Das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.11.2007 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 03.08.2006 in der Fassung des Bescheides vom 23.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,00 EUR monatlich im Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 30.04.2007 zu gewähren. Kosten sind der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsfähigkeit nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII).
Die 1947 geborene Klägerin lebte im streitigen Zeitraum mit ihrem 1985 geborenen Sohn K in einem Haushalt. Dieser absolvierte im gesamten streitigen Zeitraum und bis Juni 2007 eine Ausbildung. Seine Ausbildungsvergütung betrug zunächst 475,65 EUR, ab August 2006 529,20 EUR und schließlich ab Januar 2007 532,90 EUR netto monatlich, wobei von den genannten Beträgen lediglich ein um 40 EUR geminderter Betrag (vermögenswirksame Leistungen) zur Auszahlung gelangte. Zunächst überwies die Klägerin das ihr von der zuständigen Familienkasse ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR ihrem Sohn per Dauerauftrag. Im Einvernehmen mit der Klägerin beantragte der Sohn sodann bei der Familienkasse die Überweisung des Kindergeldes unmittelbar auf sein Konto. Ausweislich eines an die Klägerin gerichteten Schreibens der Familienkasse vom 27.09.2006 wurde das Kindergeld ab September 2006 auf das Konto ihres Sohnes K gezahlt. Einem von der Klägerin vorgelegten Kontoauszug des Girokontos ihres Sohnes vom 05.09.2006 lässt sich eine entsprechende erstmalige Überweisung entnehmen.
Die Klägerin stand zunächst im Bezug von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Die Beklagte rechnete während des Bezuges der Hilfe zum Lebensunterhalt das Kindergeld nicht als Einkommen an. Im Mai 2006 gelangte der Ärztliche Dienst des Kreises Q nach Untersuchung der Klägerin zu der Erkenntnis, dass die Klägerin aufgrund diverser Erkrankungen auf Dauer erwerbsunfähig sei. Mit Bescheid vom 03.08.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag hin Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis 30.04.2007. Unter Anrechnung des für den Sohn gezahlten Kindergeldes errechnete sie einen Leistungsbetrag von monatlich 372,00 EUR. Hierbei ging sie von Regelsatzleistungen der Klägerin von 345,00 EUR aus. Als Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte sie einen Betrag von 181,00 EUR. Von dem sich ergebenden Gesamtbedarf setzte sie als Einkommen das monatlich ausgezahlte Kindergeld von 154,00 EUR ab.
Mit Widerspruch vom 23.08.2006 wandte sich die Klägerin gegen die Höhe der ihr gewährten Leistungen. Sie führte aus, der jetzige Betrag an Grundsicherung decke kaum die Mietkosten ab. Es sei zu berücksichtigen, dass das an die Klägerin gezahlte Kindergeld "von ihr per Dauerauftrag bzw. direkt an den Sohn weitergeleitet worden" sei. Nunmehr habe der Sohn die Zahlung des Kindergeldes an sich selbst bei der Familienkasse beantragt.
Mit Schriftsatz vom 30.08.2006 wies die Beklagte darauf hin, dass das Kindergeld nur dann Einkommen des Kindes sei, wenn es zur Deckung seines Lebensunterhalts benötigt werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da das Nettoeinkommen des Sohnes K 475,65 EUR monatlich betrage. In Erwiderung auf dieses Schreiben teilte die Klägerin mit, das monatliche Nettoeinkommen des Sohnes reiche zur Bedarfsdeckung nicht aus. Ohne das Kindergeld verbliebe ihm lediglich ein Betrag von 102,50 EUR. Dieser reiche nicht einmal für die Lebensmittel aus. Mit Schreiben vom 11.09.2006 führte die Beklagte aus, dass gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur dem minderjährigen Kind das Kindergeld als Einkommen zuzurechnen sei. Im Umkehrschluss führe dies im konkreten Hilfefall dazu, dass das Kindergeld Einkommen des Kindergeldberechtigten, also der Klägerin, sei. Dem Sohn der Klägerin werde anheimgestellt, seine Alg II-Ansprüche durch den zuständigen Leistungsträger prüfen zu lassen. Nach Vorlage eines Alg II-Bescheides werde die Kindergeldanrechnung für die Zukunft überprüft. Die Bearbeitung des Widerspruchs werde zunächst zurückgestellt. Mit Schreiben vom 03.11.2006 teilte die Klägerin mit, ihr Sohn habe einen Alg II-Antrag nicht gestellt. Mit Bescheid vom 29.12.2006, gerichtet an die Klägerin, wurde Wohngeld in Höhe von 66,00 EUR monatlich bewilligt. Ausweislich des Bescheides erfolgte die Bewilligung lediglich für den Sohn der Klägerin, da diese selbst im Bezug von Transferleistungen stand. Zuvor war Wohngeld bis zum 31.07.2006 in Höhe von 79,00 EUR monatlich gewährt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2007 wies der Kreis Q den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt:
Kindergeld sei Einkommen im Sinne von § 82 SGB XII. Nach dieser Vorschrift beurteile sich auch, zu wessen Einkommen Kindergeld gerechnet werde. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sei Kindergeld Einkommen dessen gewesen, an den es ausgezahlt worden sei. Die zum 01.01.2005 in Kraft getretene Regelung des § 82 SGB XII knüpfe an die bisherigen Regelungen in § 76 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) an. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bestimme die Zuordnung von Kindergeld für minderjährige Kinder. Diese Regelung habe zum Ziel, die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen (Verweis auf BT-Drs. 15/1514, Seite 65). Anders verhalte es sich mit der Anrechnung des Kindergeldes für ein volljähriges Kind (Verweis auf LSG Niedersachsen – Bremen, Urteil vom 20.04.2006 – L 8 SO 121/05), weil der Gesetzgeber in Kenntnis der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung keine abweichende Regelung getroffen habe. Kindergeldberechtigt sei die Klägerin. Eine von dieser vorgenommene Weiterleitung des für den volljährigen Sohn geleisteten Kindergeldes sei grundsätzlich nicht zulässig, solange bei ihr ein sozialhilferechtlicher Bedarf bestehe. Unbeachtlich sei, dass das Kindergeld seit September 2006 von der Familienkasse direkt auf das Konto des Sohnes K gezahlt werde. Es handele sich nicht um eine Abzweigung nach § 74 Einkommensteuergesetz (EStG), sondern um einen reinen Zahlungsempfängerwechsel, der jederzeit änderbar sei. Nachweise, dass die Anspruchsberechtigung im Sinne des EStG auf den Sohn K gewechselt habe, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Eine willkürliche Zuordnung durch schlichten Wechsel der Bankverbindung sei unbeachtlich. Insofern könne es keinen Unterschied machen, an wen aufgrund eines jederzeit widerrufbaren Wunsches das Kindergeld ausgezahlt werde, solange dies nicht auf einer Änderung des Bezugsberechtigten nach § 74 EStG beruhe (Verweis auf LSG NRW, Urteil vom 02.11.2006 – L 1 AS 6/06). Dass die Klägerin freiwillig auf Kindergeld als Einkommen verzichtet habe, obwohl sie dieses zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts benötige, könne nicht dazu führen, dass Sozialhilfeleistungen erhöht würden.
Mit ihrer hiergegen am 21.03.2007 beim Sozialgericht Detmold erhobenen Klage hat die Klägerin an ihrem Begehren festgehalten. Sie hat wiederholend vorgetragen, ihr Sohn sei auf das Kindergeld zur Deckung seines Bedarfs angewiesen. Dies werde auch daraus deutlich, dass er Wohngeld habe beantragen müssen. Deshalb sei der Verweis der Beklagten auf die Beantragung von Arbeitslosengeld II unverständlich. Im Übrigen habe sich der Sohn bei der zuständigen ARGE erkundigt. Der Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) wäre abgelehnt worden, da sein Bedarf durch die Ausbildungsvergütung und durch das Kindergeld gedeckt gewesen wäre. Bei einem Nettoeinkommen von 530,00 EUR hätte sich ein anrechenbares Einkommen von 320,00 EUR ergeben. Bei Hinzurechnung des Kindergeldes hätte sich ein Einkommen von 474,00 ergeben. Für den Sohn wäre dies ausreichend gewesen, da sein Bedarf insgesamt bei einer anteiligen Miete von 185,00 EUR 530,00 EUR betragen habe. Im Übrigen ergebe sich aus § 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II, dass das Kindergeld dem leistungsberechtigten Kind zuzurechnen sei. Aus der Vorschrift des § 82 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ergebe sich nichts anderes.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 03.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007 zu verurteilen, ihr Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Der Vortrag zur Klagebegründung lasse keine andere Beurteilung zu. Der Sohn der Klägerin beziehe nicht für sich getrennt Wohngeld, sondern die Klägerin selbst sei die Wohngeldberechtigte und Wohngeldbezieherin. Für die Gewährung von Wohngeld sei ebenfalls ihr Einkommen maßgebend, wobei hier das Kindergeld für K bei ihr nur deshalb anrechnungsfrei geblieben sei, da unterstellt werde, dass das Kindergeld als geschuldeter Unterhalt für das mit ihr in Wohngemeinschaft lebende Kind verbraucht werde. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn der Sohn der Klägerin seine vorrangigen Alg II-Ansprüche unter Anrechnung des Kindergeldes durchgesetzt hätte oder durchsetzen würde. Nur dann würde bei der nachrangigen Sozialhilfe das Kindergeld nicht in die Berechnung einfließen.
Mit Urteil vom 19.11.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Kindergeld sei Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Zusätzlich sei es als Einkommen desjenigen zu werten, an den es ausgezahlt werde. Im streitigen Zeitraum sei das Kindergeld an den Sohn der Klägerin gezahlt worden, zunächst durch einen von der Klägerin eingerichteten Dauerauftrag und später durch Überweisung von der Familienkasse. Die gezielte Zuwendung des Kindergeldes an das Kind führe zwar grundsätzlich dazu, dass es bei diesem auch als Einkommen anzurechnen sei. Nach Auffassung der Kammer sei hier ein solcher Zuwendungsakt aber nicht zulässig, da die Klägerin selbst sozialhilfebedürftig sei. Ein Hilfeempfänger habe grundsätzlich alle ihm zur Verfügung stehenden bereiten Mittel in Anspruch zu nehmen, um sich selbst zu helfen und die Leistungen der Sozialhilfe so gering wie möglich zu halten. Eine gesetzliche Verpflichtung der Klägerin, das Kindergeld an ihren Sohn weiterzuleiten, habe nicht bestanden. Insbesondere habe kein Fall des § 74 EStG vorgelegen. Dass die Voraussetzungen einer Abzweigung erfüllt seien, sei weder ersichtlich noch vorgetragen. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII lasse eine andere Bewertung nicht zu. Aus der Gesetzesformulierung werde deutlich, dass eine besondere Regelung für Minderjährige getroffen worden sei, die im Umkehrschluss für volljährige Kinder nicht gelte. Es sei unbeachtlich, dass die Beklagte im Rahmen der Leistungserbringung nach dem Dritten Kapitel des SGB XII das Kindergeld nicht als Einkommen angerechnet habe. Die Kammer verkenne die persönlichen Beweggründe der Klägerin, die sie zur Weiterleitung des Kindergeldes veranlasst hätten, nicht. Doch sei mit der Volljährigkeit des Sohnes eine veränderte Unterhaltslage eingetreten. Grundsätzlich sei dieser ab diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen und sich daher auch um die Durchsetzung etwaiger Ansprüche (Arbeitslosengeld, BAföG-Leistungen) gegen in Betracht kommende Leistungsträger zu bemühen.
Gegen das ihr am 11.12.2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 18.12.2007. Zur Begründung hat die Klägerin Bezug genommen auf den erstinstanzlichen Vortrag. Im Übrigen berufe sie sich auf Vertrauensschutz. Allein die Änderung der Zuständigkeit im Jahre 2005 und ein Wechsel des Sachbearbeiters hätten plötzlich zur Anrechnung des Kindergeldes geführt. In der Realität habe sich aber an der Bedarfsgemeinschaft nichts geändert. Der Sohn hätte theoretisch einen Antrag auf ergänzende Hilfe nach dem SGB II stellen können. Dieser Antrag wäre aber abgelehnt worden. Der Sohn habe das Kindergeld zur Bedarfsdeckung benötigt und genutzt. Er habe sich auf die seinerzeit praktizierte Verfahrensweise eingestellt. Zu berücksichtigen seien zudem die konkreten Lebensverhältnisse und das Verhältnis der Klägerin zu ihrem Sohn. Dieser habe aufgrund seines schwierigen Lebenslaufs (schwerer Missbrauch durch seinen Vater) große Schwierigkeiten bei der beruflichen und sozialen Eingliederung gehabt. Das Kindergeld sei für ihn von existenzieller Bedeutung gewesen. Hier liege die besondere Härtesituation in dieser "Bedarfsgemeinschaft".
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte für den streitigen Zeitraum höhere Kosten für Heizung in Höhe von 6,50 EUR monatlich anerkannt. Im Übrigen haben die Beteiligten den Rechtsstreit auf die zu erbringenden Regelsatzleistungen beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.11.2007 abzuändern und ihr unter Änderung des Bescheides vom 03.08.2006 in der Fassung des Bescheides vom 23.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,00 EUR monatlich im Zeitraum vom 01.05.2006 bis 30.04.2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist im Übrigen auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der beigezogenen Kindergeldakte der Familienkasse Detmold sowie der Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig. Dabei haben die Beteiligten den Streitstoff in der mündlichen Verhandlung in zulässiger Weise dahingehend beschränkt, dass Kosten der Unterkunft und Heizung – als abtrennbarer Streitgegenstand – einer rechtlichen Prüfung durch den Senat nicht (mehr) zu unterziehen sind.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 03.08.2006 in der Fassung des Bescheides vom 23.08.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007, beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ihr stand im streitigen Zeitraum im Umfang der Tenorierung ein höherer Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu.
Nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossenen Teilvergleich ist die Klägerin grundsätzlich gemäß § 41 Abs. 1 SGB XII anspruchsberechtigt.
Die Beklagte hat dem Gesamtbedarf der Klägerin zu Unrecht Einkommen in Gestalt des für den Sohn K gezahlten Kindergeldes – und zwar trotz dessen Weiterleitung an den Sohn bzw. trotz Überweisung des Kindergeldes durch die Familienkasse E unmittelbar an diesen – gegenübergestellt. Kindergeld ist auch nach der Rechtsprechung des zuständigen Sozialhilfesenats des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich eine Einnahme dessen, an den es (als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigten) ausgezahlt wird (vgl. BSG, Urteil vom 16.10.2007, B 8/9b SO 8/06 R, SozR 4-1300 § 44 Nr. 11 RdNr. 22 m.w.N.; BSG, Urteil vom 26.08.2008 – B 8/9b SO 16/07 R und B 8 SO 26/07 R). Das Gesetz enthält in Bezug auf volljährige, im Haushalt ihrer Eltern lebende Kinder keine davon abweichende Zuordnungsregelung. Die jeweiligen Regelungen im SGB II und SGB XII für Minderjährige sind als Reaktion des Gesetzgebers auf überkommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend BVerwG, Urteil vom 17.12.2003 – 5 C 25/02 = NJW 2004, 2541 – 2542) zu begreifen. Sie zielt darauf ab, möglichst viele minderjährige Kinder aus dem Leistungsbezug zu nehmen. Für volljährige Kinder hingegen ergab sich ein Regelungsbedarf mit nämlicher Intention nicht. Bereits mit Urteil vom 08.02.2007 (B 9b SO 5/06 R = SozR 4-3500 § 41 Nr. 1) hat das Bundessozialgericht insoweit auch zu Recht festgestellt, dass die Regelung des § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII als ausdrücklich nur auf Minderjährige bezogene Bestimmung nicht "erst recht" für volljährige (behinderte) Kinder gilt. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.
Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, ob Kindergeld für volljährige, im Haushalt der Eltern lebende Kinder nach dem SGB XII als Einkommen der Eltern oder der Kinder zu qualifizieren ist, fehlt bislang. Für das SGB II hat das BSG zuletzt mit Urteil vom 13.11.2008 (B 14/7b AS 4/07 R) ausgeführt (im Anschluss an BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R = BSGE 97, 265), dass Kindergeld für volljährige, im Haushalt lebende Kinder jeweils als Einkommen des Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen sei (so auch schon im Urteil vom 06.12.2007 – B 14/7b AS 54/06 R = FEVS 59, 395 ff.) Für das SGB II hat das Bundessozialgericht dies aus § 11 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB II (in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung) abgeleitet. Dieses Ergebnis sei bestätigt worden durch die mit Wirkung ab 01.10.2005 eingefügte Nr. 8 des § 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) in der Verordnung vom 22.08.2005, wonach das Kindergeld für volljährige Kinder, "soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind weitergeleitet wird", nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Der Regelungszusammenhang sei nicht interpretations- oder auslegungsfähig. In diesem Urteil hat das Bundessozialgericht auch ausgeführt, dass nichts Anderes daraus folge, dass das Kindergeld für den volljährigen Pflegesohn von der Kindergeldkasse an diesen direkt auf dessen Konto ausgezahlt worden sei. Allein die tatsächliche Zahlung auf ein Konto des Pflegesohnes vermöge eine Abzweigungsentscheidung nicht zu ersetzen.
Hingegen hat der für Fragen der Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG diese Frage ausdrücklich offen gelassen (Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 23/06 R= SozR 4-3500 § 82 Nr. 3; "Was zu gelten hat, wenn ein erwachsenes Kind bei den Eltern lebt und das Kindergeld von dem Kindergeldberechtigten an dieses Kind weitergeleitet wird, bedarf vorliegend keiner Entscheidung").
Zur Überzeugung des Senats ist Kindergeld für im Haushalt lebende volljährige Kinder jedenfalls dann als deren Einkommen und nicht als solches der Eltern oder des leistungsberechtigten Elternteils im Sinne des § 82 SGB XII zu qualifizieren, wenn das Kindergeld dem volljährigen Kind zeitnah zugewandt oder es durch die Familienkasse unmittelbar an das volljährige Kind ausgezahlt wird und ohne die (freiwillige) Weiterleitung bzw. unmittelbare Auszahlung die Voraussetzungen des § 74 EStG vorliegen würden. Insoweit überträgt der Senat die Rechtsprechung des 8. Senats des BSG für volljährige, außerhalb des Haushalts ihrer Eltern lebende Kinder. Für volljährige Kinder, die außerhalb des Haushalts des Kindergeldberechtigten leben, entspricht es gefestigter Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt Urteil vom 26.08.2008 – B 8/9b SO 16/07 R unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 28.04.2005, 5 C 28/04 = NJW 2005, 2873ff.), dass das an einen Elternteil als Kindergeldberechtigten ausgezahlte Kindergeld nur dann als Einkommen des volljährigen, außerhalb des Haushalts lebenden Kindes zu berücksichtigen ist, soweit dieses ihm zeitnah zugewendet wird (innerhalb eines Monats nach Auszahlung bzw. Überweisung des Kindergeldes) und ohne die "Weiterleitung" die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 EStG durch Verwaltungsakt zu Gunsten des Kindes vorliegen würden. Es ist kein Grund ersichtlich, für im Haushalt des kindergeldberechtigten Elternteils lebende, volljährige Kinder andere Maßstäbe anzulegen. Abweichend von der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG kommt es auch nicht darauf an, ob eine förmliche Abzweigungsentscheidung gemäß § 74 EStG ergangen ist. Insoweit schließt sich der erkennende Senat der hierzu eingehend begründeten Auffassung des BSG (Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 23/06 R = FEVS 59, 529-537) an. Das BSG (a.a.O.) hat u.a. ausgeführt: "Zum einen ist es schon zweifelhaft, ob das volljährige Kind überhaupt einen Anspruch auf Abzweigung geltend machen kann. Die Abzweigung nach § 74 EStG bzw. nach § 48 SGB I knüpft nämlich vorrangig an die Verletzung der Unterhaltspflicht desjenigen an, an den das Kindergeld ausgezahlt wird. Soweit das Kindergeld von dem Kindergeldberechtigten tatsächlich "weitergeleitet" wird, kommt der unterhaltsverpflichtete Elternteil, der Leistungen nach dem SGB XII bezieht, einer möglichen Unterhaltspflicht nach. Selbst wenn die Unterhaltspflicht des Elternteils bezogen auf deren Höhe über den Kindergeldbetrag hinaus besteht und von dem Unterhaltsverpflichteten nicht erfüllt wird, ist bei Weiterleitung des Kindergeldes kein Bedarf für eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG bzw. § 48 Abs. 1 SGB I erkennbar. Das Kind, das das Kindergeld entweder von dem kindergeldberechtigten Elternteil oder – auf dessen Veranlassung – vom Finanzamt oder der Kindergeldkasse ohne Umweg über den kindergeldberechtigten Elternteil überwiesen erhält (möglicherweise konkludente Abzweigung), hat jedenfalls keine Veranlassung, eine Abzweigung, die es nicht besser stellen würde, zu beantragen. Entsprechendes gilt für die weiteren Alternativen des § 74 Abs. 1 EStG bzw. § 48 Abs. 1 SGB I, die eine Abzweigung ermöglichen, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG bzw. nach § 48 Abs. 1 SGB I zu verlangen, wäre reine Förmelei. Ohnedies liegt es nicht in der Macht des Kindergeldberechtigten selbst, die von der Beklagten geforderten Voraussetzungen für eine Nichtberücksichtigung des Kindergeldes zu schaffen. Die Befugnis, einen Antrag auf Abzweigung zu stellen, hat allenfalls das Kind. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Kind zwar die Abzweigung beantragen kann, selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG bzw. § 48 Abs. 1 SGB I aber keinen Anspruch auf die Abzweigung, sondern nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Behörde hat. Wollte man bei einer ermessensfehlerfreien Ablehnung eines Abzweigungsantrages des Kindes etwa, weil das Kindergeld ohnehin an das Kind weitergegeben wird, trotz Vorliegens der Voraussetzungen für eine Abzweigung, das Kindergeld als bereites Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils berücksichtigen, würde dies zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen." Dabei verkennt der erkennende Senat nicht, dass die Sozialhilfeträger damit in der Praxis gezwungen sind, das Vorliegen der Voraussetzungen insbesondere der einzelnen Alternativen des § 74 EStG zu prüfen. Dies ist aber angesichts der vom BSG dargestellten Gründe, auf eine förmliche positive Entscheidung über die Abzweigung zu verzichten, hinzunehmen.
Zur Überzeugung des Senats hätten die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG vorgelegen, so dass der Sohn K der Klägerin die Auszahlung des Kindergeldes an sich hätte verlangen können.
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Nach Satz 2 der Vorschrift kann Kindergeld an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung des § 66 EStG ergibt, ausgezahlt werden. Dies gilt nach Satz 3 auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Kindergeld kann an das volljährige Kind nach § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG (vgl. auch § 48 SGB I) auch dann ausbezahlt werden, wenn die Eltern mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig sind (FG Münster, Urteil vom 12.09.2008 – 6 K 1160/05 Kg, Revision anhängig III R 94/08).
Die Erklärungen der Klägerin sowie ihres vom Senat als Zeugen vernommenen Sohnes ergeben ohne jeden Zweifel, dass die Klägerin, deren Sozialhilfe um das Kindergeld gemindert worden war, mangels eigener Leistungsfähigkeit nicht in der Lage war, ihren Sohn zu unterhalten. Dementsprechend hat sich ihr Sohn an der Haushaltsführung beteiligt. Dabei ist es zur Überzeugung des Senats ohne Bedeutung, ob die Miete in voller Höhe vom Konto der Mutter überwiesen wurde. Ihr Sohn K hat sich mit Barleistungen in einer ihrer beider Lebensunterhalt sichernden Höhe aus der ihm zur Verfügung stehen Ausbildungsvergütung und dem ihm zugeflossenen Kindergeld revanchiert. Ihm wurden als Folge des gemeinsamen Wirtschaftens somit auch keine Sachleistungen durch Haushaltsaufnahme, konkret also durch Gewährung von Unterkunft und Verpflegung, als Unterhalt gewährt. Maßgeblich ist aber nicht das Leben im Haushalt des Kindergeldberechtigten, sondern die tatsächliche Gewährung von Unterhalt (vgl. FG Köln, Urteil vom 21.01.2009 – 14 K 2708/05, Revision anhängig III R 16/09). Mag die Lebenserfahrung grundsätzlich zwar dafür sprechen, dass das Leben eines Kindes im Haushalt der Eltern mit der Gewährung von Unterhalt verbunden ist (so FG Köln, a.a.O.), dürfte hiervon bei nachgewiesenem Sozialhilfebezug des Kindergeldberechtigten ohne Weiteres kaum auszugehen sein (vgl. auch FG Münster, a.a.O., für den Bezug von Arbeitslosengeld II durch die Eltern). Jedenfalls aber widerlegen die Feststellungen des Senats einen insoweit ggf. anzunehmenden Anscheinsbeweis (vgl. auch FG Köln, a.a.O.).
Dabei ist auch von einem Unterhaltsanspruch des Sohnes der Klägerin auszugehen. Nach der Düsseldorfer Tabelle (Stand 1. Juli 2005) bemisst sich zwar der Gesamtunterhaltsbedarf bei volljährigen Kindern, die noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnen, nach der 4. Altersstufe der Tabelle (vgl. Anmerkung 7 der Düsseldorfer Tabelle). Daraus ergäbe sich ein Kindesunterhalt von 335 EUR monatlich. Auch unter Berücksichtigung eine ausbildungsbedingten Mehrbedarfs von 90 EUR (vgl. Anmerkung 8 der Düsseldorfer Tabelle) wäre der Sohn der Klägerin somit nicht unterhaltsberechtigt. Vorliegend erscheint dieses Ergebnis aber nicht sachgerecht. Vielmehr ist es erforderlich, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Klägerin ersichtlich nicht in der Lage ist, Sachunterhalt zu gewähren, ein von der Düsseldorfer Tabelle aber bei Haushaltsmitaufnahme unterstellter Sachunterhalt somit gerade nicht gegeben ist. Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Düsseldorfer Tabelle im Grundsatz davon ausgeht, dass ein Barunterhaltspflichtiger existiert. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Daher erscheint es vorliegend gerechtfertigt, den angemessenen Gesamtunterhaltsbedarf mit 640 EUR zu bestimmen, mithin dem Betrag, der für Studierende anzusetzen ist und auch für Kinder mit eigenem Haus angesetzt werden kann (vgl. Anmerkung 7 der Düsseldorfer Tabelle). Die Ausbildungsvergütung des Klägers deckt diesen Unterhaltsbedarf auch unter Berücksichtigung der Wohngeldzahlung ersichtlich nicht ab, so dass die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG gegeben wären. Daraus wiederum ergibt sich, dass das Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin gemäß § 82 Abs. 1 SGB X zu berücksichtigen ist.
Der Senat braucht nach alledem nicht zu entscheiden, ob sich das gefundene Ergebnis zumindest für die Zeit ab dem 01.07.2006 auch unter Berücksichtigung eines (hypothetischen) Anspruchs des Sohnes der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II ergeben würde. Ein Leistungsausschluss wegen Bezuges einer Ausbildungsvergütung gemäß § 7 Abs. 5 SGB II dürfte dabei wegen der Unterbringung im Haushalt der Klägerin ausscheiden (§ 7 Abs. 6 SGB II). Denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II wäre das Kindergeld dann Einkommen des zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kindes, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Ausgehend von einem Bedarf von 345 EUR (Regelleistung) und 187,50 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung ergäbe sich ein Gesamtbedarf von 532,50 EUR. Der Höchstbetrag der Ausbildungsvergütung betrug 532,90 EUR. Dieser Betrag wäre noch zu bereinigen gewesen. Allein der gemäß § 30 SGB II zu ermittelnde Freibetrag bei Erwerbstätigkeit hätte zu einem zu berücksichtigenden Einkommen von 346,20 EUR geführt. Selbst unter Berücksichtigung des (vollen) Kindergeldes wäre der Sohn der Klägerin nicht in die Lage versetzt gewesen, seinen Bedarf zu befriedigen. Das Kindergeld wäre in voller Höhe als sein Einkommen zu berücksichtigen gewesen. Mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Verfahren bedarf es zu diesem Gesichtspunkt, der auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher keine Berücksichtigung gefunden hat (bzw. hat finden können), vorliegend aber ebenso wenig einer Entscheidung wie zur Frage, ob der Klägerin vorgehalten werden könnte, ihr Sohn habe einen Anspruch nach dem SGB II nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 06.08.2009
Zuletzt verändert am: 06.08.2009