechtsprechung das Vorhanden-sein einer Mindestdosis für die Einwirkung bestimmter aromatische Amine (hier insbe-sondere O-Toluidin und 2-Naphtylamin) ab (für o-Toluidin: Hessisches LSG [HessLSG], Urteil vom 02.04.2019, L 3 U 48/13; für 2-Naphtylamin: Bayerisches LSG [BayLSG], Urteil vom 27.11.2013, L 2 U 616/11). Bezüglich der Probleme bei der Festlegung einer Min-destbelastungsdosis außerhalb des Verordnungstextes wird auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen (beispielhaft für die ständige Rechtsprechung zur BK 2108: Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R). Auch die von einem Teil der medizinischen Wissenschaft vorgeschlagenen Orientie-rungswerte i.H.v. 30 g für o-Toluidin bzw. 6 mg für 2-Naphtylamin (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 9. Auflage 2017, Seite 1182 unter Hinweis auf Weiß/Henry/C in ASU 45 (2010) 222 ff.) überzeugen nicht. So muss bei einem Orientierungswert zwar nicht der Wert selbst aber dF Menge doch zumindest grob erreicht sein, um überhaupt in eine Kausalitätsprüfung der entsprechenden Berufs-krankheit eintreten zu können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/08 R). Bis-herige obergerichtliche Rechtsprechung hat sich dem vorgeschlagenen Orientierungs-werten nicht einmal grob genähert und diesem damit keine besondere Bedeutung zu-kommen lassen (für o-Toluidin: HessLSG a.a.O. mit 36 bis 42mg, für 2-Naphtylamin: BayLSG a.a.O. mit 1mg).
Das Gericht geht hinreichend sicher davon aus, dass der Kläger zumindest im Bereich von 36-42 mg gegenüber o-Toluidin exponiert war, welches von der obergerichtlichen Rechtsprechung als grundsätzlich ausreichende Exposition angesehen wurde.
Die Berechnungen der Expositionsmenge von dem Sachverständigen Dr. S sind für das Gericht nicht eindeutig anwendbar, da hier eine worst-case-Berechnung vorgenommen wurde. Eine worst-case-Betrachtung bietet sich allerdings nur dann an, wenn mit ihr ausgeschlossen werden kann, dass der Versicherte selbst unter Zugrundelegung der schlechtesten Verhältnisse und damit der höchsten Belastung einer hinreichenden Ex-position ausgesetzt war. Sofern aber mit der Belastungsberechnung eine hinreichende Einwirkung belegt werden soll, kann keine Berücksichtigung der nur möglicherweise bestandenen schlimmsten Verhältnisse zu Grunde gelegt werden, sondern es müssen realistische Szenarien berücksichtigt werden.
Daher geht das Gericht von den Werten aus, die die Sachverständigen der Beklagten im Rahmen einer orientierenden worst-case-Berechnung ermittelt haben. Diese sind davon ausgegangen, dass der Kläger möglicherweise im Rahmen eines Zwanzigstels des von ihnen geforderten Orientierungswertes von 30g o-Toluidin belastet wurde. Damit sahen sie eine Exposition i.H.v. 1,5g (=1.500mg) als möglich an. Selbst unter Abzug eines maß-geblichen Teils der unter worst-case-Umständen berechneten Belastung ist hier hinrei-chend sicher davon auszugehen, dass der Kläger zumindest einen Bruchteil von einem 41stel des errechneten Wertes und damit ca. 36mg von dem Stoff o-Toluidin beruflich aufgenommen hat.
Die Kammer geht aber auch – anders als die Beklagte – davon aus, dass die berufliche Exposition zumindest wesentliche Teilursache für das Entstehen der hier bedeutsamen Erkrankung war.
Die Kammer schließt sich insoweit im Wesentlichen den überzeugenden Ausführungen der erfahrenen Sachverständigen Fr. Prof. Dr. C-H und Dr. rer. nat. Dr. med. S an. Die Ausführungen der Sachverständigen lassen Unrichtigkeit oder Fehlschlüsse nicht er-kennen. Sie sind erkennbar nach einer umfassenden Untersuchung des Klägers in Kenntnis der Akten auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erstattet worden und haben sich mit den erhobenen Befunden, den akten-kundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten differenziert auseinanderge-setzt.
In Ermangelung von konkreten Orientierungswerten und sogar einer hinreichend gesi-cherten wissenschaftlichen Erforschung hat die Kausalitätsabschätzung anhand einer Betrachtung aller bedeutsamen Umstände zu erfolgen. In Betracht kommen als wesentli-che Kriterien die Einwirkungsdosis, das Alter des Klägers bei Eintritt der Erkrankung, die Expositionsdauer, die Latenzzeit und die Interimsseit. Abschließend muss geklärt wer-den, ob konkurrierende Ursachen einen grundsätzlich möglichen Kausalzusammen-hang wieder negieren.
Bei dem Kläger liegt eine zumindest ausreichende Einwirkung mit dem krebserregenden Stoff o-Toluidin vor, welcher auch für die Verursachung von Harnblasenkrebs bekannt ist. Hinzu kommen noch weitere berufliche Einwirkungen mit anderen aromatischen A-minen die aber nicht abschließend geklärt sind.
Der Kläger war zum Zeitpunkt der klinischen Symptomatik seines Krebsleidens 58 Jahre alt, die sichere Diagnose erfolgte nach dem 59. Geburtstag. Hier spricht die Vorverlegung des Beginns der Krebserkrankung, für welches das Risiko ab dem 40. Lebensjahr zwar erhöht aber ein mittleres Erkrankungsalter von 72 Jahren gegeben ist, eher für eine be-rufsabhängige Verursachung.
In Bezug auf die Expositionsdauer ist festzustellen, dass der Kläger 10,4 Jahre gegen-über aromatischen Aminen (o-Toluidin und 2-Naphtylamin) exponiert gearbeitet hat. Die mittlere Expositionsdauer liegt aktuell bei 20 Jahren (Mehrtens/Brandenburg "die Berufs-krankheitenverordnung" Stand Dezember 2019, M 1301), sodass die Expositionsdauer nicht gegen die Anerkennung eines Kausalzusammenhangs steht.
Die Latenzzeit beträgt beim Kläger 38 Jahre (Zeit zwischen dem Erstkontakt mit aromati-schen Terminen und dem Beginn der Erkrankung). Auch dieser Wert spricht eher für ei-ne berufliche Verursachung, da von einer mittleren Latenzzeit von um die 35 Jahren auszugehen ist (mittlere Latenzzeit nach Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., 37 Jahre, Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 1185 von 5 bis 64 Jahren und damit im Mittel bei 34,5 Jahren).
Die Interimszeit, also die Zeit zwischen Ende der Belastung und Beginn der Erkrankung, liegt beim Kläger bei 27 Jahren. Diese spricht bei einer in Veröffentlichungen angegebe-nen Zeit von 17 Jahren (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O. und Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 1185) nicht gegen eine Verursachung, da keine validen Studien hierzu vorliegen.
Für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend gehen die gerichtlichen Sachver-ständigen davon aus, dass bei einer Gesamtschau der Argumente eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass die berufliche Einwirkung zumindest wesent-liche Teilursache für das Entstehen der Krebserkrankung beim Kläger ist.
Diese grundsätzliche Wahrscheinlichkeit wird auch nicht dadurch negiert, dass der Klä-ger mindestens 15 pack years geraucht und damit über das Rauchen 30g o-Toluidin auf-genommen hat.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 30.03.2017, B 2 U 6/15 R) schließt eine unversicherte Einwirkung einen Versicherungsschutz dann nicht zwin-gend aus, wenn sowohl die berufliche Einwirkung als auch die unversicherte Einwir-kung für sich alleine gesehen die Erkrankung auslösen konnten. Dies gilt sogar dann, wenn die unversicherte Einwirkung bei Vergleich der Expositionsmassen deutlich über-wiegt. Die erkennende Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich an, und verweist darauf, dass gerade bei der vorliegende Berufskrankheit ein einfaches Do-sismodell die Verursachungswahrscheinlichkeit nicht hinreichend erklären kann. Gene-rell verschließt sich die Abwägung der Verursachungsbeiträge jeglicher mathematischer Betrachtungsweise. Der weitreichende Versicherungsschutz folgt hier dem in der Ge-setzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz, dass eine wesentliche Mitursäch-lichkeit ausreicht; der beruflichen Einwirkung muss nicht die alleinwesentliche oder überwiegende Bedeutung zukommen.
Unter Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt die Kammer nicht den Ausführungen der Sachverständigen Fr. Prof. Dr. C-H, sofern sie schon bei einer Einwirkung von 3g o-Toluidin dem Rauchen eine überwiegende (anspruchsver-nichtende) Bedeutung beimisst. Die Kammer verweist hier vielmehr auf die allgemeinen Grundsätze und eingeschränkt auf die Darstellungen von dem Sachverständigen Dr. S (wobei die grundlegenden Ausführungen zu stochastischen Wahrscheinlichkeiten bei Krebsleiden nicht vollumfänglich geteilt werden).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 12.11.2020
Zuletzt verändert am: 12.11.2020