Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Die am 00.00.1956 geborene und bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragstellerin ist an einem sog. Cupsyndrom (Cancer of unknown primary) erkrankt. Die Erstdiagnose erfolgte im Jahre 2002. Seither musste sie sich wegen Metastasenbildung mehrfachen operativen Interventionen unterziehen (Operation nach Wertheim, Blasenresektion, Darmteilresektion mit Anlage eines Anus praeter) und hat verschiedene Chemotherapien durchlaufen.
Am 30.06.2006 beantragte die Antragstellerin durch den behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin und onkologisch verantwortlichen Arzt T, C, die Anwendung von Tiefenhyperthermie bei gleichzeitiger Gabe von Chemotherapeutika. Zur Begründung führte er aus, dass in internationalen Studien nachgewiesen sei, dass verschiedene Chemotherapeutika durch eine gezielte Tiefenhyperthermie des Tumors bzw. der Metastasen in ihrer Wirksamkeit verstärkt werden könnten. Die Antragsgegnerin lehnte dies durch den Bescheid vom 14.09.2006 mit der Begründung ab, dass das von ihr eingeholte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 08.09.2006 festgestellt habe, dass für die Behandlung der Erkrankung der Klägerin die Palliativtherapie als allgemeiner medizinischer Standard zur Verfügung stehe. Außerdem sei Hyperthermie nicht geeignet, eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf nachweisen zu können.
Die Antragstellerin hat dagegen am 20.12.2006 Widerspruch eingelegt und ferner am 27.12.2006 vor dem Sozialgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Zur Begründung hat sie vorgebracht, dass die Hyperthermie eine niedrigere Dosierung des Chemotherapeutikums erlaube; die bisher durchgeführte Behandlung habe ihr allgemeines Wohlbefinden so gebessert, dass sie sich auch wieder um ihre Familie habe kümmern können.
Die Antragstellerin hat beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, für die Antragstellerin die Kosten der Hyperthermie-Behandlung zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hat auf das Ergebnis des im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des MDK vom 08.09.2006 verwiesen.
Das Sozialgericht hat eine gutachterliche Stellungnahme der I , Ärztin für Strahlentherapie, L, vom 15.01.2007 eingeholt. Die Sachverständige hat ausgeführt: Derzeit besitze die Hyperthermie-Behandlung in der Krebstherapie nicht den Stellenwert einer Standardtherapie sondern gelte als alternatives Behandlungskonzept. Bei der Antragstellerin liege eine ausgedehnte Peritonealkarzinose mit klinischer Symptomatik vor, als Ursache sei die Primärerkrankung i.S. eines Cup-Syndroms nicht nachweisbar. Die palliativ-medizinische Versorgung von metastasierten Patienten mit diesen symptomatischen Krankheitsbildern (insbesondere mit Peritonealkarzinose) profitierten unter palliativen Gesichtspunkten nicht nur von ausschließlich supportiv-palliativen Maßnahmen, sondern auch, wenn auch mit immer kürzerem Erfolg durch eine Dritt- und Vierttherapie, multimodal, z.B. aus Chemotherapie und strahlentherapeutischer Behandlung in Begleitung mit einer synergestischen Maßnahme wie z.B. einer Hyperthermie. Im Vordergrund stehe eine Linderung der Beschwerden, Besserung der Lebensqualität über einen längerfristigen Zeitraum durch mögliche Dosisreduktion einmal von Analgetika, Ko-analgetika, die auch unerwünschte Arzneimittelwirkung entwickelten und eine Dosisreduktion der Chemotherapeutika, die einen ursächlichen Effekt auf den Krankheitsverlauf vermuten ließen. Es sei festzustellen, dass durch die begleitende Hyperthermie-Behandlung in Verbindung mit der tumorspezifischen niedrig dosierten Chemotherapie und Antikörpertherapie eine zumindest für die Patientin spürbar positive Einwirkung auf den Verlauf zu verzeichnen sei.
Durch Beschluss vom 24.01.2007 hat das Sozialgericht Köln die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, einstweilen die Kosten der Elektrotiefenhyperthermie ab 25.01.2007 bis 25.07.2007 zu übernehmen, die im Zusammenhang mit Chemotherapie (Avastin) erbracht werde.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe Bezug genommen.
Am 29.01.2007 hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und zugleich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass sich die Antragstellerin nicht auf die Grundsätze des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 05.12.2005 berufen könne, weil bereits eine negative Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu der Hyperthermie-Behandlung ergangen sei. Sie bekräftigt, dass ihrer Ansicht nach eine palliative Behandlung als Standardtherapie zur Verfügung stehe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 24.01.2007 zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts Köln für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der geltend gemachte Anordnungsanspruch und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – vom 29.07.2003 – 2 BvR 311/03 – in VWZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 – NVWZ 2005 -, 927).
Nach diesen Grundsätzen hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Elektrotiefenhyperthermie ab 25.01.2007 bis 25.07.2007 im Zusammenhang mit Chemotherapie zu gewähren.
Jedenfalls aufgrund der oben genannten Folgenabwägung ist vom Bestehen eines Anspruchs der Antragstellerin gemäß § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Gewährung der Hyperthermiebehandlung im Zusammenhang mit Chemotherapie auszugehen.
Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) ist es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, eine gesetzlich Krankenversicherte, für deren lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihr gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Keiner weiteren Darlegung bedarf, dass die bei der Antragstellerin vorliegende Erkrankung (zumindest) als lebensbedrohlich zu beurteilen ist.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung im Fall der Antragstellerin nicht zur Verfügung. Die Antragsgegnerin hat insoweit die Ansicht vertreten, dass es im Falle der Antragstellerin nicht mehr um die Behandlung der Erkrankung, sondern lediglich um eine Schmerztherapie (palliatives Stadium) gehe. Eine solche stehe aber zur Verfügung. Diese Beurteilung wird nach Auffassung des Senats der Situation der Antragstellerin nicht gerecht. Zwar erfolgt auch nach Angaben des behandelnden Arztes und auch der Sachverständigen Dr. I die Behandlung der Antragstellerin nicht mit kurativer Zielsetzung. Insbesondere Dr. I hat aber in ihrer Stellungnahme vom 15.01.2007 auch darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin unter palliativen Gesichtspunkten nicht nur von ausschließlich supportiv-palliativen Maßnahmen, sondern auch, wenn auch mit immer kürzerem Erfolg durch eine Dritt- und Vierttherapie, multimodal, z.B. aus Chemotherapie und strahlentherapeutischer Behandlung in Begleitung mit synergetischen Maßnahmen, wie z.B. einer Hyperthermie, profitiere. Dies ist nach Auffassung des Senats dahingehend zu verstehen, dass die Hyperthermie im Zusammenhang mit der Chemotherapie über eine bloße Schmerzbehandlung (weit ) hinausgeht und zu einer Verbesserung der Lebensqualität und insbesondere auch zu einer Verlängerung des Lebens führt. Weder dem Gutachten des MDK vom 08.09.2006 noch dem weiteren Vorbringen der Antragsgegnerin ist eine nähere Begründung dafür zu entnehmen, warum abweichend hiervon im Falle der Antragstellerin nur noch eine reine Schmerztherapie in Betracht kommen sollte.
Die in diesem Zusammenhang von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, dass palliative Behandlungsmaßnahmen von vornherein nicht nach den Grundsätzen der Entscheidung des BverfG vom 06.12.2005 zu beurteilen seien, ist nach Auffassung des Senats kaum haltbar. Da eine palliative Behandlung (in dem oben beschriebenen Sinne) nicht allein auf eine Schmerzbehandlung reduziert werden kann, sondern vielmehr auch zu einer Verlängerung des Lebens und einer Verbesserung der Lebensqualität führen kann, und somit auch hier die Grundrechte aus Art. 2 GG berührt sind, unterfallen diese wie alle Behandlungsmaßnahmen den vom BverfG (aaO) aufgestellten Grundsätzen. Dementsprechend ist es nach der Entscheidung des BVerfG (aaO) ausreichend, dass eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Dies ist im Falle einer Verbesserung der Lebensqualität und (erst recht) bei einer Verlängerung des Lebens zweifellos der Fall.
Schließlich geht der Senat aufgrund der Stellungnahme der Dr. I sowie der Angaben der behandelnden Ärzte (im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens) auch davon aus, dass die Hyperthermie im Zusammenhang mit der Chemotherapie keine ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf i.S.d. Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (aaO). zeitigt. Das Gutachten des MDK vom 08.09.2006 vertritt insoweit zwar eine gegenteilige Auffassung. Es enthält in dieser Hinsicht aber keine nähere Begründung und differenziert auch nicht zwischen der Aussicht auf Heilung und der Erwartung einer spürbar positiven Auswirkung auf den Krankheitsverlauf. Weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, ist im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Streitsache nicht zweckmäßig.
Soweit sich die Antragsgegnerin darauf berufen hat, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.11.2006, Az B 1 KR 24/06 R, eine Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des BVerfG (a.a.O.) dann ausscheide, wenn die betreffende Behandlungsmethode durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bzw. den Gemeinsamen Bundesausschuss bereits negativ bewertet worden ist, folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht. Maßstab der Prüfung des Gemeinsamen Bundesaus-schusses ist die Frage, ob die fragliche Behandlungsmethode wirksam ist. Dies bedeutet, dass der volle wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit der betreffenden Methode geführt sein muss. Nach der Rechtsprechung des BVerfG reicht es aber aus, dass die fragliche Behandlungsmethode die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vermuten lässt. Würde man der Ansicht des 1. Senates in dem o.g. Urteil folgen, so würde man – je nachdem ob sich der Gemeinsame Bundesausschuss bereits mit einer Behandlungsmethode befasst hat oder nicht, einen unterschiedlichen Prüfungsmaßstab zugrundelegen. Dies erscheint nach Auffassung des Senats weder gerechtfertigt noch lässt sich der Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 ein Hinweis auf eine derartige unterschiedliche Beurteilung entnehmen.
Im vorliegenden Fall tritt hinzu, dass die bei der Antragstellerin vorliegende Grunder-krankung (Cup-Syndrom) wohl nicht Gegenstand der Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gewesen ist (vergl. Beschlussbegründung zur Änderung der Anlage B " Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" der BUB-Richtlinie vom 18.01.2005). Ob dies tatsächlich so ist und welche rechtlichen Folgen hieraus gffs. zu ziehen sind, ist in diesem Eilverfahren ebenfalls nicht abschliessend zu klären.
Es stellen sich damit hier eine Reihe komplexer tatsächlicher und rechtlicher Fragen, die im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – wie dargelegt – nicht hinreichend zu klären sind. Dies führt nach Auffassung des Senats dazu, dass hier im Rahmen einer Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin entschieden werden muss: Auf Seiten der Antragstellerin ist das Rechtsgut Leben bedroht, während auf Seiten der Antragsgegnerin es lediglich um (begrenzte) finanzielle Folgen für einen überschaubaren Zeitraum geht. Es kann nicht fraglich sein, dass diese Abwägung zugunsten der Antragstellerin ausfallen muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 06.03.2007
Zuletzt verändert am: 06.03.2007